Kapitel 1 - Die vertauschte Mauer
Eine weiße Dampfwolke hüllte das Gleis 4 des Bahnhof Kings Cross ein. Mit quietschenden Reifen war eine edle, schwarze Dampflok eingefahren und hielt langsam neben dem Gleis. Durch das hohe Glasdach fiel warmes Sonnenlicht und geschäftig tummelten sich tausende Menschen auf den Bahnsteigen, hielten nach Freunden und Familienmitgliedern Ausschau oder belagerten die Informationsstände. Hier und da wippte der eine oder andere mit seinen Lackschuhen ungeduldig auf und ab, die Zeitung in der Hand ignorierend und ständig auf die Uhr achtend. In der Luft vermischten sich die tausenden Geräusche zu einem Surren und verliehen der großen, schwarzen Masse den Anblick eines geschäftigen Bienenstockes.
Die schwarze Dampflok war inzwischen stehen geblieben und mit einem lauten Pfeifen öffneten sich die Türen. Aus einem der mittleren Waggons ergossen sich dutzende Tauben und entlockten der einen oder anderen Dame einen spitzen Schrei.
Ungläubig stolperte ein Schaffner aus der Tür, seine Haare waren voller grauer Federn und verwirrt taumelte er zu der Mittelsäule, um sich dort erschöpft anzulehnen. Die Vögel hatten sich inzwischen aufgelöst und waren irgendwo unter dem großen Glasdach verschwunden, dass zu mindestens nahm der Mann an, der sich mit seiner Mütze Luft zufächelte.
Eine hochgewachsene Frau in edlem Kostüm und großem Hut, beides in einem dunklen blau gehalten, folgte nun den Tauben und dem Schaffner aus dem Zug. Entzückt nahm sie die Hände vor dem Körper zusammen und atmete einmal tief ein. Man konnte ihr ihre Erleichterung deutlich ansehen. Um ihre Armbeuge hing eine einfache Tasche, passend zum Kostüm der Frau. Ihre grauen Haare hatte sie im Nacken zu einem festen Dutt zusammengenommen und ihre braunen Augen analysierten innerhalb von Sekunden den vollen Bahnsteig. Keinen Atemzug später konnte man zwei kleine Gestalten hinter ihr die Treppe hinabspringen sehen, dann waren sie zwischen den, zumeist in schwarz gekleideten Menschen verschwunden.
Die Dame atmete ein weiteres Mal tief ein, ehe sie mit schnellen, stolzen Schritten folgte.
Agatha Graeham war eine strenge und respektable ältere Dame und gehörte zu den Personen, die man nicht gegen sich aufbringen wollte. Sie strahlte eine ungeheure Autorität aus und fast wie durch Zauberhand, wichen die Menschen ihr aus und machten automatisch Platz für sie.
Jemand, der nicht Agatha war, hätte Ewigkeiten gebraucht um Gleis 4 zu verlassen und in die Haupthalle der Bahnhofes zu gelangen; sie jedoch erreichte ihn innerhalb weniger Minuten. Ihr Blick wirkte gehetzt, die Art, wie sie sich ihren Weg durch die Masse bahnte war fast schon panisch. Aus dem Augenwinkel konnte sie eine flotte Bewegung am anderen Ende der Halle erkennen.
Keiner der anwesenden Muggel hätte auch nur im Ansatz eine der beiden Gestalten wahrnehmen können, die wie Schatten zwischen den Beinen der Erwachsenen verschwanden um irgendwo anders wieder aufzutauchen und es unterlag Agathas wachem Blick, dass die beiden nicht einfach in der Masse untergingen.
Agatha Graehams Ziel waren die Gleise 9 und 10, und gerade, als sie diese erreichte, konnte sie einen flüchtigen Blick auf ihre Enkelin werfen.
Mit wehenden Locken, die feuerrot leuchteten, eilte das Mädchen von 11 Jahren durch die Menge, schlüpfte zwischen den Beinen der Muggel hindurch und steuerte auf eine der Sitzbänke zu.
Es war ihr egal, dass sich der Staub vom Boden auf ihrem Jeansrock absetzte und auch den leuchtend grünen Stoff ihrer Strumpfhose leicht verblassen ließ. Mit einem breiten Grinsen stupste sie einen schwarzhaarigen Jungen ihres Alters an, der unter der Bank bereits auf sie gewartet hatte. Während sich ihre Locken wie flüssiges Feuer über ihre Schultern ergossen, war sein Haar ungebändigt und wild und schon der eine oder andere Kamm war an ihnen gescheitert.
Aufgeregt klopfte sie ihm auf die Schulter und deutete kichernd auf die große Uhr zwischen Gleis 9 und 10, die anscheinend gerade 10:30 schlug.
„Hast du den Zauber...", wollte der Junge gerade fragen, doch ihr Blick ließ ihn verstummen. Nun wandte er seinen Blick ebenfalls auf die Säule.
Nur einen Augenblick später schien es, als hätte sich die Uhr in nichts aufgelöst und mit leuchtenden Augen steckte das Mädchen einen dünnen Holzstab in ihren Stiefel. Es handelte sich um einen Zauberstab, einen unbiegsamer Zwölfeinhalbzoller aus Eibe mit Phönixfederkern.
Das Mädchen, Jade Graeham, war eine Hexe. Und ihr Zwillingsbruder, Noah Graeham, dem zufolge ein Zauberer.
„Also, mein Verhüllungszauber funktioniert einwandfrei, was macht deine Uhr?" Noah biss sich auf die Lippe und deutete auf eine Säule, etwas weiter rechts von ihnen.
„War gar nicht so einfach. Wer genau hinsieht wird erkennen, dass etwas nicht stimmt aber ich denke..." Weiter kam der junge Graeham nicht, denn ein lautes Knallen ließ die Geschwister aufblicken.
Eine 3-köpfige Familie war auf den kleinen Spaß der Zwillinge reingefallen und mit einem ordentlichen Tempo gegen die feste Backsteinmauer gelaufen. Koffer waren zu Boden gegangen und eine kleine, schwarze Eule kreischte ungehalten über ihre Bruchlandung.
Mit hochrotem Kopf sammelte der Familienvater die Sachen ein und führte seine Frau und seinen Sohn ein wenig beiseite.
Hinter vorgehaltener Hand kicherte Jade und musste sich stark zusammenreißen, um nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Neben ihr biss sich Noah auf die Zunge und klopfte mit der Faust auf den Boden. Es dauerte keine drei Minuten, da waren mindestens ein dutzend weiterer Personen gegen die Mauer geknallt und ein kleiner Auflauf hatte sich gebildet.
„Müsste jetzt eigentlich gleich vorbei sein", stellte die junge Graeham fest und kniff die Augen ein wenig zusammen. Und tatsächlich, ein Liedschlag später war die Uhr wieder an ihrem rechtmäßigen Platz.
Die Verwirrung war groß, nicht nur unter den Hexen und Zauberern, die nun langsam auf die echte Säule zusteuerten. Ein hochgewachsener dunkelhäutiger Mann lehnte sich testhalber leicht gegen die Steine, und als er darin verschwand, folgten seine Tochter und seine Frau zugleich.
Noah kugelte sich inzwischen förmlich und Jade hatte so angestrengt versucht, nicht laut loszulachen, dass sie Schluckauf bekommen hatte.
„Bei Merlin, Jade! Das war eine der besten Ideen, die du in letzter Zeit hattest!", flüsterte Noah und klopfte seiner Schwester stolz auf die Schulter. „Das klang gar so, als hätte ich in letzter Zeit nur schlechte Ideen gehabt", bemerkte sie gespielt beleidigt und zog einen Schmollmund. Dabei blitzten ihre braunen Augen einmal kurz blau auf.
Plötzlich wurden die beiden an den Füßen unter der Bank hervorgezogen. Bedrohlich baute sich Agatha Graeham vor den beiden auf und schaute sie mit beängstigendem Blick an. Selbst Jade, die so taff war, dass ihr Bruder mal behauptet hatte, sie würde problemlos des Nachts durch ein amerikanisches Ghetto kommen und wahrscheinlich sogar noch eine Bande gründen, schrumpfte unter diesem Blick zusammen.
„Was habt ihr euch dabei eigentlich gedacht?", rief die ältere Dame empört aus und bedachte ihrer Enkel eines strengen Blickes. „Man könnte meinen, ihr beide habt nichts weiter als heiß dampfenden Drachenmist im Kopf! Eure Spielerein werden euch noch den Kopf kosten, bei Merlins gelb gepunkteten Unterhemden!" Agathas Lippen wurden zu einer dünnen Linie und ihr Kiefer bebte, während sie die Zähne fest zusammenbiss, um die Zwillinge nicht an Ort und Stelle aufzufressen. Noah senkte den Blick und steckte beschämt seinen Zauberstab, einen vierzehneinhalbzoll langen Ebenholzstab mit Drachenherzfaserkern, in die Tasche seiner Jeansjacke.
Die kleine Traube an Hexen und Zauberern hatte sich inzwischen aufgelöst.
„Ihr könnt von mehr als Glück sprechen, dass euer kleiner Spaß nicht dazu geführt hat, dass das Geheimnis unserer Welt aufgedeckt wurde! Hätte ich die Muggel nicht abgelenkt dann... bei Merlin, nun eilt euch doch!" Agatha führte ihre Enkel mit festem Griff um deren Arme von der Sitzbank fort in Richtung der magischen Säule, die zum berühmten Gleis 9 ¾ führte.
„Euer Gepäck wartet auf der anderen Seite", bemerkte Agatha noch kurz, dann beschleunigte sie ihre Schritte und zerrte ihre Enkel förmlich hinter sich her. Jades Augen weiteten sich und sie hielt den Atem an. Kurz bevor sie die Säule berühren sollten, schloss sie die Augen und wartete auf eine Art Aufprall.
Doch nichts geschah, und als Jade bemerkte, dass sich die Geräusche um sie herum verändert hatten, wagte sie es, vorsichtig ein Auge zu öffnen.
Über ihnen hing ein einfaches Schild. Gleis 9 ¾, Hogwarts-Express hieß es darauf. Erstaunt blieb Jade stehen, als ihr Blick von dem Schild hinab auf die wunderschöne alte Dampflok in einem dunklen rot fiel. Sofort beschleunigte sich ihr Herzschlag und überrascht ließ sie ihren Blick über die Menschenmenge gleiten.
Auf dem Bahnsteig herrschte noch größeres Treiben, als auf der anderen Seite der Barriere bei den Muggeln. Es war ein Meer aus Roben, Umhängen und Koffern. Körbe mit Tieren stapelten sich am Rand des Gleises, Schaffner liefen durch die Gegend und halfen Schülern dabei, ihr Gepäck in die Lok zu heben und überall herrschte eine rege Aufbruchsstimmung. Freunde wurden gesucht, Familienmitglieder verabschiedet und Tratsch und Klatsch der Ferien wurden ausgetauscht.
Jade fand keine Worte, also trat sie stumm neben ihren Bruder und griff nach ihrem Gepäckkarren. Drei Koffer, zwei Taschen und ein großer Käfig türmten sich darauf auf. Sie hatte vor wenigen Wochen von ihren Eltern eine wunderschöne Schleiereule zugesandt bekommen, die sie auf den Namen Luné getauft hatte. Das Tier war noch recht jung und klein, doch schon bald, da war das rothaarige Mädchen sich sicher, würde die Eule groß und anmutig werden und jedes andere Tier an ihrer neuen Schule in den Schatten stellen. Ihr Bruder Noah schob zwei Koffer, eine Tasche und einen Korb vor sich her, der genügend Platz selbst für einen jungen Schäferhund bieten würde. Jedoch befand sich in diesem kein junger Schäferhund, sondern Tatze, Noahs schwarzer Kater.
Jade und Noah tauschten verblüffte Blicke, kamen aber nicht dazu, sich näher umzusehen, da hatte Agatha ihnen schon ihre Hände auf die Schultern gelegt und schob die beiden den Bahnsteig hinab. Tiere gaben laute Geräusche von sich, Menschen lachten und einige Erstklässler und Eltern weinten zum Abschied.
Aufgeregt versuchte Jade alle Eindrücke in sich aufzusaugen und ihr Kopf wirbelte dementsprechend hin und her. Plötzlich stupste Noah sie von der Seite an und deutete grinsend auf eine Ansammlung von Rotschöpfen.
„Sag mal, die gehören nicht zufällig zu dir, oder?" Jade schnaubte nur entrüstet und trat ihrem Bruder als Strafe auf den Fuß. Dabei verfing sie sich jedoch mit ihrem Schuh, stolperte nach vorne und rammte ihren Gepäckwagen geradewegs in die Hacken eines jungen Mannes. Dieser stürzte zu Boden und warf dabei einen Stapel Taschen um, auf deren Spitze ein Käfig mit zwei jungen Kätzchen gestanden hatte. Die beiden Tiere entkamen und verschwanden fauchend in der Menge.
Jade lief währenddessen hochrot an und beobachtete mit aufgerissenen Augen, wie der Mann fluchend aufstand und sich mit wütendem Blick zu ihr umdrehte.
„E-es tut mir leid! Ich habe den Halt verloren u-und-", der Mann unterbrach Jade jedoch in ihrem kläglichen Versuch, sich zu entschuldigen und hielt ihr eine Standpauke. Während Agatha sich für ihre Enkelin entschuldigte, fand Jade die Risse im Putz der Ziegel zu ihren Füßen plötzlich höchst interessant.
Der Mann verschwand, ohne dass Jade ihn überhaupt richtig gesehen hatte und Agatha sah sie nur kopfschüttelnd an.
„Ich bin gestolpert...", murmelte Jade nur und scharrte unruhig mit ihrem Fuß auf dem Boden. Bevor ihre Großmutter jedoch etwas erwidern konnte, hatten sich zwei Arme von hinten um Jade geschlungen und hoben das junge Mädchen in die Luft. Sie kreischte aufgeregt auf und einige Köpfe wandten sich zu ihr.
„Begrüßt man so etwa seinen besten Freund?", flüsterte ihr eine tiefe, bekannte Stimme ins Ohr und Jade quiekte laut auf. Kaum hatten ihre Füße wieder festen Boden unter sich, drehte sie sich in einem solchen Tempo um, dass man meinen könnte, sie würde ein Schleudertrauma erleiden und sprang dem Jungen, der nun vor ihr stand, in die Arme.
„Adam!", rief sie erfreut aus und drückte ihr Gesicht gegen seine Schulter.
Adam Sherwood war ein hochgewachsener Junge von fünfzehn Jahren, mit schulterlangen braunen Haaren und grasgrünen Augen. Auf seinen Lippen lag zu jeder Zeit des Tages ein verschmitztes Lächeln und seine Augen funkelten schelmisch.
Er lachte laut auf und dadurch vibrierte sein Brustkorb stark. Jade schaute zu ihm auf und konnte nicht anders, als sich von seinem Lachen anstecken zu lassen.
„Was machst du hier? Ich dachte, du und dein Vater hättet ein paar Dinge zu klären", fragte Jade und löste sich von ihrem besten Freund, der ihr grinsend den Kopf tätschelte. Sie versuchte ihm daraufhin in die Seite zu boxen, der braunhaarige Junge wich jedoch gekonnt aus und prompt bekam Noah einen Faustschlag auf die Schläfe.
„Noah! Macht mein Füchschen dich immer noch fertig?" Jades schwarzhaariger Zwilling funkelte sie wütend an und hielt sich mit tränenden Augen den Kopf. Mit zusammengebissenen Zähnen antwortete er dann.
„Freue mich auch, dich zu sehen, Adam. Und ja, das tut sie." Adam musste lachen. „Allerdings wird sie, jedes Mal wenn du in der Nähe bist, noch gewalttätiger." Der Junge hob entschuldigend seine Hände und grinste Noah breit an, der gerade dabei war zu versuchen, Jade gegen das Schienbein zu treten.
Agatha Graeham hatte sich einige Schritte entfernt und beobachtete die Szene stumm.
„Heh, meine Schuld ist das jedenfalls nicht", erwiderte Adam nur und griff, ohne wirklich hingesehen zu haben, nach Jade und drückte sie an seine Seite. Sie versuchte sich aus seinem Griff zu entwinden, scheiterte jedoch kläglich und sah aus, wie ein in Flammen stehender Kugelfisch, da Adam ihr Gesicht fest gegen seinen Brustkorb presste.
„Du machst mich kaputt!", beschwerte sie sich lauthals. „Keine Sorge, hab noch Garantie. Kann dich also jederzeit umtauschen gehen." Adam tätschelte ihr erneut den Kopf und wandte sich dann an Agatha.
„Guten Morgen, Mrs. Graeham. Ein schöner Tag, der nur durch Ihre Anwesenheit noch außerordentlicher wird." Jade konnte Noah hüsteln hören. Adam reichte Agatha seine Hand und machte ihr noch ein paar weitere Komplimente. Eine leichte Röte schlich sich auf ihre Wangen, doch die ältere Dame blieb ansonsten ungerührt.
„Mr. Sherwood. Da bringen Sie meine Enkel ja noch einmal ordentlich auf Trab, bevor die beiden Wüstlinge aufbrechen." Agatha musterte Noahs blaues Auge und Jades aufgedunsenes Gesicht, welches immer noch gegen Adams Brust gedrückt wurde. „Ich würde es wirklich begrüßen, wenn die beiden halbwegs gesund an der Schule ankommen würden." Agatha deutete auf Jade und ihren Lippen wurden langsam aber sicher zu einer dünnen Linie. Augenblicklich ließ Adam Jade los, diese hatte damit nicht gerechnet und fiel geradewegs auf die Nase.
„Aua! Jetzt hast du mich wirklich kaputt gemacht!" Schmollend rappelte Jade sich wieder auf und klopfte sich den Staub von der Hose. Dann sah sie in der Spiegelung eines Fensters ihre Haare und schrie erschrocken auf.
Adam verzog den Mund und sprang vor, seine Hände erhoben. „Warte, ich mach das wieder!" Dann hatte er seine Finger auch schon in ihren Locken und wühlte wild darin herum.
„Adam! Aua! Lass das! Oh Merlin, du machst es nur schlimmer!", schimpfte Jade mit ihm und konnte ihn nur mit Gewalt dazu bringen, von ihr abzulassen. Mit einem bellenden Lachen trat er zwei Schritte zurück und legte seinen Arm um Noahs Schulter, der breit grinsen musste.
„Ok. Also ich verzeihe Adam", meinte ihr Bruder nur und Jade sah ihn wütend an. Agatha atmete geräuschvoll aus und zückte dann ihren Zauberstab. Mit einem Schwenker hatte sie nicht nur Jades Haare gerichtet, sondern auch Noahs blaues Auge geheilt. Jade war zwar der Meinung, dass das nicht so wichtig gewesen wäre, aber sicherlich half es dabei, einen nicht ganz so schlechten ersten Eindruck zu hinterlassen.
Es würde bestimmt für Aufsehen sorgen, wenn ein Erstklässler mit blauem Auge antanzen würde. Obwohl Noah nicht einmal tanzen konnte, das hatten Jade und ihr großer Zeh allzu oft schon am eigenen Leib erleben müssen.
„Noah, mein Füchschen, ich muss mich jetzt aber leider schon verabschieden." Adam lächelte Jade traurig an und sie drückte sich erneut gegen seine Brust.
„Beeil dich, das mit deinem Vater zu klären, damit du auch schnell zur Schule kommst. Versprichst du mir das?", fragte sie mit leiser Stimme und Adam legte ihr seine Hand auf die Wange.
„Sicherlich. Du musst mir aber auch versprechen, dass es noch eine Schule geben wird, an die ich zurückkommen kann. Und bitte friss die Hauselfen nicht auf. Und die Klobrillen werden auch nicht nach Hause geschickt. Und ich wäre dir sehr verbunden, solltest du in mein Haus kommen, wenn du mir meine geliebte Hauslehrerin am Leben lassen würdest." Er lachte leise über seine eigenen Worte und Jade musste grinsen.
„Das mit den Klobrillen kann ich nicht versprechen, du weißt, meine Sammlung..."
„Jade!", rief er empört aus und drückte sie etwas von sich. „Adam!", rief sie mindestens genauso empört aus und grinste ihn schief an.
„Noah!", warf Noah dazwischen und sah beide beleidigt an. Für einen kurzen Moment starrten sie sich stumm an, Jade und Adam tauschten einen vielsagenden Blick.
Dann brachen die Zwillinge und ihr Freund in ein schallendes Gelächter aus, welches Agatha Graeham dazu brachte, sich beschämt wegzudrehen und zu beten, dass niemand eine Verwandschaft zwischen ihr und den Kinder vermuten würde.
„Nun aber, hopp!" Adam hob die Taschen und Koffer in die rote Lok, während die Zwillinge sich von ihrer Großmutter verabschiedeten. Agatha umarmte ihre Enkel kurz und schaffte es dann sogar, ihnen ein kleines Lächeln zu schenken.
„Macht nicht zu viel Unsinn, und zeigt ihnen, was ein Graeham auf dem Kerbholz hat!" Dann trat sie einige Schritte zurück, Noah tauschte einen ernsten Blick und einen Handschlag mit Adam, Jade umarmte ihn noch ein letztes Mal mit feuchtem Blick.
„Wir sehen uns!", rief Jade ihrem besten Freund zu, dieser nickte nur stumm und hob dann die Hand zum Abschied. Jade folgte ihrem Bruder in das Innere der Lok.
„So. Jetzt suchen wir uns ein Abteil und viele neue Freunde!", rief Jade mit einem breiten Grinsen aus und griff nach ihren Taschen und Koffern, die sie erstaunlicherweise ohne größere Probleme durch den Gang geschoben bekam. Noah stellte sich deutlich ungeschickter an und grummelte etwas Unverständliches, was sich allerdings nach einem schlecht gemurmelten 'die schummelt doch' angehört hatte.
„Blödmann", murmelte der Rotschopf dann und bahnte sich weiter ihren Weg durch den Flur. Unzählige Schüler quetschten sich durch die Gänge, und es kam zu einigen Staus als die Graeham-Zwillinge mit anderen Schülern aneinander gerieten, die ebenso viele Koffer mitschleppten. Noah war kurz davor gewesen, von einem Stapel Taschen erschlagen zu werden und er konnte sich nur dadurch retten, dass er in ein Abteil gesprungen war, in dem zwei Mädchen seines Alters saßen. Er erkannte das dunkelhäutige Mädchen vom Eingang zum Gleis 9 ¾ wieder, ihre blonde Freundin sah ihn entgeistert an und so murmelte Noah nur schnell eine Entschuldigung und trat wieder auf den Gang. Jade war inzwischen schon 4 Abteile weiter und hatte anscheinend gar nicht vor, weiter auf ihren Bruder zu warten.
„Heh, Noah! Beeil dich mal!", rief sie ihm zu und riss dann eine Abteiltür auf. Zwei blonde Jungen sahen sie erschrocken an, doch Jade störte sich nicht weiter daran und trat in das Abteil. Der Jüngere der beiden legte das Buch beiseite, welches er anscheinend gelesen hatte und der andere betrachtete Jade nur stumm.
Schnaufend kam Noah nun ebenfalls am Abteil an, er stemmte sich die Hände auf die Knie und schnappte nach Luft.
„Hi. Wir dürfen doch?", warf er atemlos in den Raum und hob dabei seine Hand. Jade versuchte inzwischen ihre Koffer in die Gepäckablage zu heben, scheiterte jedoch kläglich.
„Warte, ich helfe dir", meinte der Ältere Junge mit den dunkleren Haaren und stand dann auf und entriss Jade ihre Koffer. Kurz trafen sich ihre Augen und Jade war für einen Moment verblüfft, denn sie hatte noch nie solch dunkelgrüne Augen gesehen. Noah musste sein Gepäck alleine verstauen, während der ältere sich gerade als ein gewisser Casey vorstellte.
Jade deutete auf sich, dann auf Noah. „Jade und Noah Graeham." Dann sah sie zu dem Jungen, der ziemlich genau in ihrem Alter war. Sein Haar erschien nun bei genauerer Betrachtung fast weiß, man könnte schon meinen Malfoyblond und seine Augen waren von grauer Farbe und leuchteten unsicher.
„Ehm, Hi. Ich bin Adley. Adley Malfoy." Jade zog scharf Luft ein und erntete dafür einen Stoß in die Seite von ihrem Bruder. „Entschuldige, meine kleine Schwester. Weißt ja, wie das mit Mädchen ist..."
„Was heißt hier kleine Schwester? Ich bin drei cm größer und vier Minuten älter als du, Blödmann!" Es kam zu einem kleinen Gerangel zwischen den Geschwistern, aus welchem Noah als Sieger hervortrat. Beleidigt lehnte sich Jade in ihrem Sitz nach hinten und starrte auf den Bahngleis hinaus. Der Zug würde gleich losfahren und die letzten Eltern und Schüler waren dabei alles in die Dampflok zu tragen.
„Haha, schon gut, ich kenne diese Reaktionen. Mit meinem Namen wird von vielen eine schreckliche Zeit in Verbindung gebracht. Aber macht euch keine Sorgen, ich habe nichts mit diesem Todesser Pack zu tun, das sind nur entfernte Verwandte meiner Mutter. Abscheulicher Teil der Familie, aber kann man sich leider nicht aussuchen, was?" Noah nickte zustimmend und warf seiner Schwester einen bösen Blick zu. Diese murmelte etwas von ‚Woher sollte ich das wissen?' und wandte sich dann wieder dem Treiben auf dem Bahnsteig zu. Der andere Junge, Casey, hatte sich stumm neben sie gesetzt, während Noah neben dem Malfoy-Jungen platznahm.
Ein lautes Pfeifen erklang, ein Ruck ging durch den Zug und plötzlich setzte sich die Bahn in Bewegung. Jades Herz fing an aufgeregt zu arbeiten, denn jetzt war es endlich wirklich soweit. Jetzt in diesem Moment begann ihre Hogwartszeit. Während Noah und Adley sich unterhielten, wartete Jade darauf, dass sie den Bahnhof vollends verlassen hatten und öffnete dann das Fenster weit. Sie griff nach dem Käfig ihrer Schleiereule und holte diese heraus.
„Wir sehen uns dann in Hogwarts Kleine. Bis dann!" Mit diesen Worten flog das wunderschöne Tier auch schon davon.
Die nächsten Stunden vergingen zähflüssig und während Noah versuchte, sich mit den beiden Jungen zu unterhalten, widmete Jade sich ihrer Schokofroschkartensammlung. Ihr fehlten nur noch Severus Snape, Merlin und Crispin Cronk. Adley tauschte liebend gerne seine Snape Karte gegen eine ihrer hundert Wendeline die Ulkige Karten. Dafür erntete er einige Sympathiepunkte, dennoch blieb die Stimmung bis zuletzt eher eisig.
Vor den Fenstern tauchten plötzlich Lichter auf und erschrocken stellte Jade fest, dass sie Hogsmeade erreicht haben mussten.
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