Der Auftrag
„Hast du alle Krüge? Die musst du ganz nach unten packen!"
„So ein Unsinn, zuerst die Decken!"
„Das Leichte kommt immer nach oben, Malia!"
„Aber mindestens eine Decke muss ganz unten sein, zur Polsterung. Wie viele haben wir überhaupt?"
„Drei", warf Piroska genervt ein. Schon seit zwei Stunden stritten sich ihre Mutter und die Nachbarin darum, wie die Kiepe am besten zu packen sei. Und währenddessen tauchten immer andere Leute aus dem Dorf auf und brachten weitere Dinge, die noch unbedingt mitmussten. Allmählich befürchtete sie, einen Handwagen mitnehmen zu müssen. Der allerdings würde sich kaum über die unebenen Waldwege zerren lassen.
„Drei, naja, dann", überlegte die Nachbarin und legte nun doch eine Decke zuunterst, bevor sie die Krüge mit Honig, Wein und Öl einschichtete.
„Halt, halt", atemlos stürzte eine weitere Gevatterin ins Haus. „Ist Piri noch da? Meine Pastetchen müssen doch noch mit!"
„Gib her", Malia riss der Frau die einzeln verpackten Köstlichkeiten aus der Hand und stopfte sie in die Leerräume zwischen den Krügen. „So können sie nicht aneinanderstoßen."
„Aber sie werden zerquetscht", jammerte die Gevatterin.
„Sie schmecken auch etwas eingedrückt noch, Ilona", beruhigte Piroska die Gevatterin, während ihre Mutter einwarf: „Ich habe sie ganz vorsichtig dazwischen gelegt, sie werden höchstens ein wenig eingedellt, aber nicht plattgedrückt. Und du hast sie ja gut eingewickelt."
„Jetzt aber den Käse", forderte die Nachbarin.
Malia bemerkte, dass ihre Tochter die Nase krauste und warf rasch ein: „Erst die zweite Decke darüber, sonst wird der Käse von den Deckeln der Krüge beschädigt."
Piroska nahm die Decke von der Nachbarin entgegen. „Danke, Katinka." Sie breitete die Decke sorgfältig auf den Krügen aus und glättete sie, um eine gute Unterlage für den riesigen Käse zu schaffen, den ihre Mutter jetzt anschleppte.
„Du brauchst nicht so ..." Katinka brach ab, als sie ein warnender Blick Malias traf. „Ist schon gut, mach nur weiter", sagte sie hastig und bettete nach dem Käse auch die Brote auf die Decke. Malia steckte rasch einige Äpfel zwischen die Lücken.
„Warte", rief Piroska. „Ich glaube, da waren einige mit Löchern und braunen Stellen dabei."
„Das macht nichts, die Frau Großmutter mag diese am liebsten, die sind schön weich", erklärte Katinka und legte drei große Räucherwürste in die Kiepe.
„Und die Wolle", Malia gab die feingesponnenen, buntgefärbten Garnstränge mit dazu.
„Muss die heute schon mit? Ich hätte lieber das Schmalz und die Hirse mitgegeben", gab Katinka zu bedenken.
Im Bemühen, das Ganze abzukürzen und vor allem, um auch etwas Konstruktives beizutragen, meinte Piroska: „Braucht die Frau Großmutter nicht auch Salz? Ich meine, ohne Salz schmeckt kaum eine Speise und sie kann sich ja selbst keines sieden."
Malia und Katinka wechselten einen Blick, dann nickte Malia. „Das ist eine gute Idee." Sie verließ den Raum.
Katinka begutachtete inzwischen die schon gut gefüllte Kiepe und die Sachen auf dem Tisch, welche noch alle hineinsollten. „Das wird nie etwas", seufzte sie. „Es sei denn – Piri, du bist doch ein kräftiges Mädchen, nicht wahr?"
Piroska nickte stolz. „Ich kann drei Sack Rüben auf einmal tragen!"
„Dann macht es dir sicher nichts aus, wenn du noch ein Joch mitnimmst", schon eilte Katinka in den Stall und kam mit dem leichten Joch zurück, welches für die Milcheimer gedacht war.
„Auf der einen Seite befestigen wir den Schmalztopf und auf der anderen den Hirsesack", verkündete sie. Piroska seufzte nur. Es war wohl keine besonders gute Idee gewesen, mit ihrer Kraft zu prahlen.
Malia kam nun endlich mit einem Säckchen Salz wieder, welches sie mit einigen weiteren Beutelchen verstaute. Darauf legte sie noch einige Kuchen – Piroska kam es vor, als habe jede Hausfrau im Dorf einen gebacken – und darüber dann die letzte Decke.
„Wer hat denn die gemacht? Die ist ja wunderschön", Piroska strich bewundernd über den weichen, reich bestickten Stoff. „Ist das Goldfaden? Und echte Seide? Das ist doch ganz schön teuer!"
„Für die Frau Großmutter nur das Beste", entgegnete Katinka rasch. „Da lassen wir uns alle nicht lumpen!"
Piroska dachte an die fauligen und angestochenen Äpfel, sagte aber nichts mehr. Hauptsache, sie kam endlich los. Zwar hatte sie furchtbare Angst vor dem bevorstehenden Gang, aber je schneller sie ihn anging, umso eher hatte sie es hinter sich.
Malia und Katinka halfen ihr jetzt, die meterhohe Kiepe auf den Rücken zu hieven. Das Mädchen schwankte ein wenig unter dem Gewicht, bis sie die richtige Balance gefunden hatte.
„So, und jetzt das Joch!" Katinka legte es ihr über die Schultern. Piroska schlang die Arme um das Joch, um es zu halten und bemerkte dabei, dass die Nachbarin auf jeder Seite noch ein Säckchen befestigt hatte. Wenn sie nicht bald fortkam, würden ihr die Frauen noch die Vorräte des halben Dorfes aufladen. Und vor allem würde sie ihren Auftrag dann nicht vor dem Einbruch der Dunkelheit schaffen. Solange es hell war, hatte sie einigermaßen gute Chancen, ihre Mission zu überleben. Und Piroska war fest entschlossen, das auch zu tun.
„Grüß die Frau Großmutter von uns allen", legte ihr Malia ans Herz. „In zwei Wochen ist Holzhausen dran, sie kann dir dann sagen, was sie von dort braucht. Und sei ja sehr respektvoll und höflich zu ihr und sprich sie immer mit ‚Ihr' und ‚Frau Großmutter' an."
„Wo ist die Kapuze?" fragte Katinka und sah Malia eindringlich an. Diese zuckte zusammen. „Natürlich – die Kapuze! Warte einen Moment, Kind."
„Ich tue seit dem Morgen nichts anderes als Warten", entgegnete Piroska heftig.
„Du – das gewöhnst du dir ganz schnell ab!", mahnte Katinka. „Mit der Frau Großmutter darfst du so nicht reden. Und außerdem – naja, ich denke, du wirst es sehr schnell lernen, nicht zu widersprechen. Hoffentlich gefällst du ihr."
„Ist das wichtig?" fragte Piroska beklommen. „Ich meine, wird sie den Dörfern schaden, wenn ich ihr nicht zusage? Ich bringe ihr doch bloß die Vorräte und gehe wieder, was kümmert es sie dann?"
„Es ist ihr wichtig", betonte Katinka. „Sie mag keine aufsässigen Mädchen und auch keine, die nicht auf sich achten", mit diesem Worten schob sie eine Strähne zurecht, die sich aus Piroskas Zopf gelöst hatte. „Und du wirst die Nacht bei ihr verbringen, also darf sie schon verlangen, dass du nett und anstellig bist. Tu, was sie dir aufträgt und mach deine Sache gut, hörst du?"
„Hier ist die Kapuze", Malia trat ein und reichte Piroska sichtlich widerstrebend das gesuchte Kleidungsstück. Es glich einem weiten Mantel, war jedoch wesentlich kürzer und bedeckte nur Kopf, Schultern und Brust. Die Frauen zogen Piroska die Kapuze über den Kopf und breiteten das Rückenteil über die Kiepe. „So ist auch das geschützt", stellte Malia fest und zog die Bänder mit für das Mädchen ungewohnter Zärtlichkeit unter Piroskas Kinn fest.
„Mama, es ist doch warm heute", wehrte diese ab. Doch Katinka erwiderte an Malias Stelle: „Das ist es nur in der Sonne. Im dichten Wald wirst du frieren. Versprich mir, dass du die Kapuze nicht absetzt."
„Ist gut, Gevatterin." Piroska seufzte. Der resoluten,klatschsüchtigen Nachbarin widersprach man besser nicht.
„Und achte auf die Wölfe, Kind", erinnerte sie Katinka eindringlich. „Du weißt, im Hünenwald sind Wölfe. Bleib auf den Wegen und geh nicht in den eigentlichen Wald hinein."
„Muss ich nicht auch auf die Wegelagerer achten?", fragte Piroska. „Neulich haben sie wieder einen Kaufmann überfallen. Und seine Tochter entführt." Eigentlich fürchtete sie sich mehr vor den Wölfen als vor den Wegelagerern. Andererseits wußte sie, dass Wölfe nachtaktiv waren, Räuber hingegen weniger.
„Woher weißt du, dass sie das Mädchen entführt haben?" Katinka riss die Augen auf. „Malia, du hättest ihr das nicht erzählen sollen!"
„Hab ich auch nicht", verteidigte diese sich. Piroska ergänzte: „Das hat mir Ilona berichtet."
„Dieses Klatschweib!" entfuhr es Katinka. Malia hingegen strich der Tochter beruhigend über die Schulter. „Vor den Wegelagerern musst du dich nicht fürchten. Die fallen nur über reiche Kaufleute und Adelige her, nicht über junge Mädchen. Die Wölfe sind es, vor denen du dich in Acht nehmen musst."
Piroska betrachtete ihre Kapuze. „Wäre es nicht besser, wenn ich eine braune Kapuze nehme? Das Rot leuchtet doch meilenweit, da finden mich Wölfe und Wegelagerer viel eher."
„Unsinn, das Rot schreckt die Wölfe eher ab. Solange du auf dem Weg bleibst", betonte Katinka. „Denk an Kriszta!"
Piroska nickte beklommen. Kriszta war ihre beste Freundin gewesen und vor einigen Monaten war sie in den Wald gegangen. Und niemals zurückgekehrt. So sehr Piroska auch um die Freundin trauerte, sie hatte nicht die Absicht, ihr Schicksal zu teilen.
„Die Wölfe haben sie geholt", erinnerte sie Katinka. „Weil sie nicht auf dem Weg blieb und trödelte. Bei Anbruch der Dunkelheit must du das Haus der Frau Großmutter erreicht haben, denk daran."
„Weil die Wölfe nachts unterwegs sind?" fragte Piroska.
„Ja, auch deshalb. Und weil die Frau Großmutter ungern wartet. Nun eil dich, Kind, du bist schon viel zu spät dran!"
Diesmal nahm Piroska die harschen Worte hin, obgleich die Verspätung nicht ihre Schuld war.
„Mach's gut, mein Kind", Malia nahm sie noch einmal liebevoll in die Arme. „Pass auf dich auf, ja?"
„Werd ich schon", Piroska machte sich aus den Armen ihrer Mutter frei. „Du tust, als wäre das ein Abschied für immer! Morgen Abend bin ich ja wieder da!"
Malia nickte, wirkte aber nicht beruhigt. „Natürlich, morgen Abend sehen wir uns wieder."
Sie klang nicht sehr überzeugt davon. Aber das bemerkte Piroska, die bereits zur Tür eilte, nicht mehr.
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