Familienbesuch - Kevin

Kevins PoV

Am Abend war ich schweren Herzens zurück ins Hotel gefahren, nur um am nächsten Morgen pünktlich zur Besuchszeit wieder das Krankenhaus zu betreten. Im Eingangsbereich traf ich auf Pierre, der sich mir anschloss. 

  "Wir haben uns geküsst und nein, wir haben nicht geredet, weil wir wieder gestört wurden. Aber Charles meinte, dass wir uns Zeit nehmen können, damit sich das mit uns ganz in Ruhe entwickeln kann", begann Pierre zu erzählen, ohne dass ich eine Frage gestellt hatte. 

  "Dann mach das", erwiderte ich lediglich. Es war Pierres Entscheidung, wie er das mit Esteban angehen wollte. Ich hatte mich bereits mehr als genug eingemischt. Irritiert sah der Franzose mich an. 

  "Keine Widerworte? Kein Vortrag, dass es eine blöde Idee ist?"

  "Wenn du es für den richtigen Weg hältst, dann mach es so. Es ist deine Entscheidung."

  "Das klingt aber nicht danach, als würdest du die Idee unterstützten." 

  "Ich muss die Idee auch nicht unterstützen. Es ist nicht meine zukünftige Beziehung." Meine Antwort schien Pierre nicht zufrieden zu stellen, doch würde ich ihm nicht vorschreiben, was er zu tun oder lassen hatte. Diese Entscheidung musste er für sich selbst treffen. "Wenn du es irgendwann auf die Reihe bekommen hast, kannst du ja Bescheid sagen." Pierre blieb vor Estebans Tür stehen. 

  "Das klingt noch weniger nach Zustimmung." 

  "Du wirst schon wissen, was du tust", verabschiedete ich mich, was Pierre lediglich mit einem Seufzen kommentierte. Ich bog um die Ecke und überbrückte die letzten Meter bis zu Nico Zimmer. Sachte klopfte ich an, ehe ich die Tür öffnete und den Raum betrat. Nur um direkt stehen zu bleiben und auf ein leeres Bett, welches nicht einmal mehr mit Bettwäsche ausgestattet war, zu blicken. 

Ratlos stand ich einfach dort und suchte nach einer Erklärung für Nicos Verschwinden. 

Ich trat zurück auf den Flur, um mich zunächst zu versichern, ob ich mich überhaupt im richtigen Zimmer befand. Von der Zimmernummer blickte ich zurück zum leeren Bett. 

  "Zimmer 234", ertönte eine bekannte Stimme, zu der ich mich umdrehte. Eine Krankenschwester, die ich bereits einige Mal in Nicos Zimmer gesehen hatte, war hinter mir entlang gelaufen. 

  "Was?", hakte ich verwirrt nach. 

  "Die Zimmernummer." Ich schaute zurück auf das Schild neben der Tür mit der Nummer 183. "Die neue Zimmernummer", erweiterte sie ihre Antwort, weswegen ich sie wieder ansah. 

  "Neue Zimmernummer?", wiederholte ich. 

  "Mr. Hülkenberg wurde auf eine andere Stadion verlegt. Seine Werte waren stabil. Es besteht keine Lebensgefahr und auf ein Großteil der Maschinen kann verzichtet werden. Also durfte er die Intensivstadion verlassen und liegt jetzt in Zimmer 234. Einfach ein Stockwerk hoch, dann nach links." 

  "Was ist mit der Lähmung?"

  "Es dauert bis die Schwellung weitgenug abgeklungen ist, um feststellen zu können, ob die Operation erfolgreich war." Ich nickte, auch wenn ich auf bessere Neuigkeiten gehofft hatte. Aber es war immerhin schon ein wichtiger Schritt, dass Nico die Intensivstadion verlassen durfte. Nachdem ich mich von der Frau verabschiedet hatte, machte ich mich auf den Weg zum neuen Zimmer. Unterwegs schickte ich Nicos Mutter eine Nachricht mit der neuen Zimmernummer. 

Nach einigen Minuten der Suche konnte ich endlich an der richtigen Tür klopfen. Ohne eine Antwort abzuwarten, betrat ich das Zimmer und blickte direkt in Nicos belustigtes Gesicht. Das Kopfteil des Bettes war hochgefahren, wodurch er aufrecht im Bett saß. In seinem Handrücken steckte noch der Zugang, der aber derzeit nicht genutzt wurde. Neben dem Bett standen noch einzelne Maschinen, doch war Nico an keiner davon angeschlossen. Er war komplett Kabelfrei. 

  "Wieso klopfst du überhaupt, wenn du die Antwort eh nicht abwartest?", erkundigte er sich mit hochgezogener Augenbraue.

  "Wenn du solang zum Antworten brauchst", erwiderte ich, wobei ich mich lächelnd dem Bett näherte. "Und wen hast du bestochen, um die Stadion wechseln zu dürfen?" Ich setzte mich auf die Bettkante, lehnte mich vor und stahl mir zunächst einen Kuss, bevor Nico antworten konnte. 

  "Das war gar nicht nötig. Wobei ich nicht behaupten kann, dass ich gestern nicht doch kurz überlegt hab, ob Bestechung helfen würde." Grinsend schüttelte ich den Kopf. 

  "Wie geht's dir?" 

  "Gut wäre übertrieben, aber zumindest besser als gestern. Solange ich mich nicht falsch bewege, habe ich dank der Medikamente keine Schmerzen. Aber ich fühle mich noch schlapp und einfach erschöpft. Das wird wohl auch noch etwas anhalten. Immerhin bin ich diese ganzen Kabel und die Nasenkanüle los. So ist es doch bequemer." 

  "Mir gefällt der Anblick auch besser", warf ich lächelnd ein. 

  "Die Schwellung am Rückenmark scheint auch langsam zurückzugehen. Ich kann meine Beine zwar noch nicht bewegen oder Berührungen spüren, aber sie kribbeln seit heute Morgen und das ist laut Aussage des Arztes ein sehr gutes Zeichen dafür, dass die Operation erfolgreich war", berichtete Nico, wobei sich seine Lippen zu einem Lächeln verzogen. Die Erleichterung war ihm anzusehen. Er, und auch ich, würden noch etwas Geduld haben müssen, aber es war ein Hoffnungsschimmer, dass alles wieder gut werden würde. 

  "Das sind tollte Neuigkeiten." Ich lehnte mich zu ihm vor. "Ich liebe dich", flüsterte ich, ehe ich unsere Lippen für einen sanften Kuss miteinander verband. 

Ein Klopfen an der Zimmertür ließ uns den Kuss lösen. Ehe Nico etwas sagen konnte, wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet. 

  "Noemi", ertönte Susannes mahnende Stimme, ehe die 3 Jährige auch schon durch den Spalt ins Zimmer schlüpfte. Ihr Blick lag sofort auf Nico, woraufhin sie in unsere Richtung stürmte. Währenddessen wurde die Tür nun komplett geöffnet. Nicos Eltern betraten nun ebenfalls den Raum. Susannes Gesicht war Tränenüberströmt, während jedoch ein breites Lächeln auf ihren Lippen lag. Klaus blickte Nico zuerst ungläubig an, ehe sich auch in seinen Augen Tränen der Erleichterung bildeten. Im Gegensatz zu Susanne sah er seinen totgeglaubten Sohn gerade zum ersten Mal wieder. 

Ich hob Noemi zu mir aufs Bett, wo sie sich sofort in die Arme ihres Papas warf. Nico verzog nur kurz das Gesicht, da das Gewicht aufgrund der Prellungen vermutlich schmerzte, schloss dabei aber bereits die Arme um seine Tochter. Breit lächelnd drückte er ihr einen Kuss auf den Kopf. 

  "Wie ist das möglich?", murmelte Klaus, während Susanne zu uns kam. Ich blickte zu Nico, da ich nicht wusste, wie viel er seinen Eltern erzählen wollte. Susanne umschloss Nicos Gesicht mit beiden Händen und musterte jeden Zentimeter als würde sie sich versichern müssen, dass sie wirklich ihren Sohn vor sich hatte. 

  "Nicolas", schluchzte sie schließlich, ließ sein Gesicht los und umarmte ihn stattdessen fest. Mit einem Arm hielt Nico weiter Noemi fest. Den zweiten Arm legte er nun um seine Mutter, die in seinen Armen begonnen hatte zu weinen. Lächelnd betrachtete ich das Bild, welches sich mir bot. Dabei wollte ich mir gar nicht vorstellen, welchen Schmerz Susanne und Klaus, aber auch Noemi in den letzten Stunden durchleben mussten. 

Ich rutschte weiter Richtung Fußende, um Klaus Platz zu machen. Nico wurde zwar noch von Susanne und Noemi in Anspruch genommen, doch das hinderte Klaus nicht daran, sich der Gruppenumarmung zumindest für einen kurzen Moment anzuschließen. 

Offensichtlich nur widerwillig gaben Klaus und Susanne Nico wieder frei. Susanne setzte sich auf die Bettkante und strich Nico nochmal liebevoll über die Wange. Klaus stand neben dem Bett und schien noch immer nicht begreifen zu könne, dass sein Sohn doch noch lebte. Noemi wich währenddessen nicht von der Seite ihres Papas. Sie schien an ihn gekuschelte eingeschlafen zu sein. 

Die Blicke von Nico und mir trafen sich. Wir lächelten aneinander einfach an. 

  "Sollten wir irgendwas wissen?", erkundigte sich Susanne, weswegen wir sie beide ansahen. Aufmerksam blickte sie zwischen uns beiden hin und her. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen. Klaus folgte ihrem Blick zwar, wirkte aber eher irritiert. Nico versicherte sich, dass Noemi schlief, ehe er antwortete. 

  "Egle und ich lassen uns scheiden." 

  "Was?", kam es überrascht von Klaus. 

  "Damit habe ich bereits seit längerer Zeit gerechnet", erwiderte Susanne hingegen, weswegen Klaus sie ungläubig ansah. "Das war doch keine glückliche Ehe mehr. Vor allem nicht, wenn man es mit dem hier vergleicht." 

  "Dem hier?", hakte Klaus verwirrt nach. 

  "Du bist wirklich ein hoffnungsloser Fall", seufzte Susanne kopfschüttelnd. Klaus sah nun fragend zu Nico. 

  "Wovon redet sie?" Nico schaute kurz zu mir, dann wandte er sich seinem Vater wieder zu. 

  "Davon dass ich mit Kevin zusammen bin." Klaus öffnete den Mund als würde er etwas sagen wollen, schaute dann aber fassungslos zwischen uns hin und her bis sein Blick bei Susanne stoppte. 

  "Das war doch nun wirklich offensichtlich", erwiderte sie kopfschüttelnd, ehe sie zurück zu Nico schaute. 

  "Weiß Egle es?" 

  "Sie hat nach dem Unfall durch den Anwalt von der Scheidung erfahren. Ich hab sie seitdem noch nicht wieder gesehen. Soweit wir wissen, weiß sie aber noch nichts von uns."

  "Wieso war Noemi überhaupt bei euch? Wo ist Egle?", erkundigte ich mich. 

  "Egle war zu uns gekommen, um uns von Nicos Tod zu erzählen. Sie stand völlig neben sich. Deine Frau oder vermutlich Ex-Frau hatte sie begleitet. Louise hatte uns gefragt, ob wir vielleicht ein paar Tage auf Noemi aufpassen würden, während sie selbst bei Egle bleiben würde. Sie war sich unsicher, ob Egle in der Lage wäre, sich um Noemi zu kümmern." 

  "Ich denke, sie hatte eher Angst, dass Egle mit Noemi verschwinden könnte", vermutete ich, wobei ich zu Nico schaute. "Sie hat Noemi in Sicherheit gebracht, bevor Egle erfährt, dass du noch lebst und sie auf die Idee kommen könnte, eure Tochter für irgendwelche Rachepläne zu nutzen."

  "Weiß sie, dass ihr mit Noemi hier seid?", erkundigte sich Nico. 

  "Vielleicht haben wir in der Hektik vergessen ihr Bescheid zu sagen", gestand Susanne verlegen, wobei es tatsächlich wirkte, als wäre es keine Absicht sondern nur aus Versehen gewesen. 

  "Bleibt ihr länger in Miami?", sprach ich ein anderes Thema an. 

  "Klaus muss übermorgen zurück nach Deutschland. Ich würde mit Noemi noch etwas länger hier bleiben." Klaus ließ sich auf einen Stuhl neben dem Bett nieder, weswegen ich zurück in seine Richtung blickte. Er schaute immer noch zwischen Nico und mir hin und her. 

  "Und ihr seid wirklich zusammen?", kam er zum vorherigen Thema zurück, weswegen Susanne fassungslos den Kopf schüttelte. Ich nickte lediglich, da ich seine Reaktion auf die Neuigkeit überhaupt nicht einschätzen konnte. "Dann sind die Frauen in der Familie endlich nicht mehr in der Überzahl. Vielleicht besteht ja die Chance, dass bei einem Familientreffen jetzt auch mal der Fernseher laufen darf, damit man die Fußballergebnisse mitbekommt." 

  "Nein", antwortete Susanne, wobei deutlich war, dass sie darüber auch gar nichts diskutieren würde. 

  "Ein Versuch war es Wert", grummelte Klaus, ehe er mich ansah. "Trotzdem Willkommen in der Familie." 

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