Fluch und Segen zugleich
Jeongins Pov:
Spät am gestrigen Abend hatte Felix in unsere Gruppe geschrieben, dass er eine gekritzelte Antwort von Jungkook in der Bibliothek gefunden hatte und wir uns am Mittwoch – also heute – gegen achtzehn Uhr mit unserem Dämonenexperten treffen würden.
Und nun war es schon kurz vor achtzehn Uhr. Wir schlüpften gerade durch das große Loch im Maschendrahtzaun und huschten dann hinüber zum Eingangstor des verlassenen Gebäudes. Eilig zwängten wir uns nacheinander durch die schwere Eichentür ins Innere der Halle und traten dann ohne zu zögern den Weg hinauf in das kleine Geheimzimmer an. Die Treppenstufen knackten bei jedem einzelnen Schritt unheilvoll und meine Laune war wirklich nicht die beste. Noch immer lasteten die gestrigen Ereignisse schwer auf meinen Schultern und die Ungewissheit, was nun zwischen mir und dem Dämon weiter passierte, fraß mich von innen heraus langsam auf.
„Wie lief gestern eigentlich dein Treffen mit Chan?"
Felix drehte sich auf der Treppe halb zu Seungmin und lächelte. Es würde wohl noch eine kleine Weile dauern, bis ich mich an die blonden, sanft gelockten Haare gewöhnt hatte. Dann beobachtete ich wie Jisung sich ebenfalls Minnie zuwandte. Ich selbst starrte stur geradeaus.
„Es war echt krass. Zuerst haben wir uns doch tatsächlich die Hinrichtung von Anne Boleyn angesehen, was zugegeben recht gewöhnungsbedürftig war, aber dann war er mit mir bei Shakespeare. Wir haben uns gemeinsam Hamlet angesehen. Das war einfach nur perfekt", schwärmte Seungmin. Von Felix und Ji kamen verdutzte und ungläubige Antworten, während ich selbst nur zuhörte. Meine Gedanken verweilten noch immer bei meinem eigenen Ausflug gestern.
„Oh wow, warum macht ihr alle nur so coole Sachen mit euren Dämonen?", fragte Ji gespielt beleidigt, doch ich erkannte den echten, leicht resignierten Unterton und wusste, dass es ihn wirklich ein bisschen nervte. Aber seine Worte wurden nach meinem gestrigen Treffen wohl wirklich ad absurdum geführt. Allein bei der Erinnerung an die Wale und das Blut wurde mir ganz anders. Deshalb achtete ich nicht auf die nächste Treppenstufe und stolperte prompt.
Glücklicherweise halfen mir Felix übernatürliche Reflexe aus der Patsche. Er packte meinen Arm, noch während ich krampfhaft versuchte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. So bewahrte mich unser kleiner Engel vor einem Sturz und sah mich prüfend an.
"Alles ok, Innie?"
Ich nickte und lief dann hastig weiter. Ich wusste nicht so richtig, wie ich ihnen von meinen Erlebnissen erzählen sollte und ich war mir sowieso darüber bewusst, dass wir Jungkook heute alles erzählen würden. Und mir graute es jetzt schon davor, alles zu berichten und auch die unschönen Details nochmal hervorzubringen... Doch ich musste es tun. Sie sollten wissen, welche Bestie ich mir da geangelt hatte.
Am oberen Absatz angelangt, sah ich die bereits offene Tür zum Geheimgang und trat ohne zu zögern hindurch. Diesmal war es nicht stockfinster. Jungkook war offensichtlich schon da und hatte einige kleine Lampen angezündet, die ein angenehm warmes Licht verstrahlten. Und als wir dann nacheinander den Raum betraten, wurden wir sofort begrüßt.
"Hallo ihr vier. Ihr wolltet mich also sehen... Daraus schließe ich, es gibt Neuigkeiten." Erst sah man Jungkook gar nicht, doch dann streckte er seinen Kopf hinter einem der Regale hervor Eine kurze Pause folgte und der Dunkelhaarige sah uns der Reihe nach an, trat dann zu uns und seufzte. "Sehr offensichtlich... Dann ward ihr vielleicht sogar erfolgreicher als ich." Mit einem schiefen Lächeln deutete er auf die Couch und gebot uns somit, es uns bequem zu machen.
Erneut fand Felix seinen Platz auf Jisungs Schoß und ich setzte mich an den rechten Rand der Couch.
„Also... Dann werde ich euch zuerst ein kurzes Update zu meinen Recherchen zum Ritual an sich geben. Es wird leider nicht so umfangreich wie erhofft." Jungkook strich sich das Haar zurück, während er es sich selbst in dem Stuhl uns gegenüber gemütlich machte und seine Beine überkreuzte. „Ich habe Taehyung nach Hilfe gefragt. Doch je akribischer wir gesucht haben, desto mehr schienen sich die Spuren, die möglicherweise zum Ursprung des Rituals geführt hätten, zu zerstreuen." Ein erneutes Seufzen. „Es ist als würde man schon nach der Antwort greifen und dann löst sie sich wieder in Luft auf. Als hätte sich jemand große Mühe gegeben, seine Absichten zu verbergen. Selbst Taehyung war frustriert und konnte nicht viel tun. Das einzig Brauchbare ist, dass es offenbar älter ist als erwartet und zum ersten Mal in einer italienischen Schriftensammlung namentlich erwähnt wird."
Meine Hoffnung sank gleich noch weiter bei diesen Informationen. Und dabei wäre gerade jetzt eine Lösung so dringend nötig. Wie sollte ich mir sonst einen Drachen vom Leib halten, der sich als wirkliches Monster entpuppen könnte, wenn ihm mein Verhalten oder das meiner Freunde nicht in den Kram passte? Außerdem dachte ich wieder an Jungkooks letzte Worte, als er meinte Hyunjin würde mich bereits stark beeinflussen... war das in der Zwischenzeit vielleicht sogar noch schlimmer geworden? Konnte ich überhaupt noch etwas tun?
Doch meine nächsten Gedanken verloren sich, da der junge Mann uns gegenüber nun von Jisung eine Frage gestellt bekam, die ich bis jetzt kaum beachtet hatte.
„Warum suchst du eigentlich erst jetzt danach? Immerhin bist du schon viel länger an diesen Taehyung gebunden."
Der Angesprochene lächelte etwas gequält und zuckte dann die Schultern. „Ich dachte, das liegt auf der Hand... Ich wollte diese Verbindung, ich bin sie bewusst eingegangen und am Ende habe ich mir selbst eingestanden, dass ich sie nicht auflösen kann und es auch nicht möchte. Mit anderen Worten habe ich mich mit meinem Dämon arrangiert." Nun ließ er den Blick über uns schweifen. „Und da ich nur für mich selbst sprechen kann, wollte ich zumindest für euch eine Lösung finden. Immerhin seid ihr eure Bindungen ohne eure aktive Zustimmung und Bewusstwerdung der Bedingungen und Folgen eingegangen."
Kurz blieb es still im Raum und dann fragte Seungmin so direkt wie immer. „Das heißt, wir haben auch immer noch die Möglichkeit die Bindung einfach zu akzeptieren und den Rest unseres Lebens so zu verbringen?"
Jungkook nickte zögernd. „Aber das heißt nicht, dass ich das jedem von euch raten würde... schon gar nicht bei Dämonen, die man nicht kennt oder einschätzen kann." Er sah speziell Seungmin an. „Und mit Verlaub, aber einen Höllenprinzen kann man nicht einfach so als gleichgestellten Partner betrachten. Er ist immer noch ein unberechenbares Wesen, das seine ganz eigene Auffassung von Recht und Strafe besitzt. Die Gefahr ist zu groß, dass er dir schadet."
Seungmin, der dicht neben mir saß, nickte jedoch nur und ich gewann den Eindruck, dass ihn die Worte eher wenig tangierten, wenn sie ihn überhaupt abschreckten. Ich wusste zwar noch nicht genau, was gestern zwischen ihm und diesem Prinzen passiert war, doch er schien von uns allen gerade die wenigsten Probleme zu haben.
„Wie funktioniert das zwischen Taehyung und dir? Habt ihr sowas wie Gefühle füreinander?" Jisungs Stimme klang unsicher, fragend und ich kannte meinen Hyung gut genug, um zu wissen, dass es hier auch um die Verbindung zu Minho ging.
„Zunächst einmal kann man sagen, dass es eine sehr leidenschaftliche Beziehung ist und wir wollen uns auch nicht voneinander trennen. Wir respektieren einander und vertrauen dem jeweils anderen. Der Weg dahin war nicht leicht..." Jungkook sah kurz zu Boden. „Und was die Gefühle betrifft, so kann ich nur sagen, dass das etwas anders geregelt ist bei den übernatürlichen Wesen. Soweit ich das verstanden habe, funktionieren Emotionen bei ihnen anders. Sie nehmen sie zwar wahr, können sie aber auch vollkommen ausblenden. Dennoch gibt es Ähnlichkeiten."
Der Ältere unterbrach seinen Redefluss kurz, um sich erneut auf die ursprüngliche Frage zu fokussieren. „Meinen Recherchen zufolge ist dieses Ritual ein spezieller Fall. Es spricht von der Leidenschaft. Dabei wird nicht einmal definiert welche Art der Leidenschaft... das könnten sowohl gemeinsame Interessen und Neigungen sein, aber eben auch die körperliche Anziehungskraft. Vielleicht vereint es auch alles miteinander. Vielleicht ist die Zuteilung der Dämonen nicht willkürlich sondern tatsächlich sehr abgestimmt auf unsere Bedürfnisse. Was wiederum eine lange – in diesem Fall ewige – Bindung begünstigen würde."
Jungkook veränderte seine Position leicht und neigte den Kopf. „Ich habe selbst über die Jahre hinweg festgestellt, dass der Prozess des Kennenlernens und der Intimität viel schneller stattgefunden hat als bei rein menschlichen Beziehungen. Zunächst dachte ich, das liegt an der Natur der höllischen Wesen, aber langsam gelange ich zu der Annahme, dass es ein weiteres Manöver ist, um die Bindung schnell voranzutreiben. Dabei bleiben jedoch wichtige Faktoren wie Verständnis und Vertrauen auf der Strecke... Das muss man sich auch erst hart erarbeiten und immer wieder unter Beweis stellen."
Sofort glaubte ich ihn zu verstehen. Schließlich hatten wir da alle ähnliches durchgemacht.
„Das würde heißen, dass je mehr Vertrauen wir uns erarbeiten und je besser wir uns mit unseren Dämonen verstehen, sprich ihnen auch zeigen oder sagen, dass wir ihnen eine Chance geben eine Verbindung herzustellen, auch die Wirkung des Rituals zunimmt. Ich habe Taehyung danach gefragt und er meinte, es gab einen ganz bestimmten Moment, an dem er instinktiv gespürt hat, dass sich unser Verhältnis vertieft hatte. Er beschrieb es als eine Art von stärkerer Leidenschaft zu mir." Jungkook strich sich die Haare zurück. "Aber wie gesagt, es ist nicht leicht, dieses Level zu erreichen und nicht alles funktioniert sofort. Aber ja, ich bin davon überzeugt, dass Tae auch für mich etwas empfindet, jedoch ist die Situation auch anders als bei euch..."
Verwirrt lehnte ich mich nach vorn, doch bevor ich fragen konnte, tat es Jisung.
„Wie meinst du das? Was ist anders?"
Nun sah unser Dämonenexperte etwas zerknirscht aus und seufzte schließlich. „Ein kleines Detail, was euch sicher schon aufgefallen ist... Ich habe die Notizen vor etwas mehr als 43 Jahren angefertigt... demnach müsste ich mittlerweile 64 Jahre alt sein und langsam grau und gebrechlich werden..." Er hob die Arme leicht an, so als wolle er sich uns präsentieren „Aber stattdessen bin ich immer noch so jung wie damals und sehe nicht älter aus, als 21 Jahre." Ein schmales, bitteres Lächeln huschte über seine Lippen.
„Was an mir anders ist? Ich wurde verflucht."
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So, kurze Info für euch. Die nächsten Wochen werden für mich arbeitsintensiv und bald starten auch meine Prüfungen. Heißt es könnte zu kleinen Verzögerungen kommen. Aber ich bemühe mich. 💕
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