Kapitel 26 - Cinderella
Alexanders Sicht
Müde betrat Alec die Bibleothek am nächsten Morgen. Er hatte zwar wesentlich mehr Schlaf bekommen als andere Ballgäste, aber noch lange nicht genug, um wirklich ausgeschlafen zu sein. Auch seine gute Laune hielt sich in Grenzen, denn dazu steckte er zu tief in seinem Gedankendschungel.
Nach dem plötzlichen und sehr seltsamen Abgang seines schönen Fremden war er nicht mehr zum Ball zurückgekehrt. Er konnte die ausgelassene Stimmung, die ganzen versteckten Erwartungen und den Tratsch, der ihn dort erwarten würde, einfach nicht ertragen, weshalb er sich lieber in sein Zimmer verkrümelt hatte.
Auf dem Weg dorthin war er allerdings Isabelle über den Weg gelaufen, die ihn zwar nicht gleich ausgequetscht, ihm aber das Versprechen abgenommen hatte, sich mit ihr am nächsten Tag in der Bibleothek zu treffen, weshalb er nun hier war.
Auf leisen Sohlen schlich er durch die Gänge, denn irgendwie wollte er in einer Bibleothek nicht laut sein. Das erschien ihm falsch und deshalb schlich er lieber umher, statt laut loszutrampeln und somit die Ruhe, die dieser Raum verströmte zu zerstören.
Er fand seine kleine Schwester in einem der bequemen Lesesessel, in dem sie, in ein Buch vertieft, lümmelte. Izzy war eine wahre Meisterin darin, vor allen Fremden sowie ihrem Vater die perfekte Vorzeigeprinzessin zu spielen. War sie aber allein oder in der Gegenwart ihres Bruders schien sie jegliche Anstandsregeln zu vergessen und war einfach sie selbst: Direkt, offen und herzlich.
Diese Herzlichkeit hatte sie definitv von ihrer Mutter, die nach Außen hin mindestens genauso perfekt wirkte, während sie innerhalb ihrer Familie einfach nur eine liebende Mutter war.
Alec spürte einen wehmütigen Stich im Herzen, denn er vermisste seine Mutter schrecklich. Er hatte mit ihr über alles reden können und sie hatte ihm stets das Gefühl gegeben, verstanden und akzeptiert zu werden, mit all seinen Fehlern. Dieses Gefühl hatte er zuletzt letzte Nacht verspürt, wenn auch auf eine andere Art und Weise.
~Guten Morgen.~, riss ihn Isabelle aus seinen Gedanken.
Er schüttelte leicht den Kopf, um diese vollends abzustreifen, bevor er ein Lächeln aufsetzte und sich neben Izzy in den Sessel quetschte. Sie stöhnte genervt auf, als er sie auf die Armlehne verbannte und warf ihm dann einen tadelnden Blick zu.
~Dein Ernst?~
~Mein voller Ernst~, bekräftigte er grinsend,~Schieß los.~
~Bist du dir sicher?~
~Jetzt oder nie.~
~Warum hast du es gerade gestern öffentlich gemacht?
Warum ausgerechnet der Typ in Blau?
Was habt ihr nach dem Tanz gemacht?
Doch nichts, das ich nicht wissen will, oder?
Wer war der Kerl überhaupt?
Magst du ihn?
Warum sahst du später so niedergeschlagen aus?
Wenn er dich in irgendeiner Hinsicht verletzt hat, bringe ich ihn um.~, sprudelte es so schnell aus ihr heraus, dass Alec Mühe hatte, jede Frage zu verstehen.
Schließlich zog er die Augenbrauen hoch.
~Hast du dir das alles etwa aufgeschrieben?~
~Es wird dich vielleicht wundern, Alec, aber der Verstand ist nicht nur Dekoration. Man kann sogar ganz gut mit ihm arbeiten und sich sogar Dinge merken! Unglaublich nicht?~, kommentierte sie so übertrieben, dass man den Sarkasmus hinter ihren Worten förmlich riechen konnte,~Also?~
Er atmete tief durch, um sich zu sammeln.
~Ich weiß nicht, warum ich auf dem Ball offenbart habe, dass ich für Frauen nicht viel mehr als Freundschaft übrig habe. Wahrscheinlich lag das daran, dass ich einfach aufgehört habe zu denken, als ich ihn gesehen habe. Es war nämlich nicht nur ein Fremder, sondern mein schöner Fremder. Der Kerl, den ich im Wald getroffen habe. Als ich ihn dort gesehen habe, habe ich alles um mich herun ausgeblendet. Da war nur noch er. Nach dem atemberaubenden Tanz sind wir in den Garten gegangen und haben miteinander geredet, bis er plötzlich abgehauen ist.~, berichtete er, ließ dabei aber wesentliche Details weg.
Er sagte nicht, wie frei er sich in diesem Tanz gefühlt hatte oder wie sehr ihm die anfängliche Unsicherheit seines Fremden gefallen hatte.
Er ließ sie auch über das Gespräch im Unklaren, das sie miteinander geführt hatten, und auch seinen kleinen Ausbruch ließ er weg. Er erwähnte mit keinem Wort die Situation vor ihrem ersten Kuss, als er die Hände seines Fremden gesehen und dessen Scham gefühlt hatte.
Vor allem die Einzelheiten ihres Kusses ließ er unter den Tisch fallen, denn das erschien ihm als etwas, das nur ihn und den Fremden etwas anging.
Sobald er daran dachte, begannen seine Lippen zu prickeln. Der Kuss war wundervoll gewesen. So unschuldig und zart, aber auch so sinnlich. Alec spürte bereits, wie er abhängig von den weichen Lippen des Femden wurde, die sich zögerlich gegen seine bewegt und sein Inneres so in Flammen gesetzt hatten.
Deshalb war das plötzliche Verschwinden umso härter für Alec gewesen. Hatte er etwas falsch gemacht? Hatte es dem Fremden doch nicht so gefallen, wie er gedacht hatte?
Er hatte ihn noch nicht einmal nach seinem Namen fragen können, weshalb er nun wieder eine wunderschöne, aber namenlose Gestalt vor seinem inneren Augen hatte, die seine Träume dennoch beherrschte.
~Das war deine Cinderella? Also Geschmack hast du, Bruderherz.~, pfiff sie anerkennend.
~Er ist nicht meine Cinderella.~, widersprach er, obwohl er den Spitznamen gedanklich bereits so gut wie übernommen hatte.
~Hast du ihn denn endlich nach seinem Namen gefragt?~
~Dazu sind wir irgendwie nicht gekommen.~ murmelte er niedergeschlagen.
~Dann herzlichen Glückwunsch, du hast dich in jemanden verliebt, den du nicht kennst.~
~Verliebt?~
~Er geht dir doch nicht mehr aus dem Kopf, oder? Du denkst ständig an ihn und die Art, wie du über ihn sprichst ... Dein verträumter Ausdruck dabei, als würdest du ihn ständig vor deinem inneren Auge sehen. Du magst ihn und dass gerade du auf die Regeln der königlichen Etikette pfeifst, ist auch ein eindeutiges Zeichen dafür. Glaub mir, ich spür so etwas.~
~Mit deinem Frauenradar?~
Sie nickte mit einem sanften Lächeln, bevor sich eine bedrückte Miene auf ihr Gesicht schlich.
~Blöd nur, dass du eine Frau heiraten wirst.~
Auch Alecs Leichtigkeit verschwand und urplötzlich wurde ihm schlecht.
Er konnte in seine Cinderella so verliebt sein wie er wollte, schlussendlich würde er doch eine Frau heiraten müssen, um das Königreich regieren zu können. Das wollte er unbedingt, aber konnte er dafür auch sein mögliches Glück aufs Spiel setzen und verlieren?
Ihm kamen Cinderellas Worte in den Sinn.
Es gibt keine vollendete Perfektion, denn wir sind nur Menschen. Wenn man von jemanden verlangt, perfekt zu sein, ist man es meist selbst nicht. Stadessen sollte man doch lieber daran arbeiten, sich selbst mit allen Ecken und Kanten zu akzeptieren. Man muss für niemanden perfekt sein, außer für sich selbst.
Vielleicht musste er sich nicht zwischen dem Königreich und seinem persönlichen Glück entscheiden. Vielleicht konnte er beides miteinander verbinden. Solange er mit sich selbst im Reinen war, war doch alles gut oder nicht?
Er musste mit seinem Vater darüber sprechen.
Hastig stand er auf.
~Ich muss los.~
~Wohin?~, hielt ihn Izzy auf.
Er dreht sich zu ihr um und lächelte ein halbes Lächeln.
~Zur nicht existierenden Perfektion.~
Mit diesen Worten rannte er aus der Bibleothek.
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