2. Kapitel - Shay
Ich hatte schon oft Aufträge erledigt. Ich bin schon seit meinem zehnten Lebensjahr zu den Hexenjagden mitgekommen. Ich hatte Tote sowohl auf der Seite der Magier, als auch auf der Seite der Jäger gesehen.
Aber dieser Auftrag war anders.
Ich wusste nicht warum. Es war einfach ein Gefühl oder ein Instinkt.
Normalerweise holte man sich seinen Auftrag bei dem Vorsitzenden seiner Einheit ab. Aber diesmal wurde ich von dem Zirkel selbst gerufen und ich wusste nicht, ob mir das gefällt. Natürlich sollte man es gerade als Mitglied des Heavenly-Clans gewohnt sein, als etwas Besonderes behandelt zu werden. Doch da ich ohnehin mehr das schwarze Schaf meiner Familie war, bekam ich es dann doch mit der Unruhe zu tun.
Aber keine Panik und auch keine Angst.
Ein Jäger geriet nie in Panik. Ein Jäger hatte niemals Angst.
Trotzdem starrte ich eher missmutig die alte Kirche vor mir an. Sie lag zwischen einigen Felsen verborgen in den Bergen. Keine Ahnung, wie die Jäger vor mehr als tausend Jahren es geschafft hatten, in dieser Höhe überhaupt ein Gebäude zu errichten, aber wenn ich raten müsste, dann waren es versklavte Hexen gewesen.
Eine warme Hand auf meiner Schulter riss mich aus meinen Gedanken. Meine ältere Schwester Johanna sah mich stolz an.
"Der Zirkel! Der Zirkel selbst gibt dir einen Sonderauftrag! Shay, weißt du eigentlich, wie stolz ich auf dich bin!"
Ich verkniff mir meine Antwort und rückte meine Uniform zurecht. Diese bestand letztendlich nur aus grauen und schwarzen Kleidungsstücken, die speziell für die Jagd angefertigt wurden. Aber viel wichtiger war die beiden Silberdolche unter meiner Jacke. Beide waren geweiht und somit in der Lage, einem heidnischen Wesen das Leben zu nehmen.
Johanna schob mich ins Innere der Kirche und nickte den beiden Wachposten zu. Beide musterten uns abschätzend, als konnten sie nicht glauben, dass zwei junge Jäger überhaupt hierher eingeladen wurden. Ich konnte diesen Gedanken nur allzu gut nachvollziehen.
Die Mitglieder des Zirkels hielten sich stets in einer großen Sakristei über den Bänken auf. Der alte Holzboden knarrte unter unseren schweren Stiefeln und wie immer fragte ich mich, wie lange er überhaupt noch halten würde. Schließlich standen wir vor einem halbmondförmigen, riesigen Tisch, an dem genau drei Männer und Frauen in schwarzen Kutten saßen. Jeder von ihnen hatte ein Tattoo auf der linken Hand. Ein Kreis, den ein sternförmiges Muster umgab und mit einer Rose in der Mitte.
Wir hoben einmal die Faust an die rechte Schulter und senkten kurz die Köpfe. Der Vorsitzende, ein etwas älterer Mann, der nur als Sir bezeichnet wurde, sah uns durch seine kalten Augen an. Sein faltiges Gesicht hatte er in seine knochigen Hände gelegt.
"Shay und Johanna Heavenly, korrekt?", fragte er. Seine tiefe, kratzige Stimme hallte durch den ganzen Raum und wurde von den abgerundeten Wänden zurückgeworfen.
"Ja, Sir.", antworteten wir langsam, deutlich und monoton.
"Gut, kommen wir gleich zur Sache."
Er schob ein Buch etwas von sich, das ich sofort erkannte. Eine Auflistung aller Stufen der Magie. Uns wurde das Buch schon in der Grundausbildung ausgehändigt und jeder gute Jäger kannte es auswendig.
"Ich sehe schon, Mr Heavenly, Sie wissen, worum es sich hier handelt."
Ich nickte nur.
"Dann wissen Sie auch, was sich in der roten Kategorie auf der höchsten Stufe 3 befindet?"
Ich spürte, wie mir kalt wurde. Natürlich wusste ich das. Jeder wusste das.
Ein Alpha. Eine Hexe oder ein Magier, die über eine unkontrollierbare Form von Zauberei verfügten, die sie eher Göttern näherbrachte als Menschen. Alle hundert gab es solche Kinder und es wurde immer ein Jäger ausgewählt, der...
"Sie wollen, dass ich einen Alpha töte!?", platzte es mir heraus.
Die anderen Zirkelmitglieder sogen wegen meiner Respektlosigkeit scharf die Luft ein. Nur der Vorsitzende sah mich lächelnd an.
"Ja. Jedes Mal wird ein anderes Clanmitglied gewählt. Dieses Mal fällt die Wahl auf Sie, Mr Heavenly."
"Das ... ist eine große Ehre, aber..." Ich sah mich hilfesuchend zu meiner Schwester um. "Johanna ... ich meine Miss Heavenly ... wird bald zur Vorsitzenden einer eigenen Einheit befördert und sie wäre überhaupt sehr viel qualifizierter als ich..."
"Mr Heavenly!", unterbrach mich die Dame ganz links außen. "Unsere Wahl ist auf Sie gefallen!", stellte sie klar.
Ihre Stimme war schneidend wie Glas und ich wagte es nicht mehr, zu widersprechen. Der Vorsitzende legte noch ein kleines schwarzes Notizbuch auf den Tisch.
"Darin haben unsere Informanten alles aufgeschrieben, was wir bisher über den neuen Alpha herausfinden konnten. Dieses Mal ist es wohl weiblich, eine Hexe also. Die Kräfte einer neuen Alphahexe entwickeln sich stets um den einundzwanzigsten Geburtstag herum. Dieses Jahr gibt es im Dorf genau fünf junge Damen, die sich in diesem Alter befinden. Ein neuer Alpha wird stets bei einem ihrer Feste, der sogenannten Walpurgisnacht, erwählt. Bis dahin sollen Sie die neue Alphahexe finden und töten. Sie sollen die letzten sieben Tage bis zur Walpurgisnacht verdeckt im Dorf als Magier leben und Ihre Aufgabe so erledigen."
Das konnte nicht deren Ernst sein! Einen Jäger in das Dorf der Hexen und Magier zu schleusen... Das war wie einen Fuchs in einen Hühnerstall zu sperren! Nur war ich mir nicht wirklich sicher, ob ich nun der Fuchs war oder andersherum.
"Und denen würde es nicht auffallen, wenn plötzlich ein Mensch, noch dazu ein Jäger, unter ihnen lebt?", fragte ich skeptisch, während ich das Notizbuch in meiner Jackentasche verschwinden ließ.
"Wir haben einen unserer Informanten gebeten, Sie als seinen Cousin aus England vorzustellen, der für das Feiern der Walpurgisnacht eingereist ist. Alles, das Sie über diese Geschichte wissen müssen, ist ebenfalls im Notizbuch festgehalten. Sie werden heute von einer Eskorte bis zwei Meilen vor die Dorfgrenze gebracht. Dort wartet auch unser Informant auf Sie. Haben Sie noch Fragen, Mr Heavenly?"
Ich hatte mehr als nur eine Frage und doch schwieg ich. So schnell es die Höflichkeit zuließ, nickte ich, verabschiedete mich standesgemäß und verließ mit großen Schritten die Sakristei. Johanna holte mich erst beim Altar der Kirche ein.
"Shay, warte! Ist alles in Ordnung? Du nimmst den Auftrag doch an, oder?"
Sie sah mich so hoffnungsvoll und stolz an. Ich wusste, was ihr gerade durch den Kopf ging. Dasselbe wie mir. Unsere Eltern wären so glücklich gewesen. Ich konnte nicht ablehnen.
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