Das Leben des Milan J. Plettenberg

Als Milan Jules Plettenberg an einem warmen Frühlingstag geboren wurde, ein leichter Wind um die Nase der Städter zog, da grünten die Wiesen in bunten Farben. Blumen sprießten aus der Erde, Bäume hüllten sich in ein beruhigendes Bild. Rosen Kirschbäume säumten den Weg zum Krankenhaus. Wie gemalt zeichneten sich die Blüten zwischen den Gräsern auf den Weiden ab.

Der kleine Milan schrie, ach, wie fürchterlich schrie er. Er war viel zu spät gekommen, er hätte schon im März die Welt erblicken sollen. Viel früher, als es nun eintrat. Was für ein Pech Milan gehabt haben musste, dass er die Welt, die sich so schön vor den Augen seiner herzlichen Mutter präsentierte, erst so spät wahrnehmen konnte. Die Schönheit des Lebens präsentierte sich direkt vor seinen Augen. Vor weißen Einfamilienhäusern mit rot-bezigelten Dächern waren kleine Kinder, die in der Sonne spielten, Eltern, die den Rasen mähten und Beeren, die in Blüten standen. Die süßen Früchte des Lebens würden sie alle genießen. Kinder, Eltern, Alte, sie alle hatten die Zeit, doch Milan kam zu spät. Er schrie auch viel zu spät, aber Milan kämpfte. Milan kämpfte sich auf diese Welt, da das Leben ihm die Chance bot.

Doch bis zum Ende seines kläglichen Lebens, verstand Milan nicht, welche Chance es genau sein sollte, welche Chance das Leben meinte, als es ihm die Hand reichte.

Als er in den Kindergarten kam, schräg gegenüber seines Elternhauses, da fing das Schicksal an, ihn zu denen zu zählen, die es etwas schwerer im Leben haben sollten. In einer Gruppe von Kleinkindern, deren Geschenk es eindeutig nicht war, frei zu denken, hatte er die Aufgabe, die Welt zu verändern. Er trug das, was er tragen wollte. So wären es Prinzessinnenkleider, die er sich aussuchte, als man über ihn lachte. Er kämpfte für Gerechtigkeit und wurde mit den bösen Blicken seiner Erzieher bestraft, die ihn tadelten, nicht „petzen" zu dürfen, wenn sich jemand nicht richtig verhielt. Er musste im Flur der großen Villa schlafen, statt im Zimmer, wie die anderen, weil er lieber dachte, als zu träumen. Milan schuf den Lauf seines Lebens, seit er geboren war und niemand - nein, niemand hielt ihn auf.

Die Kinder mochten ihn nicht, er sei zu komisch. Er könne nicht rennen, er spräche ganz komisch und überhaupt, er wäre ein ganz eigenartiger Mensch, den man lieber mied. Seine Eltern interessierten sich nicht dafür, dass er niemals zu Geburtstagen eingeladen wurde, oder nie von Freunden sprach, die er kennengelernt hatte. Er fristete sein Dasein alleine und ohne jegliche Zuwendung von anderen, ging er durch sein Leben. Wesentlich öfter träumte er, als er es eigentlich wollte. Vielleicht tat er es, weil die Welt, in der er dachte, nicht zum Denken geschaffen sei.

In dem Ort, den er zeitlebens sein zu Hause nennen würde, verlief sein Leben nicht anders. Oft stand er am großen Fenster seines Zimmers, blickte hinunter auf die Straße, den Vorgarten, wenn es geregnet hatte. Sein Zimmer war direkt neben dem Arbeitszimmer seines Vaters. Er erinnerte sich oft an den Tag, an welchem er sein Zimmer nicht verlassen durfte, weil er etwas falsch gemacht hatte - nein - er durfte ja schließlich nicht mal auf Toilette. Das hatte ihm sein Vater verdeutlicht, als er ihn geschlagen hatte und Milan hinter einer Plastikkiste Schutz suchte. Er weinte an diesem Tag ganz fürchterlich. Man verdeutlichte ihm, wo er in dieser Welt stünde. Wo sie ihn alle sehen. Denn, obwohl nur sein Vater ihn über acht Jahre schlug, mit dem Hintergrund seiner Arbeitslosigkeit, war es die Mutter, die nicht das Bedürfnis empfand, ihrem Sohn zu helfen, als er weinte. Milan schrie, Milan weinte und Milan schrie noch viel lauter. Milan schrie und schrie, doch er war zu spät, niemand half ihm. Milan war alleine. Alleine in einer Welt, die sich aus vier Wänden erhob, einem Fenster, durch das er auf die Straße sah, wenn es regnete und einer blau-gestrichenen Tür, durch die er ging, um der Welt zu entfliehen. Es war dasselbe Haus, in dem sie jedes Jahr, sein ganzes Leben lang schwedische Weihnachten feierten.

Unter dem Druck von Idealen der männlichen Vorherrschaft seiner Welt bestritt er seine Grundschule, sie lag etwas weiter von seinem zu Hause entfernt. Noch mehr Kinder lernte er kennen, aber keine, die ihm ähnlich schienen. Er lernte zu rechnen, zu lesen, aber erlernte nicht zu verstehen. Er lernte es nicht, wie er sich verstehen soll, wie er seine Gedanken deuten sollte, wie er die anderen verstehen sollte, wenn sie über ihn lachten, wie er die Lehrer verstehen sollte, die mit lachten und er verstand nicht, warum die Mutter nichts tat, warum hatte er niemanden, der ihn beschützte? Warum gab es nur Menschen, die ihn so sehr hassten, dass sie über ihn lachten? Warum musste es in seiner Welt so viele Menschen geben, die ihn nicht leiden konnten. War er denn wirklich so anders, wie sie sagten? War er wirklich so dumm, so hässlich, so fett, wie sie ihn nannten? Irgendwann glaubte er es. Und er versuchte es erst gar nicht zu verändern, er würde es ja sowieso nicht schaffen. Er war ja schließlich ein Weichei und ein Feigling, wie ihn sein Vater schimpfte, nachdem er wieder etwas kaputt gemacht hatte.

Sie schimpften alle so sehr, sie schimpften und schimpften, er solle es nicht tun, so zu sein, wie er war, keine Fehler haben, nichts zu zerstören. Aber sie schimpften nicht, nein, sie sagten nichts, als er sich selbst zerstörte. Er lernte es ja, er lernte es von ihnen, wie er sich behandeln sollte. Und sie bestätigten ihn nur in seinem Verhalten, indem sie ihn nicht aufhielten. Sie unterstützten ihn mehr, als sie dachten.

Milan dachte viel. Und er dachte gerne. Er dachte sehr gut, ebenso, wie er auch gerne zeichnete. Er zeichnete die schönsten und größten Gemälde, die die Welt nur gesehen hatte. Er veröffentlichte einige. In den Museum über moderne Art zeigte man seine Bilder. Sein Name stand schwarz auf kleinen weißen Schildern unter schwarz-umrahmten Malereien, die er anfertigte. Sie zeigten sein Leben in bunten Farben, rot benutzte am meisten. Aber auch schwarz, blau und weiß mischten sich unter seine Pinsel. Miles gab Interviews, da war er gerade achtzehn geworden. Er hatte sein Abitur bestanden, es war die Zeit, in dem man nicht mehr hinter vorgehaltener Hand über ihn lachte und als „schwul" betitelte. Er sei ja so anders, so komisch. Er spräche merkwürdig, ginge wie ein Mädchen. Sie wussten nicht, dass er eine Behinderung hatte. Er hatte es nie gesagt und sie nie danach gefragt.

Milan zog dann schnell weg, so schnell er nur konnte. Es verschlug ihn in andere Städte. Es gab nichts, was ihm eine gute Erinnerung schenkte und weshalb er in seiner Stadt bleiben sollte. Als er seine Großeltern davon erzählte, dass er nicht wisse, wie es ohne Geld weiterginge, sagten sie nichts. Sie antworteten nur, dass ihnen der Weg, um ihn zu besuchen, zu weit sei. Dann dachte er daran, wie er ihnen seine Bilder schenkte, die besten, die er anfertigte. Und nachdem er durch die Zeitungen ging, ein kleiner regionaler Maler war, dann fragten sie ihn, womit er in die Nachrichten gekommen wäre. Sie wussten es nicht und auch er wusste es nicht: war es Absicht, und wenn nicht, wie konnten sie ihn nur so sehr vergessen? Sie schenkten ihrer anderen Enkelin Theaterkarten, während er Süßigkeiten erhielt. Zu seinem achtzehnten Geburtstag bekam er von den Eltern Juckreizcreme, die er sich doch auftragen solle, wenn seine Haut wieder so schrecklich zu jucken begann. Von den anderen bekam er zu hören, wie die anderen Enkelinnen seiner Großeltern doch zu bewundern wären. Er wäre „Klein Buddah", jemand, der sich nur von Süßem ernähre. Die anderen wären welche, die genau richtig waren. Nicht so, wie Milan. Sie waren welche, über die man sprach, von denen man mit Stolz erzählte. Milan hätte alles machen können, Kochen - im Luxushotel der Hauptstadt mit Zertifikat, Singen in der Oper, Schreiben - Bücher veröffentlichen können. Milan hätte alles machen können, er würde nie gut genug sein. Die anderen waren schlauer, sie waren fitter, sie waren besser. Sie waren nicht Milan. Sie waren nicht wie er -

Als Milan an einem grauen Tag den hundertfünfundvierzig-Meter hohen Turm seiner dritten Stadt erklomm und auf die Stadt hinuntersah, da erblickte er das, wovon alle immer sprachen. Die Autos, sie sahen aus wie Spielzeuge, die er nie bekommen hatte. Und die Menschen, ja, die konnte er fast gar nicht erkennen. Er stand an der Klippe und betrachtete, wie klein das Leben sein konnte. Wie das Leben anders aussah, wenn man anders auf das Leben sah. Wenn man sich „oben" fühlte, wie jemand, der über anderen steht, der über anderen schwebt.

Als der Polizist in einem dunkelblauen Anzug seine Waffe auf ihn richtete, da drehte sich Milan um und sah ihn schweigend an, ehe er sich seinen Kopf verdrehte. Er hatte gewusst, dass sie kommen würden. Er lächelte, sie waren für ihn gekommen.

„Gehen Sie vom Rand weg, Milan!", schrie der Polizist und kam vorsichtig näher.

„Schreien Sie mich nicht so an, da bekommt man ja Beklemmungen", antwortete der Junge, der in seinem weißen Anzug mit der neuen, mit gold-umrahmten, Brille in den Himmel blickte. Stille.

„Nehmen Sie bitte die Waffe weg, ich versichere Ihnen, ich springe auch nicht", der Junge setzte sich in einen Schneidersitz, so wie er es immer im Sportunterricht machen musste, als sie sich in Riegen aufteilten und darauf warteten, in eine Mannschaft zu kommen. Milan war der letzte, er kam zu spät.

Langsam nahm der Mann in Uniform seine bedrohlich-schwarze Waffe hinunter, steckte sie sich an die Seite und sah verunsichert hinter sich. Er wartete auf seine Verstärkung, die er gerufen hatte. Schließlich setzte auch er sich und starrte kurz in den von grauen Wolken bedeckten Himmel. Raben flogen vorbei.

„Warum?", fragte er dann.

„Warum was?", entgegnete Milan und lachte auf. „Warum, warum?", schrie er beinahe.

„Ist das jetzt dieses sentimentale Gespräch, wo der Protagonist bemerkt, dass er eine Wahl hatte? Ich hoffe nicht. Aber ich habe schon immer in meinem Leben auf eine Rührszene gehofft. 

Lassen Sie mich Ihnen eine Geschichte von einem Leben erzählen, welches nie gelebt werden wollte. Oder zumindest in dieses Schicksal geführt hat."

Milan erzählte dem Polizisten eine Geschichte, die er sich nicht ausgedacht hatte und der Polizist hörte aufmerksam zu. „Vielleicht würde er ihn verstehen", fragte sich Milan, aus wenn er von niemanden Verständnis erwartete. Damit hatte er schon lange aufgegeben. „Nach Verständnis suchen" war zu einer Floskel seiner Generation geworden.

„Und nun fragen sie, nach all dem was sie gehört haben: Warum? Ist es nicht ironisch, vielleicht so gar ein bisschen witzig. Aber ich antworte Ihnen auf all die Warums, die ich mir in meinem Leben gestellt habe. Ich hoffe, sie beantworten Ihre Fragen.

Warum musste ich geboren werden?

Ich schätze, der Zufall wollte es, dass mein Spermium meine Eizelle traf und mich in ein Leben gebar, in welches ich nicht gehörte. Im Grunde hatte ich nicht darum gebeten, aber das ist jetzt so. Passiert es nicht oft, dass man sich mit etwas arrangieren muss, wofür man nicht gebetet hat?

Warum muss ich mich so hässlich fühlen?

Weil mir Menschen eingeredet haben, ich sei nichts wert und ich hätte es nicht verdient, dass ich glücklich bin. Weil Menschen mir gesagt haben, ich sei fett und würde nie jemanden in meinem Leben haben, der mich mit seiner Liebe segnet. Und sehen sie: die Leute hatten recht, so ist das manchmal. Das Leben ist sicherlich nicht fair. Aber ich gehe davon aus, dass wir einiges dafür tun können, dass das Leben von anderen fairer wird.

Warum musste ich Menschen kennenlernen, die mich so sehr geprägt haben?

Eine interessante Frage. Wissen Sie, ich denke, ohne diese Menschen hätte ich niemals meine Werke veröffentlicht. Ich wäre ein ganz anderer Mensch. ich wäre vielleicht glücklicher, beliebter, hätte einen Partner. Aber das Leben schrieb mein Skript, nicht ich. Wir sehen aus, wie uns die Gesellschaft formt, wissen Sie? Ich hätte meine Narben nicht, wenn ich Dinge anders erlebt hätte. Und ja, ich bin auch dankbar dafür. Ich bin dankbar dafür, dass ich so viele Werke veröffentlichen konnte und anderen damit vielleicht geholfen habe. Ja, das bringt mir sehr, sehr viel.

Warum hat meine Mutter nichts getan, als er mich geschlagen hat?

Ich weiß es bis heute nicht. Ich habe sie gefragt und sie meinte, sie hätte es nicht als wichtig erachtet. Sie verstünde aber auch nicht, warum ich mich darüber so aufregen würde. Ich hätte es einfach ignorieren sollen. Darüber war ich sehr erbost und schwor mir, dass ich mich mit ihr nie wieder darüber unterhalten würde. Und sehen sie: ich tat es nicht.

Warum habe ich mich nicht verändert?

Warum sollte ich mich für andere verändern? Ich habe sicher vieles in meinem Leben falsch gemacht, wie es jeder normale Mensch tut. Aber ich werde niemals den Fehler begehen, dass ich mich für andere verbiege, nur weil ich nicht in deren Bild passe. Und ja, dann soll mein Leben eben so enden, dann ist das so. Aber ich werde mich nicht verbiegen, damit sie es leichter haben. Sie sollen sehen, was sie einem antun, wenn sie sich so behandeln. Sie sollen das fühlen, was ich gefühlt habe. Sie sollen fühlen, wie es ist, dass man einen nicht leiden kann, weil er eine Stimme hat, die sie nicht mögen. Sie sollen fühlen wie es ist, wenn man das Gefühl hat, nie geliebt zu werden. Von keinem einzigen Menschen, den man je kennengelernt hat. Sie sollen fühlen, wie es ist, wenn man soweit geht, dass man sich selbst verletzt und es niemanden interessiert. Sie sollen fühlen, wie es ist, wenn man niemals Blumen bekommt, obwohl man sie liebt, obwohl andere damit überschüttet werden. Das Leben ist mit Sicherheit nicht fair.

Warum hat meine Mutter gesagt, dass ich nicht übertreiben soll?

Ich denke, sie tat es aus Schutz vor sich selbst. Sie wollte nicht sehen, wie es wirklich ist. Wissen Sie, ich habe ihnen Teile meiner Geschichte erzählt. Immer vereinzelt, immer Stückchen für Stückchen und sie hat nie verstanden, wie ernst es mir war, wie ich mich fühlte. Ich solle nicht dramatisieren, sagte sie immer. Dabei war ich doch immer eine Dramaqueen", er lachte.

„Warum ich diesen Ort gewählt habe?

Weil ich ein letztes Mal das Leben in seiner Blüte sehen wollte, so, wie es an meiner Geburt gewesen sein musste. ich will sehen, wie die Kirschbäume in rosa Blüten stehen, auf den Weiden bunte Blumen wachsen und die Welt mit ihrer Schönheit beglücken. Einmal in meinem Leben wollte ich nicht zu spät sein, verstehen Sie?

Warum ich mir keine Hilfe gesucht habe?


Weil ich nicht dramatisieren sollte. Weil ich kein Weichei sein wollte. Weil ich sie nicht enttäuschen wollte, das wollte ich alles nicht - ich wollte nicht das schwarze Schaf sein, was ich eigentlich schon war. Ich wollte nicht so sein, wie sie mich gesehen hatten. Ich wollte nicht gezeichnet sein. So gezeichnet, dass man mich nur noch weniger lieben könnte. Ich wollte kein Sigel auf meiner Haut haben, verstehen Sie? Eigentlich wollte ich normal sein. Aber die Gesellschaft schenkt Ihnen das nicht. Sie schenkt Ihnen nicht den Vorteil der Normalität, das tut sie nicht, nicht, wenn Sie so sind, wie ich es bin. Menschen geben vor, wie man sich als Mann zu verhalten hat, wie ein gesunder Mensch ist. Das bestimmen nicht Sie. Und wenn Sie sich dem widersetzen, dann können Sie so enden wie ich.

Warum ich niemanden böse bin?
Weil ich mit mir dahingehend im Reinen bin, dass ich weiß, dass das mein Schicksal ist, dass ich so gelebt habe. Und wie ich erwarte, dass man mich und mein Schicksal versteht und akzeptiert, akzeptiere ich es, wie sie mit mir umgegangen sind. Ich akzeptiere es, dass ihr Schicksal es war, mich so zu behandeln."

Milan stand auf, machte einen kleinen Knicks und bedankte sich, dass der Polizist zugehört hatte. Dieser blieb nur wie verwurzelt sitzen, und sah Milan nachdenklich an. Dann zog Milan seine Uhr aus, schenkte sie ihm mit den Worten: „Die brauche ich jetzt sicher nicht mehr, behalten Sie das hier in Erinnerung. Ich denke, Sie dürften jetzt alle Informationen haben, die Sie brauchen. Es tut mir leid, dass ich Ihnen diese Arbeit mache."



Während Ihres Gespräches hatte sich der graue Himmel aufgelöst und die Sonne schien auf die beiden hinab. Unter den Füßen von Milan sah er, wie die Bäume blühten und die Menschen die Wege kreuzten. Ungeahnt, was gleich passieren würde.

„Ach ja", Milan drehte sich noch einmal um, „das hätte ich fast vergessen: Begehen Sie niemals den Fehler, dass Sie sich Ihren Selbstwert aus der Liebe anderer zu Ihnen entnehmen. Seien Sie nicht so dumm, wie ich es war", er nickte.

Er dachte daran, wie er nie geliebt worden ist. Wie niemand jemals für ihn geschwärmt hatte. Wie sein erster Kuss eine Lüge war, wie er doch eine beste Freundin hatte, die er so unendlich liebte und die er nun verlassen musste. 

Er erinnerte sich, wie sie zehn Tage nach seinem Geburtstag nur auf seine Großmutter anstießen. Er wurde vergessen, er vergaß sich selbst.

Und so starb an diesem Tag nicht nur Milan Jules Plettenberg. Es starb auch eine ganze Familie, eine ganze Schulklasse war in den Schlund des schwarzen Todes gefallen, den sie nie beachtet hatten. Milan gab ihnen das, was sie verdienten. So, wie sie ihn akzeptieren ließen, was er zu verdienen glaubte. Er gab ihm fünf Minuten seines Lebens zurück. Fünf Minuten von siebentausenddreihundert Tagen.

Aber eins starb nicht: sein Herz. Sein Herz, sein pochendes Herz, das ihn sein ganzes Leben lang begleitet hatte, das ging an diesem Tag nicht von dieser Welt. Es verließ die Welt noch wesentlich früher, Stück für Stück hatte es sich verabschiedet und war in der Stille der Zeit verschwunden, man nahm es ihm, man nahm ihm die Kraft das alles zu akzeptieren. Nur ein ganz kleines Teil, ein allerletztes, das er fest in den Händen hielt, hinterließ er in seinem Nachlass, den er einer ganz besonderen Person schenken würde. 

Denn zum ersten Mal in seinem Leben fühlte Milan nicht, dass er zu spät kam. Er kam genau richtig.

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