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Dandelion saß gerade in einer dunklen Ecke des Gartens. Diese war so sehr mit geschtrüpp überwuchert, dass er sich durchkämpfen musste, um überhaupt die Mauer des Anwesen zu erreichen, wo er gerade mal in der Hocke sitzen konnte.
Seine Arme und Beine waren voller Schrammen dank der scharfen Zweige und Dornen.
Doch hier hatte er zumindest seine Ruhe vor den Wachen und diesem Brahäus, der ihn zu Tode langweilte mit seinem Unterricht.
Hier war es besser.
Natürlich würde er es bevorzugen, die Mägde zu ärgern, zu schauen wie lange er bräuchte, um sie zum weinen zu bringen.
Das war lustig.
Doch die meisten rannten schon davon, wenn sie ihn auch nur sahen und mit dem blöden Lehrer und den ganzen Wachen würde er doch nur wieder mit Brot und Wasser im Zimmer enden.
Dort hatte er zwar auch seine Ruhe und das Essen machte ihm ebenfalls nichts aus.
Aber es war einfach nur sooooo langweilig.
Genau genommen, war hier eigentlich alles furchtbar öde. Und die Wachen waren mit Abstand die langweiligsten überhaupt. Die sperrten ihn lediglich in sein Zimmer und durch ihre Helme konnte Dandelion auch absolut nichts erkennen.
Die Mägde machten wenigstens lustige Gesichter, wenn er mit ihnen spielten.
Doch die Wachen...
Aaaabsolut langweilig.

Dandelion hörte plötzlich ein Lachen.
Es kam von außerhalb der Mauer.
Er drückte sein Ohr an den kalten Stein und lauschte.
Das Geräusch wurde tatsächlich immer lauter je mehr er sich in eine bestimmten Richtung bewegte. Dass er dafür durch Dornen und Gestrüpp musste, war ihm in dem Moment egal.
Dandelion entdeckte schließlich eine Nische in der Mauer.
Jene war offenbar schon furchtbar alt gewesen, denn ein Dornenbusch hatte sich mit seinen Wurzeln von unten durch die Mauer gefressen und sie über Jahre hinweg abgetragen.
Sie war nicht groß genug für eine ausgewachsene Person, aber für ihn...

Dandelion drückte sich zwischen den Wirrwarr an Stacheln hindurch, wobei nicht nur seine Haut, sondern auch seine Kleidung darunter lit.
Als er auf der anderen Seite heraus purzelte, sah er aus wie ein blutiger Hund, übersät von Kratzern und Dreck.
Nichts wirklich tragisches, denn Vaters Schnelle war eindeutig schlimmer gewesen. Davon trug er noch immer einen leichten gelben Fleck auf der rechten Gesichtshälfte.
Die Kratzer würden hingegen wesentlich schneller verheilen, das wusste er.

Gerade als er damit fertig wurde sich Zweige und Dornen aus Kleidung und Haaren zu entfernen, die ihn am meisten störten, sah er plötzlich einen Jungen mit goldenem Haar vor sich. So ein hübsches Gesicht hatte Dandelion noch nie zuvor gesehen und es sollte sich auch noch in Zukunft heraus stellen, dass er kein hübscheres mehr finden würde.

Dandelion war ehrlich überrascht, wie der Junge Elf so urplötzlich vor ihm aufgetaucht war.
Er war so leise gewesen.
Die Wachen hatte er schon Kilometer weit gehört, dank ihren Rüstungen und Brahäus, mit seinem wütenden Schnaufen, war ebenso keine Konkurrenz.
Sein Gegenüber hingen trug kein Metall das Lärm machte und war auch nicht außer Atem im Versuch den 17-jährigen Dandelion einzuholen.
Er sah in ein Paar kristall blauer Augen, umrahmt von weichen glatten Strähnen, die ihn etwas wirr ins Gesicht hingen.
Der Junge trug saubere Kleider in einem hellen Blau, die mit goldenen Mustern bestickt waren.
Er war so anders als Dandelion selbst, der gerade durch den Busch und eine erdige Nische gekrochen kam.
Seine eigenen Kleider waren zwar ursprünglich silbern gewesen, doch waren auf ihnen nun unzählige Flecken in grün, braun, gelb und sonstigen Farben, die durch den Garten entstanden sind. Die filigranen Verzierungen waren an etlichen Stellen verblasst, dank den unzähligen Versuchen sie wieder sauber zu bekommen. Auch war der feine Stoff an einigen Stellen bereits ranzig geworden und hier und da zog sich eine Luafmascher durch. Seine Haare waren strubbelig und einige Blätter hingen noch darin fest. Seine Arme und Beine waren voller Kratzer und am schlimmsten war wohl der gelbe Fleck, der noch immer fast eine komplette Hälfte seines Gesichts einnahm.
"Was ist denn mit dir passiert? Du siehst ja schrecklich aus!" fragte ihn der blonde Junge in einem merkwürdigen Tonfall.
Dandelion, der die Situation nicht wirklich einschätzen konnte, dachte er meint den gelben Fleck in seinem Gesicht. Schließlich war alles andere an ihm für ihn normal.
Und der Fleck war auch nicht besonders. Es war lustig gewesen, doch da sein Vater ihm nun sehr oft aus dem ging, wurde es wieder langweilig. Also antwortete er dementsprechend ungerührt.
"Ach, mein Vater hat mich bloß geschlagen. Nicht so wichtig."
Bevor Dandelion allerdings weiter sprechen konnte erkannte er eine Veränderung in den Augen des Jungen, die ihm neu war. Er meinte etwas ähnliches mal früher in den Gesichtern der Bediensteten gesehen zu haben. Allerdings war es schon viel zu lange her gewesen, als das er sich hätte tatsächlich sicher sein können.
"Wie furchtbar! Geht es dir gut? Soll ich meinem Vater darüber berichten?"
Dandelion sah ihn verwundert an.
"Warum solltest du deinem Vater darüber berichten? Es ist doch nichts dabei, wie gesagt, es ist nicht wichtig."
Wieder warf ihm der Junge einen komischen Blick zu.
Na der hatte vielleicht Gesichter drauf, dachte sich Dandelion.
"Ach so. Nun gut ich verstehe, wenn du darüber nicht reden willst. Vater sagt zu mir auch immer, es sei ehrbar die Familie unter sich zu lassen und sie zu ehren."
Der Junge sprach zwar die selbe Sprache, doch Dandelion verstand trotzdem kein Wort davon. Er verstand sogar noch weniger in Brahäus' Unterricht.
"Wer hat denn bitte gesagt, dass ich..."
Noch bevor Dandelion seinen Satz vollenden konnte, kam eine Gruppe von Jungs über den Hügel außerhalb der Mauer gelaufen und blieb in einiger Entfernung stehen bevor sie ihre Richtung riefen.
"Thlen! Kommst du? Elhwo ist jetzt mit suchen dran!"
Der fremde Junge mit dem hübschen Gesicht hieß also Thlen, stellte Dandelion fest.
Thlen drehte sich zu der Gruppe um und rief ihnen zu.
"Spielt ohne mich weiter, ich komme später irgendwann nach!"
Die Kinder reagierten sofort.
"Alles klar! Komm einfach, wenn du fertig bist! Er darf auch ruhig mitspielen!"
Damit rannten sie fort.
Dandelion war überrascht. Der blonde... Thlen, hatte ganz offensichtlich etwas zu sagen in der Runde und man hörte auch auf ihn. Auf Dandelion hörte niemand und deshalb machte der Junge ihn umso neugieriger, als er es eh schon war. Was machte Thlen anders als er?
Oder waren die anderen einfach nur schwächer?
Bei ihm zu Hause war niemand schwächer als er selbst und sein Vater war eindeutig der stärkste. Jeder könnte Dandelion einfach einsperren.
Doch dieser Junge war nur ein wenig größer als er selbst es war und man hörte trotzdem auf ihn. War Stärke vielleicht nicht alles? Gab es da etwa noch etwas anderes?
Dandelion sah Thlen nun noch genauer an und traf auf die selbe Neugier.
"Bist du der Sohn von Meister Duskbrook? Das ist doch sein Anwesen oder? Ich habe gehört, dass Vater mal erwähnt hatte, er hat einen Sohn. Wie heißt du? Ich bin Thlen."
"Dandelion.", antwortete er ohne zu überlegen.
Thlens Vater kannte also seinen Vater. Und der Junge wusste, dass Dandelion existierte. Aber er selbst wusste nichts, weder über Thlen noch über dessen Vater. Er wusste, dass es außer dem Anwesen noch eine Stadt gab und sogar einen König und einen Prinzen. Und das Vater dem König half Entscheidungen zu treffen. Von einem Thlen und seinem Vater hatte er allerdings noch nie etwas gehört.
"Dandelion also, wie die Blume?! Ein sehr schöner Name. Willst du spielen?"
"Spielen?"
"Ja spielen! 'Krieger und Feind' oder 'Seher und Sucher' machen am meisten Spaß."
Dandelion konnte mit den ganzen Wörtern sichtbar nichts anfangen, sodass Thlen schnell eine andere Richtung einschlug.
"Wir können auch einfach in den Wald gehen und 'Abenteurer' spielen. Die anderen müssen nicht mit, wenn du schüchtern bist."
"In den Wald?" Dandelion sah ihn fragen an. Von dem Wald hatte er tatsächlich auch einiges gehört im Unterricht von Brahäus. Das war aber so langweilig gewesen, dass er immer aufgehört hatte zuzuhören noch bevor es wirklich anfing. Irgendwas von Entstehung, Hintergrund, Florian und Faula oder so in der Art und einiges weitere, dass mindestens genauso langweilig war. Warum sollte er irgendwo hin wollen das so öde klang?!
"Der Wald also!"
Thlen vernahm sein zögern offenbar als Bestätigung und Dandelion war viel zu verwirrt, um rechtzeitig ablehnen zu können. "Na komm! Es ist noch hell, da hat bestimmt keiner etwas dagegen."
Thlen packte Dandelions Arm und zog ihn einfach mit. Der Silber haarige folgte ihm einfach wie von selbst. Einerseits war er ohnehin schon verwirrt genug gewesen von vorhin. Da er aber so aus dem Nichts, obwohl er nichts getan hatte, an der Hand gepackt und mitgezerrt wurde, konnte er erstrecht nichts dagegen unternehmen. Nun Dandelion hätte vermutlich sowieso nichts dagegen getan, wenn ihn irgendjemand vor sich hin gesteppt hätte. Es war ja schließlich normal für ihn. Dennoch musste Dandelion feststellen, dass der Junge tatsächlich stärker war als er selbst
Fast so stark wie die Erwachsenen, wenn auch nicht im Ansatz so grob wie sonst. Ob es wohl daran lag, dass Thlen so klein war?
Im Wald angekommen, ließ der Blonde ihn schließlich los und Dandelion blieb auch einfach an Ort und stellte stehen, beobachtete den sonderbaren Jungen.
"Und jetzt?" fragte Dandelion schließlich, da ihn Thlen so merkwürdig ansah.
"Jetzt laufen wir einfach! Und schauen was wir finden. Wir sind 'Abenteurer'! Wir befinden uns gerade auf mysteriösen Wegen und es ist an uns fest zu stellen, ob sie sicher sind und ob auch wirklich keine Gefahren auf uns lauern. Strahlende Helden, welche die Stadt vor Unheil bewahren, das sind wir!" antwortete ihm Thlen.
Und das sollte lustig sein? Fragte sich Dandelion.
Doch dieser blonde Junge, mit dem überaus hübschen Gesicht, war so seltsam, dass er nicht anders konnte, als ihm hinterher zu laufen.
Ohne dass jener ihn mitzerrte oder ihn dazu drängte, lief er ihm freiwillig hinterher.
Im Grunde war dieser Thlen wesentlich schlimmer als die Erwachsenen, denn er konnte nicht anders als ihm nach zu laufen, ob er nun wollte oder nicht. Und er tat es von sich aus, denn Thlen zwang Dandelion nicht dazu. Er hatte sogar Schwierigkeiten ihm im freien Feld zu folgen, er hätte ihn vermutlich sogar aus den Augen verloren, wenn nicht das Gestrüpp wäre.
Dandelion hatte keine Probleme damit ihm durch das Unterholz zu folgen, bedachte man wie oft er schon durch Dornen Büsche gekrochen war.
Die Stacheln und Äste machten ihm nichts aus, im Gegenteil sogar. Er wusste ganz genau auf welche Art von Zweigen er treten musste, um die anderen vor ihm hinunter zu drücken. Wusste, welche Art von Bewegung von Nöten war, um sich schnellstmöglich von Stacheln zu befreien. Und er wusste, wann er lieber kriechen sollte, anstatt zu versuchen die Äste weg zu drücken.
Manchmal war ihm Thlen sogar zu langsam, wenn jener an einem Zweig hängen blieb.
Doch wenn sich der Weg hier und da klärte, kam Dandelion kaum noch hinterher.
Somit war es ständiger Wechsel, in welchem er Thlen fast aus den Augen verlor, nur um ihn beim nächsten Gestrüpp wieder einzuholen.
Auf einer Lichtung blieb der b
Blonde schließlich stehen und ließ sich ins Gras fallen.
Dandelion sah ihn von oben an. Was sollte das?
Das war so sinnlos!
Thlen machte die Augen auf, packte ihn und zog ihn auch auf das weiche Gras.
"Hey!" wollte Dandelion protestieren, doch Thlen unterbrach ihn.
"Ich weiß dass du gerade eine schwere Zeit durch machst. Ich kann es mir absolut nicht vorstellen, wie es ist vom Vater geschlagen zu werden. Doch es muss bestimmt schrecklich sein. Wenn es irgend etwas gibt, was ich für dich tun kann, dann sag es mir bitte! Ich helfe dir gerne."
Nun wurde Dandelion hellhörig.
Vom Vater geschlagen zu werden, war also auch im Nachhinein nützlich und nicht nur in dem Moment?!
Er setzte sich auf und zog die Knie an sich, vergrub dabei seinen Kopf zwischen den Beinen.
"Ich weiß nicht." murmelte er leise.
Thlen setzte sich ruckartig auf und sah Dandelion einen Augenblick lang an, bevor er ihn schließlich in den Arm nahm.
Einfach so aus dem Nichts!
Dandelion wusste nicht was er eigentlich erwartet hatte, doch diese Geste irritierte ihn.
"Ich könnte immer noch mit meinem Vater reden. Aber du hast den Eindruck auf mich gemacht, dass du das nicht willst. Wie wäre es stattdessen, wenn ich dich jeden Tag, kurz nach Mittag, besuchen komme? Dort wo wir uns getroffen haben?"

Thlen würde also jeden Tag kommen, nur weil er zustimmen würde?
Dandelion grinste heimlich und nickte leicht. Wie viel würde dieser Junge eigentlich machen, wenn er ihn darum bitten würde?
Wirklich jeden Tag?
Und was ist, wenn Dandelion nicht auftauchen würde?
Das war tatsächlich sehr interessant.
Dandelion wollte es herausfinden.
Er hob den Kopf und sah Thlen an.
"Wirklich? Jeden Tag?"
Thlen drückte ihn nun noch fester.
"Wirklich! Jeden Tag!"
Als Thlen ihn so im Arm hatte lächelte Dandelion über seine Schulter hinweg, auch wenn die Umarmung ihn noch immer irritierte.
Jeden Tag also...

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