27. Seid ihr ein Paar? ✔
The Trouble is you think you have time ~ Buddha
Song: Hypnotized ~ Purple Disco Machine X Sophie and the Giants
Wir streiten noch immer vehement ab, dass wir ein Paar sind. Doch es ist nicht im Geringsten verwunderlich, dass unsere beiden Elternpaare das vermuten. Ich schätze, ich würde genauso reagieren, würde meine Tochter oder mein Sohn nach jahrelangen Hasstriaden plötzlich wieder so viel Kontakt zu ihrem Kindheitsfreund beziehungsweise -freundin haben.
Und dem Ganzen noch nicht genug, es war das zweite Mal, dass ich bei Clive übernachtet habe und diesmal... lagen wir sogar eine Weile lang zusammen im Bett.
Er ist ein Gentleman, denke ich mir, während ich gemütlich zu Westwoods trotte. Es ist kurz nach halb und ich bin zu aufgewühlt über das vergangene Wochenende, als dass ich noch länger hätte an unserem Esstisch sitzen können und mich von meinen Eltern mit Blicken durchlöchern.
Das war schlimmer als im Zoo, denn meine Eltern haben mir nicht süße, verträumte Blicke zugeworfen und den Drang verspürt mich unbedingt streicheln zu wollen, wie bei einem kleinen Lemuren, sondern mit beißenden Blicken, ähnlich einer ätzenden Säure, die sich nach und nach in dein Inneres brennt.
Doch das Schlimmste waren nicht einmal ihre Worte oder dieser schleifende Unterton, sondern ebendiese Blicke.
Ich war noch nicht einmal aus dem Haus der Westwoods, als mir dieser Gedanke kam: meine Eltern werden mich löchern!
Manch einer mag es als Zufall bezeichnen, ich als Glück, dass meine Eltern beschlossen haben am Sonntagnachmittag nach Boise zu Tante Giselle und Onkel Walter zu fahren. Ursprünglich wollte ich mit, aber nachdem ich meinen Eltern um halb drei geschrieben habe, Clive und ich wären noch immer auf der Party, haben sie wohl schon geahnt, dass ich ein wenig länger schlafen werde.
Folgerichtig habe ich sie gestern nicht mehr zu Gesicht bekommen und dafür heute Morgen umso neugieriger.
Ich entdecke Mimi auf der anderen Straßenseite und flöte ihren Namen, doch das gefleckte Glückstierchen ignoriert mich stur. Sie verleiht dem Wort „Catwalk" eine völlig neue Bedeutung.
Kopfschüttelnd trabe ich weiter, noch hundert Meter...
Die Bilder vom Samstag oder Sonntagnacht, je nach dem, wie man das betrachten möchte, blubbern wie Schmelzkäse im Ofen in meinem Kopf.
Eine Macke, die ich wohl schon immer hatte und auch gestern Nacht neben Clive wieder in Erscheinung getreten war, ist dieser schauerliche Perspektivenwechsel, sobald ich in Erinnerungen schwelge. Ich habe oft das Gefühl, als wäre ich ein Kinobesucher meiner eigenen Gedanken, unfähig mich zu bewegen und aus dem Saal zu stürmen, wenn es mir zu viel wird.
Gelegentlich schiebt jemand noch einen schwarz-weißen oder bunten Filter vor die Leinwand, dann tuckert der Film allmählich los.
Elizas blaue Augen treffen mich jedoch leider völlig ungefiltert und ich würde am liebsten wegsehen, aber mein Blick klebt so fest auf der Wand, dass man meinen könnte Sekundenkleber wäre im Spiel.
Genauso überrascht hat sie mich um zwei Uhr nachmittags gemustert, als ich gemeinsam mit Clive – und in seinem schlotternden Pulli und Jogginghose – die Treppe herunter spazierte.
Im Grunde hätten wir auch Händchen halten können oder uns Küssen, der Schock im Eisblau war endlos, als hätten wir ein Kapitalverbrechen begannen. Doch dann, Schlag auf Schlag, wandelte sich ihre Miene in blanke Freude.
Wahrscheinlich treffen Mom und sie sich schon seit Jahren heimlich und planen unsere Hochzeit bis ins kleinste Detail: ob wir lieber eine fünfstöckige, rosa Buttercremetorte mit Schokoladenfüllung und Biskuitboden wollen, oder ein Rondell mit Apfel-Zimt Cupcakes und Vanille-Frosting; oder gar welche Farbe die Kerzen in der Kirche und welche die im Stall oder Saal haben – abhängig davon, wo wir nach der Trauung feiern.
Ich kann mir die beiden perfekt dabei vorstellen, sie stöbern in Brautmodenmagazinen, Hochzeitszeitschriften und machen das Internet mit unzähligen Suchanfragen unsicher.
Vielleicht war unser Drucker deswegen kürzlich kaputt...
Seufzend lasse ich meine Schultern hängen und verfluche meine davoneilende Katze, untreues Tier. Ein Kieselstein macht Bekanntschaft mit meinen ausgelatschten schwarzen Nikes. Es wird Zeit für ein neues Paar, würde Adam sagen – und Candice, Linda, Mom, Dad und vermutlich jeder den ich kenne.
Ein leidliches Thema was mich und Kleidung betrifft.
Basic hier, langweilig da. Jeder hat an mir etwas zu meckern.
Noch zehn Schritte.
Ich verlangsame mein Tempo. Tag Drei in Folge bei Westwoods, allmählich kochen die Zweifel in mir auf.
Der Stein kullert mutterseelenallein die Straße hinunter und bleibt irgendwo liegen, ich glaube vor dem Haus der Smiths – welche Straße, die etwas auf sich hält, hat bitteschön keine Familie Smith, oder zumindest Fishers? Richtig, keine! Und wir haben sogar beides. Smiths wohnen hier unten mit zwei Kleinkindern, bei Westwoods in der Nähe und die Fishers bei uns oben, ein altes Ehepaar, deren Kinder schon vor meiner Geburt ausgezogen sind.
Wie gerne würde ich jetzt mit diesem Stein tauschen. Nicht denken, nichts tun, nur herum liegen und seine Existenz nicht wahrnehmen... hört sich traumhaft an.
Durchatmen, mahne ich mich selbst, dann setze ich müde einen Fuß vor den anderen, stapfe die paar Stufen hinauf und drücke den Klingelknopf hinein. Ein schwarzes etwas, dass die Westwoods schon ewig haben und jedes Mal funkelt es mich auf Hochglanz poliert an, dass ich mich frage, ob Eliza oder Thomas nach jedem Klingler den Knopf einmal abwischen und mit frischer Farbe darüber lackieren. Anders kann ich mir nicht erklären, weshalb dieser verfluchte Knopf nicht schon längst abgewetzt und gräulich ist.
Hinter der Tür ertönt das altbekannte Gebimmel, ich muss grinsen.
Früher, als ich hier zu Besuch war, und die Glocke Besuch ankündigte, hatten Clive und ich uns ein Wettrennen geliefert, wer zuerst bei der Türe wäre. Es ging nicht darum, zu öffnen, sondern einfach nur, wer schneller war.
Er natürlich. Obwohl... nein, einmal, aber ich bin heute noch felsenfest davon überzeugt, dass er mich gewinnen hat lassen, warum auch immer...
Mein Blick haftet auf dem knallroten Fußabstreifer unter meinen Füßen... eher kaminrot mit einem kugelrunden Weihnachtsmann, der seinen Arm um Rudolph legt.
Die Tür schwingt so abrupt auf, dass ich zusammenfahre und einen Augenblick benötige, ehe meine Verwunderung überhand gewinnt. Zwei nackte Füße befinden sich hinter der Schwelle, danach folgen nackte Waden, ein marineblaue Boxershorts, ein Sixpack... und schließlich sein Gesicht.
„Clive!", platzt es aus mir, als hätte ich diesen Moment nicht schon Dutzende Male erlebt – also, damit meine ich, ihn halbnackt zu sehen.
„Rosie, Sehnsucht gehabt?"
Unwillkürlich färben sich meine Wangen rosa, aber diesmal reiße ich mich zusammen und erwidere seinen provokanten Blick. Entschlossen verschränke ich die Arme vor meiner Brust und blitze ihn herausfordernd an. „Wird langsam langweilig, lass dir was Neues einfallen, Westwood."
Nicht mal mit meinem neugewonnenen Mut kann ich ihn überraschen oder beeindrucken. Er lacht schlichtweg und verzieht seine Mundwinkel zu einem verschmitzten Grinsen.
„Du wirst ja noch richtig frech!"
Ich seufze. Er zieht mich schon wieder auf. Statt mich darüber aufzuregen, wie gewöhnlich ignoriere ich seine Stichelei und den naiv-geschockten Ton.
Widerwillen wandern meine Augen zu seinem Sixpack und ich muss mich beherrschen es wie einen flüchtigen Zufall aussehen zu lassen. Ach Gott, was mach ich überhaupt, Clive kennt mich viel zu lange, und er wird wissen, dass ich meinen weiblichen Zwängen nachgegeben habe und starre.
Sein Grinsen verdeutlicht mir das nochmal und als Gegenleistung verwandelt sich das Rosa in ein feuriges Tomatenrot.
„Komm rein, ich bin gleich fertig." Er macht nicht den Anschein zur Seite zu treten, sondern hebt lediglich seinen Arm, die Hand lässt er an der Türe.
Gezwungenermaßen schlüpfe ich darunter durch. Eine Wolke seines Duschgels webt mir entgegen... Davidoff Cool Water. Er benutzt es seit... fraglich wie lange, aber dieser Duft gehört für mich zu Clive, wie Bienen zu Honig.
„Oh, und wir müssen Benji vorher noch in die Schule bringen, Mom und Dad sind schon weg."
Damit schlurft er seelenruhig die Treppe hinauf. Ich sehe ihm nach.
Ich weiß nicht was es ist, aber etwas zwischen uns hat sich verändert.
„MARY!"
Plötzlich stürmt ein kleiner Zwerg auf mich zu und schlingt seine Arme um mich, fester als der Würgegriff einer Boa. „Hilfe...", lache ich und umarme ihn ebenfalls sanft.
Zwei tiefblaue, runde Kinderaugen lachen mich von unten an. Trotzdem, dass Benji noch nicht groß ist, fühle ich mich neben ihm klein. Das gleich verspüre ich bei Clive, nur, dass er eben größer ist als ich.
Benji ist acht und ich bin mir sicher, der Tag, wenn er mich eingeholt hat, ist nicht mehr weit entfernt.
„Morgen, BJ.", murmle ich und genieße es, dass ich ihm noch immer durch die Haare fahren kann. Er sieht eins zu eins aus wie Eliza, Clive kommt mehr nach Thomas, abgesehen vom Lachen und diesen Grübchen.
„Was machst du hier?" Der Kleine müht sich nicht ab mit Begrüßungsfloskeln, sondern kommt direkt auf den Punkt. Ob ich damals auch so war? „Dein Bruder nimmt mich mit in die Schule."
„Wirklich? Der?"
Darüber muss ich lachen. Benji nimmt meine Hand und zieht mich, ohne auf eine weitere Reaktion zu warten, mit in die Küche. „Mom hat Waffeln gemacht. Magst du welche?"
Wieder so etwas an ihm, dass ich liebe. Er fragt nicht, ob ich EINE Waffel möchte, sondern ob ich WELCHE möchte. Benji ist besonders, ein kleiner Kämpfer, von Geburt an.
Falls es da draußen keine guten Männer mehr geben sollte, dann steht die Hoffnung und Zukunft vor mir. Ich bin überzeugt, dass der Kleine ein Mädchenschwarm wird und hoffentlich keiner wie sein Bruder – ein arroganter Mistkerl – sondern ein liebenswerter, treuer Typ mit Humor und...
„Da fragst du noch." Benji strahlt mich an und ich stutze. „Sag mal, hast du etwa schon wieder einen Zahn verloren?" Stolz nickt er, während ich mir einen Teller und Besteck aus dem Schrank und Schublade nehme.
„Gestern Abend."
„Wow..." Ich seufze, weil mir das Folgende leidtut. „Wieder einen Dollar von deiner Mom bekommen?"
Benji nickt. Wir setzen uns.
Dafür könnte ich Clive erwürgen. Wieso konnte er seinem kleinen Bruder nicht die Freude an der Zahnfee lassen, ich habe es geliebt und ich glaube, er auch. Aber Hauptsache Schaden anrichten.
Das sind diese kleinen Dinge an Clive, die für mich keinen Sinn ergeben. Er ist meistens ein Großkotz und ein eingebildeter Pfau, aber manchmal – wenn er mit Benji ist – dann habe ich das Gefühl, er ist gar nicht mehr so schlimm... und dann kommt so eine Aktion.
„So lecker...", nuschle ich vor mich hin.
„Bei dir wären sie verbrannt...", ertönt eine Stimme und die Arroganz persönlich lehnt im Türrahmen. Vielleicht habe ich mich eben doch geirrt und zwischen uns ist alles beim Alten.
„Haha..." Ich schlucke hinunter... ich kann ihm nicht widersprechen, weil er recht hat, aber nur zum Teil. „Bei mir wäre der Teig vermutlich schon missraten.", murre ich zynisch und diesmal zuckt Verblüffung in seinem Gesicht auf.
Tja, Selbstironie habe ich noch nie ausprobiert.
Clive stützt sich gegenüber von uns auf die Platte und mustert mich einen Augenblick. Stur starre ich auf mein Essen, er will mich nur nervös machen. Es hat mich damals schon verrückt gemacht, wenn er mich so intensiv beim Essen beäugt hat.
„Seid ihr Paar?"
Prompt verschlucke ich mich und beginne wie verrückt zu husten. Zwischen meinem Geblinzle erhasche ich auch noch einen Blick auf Clive, dem sämtliche Gesichtszüge für einen Moment entgleiten. „Was?", fragt er für uns beide und nimmt seinen Bruder scharf ins Visier.
„So wie Mom und Dad."
„Wie kommst du drauf?", krächze ich schwach, meine Stimme hört sich an, als wäre man eine Weile mit Schmirgelpapier über meine Stimmbänder gefahren.
Das brünette Kind nimmt an seinem... Kakao, schätze ich, und wechselt mit purer Gelassenheit zwischen mir und Clive. „Weil ihr euch so anseht."
„Wie sehen wir uns denn an?"
Es ähnelt einem Kreuzverhör bei der Polizei, nur etwas kindlicher und milder.
„So wie Mom und Dad."
„Nein, tun wir nicht.", widerspreche ich so schnell, dass sich meine Stimme überschlägt und Clive mich amüsiert angrinst. „Da, schon wieder.", platzt Benji dazwischen und sein großer Bruder beginnt zu lachen.
„Weißt du Ben, Rosie ist das ein bisschen peinlich."
„Ist es nicht!", unterbreche ich ihn, aber meine Wangen lodern in schillerndem Rot. Natürlich ist es mir unangenehm. Ich wollte niemals, dass Benji denkt, Clive und ich könnten... nein!
„Ist es doch.", flüstert er zu dem kleinen Jungen und Benji grinst ihn kindlich an.
„Dann seid ihr ein Paar?"
Er gibt wohl keine Ruhe, bevor ein Ja oder Nein gefallen ist.
„Nein."
„Und wenn Clive netter wäre?"
Allmählich dämmert mir etwas. Ich verziehe eine Augenbraue und beiße in meine Waffel, lasse Benji dabei aber keine Sekunde aus den Augen.
„Was ist hier los, Großer?"
Das erste Mal heute, dass ich Clive für eine intelligente Aktion loben könnte, aber ich werfe ihm nur einen ausdruckslosen Blick zu. Immerhin scheint er die gleiche Vorahnung zu haben wie ich.
„Ich mag Mary und wenn ihr ein Paar wärt, dann wäre sie öfter hier. Mom und Dad sind auch ständig beisammen."
Meine Nerven arbeiten schneller als meine Gedanken selbst und bevor ich mich versehe oder etwas dagegen tun kann, brennen meine Augen so stark, dass ich die erste Träne nicht zurückhalten kann. Hastig wende ich mich ab und senke den Blick auf die letzte Waffel vor mir.
Nicht weinen, Rosemary! Nicht weinen!
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Wer liebt Benji noch? Habe mich in den Kleinen mittlerweile verliebt...
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💌N°32: Wollt ihr mal woanders hinziehen?
Ja, sehr gerne. Am liebsten in die USA, aber ich glaube ich werde mich erstmal mit Deutschland begnügen. Vielleicht Köln oder Dortmund (Ruhrpott klingt irgendwie aufregend für mich).
Mal schauen, vielleicht schreibe ich euch irgendwann aus meinem Penthouse in New York mit Blick auf das Empire State Building.
XOXO Maggie🧡
Ps. schaut doch mal bei meiner Instagram-Seite vorbei: @sxmelittlestories (wie hier auf Wattpad). Alles rund um Bücher, Updates und Co.📚📖✒💕
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