Die Gegenwart - Letzte Hoffnung #3
Ragnar spürte nach einem Tag ohne Pause eine bleierne Müdigkeit in den Beinen. Er hatte nichts getrunken und sicher zwei Tage keine Nahrung mehr zu sich genommen. Und nun, wo er das Sumpfland direkt vor sich hatte, würde er auch nicht mehr dazu kommen. Asmos Geruch wurde von dem morastigen Gestank weitgehend überdeckt, die zielgerichteten Hufspuren endeten hier und führten zurück. Er musste sein Tier zurückgelassen haben. Wahrscheinlich war er in Wolfsgestalt weiter gezogen. Und er hatte es äußerst eilig. Überall abgebrochene Äste, durchstoßenes Buschwerk, wie ein Berserker hatte er sich seinen Weg durch den Wald gebahnt. Zumindest würde er ihn so besser finden. Er bemühte sich, noch einmal sein Tempo zu erhöhen und nutzte den Weg, den sich sein Sohn durch den Forst gebrochen hatte, um schneller voranzukommen.
Nachdem Asmos eine ganze Weile am Rande des Sumpfes entlanggelaufen war, schien er weiter direkt durch diesen hindurchgezogen zu sein. Ragnar verstand nicht, wie er den üblen Gestank mit der empfindlichen Wolfsnase ertragen hatte, aber auch er zwang sich dazu, seine Verwandlung beizubehalten. Nun musste er vorsichtiger gehen. Die Wege zwischen den unzähligen Tümpeln waren winzig und teilweise nicht begehbar. Oft half er sich mit einem beherzten Sprung aus, um nicht knöcheltief im Schlamm zu versinken.
Sein Sohn war nicht so bedacht vorgegangen. Er erkannte deutlich die Spuren, wo er sich auf versumpftes Gebiet begeben hatte und nur mühevoll wieder an Land gekommen war. Er betete, dass er nicht am Ende doch Opfer dieser Todesfalle geworden war.
Als er sicher zwei Stunden gewandert war, wurden die Wolfsspuren deutlicher, als wären sie frisch, eben erst hinterlassen worden. Vor sich machte er eine große, ebene Fläche aus, die von hochaufragendem Schilfgras umgeben war. Möglicherweise war er müde geworden und hatte dort eine Rast eingelegt. Kaum dass er näher heran war, vernahm er ein Rascheln, als würde jemand durch das Gras kriechen. Konnte das Asmos sein?
Ohne weiter darüber nachzudenken, betrat er die Mauer aus Grün. Sofort wurde ihm jegliche Sicht genommen, es überragte seinen gewaltigen Körper um wenige Fingerbreit. Ein kraftvoller Stoß schleuderte ihn zur Seite. Er rollte aus dem Dickicht hinaus auf die schwach bewachsene Mitte der kleinen Insel zu. Verwirrt sah er zurück, gerade rechtzeitig um einen Wolf, der etwas schmächtiger als er selbst war, auf sich zuspringen zu sehen. Er konnte sich beileibe nicht vorstellen, dass sein Sohn ihn angreifen würde, schloss es aber auch nicht aus. Um einem Biss auf seine Kehle abzuwehren, zog er die Beine an und ließ seinen Gegner kurzzeitig auf sich landen. Gleich darauf stieß er ihn kraftvoll von sich. Der andere überschlug sich mehrmals und kam dann wieder auf die Beine. Sein Blick wirkte wirr und auf jeden Fall aggressiv. Ein tiefes Knurren unterstrich die drohende Wirkung.
„Ich kenne dich nicht, daher nehme ich an, du bist dieser Kerl, der die Elementargegenstände sammelt?"
Der junge Wolf senkte den Kopf und brummte: „Du darfst mich Ahiro nennen."
„Ahiro aha, nun so, wie ich dein Handeln bisher erlebt habe, nehme ich nicht an, dass du auf Reden aus bist?"
„Da liegst du richtig."
Mit diesen Worten ging er mit gefletschten Zähnen auf Ragnar los. Ragnar versetzte ihm einen Prankenhieb, bevor er ihm nahe genug kommen konnte, um ihn zu beißen. Gleich darauf biss er nach seinem Bein und riss es in die Höhe. Ahiro verlor das Gleichgewicht und stürzte auf den Rücken. Dieses Mal war es an Ragnar nach seiner Kehle zu schnappen, doch er drehte sich zu schnell weg und seine Zähne streiften nur dessen Ohr.
Ahiro schien auf jeden Fall keine Erfahrung im Kampf als Wolf zu haben. Solange er diese Form beibehielt, hatte er eine reelle Chance, ihn zu besiegen.
Ragnar schnappte nach Ahiros Nacken und biss hart zu. Sofort spürte er warmes Blut in seinen Mund rinnen. Sein Kontrahent zappelte hilflos herum und riss den Kopf ruckartig hin und her. Schlussendlich befreite er sich auf Kosten einer größeren Fleischwunde, die er sich dabei riss. Ahiro wich ein Stück zurück und knurrte ihn, dieses Mal um einiges weniger bedrohlich, denn viel mehr ängstlich, an. Er schien gar nicht auf die Idee zu kommen, ihn in seiner normalen Gestalt zu bekämpfen.
Er war wahnsinnig, wurde Ragnar klar. Was auch immer ihm widerfahren war, es hatte seinen Verstand vernebelt. Er war jetzt gefährlicher denn je zuvor.
Ein weiterer Lupa sprang aus dem dichten Grün. Auch wenn Ragnar ihn noch nie so gesehen hatte, erkannte er doch sofort seinen Sohn darin.
„Ich hörte Kampfgeräusche und bin so schnell hergekommen, wie ich konnte", erklärte er sich.
Ragnar vergaß für einen Moment Ahiro und deutete ein freundliches Nicken zu dem Ankömmling an.
„Schön dich wiederzusehen Asmos."
Ahiro sah nachdenklich zwischen beiden hin und her. Er schien sich recht schnell ausrechnen zu können, dass er gegen zwei seiner Art kaum eine Chance haben würde. Ragnar stieß einen erschrockenen Schrei aus, als er merkte, wie sein Fell langsam nachließ und seine Haltung aufrecht wurde.
„Wir müssen das verhindern! Gegen seine Waffen haben wir keine Chance!"
Asmos verstand und griff gemeinsam mit seinem Vater an. Es erwies sich als unheimlich schwierig, einen Körper zu attackieren, der sich stetig am Verändern war. Asmos verbiss sich in Ahiros rechten Arm, während sein Vater mit den Pranken auf ihn einhieb. Ein unerwarteter Fausthieb stieß Asmos schließlich zurück. Seinen Vater traf es übler, da Ahiro ein seltsam geformtes Schwert in seine linke Vorderpfote trieb. Mit einem Aufheulen prallte er zurück. Die Wunde dampfte, als hätte man ein glühendes Eisen darauf gehalten.
Asmos vermisste die Waffen, die Ahiro das letzte Mal getragen hatte. Stattdessen trug er ein schwer wirkendes Schwert mit blitzförmiger Form. Die auf ihn gerichtete Klinge glühte in einem rot-weißen Licht.
„Die Gegenstände haben sich zu einer einzigen Waffe vereinigt", murmelte sein Vater.
„Dann werden wir sie ihm wohl wieder wegnehmen müssen."
Ragnar lachte freudlos auf. „Ein wirklicher ausgefeilter Plan, mein Sohn."
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