5. „Du bist süß, wenn du schmollst."

J A M I E

Als ich aufwachte, blinzelte ich ein paar Mal und rieb mir die Augen, damit ich besser sehen konnte. Ich lag natürlich immer noch auf Justins Bett. Da spürte ich etwas um meinen Bauch; Justin hat den Arm um meinen Bauch gelegt und seinen Körper an meinen Rücken gepresst. Ein wohlig warmes Gefühl breitete sich in mir aus.

Langsam drehte ich meinen Kopf in seine Richtung. Auf einmal verfestigte er seinen Griff um mich und vergrub sein Gesicht in meinem Nacken. Ich atmete einmal tief durch, löste vorsichtig seine Arme von mir und legte sie neben ihn. Dann stand ich vorsichtig auf, ich wollte ihn nicht wecken. Ich schaue mich verzweifelt um und tapste leise zur Zimmertür, welche ich ebenso leise öffnete und wieder schloss, als ich draußen war. Jason kam gerade aus dem Zimmer neben dem Bad. Er sah mich verschlafen an und ging wortlos an mir vorbei, stieg die Treppe hinunter.

„Dir auch einen guten Morgen", murmelte ich unverständlich und ironisch zu mir selbst.

Seufzend ging ich ins Bad und verschloss die Tür hinter mir. Wie viel Uhr war es überhaupt? Ich hätte mein Handy mitnehmen sollen. Es war schon einigermaßen hell draußen, daher schätzte ich mal, dass es Morgen war. Meine Mutter würde mich bestimmt schon suchen. Sie würde mich umbringen, wenn sie erfahren würde wo ich war. Ich konnte ihr auch nicht die Wahrheit sagen. Und Amber, sie war bestimmt total sauer auf mich. Ihr konnte ich aber auch nichts erzählen. Das war alles nur Justins Schuld.

Seufzend stellte ich mich vor das Waschbecken. Meine Schminke war total verwischt. Super.

Ich nahm mir ein bisschen Klopapier und machte es nass. Damit befreite ich mich von der Schminke, die unter meinem Auge war. Als ich fertig war, sah ich schon einigermaßen besser aus. Kurz spülte ich noch meinen Mund mit Wasser aus, dann betrachtete ich mich ein wenig im Spiegel. Meine langen, dunkelbraunen Haare waren total zerzaust. Justins T-Shirt waren weiß und mir wirklich zu groß, wie die graue Jogginghose.

Zufrieden verließ ich das Badezimmer wieder. Gerade öffnete sich Justins Zimmertür und er trat heraus.

„Morgen", murmelte er mit seiner rauen verschlafenen Stimme. Sie verpasste mir eine leichte Gänsehaut.

„Morgen", erwiderte ich. Er ging an mir vorbei und lief ins Badezimmer. Die Tür schloss er.

Was sollte ich jetzt tun? Einfach in Justins Zimmer gehen und warten, bis ich nach Hause konnte? Oder nach unten gehen und Ryan suchen? Ich entschloss mich für das Zweite, also lief ich die Treppe hinunter.

Unten angekommen hörte ich schon Gemurmel aus dem Wohnzimmer kommen. Auch aus dem gegenüber liegendem Zimmer waren Stimmen zu hören.

Langsam lief ich auf die Tür zu und spähte herein. Es war die Küche. In der stand ein Tisch für vier Personen mit vier Stühlen und eine Arbeitsplatte mit Herd, Mikrowelle und Spülmaschine. Sonst waren da nur Hängeschränke über der Arbeitsplatte und paar Schubladen. Ryan stand mit dem Rücken an der Arbeitsplatte angelehnt. Sean und Dan saßen am Tisch und aßen Cornflakes.

„Hey", begrüßte ich alle, als ich das Zimmer betrat.

Eine schnelle Begrüßung kam im Chor zurück und ich stellte mich neben Ryan, an der Arbeitsplatte.

„Gut geschlafen?", fragte er mich lieb.

„Es geht."

„Wieso?", wollte Ryan wissen und legte seinen Kopf ein wenig schief.

„Ist egal", wimmelte ich Kopf schüttelnd ab. Ich wollte nicht, dass er erfuhr, dass ich mit Justin in einem Bett geschlafen hatte.

„Ryan, ich muss nach Hause", jammerte ich so leise, dass nur er es verstehen konnte. Dachte ich.

„Sind wir so schlimm, dass du so schnell weg von uns willst?", witzelte Sean grinsend. Ich schüttelte lächelnd den Kopf und lachte.

„Nein das ist es nicht", sagte ich. „Aber meine Mom bringt mich um, wenn sie merkt, dass ich nicht Zuhause bin."

„Wieso?", fragte Dan verwirrt und mit vollem Mund.

„Weil ich nicht auf die Party durfte", verriet ich leise.

„Also hast du dich raus geschlichen?", schlussfolgerte Ryan grinsend. Ich nickte schmunzelnd.

„Du bist gar nicht so lieb, wie du aussiehst", bemerkte Sean. Ich lachte kurz, die Jungs stimmten mit ein. Dann wurden wir wieder ruhig.

„Kannst du mich nach Hause fahren?", bat ich Ryan schmollend und drehte mich zu ihn um. Er schüttelte lachend den Kopf.

„Nein, Justin fährt dich", verriet er mir. Und wenn man vom Teufel spricht - Justin kam gerade herein und blieb im Türrahmen stehen. Er hatte sich neue Sachen angezogen und seine Haare gestylt.

„Jamie", sprach er mich an.

„Was?", sagte ich desinteressiert. Mich interessierte es schon, was er von mir wollte, das musste er aber nicht wissen.

Er nickte mit dem Kopf in Richtung Flur, woraufhin ich ein Seufzen ausstieß und auf ihn zuging. Ehe ich ihn erreicht hatte, drehte er sich bereits um und verließ den Raum, gefolgt von mir. Etwas abseits von der Küche, kamen wir schließlich voreinander zum stehen. In einer langsamen Bewegung wandte er sich mir zu und ich verschränkte die Arme vor der Brust.

„Was ist?", wollte ich ungeduldig wissen. Er sah mich streng an.

„Ich bring dich später nach Hause-", fing er an, doch ich unterbrach ihn.

„Später?", rief ich entsetzt und sah ihn ungläubig an.

„Ja, später und unterbrich mich verdammt nicht", zischte er. Ich verdrehte die Augen und sah ihn abwartend an, damit er weiter sprechen konnte.

„Verdreh deine Augen nicht wie eine kleine Schlampe", spuckte er gehässig. Ich dachte ich höre nicht richtig. Schlampe? Was war denn sein verficktes Problem? Geschockt über seine Aussage, riss ich meine Augen auf.

„Du sprichst mit niemandem darüber, was du gesehen hast, oder du wirst den nächsten Tag nicht mehr erleben, klar?", fauchte er bestimmend.

„Klar", murmelte ich unbeeindruckt. Er machte mir schon ziemlich Angst, aber das wollte ich ihm nicht zeigen.

„Gut!", sprach er langsam und deutlich. Dann ging er an mir vorbei. Dabei rempelte er mich an der Schulter leicht an.

Seufzend drehte ich mich um. Ryan kam gerade aus der Küche.

„Ryan!", rief ich und ging auf ihn zu. Er drehte sich zu mir und fragte: „Ja?"

„Findest du nicht, dass du dich bei Justin endschuldigen solltest?", fragte ich vorsichtig. Justin war zwar gerade scheisse zu mir, aber ich wollte ihn das einfach sagen. Nicht für ihn, sondern weil ich zu neugierig war und mehr darüber wissen wollte.

„Ja, ich denke das sollte ich", gab er seufzend zu. „Es war falsch von mir dieses Thema anzusprechen."

„Was ist genau passiert?", wollte ich neugierig wissen. Ryan schüttelte den Kopf.

„Das ist nicht meine Sache", murmelte er und lief ins Wohnzimmer, gefolgt von mir.

Im Wohnzimmer saßen alle, bis auf Sean und Dan, doch die kamen auch gerade hinein. Ich stand neben der Tür. Tryson, Jason und Justin saßen auf der Couch, die geradeaus stand. Ryan hatte sich auf den Sessel gesetzt. Sean und Dan setzten sich auf die andere Couch.

„Wann sehen wir Alyssa endlich mal wieder?", fragte Justin grinsend an Tryson gewandt.

„Nächstes Wochenende", lächelte Tryson. Ich fühlte mich, als würde ich sie wieder belauschen, also verließ ich das Wohnzimmer.

Wo sollte ich hingehen? In Justins Zimmer? Vielleicht in die Küche, oder nach draußen? Ich wollte endlich nach Hause gehen. Warum konnte mich Justin nicht einfach jetzt fahren? Dann wäre er mich los und musste mich nie wieder sehen.

„Ich fahr dich jetzt nach Hause", riss mich Justin aus meinen Gedanken und blickte hoch zu ihm. Er lief die Treppe hoch, wahrscheinlich um irgendetwas zu holen. Ich blieb einfach nur stehen.

Nach ein paar Minuten kam er mit einer Lederjacke und Autoschlüsseln die Treppe hinunter. Als er bei mir stand, sah ich, dass er meine High Heels in der Hand hatte. Ach ja, ich trug keine Schuhe.

Achtlos ließ er sie auf den Boden fallen. Ich zog sie schnell an, was nur ein paar Sekunden dauerte. Wortlos ging er an mir vorbei und öffnete die Tür. Ohne auf mich zu achten, ließ er die Tür fast wieder zu fallen. Kurz bevor sie zu war, hielt ich sie noch auf.

„Verdammter Idiot", flüsterte ich, so dass er es nicht hören konnte. Wütend stapfte ich ihm hinterher. Er lief auf den weißen Lamborghini zu. War das wirklich sein Wagen? Der musste ein Vermögen gekostet haben. Womit verdiente dieser Junge bloß sein Geld? Wollte ich das wirklich wissen?

Er schaute mich über seine Schulter an, während er auf den Knopf seines Autoschlüssels drückte, um das Auto aufzuschließen. Die Scheinwerfer blinkten auf und die Türen entriegelnden sich.

An der Fahrerseite stieg er ein und ich lief mit schnellen Schritten zur Beifahrerseite. Ich hatte schon fast Angst, dass er ohne mich los fahren würde. Die Tür öffnete ich, stieg ein und liess mich auf den schwarzen Ledersitz fallen. Ungewollt laut, ließ ich sie zu fallen.

„Knall die Tür nie wieder so zu!", zischte er aggressiv. Ich hatte Angst, dass er mich umbringen würde. Sein Blick war so kalt. Ich hatte es zwar nicht extra gemacht, aber ich wollte keine Einschüchterung zeigen; er sollte im Glauben sein, dass ich keinerlei Angst vor ihm hatte. Das stimmte aber nicht, er verängstigte mich total. Ich verdrehte die Augen.

„Hab ich dir nicht gesagt, dass du deine Augen nicht so scheiße verdrehen sollst?", spuckte er wütend. Ich blieb nur stumm und er schnaubte wütend, wandte seinen Blick ab. Er drehte den Schlüssel in der Zündung um und fuhr los.

Im Wagen herrschte eine unangenehme Stille, in der ich stur aus dem Fenster sah. Wieso behandelte er mich so? Was hatte ich ihm getan? Nur weil es ihm nicht passte, dass mich Noel bedroht hat, dufte er mich nicht so behandeln.

„Du hast kein Recht mich so zu behandeln", sprach ich meine Gedanken monoton aus und würdigte ihn keines Blickes.

„Als ob du mir sagen könntest, was meine Rechte sind", spottete er und lachte leise.

„Ich habe keine Ahnung wer Noel oder James ist, aber was gestern passiert ist, ist nicht meine Schuld, also behandle mich auch nicht so", befahl ich immer noch monoton.

„Wie kommst du darauf, dass es deine Schuld sein sollte?"

„Weil du mich so behandelst", sagte ich mit einer Stimme, die keinerlei Emotion zeigte.

„Nein. Ich versuche dir einfach nur klar zu machen, dass man mit mir nicht spielen kann und du dein Maul halten sollst. Wenn ich höre, dass du bei der Polizei-", drohte er, doch ich unterbrach ihn.

„Schon klar", murmelte ich.

„Hab ich nicht gesagt, dass du mich verdammt nochmal nicht unterbrechen sollst?", zischte er und bebte vor Wut.

„Kann sein", seufzte ich stur und grinste vor mich hin. Justin schnaubte wütend. Ich sah zu ihm rüber. Sein Unterkiefer war angespannt und er umklammerte das Lenkrad so fest, dass sich seine Knöchel schon leicht gelb färbten. Ich machte ihn wohl echt wütend. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen; es war wirklich amüsant ihn zu reizen.

„Ich werde nicht zur Polizei gehen. Du brauchst mir nichts mehr klar zu machen", teilte ich ihm mit.

„Warum sollte ich dir vertrauen?", wollte Justin spottend wissen. Ich verdrehte die Augen, was er aber nicht sah, da sein Blick an der Straße klebte.

„Du musst mir nicht vertrauen, aber ich habe keinen Grund zur Polizei zu gehen", antwortete ich gleichgültig.

„Wir haben-", fing er an, doch ich unterbrach ihn wieder einmal. Vielleicht tat ich das wirklich zu oft.

„Ihr habt mich gerettet", redete ich ihm rein.

„Unterbrich mich nicht immer!", rief er gereizt. Ich erwiderte nichts und verdrehte die Augen. Das sollte ich mir vielleicht verkneifen, wenn er bei mir war.

„Weißt du überhaupt wo ich wohne?", unterbrach ich die Stille.

„So ungefähr", gab Justin schmunzelnd zu.

„Lakerstreet 213, weißt du wo das ist?", murmelte ich.

„Ja", murmelte er desinteressiert, dann wurde es Still.

„Was hat Jason gegen mich?", fragte ich, um die Stille, die sich um uns gebildet hatte, zu durchbrechen.

„Wie kommst du darauf, dass er was gegen dich haben sollte?", fragte er ohne auch nur einen Hauch von Aggressivität in seiner Stimme. Vielleicht hatte er sich das, was ich zu ihm gesagt hatte, zu Herzen genommen.

„Er redet nicht mit mir", murmelte ich bedrückt. Er sah kurz zu mir rüber und grinste.

„Warum interessiert dich das so sehr?", fragte er grinsend und hob seine Augenbrauen, dann blickte er wieder auf die Straße. Er dachte, ich interessiere mich für Jason, deswegen grinste er.

„Weil mir Tryson als Feind schon reicht", spottete ich. Justin lachte leise.

„Feind?"

„Er wollte mich umbringen", erinnerte ich ihn und sein Lachen verstummte. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch wieder, wahrscheinlich weil er nicht wusste, was er sagen sollte. Er leckte sich kurz über die Lippen.

„Er wollte dich nur einschüchtern. Er ist ein totaler Kontrollfreak und hasst es, wenn man nicht das tut, was er sagt", erklärte er warm.

„Das mit dem Einschüchtern hat er geschafft", gab ich zu.

„Hat man gesehen", lachte er.

„Du bist es ja anscheinend gewohnt, dass eine Waffe auf dich gerichtet ist. Ich nicht", murmelte ich lächelnd. Justin lachte noch mehr.

„Was wollte dieser Noel eigentlich von mir?", fragte ich vorsichtig. Er wurde wieder still und sein Gesichtsausdruck wurde ernst. Das hätte ich vielleicht nicht fragen sollen, aber ich hatte ein Recht darauf es zu wissen.

„Justin?", fragte ich genervt, als er nicht antwortete.

„Was?", zischte er. Wohow, ruhig Brauner. Was hatte er? Wenn er ich wäre, würde er es auch wissen wollen.

„Ich habe dir was gefragt", antwortete ich genervt und ungeduldig.

„Das geht dich einen Dreck an", spuckte er. Verblüfft sah ich ihn an. Mann, konnte dieser Junge einen aufregen.

„Es geht mich eigentlich sehr viel an", murmelte ich bestimmend. Er schnaubte.

„Sicher", spottete er.

„Er hätte mich fast abgeknallt", rief ich leise und fassungslos. Er sah mich für den Bruchteil einer Sekunde an, ehe er wieder auf die Straße sah. Kurz leckte er sich über die Lippen.

„Was auch immer", murmelte er desinteressiert. Ich fälschte ein Keuchen.

„Für dich ist das vielleicht alles normal, aber für mich ist das neu, okay?", fuhr ich ihn an.

„Was willst du jetzt von mir hören?", rief er schon fast. Ich sah ihn fassungslos an. „Soll ich dich jetzt trösten?" Er sah wieder zu mir. Diesmal etwas länger. Dann sah er wieder auf die Straße.

„Das Leben läuft eben nicht immer so, wie man es will. Komm drüber weg", murmelte er etwas leiser. Ich sah ihn mit gespitzten Lippen an.

Das Leben läuft eben nicht immer so, wie man es will; wahrer Spruch, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass mehr dahinter steckte.

Ich sah ihn von der Seite an. Sein Gesichtsausdruck war emotionslos, leer. Ich sah ihn eine Weile an, in der Hoffnung einen Hauch von Emotion in seinem Gesicht erkennen zu können. Genervt verdrehte er die Augen.

„Habe ich was im Gesicht?", fragte er genervt und sah mich kurz an. Da war es, was ich gesucht hatte. Ich konnte etwas in seinen Augen erkennen; Verletzlichkeit, Schmerz. Langsam und abwesend schüttelte ich den Kopf.

„Dann starr mich nicht so an", befahl er gereizt. Ich seufzte hörbar, wandte meinen Blick jedoch ab. Was hatte er nur für ein Problem mit mir?

„Wenn du irgendein Problem mit mir hast, kannst du es mir ruhig ins Gesicht sagen. Halte dich nicht zurück", murmelte ich fordernd.

„Du bist penetrant, zu neugierig und treibst einen in den Wahnsinn. Außerdem machst du nur Probleme", zählte er emotionslos auf.

„War's das?", fragte ich gekränkt, leckte mir über die Lippen und sah ihn von der Seite mit leicht zusammen gekniffenen Augen an.

„Du bist unglaublich nervig", meinte er monoton. Ich schluckte einmal. Es verletzte mich, was er sagte. Wie konnte er nur so kalt sein? Ich hatte ihm doch nichts getan. Wie konnte man nur so ein Arschloch sein?

Geknickt sah ich ihn an. Stumm wandte ich meinen Blick ab und sah aus dem Fenster. Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Ich hatte ihn ja aufgefordert, zu sagen, was ihn an mir störte, also würde ich ihn jetzt auf keinen Fall anmeckern. Also, was sollte ich sagen? Sollte ich ihn loben? Sicher nicht.

Ich spürte seinen Blick auf mir, sah ihn jedoch nicht an. Dann folgte ein leises Lachen. Das war doch nicht sein ernst. Wie konnte er mich denn jetzt nur auslachen?

Provozierend und langsam drehte ich meinen Kopf zu ihm. Sein Blick war wieder auf die Straße gerichtet und ein kleines Grinsen lag auf seinen Lippen.

„Was?", zischte ich gereizt. Er lachte wieder. Und ich sollte jemanden in den Wahnsinn treiben. Das ich nicht lache.

„Du bist süß, wenn du schmollst", neckte er mich. Ich zog meine Augenbrauen zusammen und sah ihn finster an.

„Ich schmolle nicht", zickte ich.

„Und wie du schmollst", lachte er. Jetzt musste er mich auch noch nerven? Was ging denn mit ihm falsch? Beleidigt verschränkte ich meine Arme vor der Brust und sah aus dem Fenster. Justin lachte schon wieder.

Warte! Sagte er, ich sähe süß aus, wenn ich schmolle? Süß? Er machte mir Komplimente, während er mich ärgerte? Wie krank war das denn? Konnte er sich mal endscheiden? Entweder er war nett zu mir, oder er benahm sich wie ein Arsch, aber beides war einfach nur verwirrend. Dieser Junge war verwirrend.

„Was ist jetzt wieder?", seufzte ich ein wenig genervt. Er schüttelte nur etwas lachend den Kopf. Ich seufzte wieder, entschränkte meine Arme und ließ meinen Blick aus dem Fenster gleiten. Ich hatte keine Ahnung wo wir waren. In dieser Gegend war ich noch nie.

„Wie lange fahren wir schon?", fragte ich ihn langsam, ohne meinen Blick von der Straße zu nehmen.

„Zirka eine Viertelstunde", verriet er mir nachdenklich.

Eine Viertelstunde fuhren wir schon und ich kannte diese Gegend nicht, also musste Justin ziemlich weit weg von mir wohnen. Da kam mir seine Wohnung wieder in den Sinn. Sie war fast schon eine Villa. Soweit ich weiß, hatte sie neun Zimmer und zwei Badezimmer. Und dann noch überteure Autos. Womit verdienten die Jungs das ganze Geld?

„Ich habe gehört, du durftest nicht auf die Party?", riss mich Justins fragende Stimme aus den Gedanken. Verblüfft sah ich ihn an. Hatte er gerade wirklich ein Gespräch angefangen?

„Ja, ich musste mich raus schleichen."

„Das hätte ich nicht von dir erwartet. Dann wird deine Mom gar nicht begeistert davon sein, dass du jetzt erst wieder kommst", vermutete er amüsiert.

„Was du nicht sagst", murmelte ich ironisch. Justin lachte lauter. Ich konnte nur hoffen, dass sie noch schlief. Sonntags musste sie leider nicht arbeiten, nur von Montag bis Samstag.

Mein Blick glitt auf dem Armaturenbrett, welcher 10:30 Uhr zeigte. Scheiße.Meine Mom wäre auf jeden Fall schon wach. Wenn ich Pech hatte, könnte sie schon die Polizei gerufen haben, dann wäre ich total am Arsch. Vielleicht ließ sie mich ja auch einfach schlafen. Sie würde bestimmt nicht in mein Zimmer kommen, oder doch? Schon öfter kam sie morgens in mein Zimmer, wahrscheinlich um festzustellen, ob ich noch schlief. Ich konnte wirklich nur hoffen, das sie nicht merken würde, dass etwas nicht stimmt, wenn meine Zimmertür entgegen der Gewohnheit abgeschlossen war.

Ich seufzte hörbar, was Justins Aufmerksamkeit auf mich zog. Kurz sah er mich warm an, dann glitt sein Blick wieder auf die Straße.

„Dir fällt schon was ein", ermutigte er mich.

„Hoffentlich", hoffte ich und seufzte erneut.

„Muss es ja", murmelte er ernst. Ich sah ihn an. „Egal was du deiner Mutter erzählst, du darfst nichts von der Schießerei erzählen."

„Schon klar", stimmte ich ihm lässig zu.

„Ich meine das ernst", erwiderte er mit immer noch ernster Stimme.

„Ich auch", konterte ich schnell. Justin erwiderte nichts mehr.

Nach fünf Minuten, in der wir nicht mehr gesprochen hatten, waren wir bei mir Zuhause. Justin parkte ein und sah mich abwartend an. Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen. Was wollte er?

„Danke fürs fahren?", bedankte ich mich mit fragender Stimme. Justin nickte lächelnd. Ich lächelte zurück und wollte die Tür aufmachen, als mir etwas einfiel.

„Kannst du mir Ryans Handynummer geben?", fragte ich bittend und sah ihn wieder an, nachdem ich mich zu ihm gedreht hatte. Er seufzte.

„Klar", murmelte er. Mein Lächeln wurde breiter. Ich musste seine Handynummer haben, denn ich wollte unbedingt Kontakt mit ihm halten. Ich kannte ihn zwar nicht besonders gut, aber ich mochte ihn einfach auf Anhieb. „Hast du irgendetwas zum aufschreiben?"

Hatte ich was zum aufschreiben? Ich hatte mein Handy nicht dabei und was anderes auch nicht.

Langsam schüttelte ich den Kopf. Justin seufzte gereizt und beugte sich genervt zu mir rüber, um das Handschuhfach zu öffnen. Daraus nahm er sich einen Kugelschreiber und schloss das Handschuhfach wieder. Er beugte sich zurück und drehte sich in meine Richtung.

„Gib mir deinen Arm", befahl er mir genervt. Ich tat, was mir gesagt wurde.

Mit einer Hand hielt er meinen Arm fest und mit der anderen fing er an die Nummer aufzuschreiben. Der Kugelschreiber traf so sanft auf meine Haut, dass es mir eine angenehme Gänsehaut verpasste. Ich wusste nicht ob er mit Absicht so sanft war, aber es gefiel mir. Natürlich sah er meine Gänsehaut und ein leichtes Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Schön zu sehen, dass ich ihn belustigte.

Als er fertig war, sah er mir wieder in die Augen. Ich zog meinen Arm zurück.

„Uhm, danke."

„Jaja", murmelte Justin genervt. Was hatte er denn? Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen, er sah nur stur zur anderen Seite. Dickkopf.

Kopfschüttelnd öffnete ich die Tür und stieg aus. Diesmal machte ich sie nicht so laut zu, ich wollte nicht schon wieder Stress mit ihm. Wenn man sich normal mit ihm unterhielt, konnte er wirklich nett sein.

Langsam schlenderte ich zu meiner Haustür. Da bemerkte ich, dass ich noch Justins Sachen anhatte. Ich hatte mich noch nicht umgezogen. Seine Sachen waren wirklich bequem und rochen nach ihm, obwohl sie - wie es schien - frisch gewaschen waren. Das hieß auch, dass ich mein Kleid bei ihm vergessen hatte. Scheiße, es war ziemlich teuer gewesen.

Hinter mir hörte ich noch Justins Auto wegfahren. Als ich vor der Tür stand, fiel mir ein, dass ich mich ja raus geschlichen hatte und nicht durch die Tür gehen konnte, also ging ich leise um das Haus herum und sah, dass meine Leiter unbewegt war.

Still tapste ich zur Leiter, auf die ich dann leise und vorsichtig hinauf kletterte. Mein Fenster stand zum Glück auch noch offen. Wer hätte es denn auch schließen sollen? Mein Zimmer war abgeschlossen, also konnte niemand hinein.

Vorsichtig schwang ich ein Bein in mein Zimmer, dann folgte das zweite. Leise schloss ich das Fenster und lief zur Tür. Kaum hörbar schloss ich sie auf und räusperte mich kurz, ehe ich die Tür öffnete. Selbstbewusst trat ich heraus und lief gespielt müde die Treppe hinunter. Unten angekommen sah ich mich um und lauschte. Meine Mutter sah ich nicht, ich hörte auch keine Stimmen. Auch der Fernseher schien nicht zu laufen. Ich runzelte die Stirn.

Suchend sah ich in jedem Zimmer nach. Nirgends war sie. Als ich in ihrem Schlafzimmer war, fiel mir ein Briefumschlag ins Auge, der aus ihrer Unterwäsche Schublade herausguckte. Das war ein typisches Versteck für Sachen, die niemand finden soll. Wie originell. Und was tat man, wenn man solche Sachen in so einem Versteck fand, in dem niemand etwas finden sollte? Man sah es sich an.

Ich ging zu ihrer Schublade und zog den Brief heraus. Er war schon geöffnet, aber der Brief lag noch - oder wieder - im Umschlag.

So viel Anstand ich auch hatte, überrannte mich meine Neugier, demzufolge holte ich den Brief heraus und öffnete ihn. Es war eine Mahnung. Eine Mahnung für nicht bezahlte Stromrechnungen. Was sollte das denn heißen? So weit ich wusste, hatten wir mehr als genug Geld, immerhin besaß meine Mom eine eigene Firma.

Verwirrt steckte ich den Brief zurück in den Umschlag und öffnete die Schublade weiter, um den Brief besser hinein legen zu können. Doch da lagen nur noch mehr von diesen Briefen. Ich musste es mir echt nicht antun, diese auch anzusehen, also legte ich den Brief nur zurück und schloss die Schublade schnell wieder.

Wie konnte das denn passieren? Wir hatten doch immer genug Geld. Wie konnte sich das so schnell ändern? Und warum sagte mir meine Mutter das nicht? Ich verstand die Welt nicht mehr. Wo war meine Mutter überhaupt?

Ich beschloss sie an zu rufen, daher machte ich mich auf den Weg mein Zimmer und suchte mein Handy, welches ich auf meinem Nachttisch fand. Ich hatte es nicht mit auf die Party genommen, weil in meinem Kleid keine Taschen waren und ich keine Tasche mitschleppen wollte.

Dann lief ich ins Wohnzimmer, nachdem ich die Treppe hinunter gestiegen war, und suchte in meinen Kontakten nach meiner Mutter. Ich rief an, nachdem ich sie gefunden hatte. Heran ging nur die Mailbox. Super, ihr Handy war ausgeschaltet.

Ich musste mit jemandem darüber reden. Mit Liam oder Amber. Amber. Sie hatte ich ja total vergessen! Ich musste mich bei ihr endschuldigen, ich brauchte eine Ausrede. Naja, die besten Ausreden fielen mir im Eifer des Gefechts ein, also würde ich mir dann gleich was ausdenken.

Ich wählte ihren Namen aus und rief sie an. Bei ihr tutete es nur, doch sie ging nicht heran. Vielleicht schlief sie noch, aus diesem Grund rief ich Liam an. Nach dreimal tuten ging er heran.

Hallo?", fragte er in den Hörer.

„Hey Liam", begrüßte ich ihn und lief zur Couch, auf die ich mich nieder ließ.

Jamie, wie geht's dir?", sagte er fröhlich.

„Gut. Ich habe nur gerade etwas gefunden", murmelte ich nachdenklich.

Was denn?", wollte Liam neugierig wissen.

„Mahnungen", erwiderte ich monoton.

Mahnungen? Ich dachte, ihr hättet mehr als genug Geld", konterte er fragend.

„Dachte ich auch", sagte ich langsam.

Was sagt deine Mutter dazu?", murmelte er nachdenklich.

„Sie ist nicht da. Ich kann sie auch nicht erreichen. Normalerweise müsste sie hier sein", verriet ich ihm. Da klingelte das Haustelefon.

„Liam, ich ruf dich sofort zurück. Es ruft jemand an", teilte ich ihm mit und legte auf, ehe er etwas erwidern konnte. Seufzend ging ich ans Telefon, welches neben der Couch auf einem kleinen Tisch stand.

„Hallo?", sprach ich in den Hörer.

Guten Tag. Spreche ich mit Jamie Jones?", fragte eine männliche erwachsene Stimme ernst.

„Ja?" Die Antwort klang eher wie eine Frage, weswegen sich meine Augenbrauen in der Mitte trafen.

Hier ist Officer White vom Atlanta Police Department. Ihre Mutter, Amy Jones, ist bei uns in Untersuchungshaft. Ihr wird vorgeworfen 5.000 Dollar aus der Bank, in der sie arbeitet, gestohlen zu haben. Außerdem liegen noch mehrere, sehr ähnliche Fälle vor. Bis der Fall geklärt ist, behalten wir sie in Untersuchungshaft. Sie hat angegeben, dass Sie so lange bei einer gewissen Amber Shaye unterkommen werden. Wenn Sie genauere Informationen benötigen, melden Sie sich einfach hier beim Atlanta Police Department", ratterte er den Text runter, als hätte er ihn auswendig gelernt. Bei jedem Wort weiteten sich meine Augen immer mehr.

Meine Mutter sollte 5.000 Dollar aus der Bank, in der sie arbeitete, geklaut haben? Sie arbeitete nicht in einer Bank, sondern besaß eine eigene Firma. Was redete dieser Officer nur? Er musste die Namen vertauscht haben. Anders konnte ich es mir nicht erklären.

„Wie bitte?", fragte ich verdutzt. „Meine Mom arbeitet in keiner Bank. Sie besitzt eine Firma. Sie müssen etwas verwechselt haben."

Nein. Sie arbeitet in der Sant Monniken Bank", stellte er klar. Hatten wir deswegen solche Schulden? Hatte sie ihre Firma etwa verloren? Wie konnte sie mir sowas verschweigen?

„Oh, dann habe ich mich vertan. Gibt es sonst noch etwas, Officer?", stammelte ich gespielt ruhig, obwohl ich alles andere als ruhig war. In mir drin brodelte Wut. Ich war furchtbar wütend auf meine Mutter.

Nein, das war alles. Wir melden uns wieder", sagte er, bevor er auflegte.

Verdutzt legte ich das Telefon auf den Tisch. Augenblicklich griff ich nach meinem Handy und rief Liam wieder an.

Jamie?", meldete er sich.

„Meldet man sich normalerweise nicht mit seinem eigenem Namen?", witzelte ich, obwohl mir gar nicht danach war. Liam lachte kurz leise.

Jaja", lachte er.

„Liam, meine Mom ist in Untersuchungshaft", murmelte ich leicht verzweifelt.

Was? Wieso?", fragte er aufgeregt.

„Sie hat angeblich 5.000 aus einer Bank gestohlen", erklärte ich.

Glaubst du das?", wollte Liam ruhig wissen.

„Ich weiß nicht", gab ich zu. „Das komischste ist, dass der Officer meinte, dass sie das Geld aus der Bank, in der sie angeblich arbeitet, gestohlen hat. So viel ich weiß, gehört ihr eine Firma."

Aber das passt doch. Ihr habt Schulden, weil deine Mom die Firma verloren hat und arbeitet jetzt in einer Bank", vermutete Liam.

„Und deswegen hat sie 5.000 Dollar geklaut", fügte ich nachdenklich hinzu. „So ne Scheiße."

„Jamie, ich ruf dich später zurück. Ich bin auf dem Geburtstag meiner Oma, aber wir reden heute noch", sagte er und legte dann auf. Ich legte mein Handy auch auf den Tisch. Seufzend lehnte ich mich zurück und schloss die Augen.

Das Leben läuft eben nicht immer so wie man es will.

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