10. Training für Isa

„Kommt." Er stand auf und führte sie nach draußen. Sein Ziel war der Trainingsplatz. „Da Ihr nicht zu Eurem Tempel könnt, solltet Ihr Euch zumindest selbst verteidigen können."

Sie wehrte ab. „Bitte, Heerführer. Ihr seid zu gütig."

Sam schnaubte. „Mit Nichten. Dass Ihr mich über die Bedrohung in Kenntnis gesetzt habt, wird viele Leben retten. Es ist das Mindeste, was ich tun kann."

Sie war zwar nicht überzeugt, wusste aber nicht, wie sie es ihm am besten ausredete. Hinzu kam, dass sie gerne wüsste, wie sie sich im Falle eines erneuten Überfalls wehrte. Nie wieder wollte sie sich so hilflos fühlen wie auf ihrer Reise.

Anstatt sie auf den großen Platz zu führen, schlug er den Weg zu einer abgelegenen Fläche ein. Es schien ihm ratsam, sie nicht durch Zuschauer zu verschüchtern.

Isa hatte das Gefühl, in einer Parallelwelt gelandet zu sein. Der Heerführer blieb auf einer kleinen grünen, von Bäumen umgebenen Fläche stehen. Dann zeigte er ihr, wie sie einen festen Stand einnahm. „Das ist die Grundlage, um nicht gleich von den Füßen gehauen zu werden." Mit wenigen, gezielten Berührungen korrigierte er ihre Haltung. Anschließend zeigte er ihr eine Parade und einen Abwehrtrick. Erst als sie beides verinnerlicht hatte, entließ er sie.

Azrean staunte nicht schlecht, als Isa in einer ihm unbekannten Uniform in seinem Wohnzimmer auftauchte. Genau genommen trug Gnesh sie hinein. Ihre Beine hatten unterwegs nachgegeben. Er sah den beiden dabei zu, wie sie sich in das leere Zimmer zurückzogen. Mit einem Kopfschütteln machte er sich bettfertig.

Auch am nächsten Tag holte Sam Isa zu einer kleinen Übungsstunde ab. Er wusste, dass er sie bald fortschicken musste. Ein Heer war kein Ort für eine junge Frau wie sie. Bevor er das tat, wollte er jedoch abwarten, was seine Anfragen bei den anderen Lords und Tempeln erbrachten.

„Blocken ist bei deiner zierlichen Gestalt keine gute Idee."

Isa rappelte sich auf und rieb sich den Unterarm. Anstatt zu tun, was er ihr gezeigt hatte, hatte sie es vorgezogen, seinen Schlag abzuwehren. Dass das keine gute Idee gewesen war, war ihr allzu schmerzhaft bewusst. „Ich stehe nicht auf Schmerzen."

Samael deutete auf eine Stelle am Boden. „Stell dich auf."

„Meinst du nicht, dass sie ein wenig Ruhe verdient hat?"

Mit einem Aufschrei rettete Isa sich hinter ihren Trainer. Im Gegensatz zu Sam hatte sie ihren Zuschauer nicht bemerkt.

„Az." Samael grinste seinen Freund an. „Was machst du denn hier?"

Azrean verschränkte die Arme vor der Brust. „Dich daran erinnern, dass du noch andere Aufgaben hast. Das Training kannst du einem Soldaten aufs Auge drücken."

Sam seufzte. Der Grund, weshalb er Isa persönlich anlernte, war weniger, dass er vor seinen Aufgaben davonlief. Er und Az wussten, was es hieß, allein zu sein. Er wollte nicht, dass die Rankenfrau hilflos war. „Du hättest auch gleich sagen können, dass du dich freiwillig meldest."

„Ich bin nicht dein Mädchen für alles", kam es knurrig zurück.

Aufreizend langsam ließ Sam seinen Blick über Azreans große Gestalt wandern. Dann verzog er den Mund. „Eindeutig nicht. Dir fehlen die Kurven."

Isas Kichern unterbrach das Gespräch der beiden. „Ihr seid lustig."

Samael lächelte sie an. „Findest du?"

Sie nickte. „Woher kennt ihr euch?" Ihr fragender Blick wanderte zu Azrean. Wie Samael, so trug auch er schwarze Stiefel, Hosen und Hemd. Anders als beim Heerführer, war sein knielanger Uniformmantel nicht grün, sondern ein Farbenspiel aus Schwarz und Blau.

„Wir haben lange in einer Einheit gedient", klärte Sam sie auf. „Bis ich befördert wurde. Az rennt eigentlich nur durch die Gegend und wartet darauf, Anweisungen vom Lord zu bekommen."

„Ich sorge dafür, dass du nicht einrostest." Azrean ging zu einem Baum, um einen kleinen Ast abzubrechen.

Bei dem Geräusch von splitterndem Holz zuckte Isa zusammen. „Warum tötest du ihn?"

Ihr ehemaliger Reisegefährte sah sie entnervt an. „Die Tricks, die Sam dir zeigt, sind zwar nett, helfen dir im Notfall aber nicht." Er drückte ihr das Stück Holz in die Hand. „Messer sind besser. Ein verletzter Gegner gibt dir Zeit, wegzulaufen."

Samael starrte ihn finster an. „Sie soll sich wehren, keine Morde begehen."

„Seit wann sind gezielte Stiche bitte Morde?" Azrean wandte sich erneut an Isa. „Wenn seine Drückebergerheit uns verlassen hat, zeige ich dir ein paar Tricks."

Isa sah zwischen den beiden hin und her. Durfte sie das? Sam war der Heerführer, er hatte das Sagen. Auf der anderen Seite ... Was sie jetzt lernte, konnte ihr in Zukunft das Leben retten. Sie straffte ihre Schultern und nickte Azrean zu. „Sehr gern."

In den folgenden Tagen wurde sie in die Welt der Selbstverteidigung eingewiesen. Wenn einer der beiden Zeit hatte, suchte er sie auf. Dabei war es egal, ob sie mit Gnesh durch den Wald streifte oder in Azreans Gästezimmer saß. Sie fanden sie.

Nach einigen Tagen Training wurden die beiden zu einem Notfall außerhalb des Lagers gerufen. Bevor er gegangen war, hatte Az sie mit dem Ausbilder bekannt gemacht. Der sollte sie mit seinen anderen Schülern trainieren.

Ihr war nicht wohl dabei, als sie die ganzen Männer erblickte. Alle waren größer und stärker als sie. Wenn einer von ihnen sie erwischte, endete das sicher schmerzhaft. Viele der Übungen konnte sie nur vom Rand aus beobachten. Der Ausbilder gab ihr hin und wieder eigene, was ihre Anspannung ein wenig vertrieb. Als es an den Kampf mit Waffen ging, war ihre Schonfrist abgelaufen. Damit sich niemand schwer verletzte, übten die Rekruten zuerst mit hölzernen Waffen. Isa starrte das Kurzschwert in ihrer Hand an. Sie wendete es mehrfach. Das war so ganz anders als der Stock, den Az ihr zum Üben gab. Es war zu groß, um wendig zu sein und zu schwer, um schnell zu reagieren. Worin lag bei einer solchen Waffe der Vorteil?

Obwohl der Lehrer ihr einen der schmächtigen Rekruten als Gegner zugeteilt hatte, fühlte sie sich schwach. Wie konnte sie nur denken, sie wäre stark genug? Mutig genug.

Mit einem Warnschrei rannte ihr Gegner auf sie zu. Ihr erster Instinkt war, wegzurennen. Dann entsann sie sich der Lektionen, die Sam und Az ihr erteilt hatten. Sie hatte herausgefunden, dass Azrean einen Rang in diesem Heer bekleidete, der direkt unter dem Sams lag. Beide waren gute Kämpfer, daran hegte sie nicht den geringsten Zweifel. Wenn sie ihr zutrauten, sich gegen einige der Rekruten zu behaupten, würde sie sich der Herausforderung stellen.

Sie straffte ihre Schulter und umfasste ihr Schwert. Ihr Angreifer ließ seines durch die Luft sausen, direkt auf sie zu. Anstatt zu blocken, kopierte sie eine Bewegung, die sie an ihrem ersten Tag im Lager bei Azrean beobachtet hatte. Sie drehte sich weg. Und während sie das tat, riss sie ihre Waffe hoch. Ihr Plan war es, ihrem Gegner die Spitze auf die Brust zu setzen. In der Ausführung hatte sie zu viel Schwung. Das führte dazu, dass sie ihm das Holzschwert auf den Arm schlug.

Mit einem derben Fluch auf den Lippen sprang ihr Gegner zurück. Er hatte seine Waffe fallengelassen. Daraufhin erklärte der Trainer Isa zur Siegerin.

Erstaunt strich sie sich ihre Haare aus dem Gesicht. Das war unerwartet. Sie schielte zu der Stelle, an der Gnesh auf sie wartete. Zu ihrer Überraschung stand Samael neben ihm. Er nickte ihr zu, dann machte er kehrt und verschwand.

„Ihr lernt schnell", lobte sie der Trainer. „Fühlt Ihr Euch bereit, einen weiteren Kampf zu bestreiten?"

Sie lehnte ab. Das war genug Aufregung für einen Tag. Leider war sie die Einzige, die das so sah. Sie gönnte sich gerade einen Schluck Wasser, da traten einige Rekruten zu ihr. Ihr Anführer war einer der besseren Kämpfer der Gruppe.

„Sieh an, sie haben also das Heer für Frauen geöffnet."

„Was wollt Ihr?" Sie hatte keine Ahnung, was das werden sollte. Zwar wusste sie, dass die Bösen die Helden oft in einer Gruppe einkreisten. Doch was das bedeutete, war ihr schleierhaft.

Der Sprecher hob sein Holzschwert. Mit der Spitze deutete er auf ihre Brust. „Oder liegt es daran, dass du mit der Leitung dieses Regiments vögelst?"

Die Gruppe lachte.

Isa hatte den Ausdruck noch nie gehört. Den abfälligen Mienen der anderen nach zu urteilen, bedeutete er nichts Gutes. „Was wollt ihr?" Am besten, sie ignorierte die Schikanen. Das hatte im Heiligen Hain geholfen. Hoffentlich galten hier ähnliche Regeln.

„Ich denke, sie ist das Häschen unseres Kommandanten. Habt ihr nicht gehört, dass sie im Wald erwischt wurden?"

Diese Worte kamen von einem großen drahtigen Mann, der direkt hinter dem Anführer stand. Isa starrte ihn finster an. „Ich bin bald wieder weg. Ihr braucht keine Angst zu haben, dass ich jeden von euch alt aussehen lasse."

Dass sie den zweiten Satz besser runtergeschluckt hätte, wurde ihr erst klar, als sie sich drohend vor ihr aufbauten. „Du bist nur ein dummes, schwaches Ding!" Der Anführer spuckte ihr vor die Füße. „Kenne deinen Platz."

Um sich wenigstens etwas sicherer zu fühlen, hielt sie ihr Schwert zwischen sich und die anderen. „Lasst mich in Frieden!" Ein Knurren hinter ihr ließ sie erleichtert ihre Augen schließen. Als sie sie wieder öffnete, waren die anderen zurückgewichen. Gnesh kauerte neben ihr, die Zähne gebleckt. Auch das zweite Biest, war da. Es stand auf ihrer anderen Seite. Basra hatte Sam sie genannt.

Diesen Moment suchte sich der Ausbilder aus, um die Versammlung aufzulösen. Nachdem Isa ihm ihr Holzschwert gereicht hatte, verließ sie den Trainingsplatz. Nie wieder würde sie mit diesen Männern üben. Die hatten alle ein Rad ab.

Auf der Suche nach einer Beschäftigung streifte sie durch das Lager. Es war so groß wie eine Stadt, nur ohne Händler oder andere Läden. Für jede wichtige Aufgabe gab es mindestens einen zuständigen Soldaten. Eine Weile sah sie den Männern bei ihrer jeweiligen Arbeit zu. Da es dort nicht groß anders zuging als im Tempel, verlor sie schnell das Interesse daran.

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