6. Eine Liebesgeschichte

My old man is a bad man but
I can't deny the way he holds my hand
And he grabs me, he has me by my heart
- Lana del Rey, Off to the Races

Roxane erinnerte sich. Sie hatte Madrid Yarrow zum ersten Mal getroffen, als sie zehn Jahre alt gewesen war.
  Sie spielte mit Felix Marlohé, Marie, Luna Swansea, Favian Ashmark und Morgaine Silver Fangen, quer über den Hof der Dunkelwacht, an den Soldaten und den Söldnern vorbei, durch das Gewühl aus Waffen, Kriegern, Pferden und Drachen. Sie war die einzige Fängerin gewesen, die ihre Freunde verfolgen musste, und dieses Mal hatte sie es auf die wilde, silberblonde Luna abgesehen.
  Roxane war ein kleines Mädchen mit nachtschwarzen Haaren gewesen, zu einem unordentlichen Zopf geflochten, gekleidet in ein hellblaues Kleid aus schwerem Stoff und einen dunkelgrauen Mantel, der sie vor der eisigen Winterluft im Black Hunter's Ridge schützte. Schnell setzte sie ihren Freunden nach, durch zwei Soldaten hindurch, die Schwerter und andere Waffen trugen, eine Treppe zum Wehrgang hinauf, vorbei an verblüfften und amüsierten Wachen, die eilig Platz machten, um die lachenden Kinder durchzulassen.
Roxane hatte ihre Freunde beinahe erwischt, als sie den nächstbesten Weg zurück in den Hof nahmen, eine enge schmale Wendeltreppe durch einen Wachturm, rutschig vom Schlamm und Wasser des Hofs. Hastig rannte sie ihren Freunden hinterher, als sie, keine zwei Meter vor dem Ausgang stolperte und die wenigen verbliebenen Treppen hinunterstürzte. Ein stechender Schmerz schoss ihr durchs Fußgelenk.
  Marie merkte als erstes, dass ihre Fängerin ihnen nicht mehr folgte, und blieb stehen. „Morgaine, Favian, Luna, Felix! Roxane ist gestürzt!", rief sie den anderen Kindern zu, dann rannte sie zu Roxane. „Roxane, geht es dir gut? Kannst du laufen?"
  Roxane versuchte, sich auf die Füße zu stemmen, doch ihr linker Fuß tat zu weh, als dass sie gehen konnte. Beinahe kamen ihr die Tränen. „Nein, kann ich nicht", sagte sie verzweifelt. „Geht und holt Ben! Der kann mich zu Iskira bringen."
  Marie verzog das Gesicht. „Ben ist mit den Soldaten in den Bergen und bringt diese Sache mit den Überfällen in Ordnung", erinnerte sie ihre Freundin, während sich die anderen Kinder mit besorgten Blicken um sie scharten. „Wir könnten dich zusammen in dein Zimmer bringen, aber zu Iskira ist schon etwas zu weit." Iskira lebte im höchsten Turm, im obersten Zimmer, wo sie die Briefe der Dunkelwacht verschickte, die Sterne beobachtete und die Götter anbetete. Sie war Heilerin, Priesterin und Wahrsagerin in einem. Sie war es, die Roxane und den anderen vier Kindern lesen, schreiben und all die anderen wichtigen, geisteswissenschaftlichen Dinge beigebracht hatte.
  Und Ben? Benedict Gray war es gewesen, der Roxane nach dem Tod ihrer Mutter als Tochter aufgenommen und großgezogen hatte. Er war Vater, Lehrer und bester Freund für Roxane, und als Kastellan der Dunkelwacht war er bis zu Roxanes sechzehntem Geburtstag Hüter der wenigen Ländereien, die den Blackhearts nach dem verheerenden Blackshore-Krieg geblieben waren. Im Moment waren Banditen, die aus dem Süden ins Gebiet von Crusadia eingedrungen waren, etwas zu mutig geworden, und Benedict hatte nun die Aufgabe, wieder Ruhe ins kleine Herrschaftsgebiet der Blackhearts zu bringen. Dazu hatte er eine Söldnertruppe, die Fuchsbrüder, angeheuert, denn die Dunkelwacht hatte zu wenige Soldaten, um das Problem allein in den Griff zu bekommen. Die Burg hatte nach dem Ende des Krieges kaum eine Handvoll Männer zur Verteidigung erhalten.
  Roxane ließ den Blick über den Hof gleiten, und wollte Marie gerade vorschlagen, einen der Soldaten um Hilfe zu bitten, als sich ein junger Mann aus einer Gruppe löste und zu ihnen herüberschlenderte.
  Er war Roxane schon öfter aufgefallen, ein schlanker, gutaussehender Mann, mit schmutzigen blonden Haaren und stets amüsiertem Gesichtsausdruck. Er trug die übliche Kleidung der Fuchsbrüder: Brustpanzer aus verstärktem Drachenleder, schwarze Hosen, dunkelbraune, metallbeschlagene Stiefel aus Leder und einen grauen Umhang, dessen Kragen mit Fuchsfell besetzt war. Jedes Mal, wenn er an Roxane vorbeikam, verneigte er sich galant, wie ein echter Ritter, obwohl er nur ein gewöhnlicher Mann im Dienste der Blackhearts war, und Marie und Roxane hatten schon lange Gespräche darüber geführt, ob er oder Benett Corigg, der Hauptmann der Soldaten der Dunkelwacht, besser aussah. Durch ein belauschtes Gespräch zwischen Ben und dem Anführer der Fuchsbrüder, Eric Fox, hatte sie den Namen des Söldners herausgefunden: Madrid Yarrow.
  Lächelnd, die Hände lässig an den Schwertgurt gelegt, hockte er sich neben Roxane und Marie. „Meine Königin, was ist Euch passiert?", fragte er. Das war es, was ihn besonders machte. Er redete sie mit Meine Königin an, obwohl sie keine war. Sie war die Tochter eines Verbrecherkönigs, mit nicht mehr edlem Geblüt als alle anderen Brüder des Lykaon, doch ihr Vater hatte große Träume gehabt. Einen Traum von einem Königreich. Damals, als es noch ein Blackshore-Kartell gegeben hatte. Doch Roxane hatte nur einen winzigen Splitter von dem, was ihr Vater beherrschen hatte wollen, nur eine mächtige Burg in den Bergen und einen großen und unheilvollen Namen, dessen Erbe ihr kaum bewusst war. Manche Soldaten sprachen sie zwar auch mit der Höflichkeitsform und einem Titel an, doch bei Yarrow hatte es etwas, das es beinahe ernsthaft machte. Schließlich war es nicht einfach, ein zehnjähriges Mädchen ernsthaft mit „Meine Königin" anzusprechen, obwohl es von edlem Geblüt war.
  Tapfer kämpfte Roxane die Tränen zurück, obwohl ihr Fuß beinahe unerträglich wehtat. „Ich bin die Treppe runtergefallen, und jetzt tut mir mein Fuß weh", sagte sie und warf Marie einen aufgeregten Blick zu.
  Marie erwiderte ihren Blick und sagte dann: „Wir müssen zu Iskira, unserer Heilerin. Sie lebt im Westturm, im obersten Zimmer. Könntet Ihr Roxane dorthin bringen?"
  Er nickte. „Selbstverständlich, Lady de Tracy." Er nahm Roxane auf den Arm, und sie legte unauffällig einen Arm um seinen Hals, während Marie Roxane mit einem aufgeregtem Blick ansah.
  Beim Geist der Jagd, er hat mich Lady de Tracy genannt!, formte sie mit dem Mund.
  Er hat mich Meine Königin genannt, und hat es ernst gemeint!, sandte Roxane zurück.
  Marie tat so, als würde sie in Ohnmacht fallen, während sie und die anderen Kinder Yarrow zum Westturm folgten.
  Dort angekommen, setzte Yarrow Roxane auf einen Stuhl, und Iskira fragte, was passiert war. Roxane erklärte es ihr.
  Iskira betastete den Knöchel und ihr Bein und schüttelte dann den Kopf. „Es ist nichts gebrochen, aber verstaucht. Ihr dürft eine oder zwei Wochen lang nicht auftreten, und ich werde Lord Gray und Miss Havens sagen müssen, dass Ihr so lange leider weder tanzen noch kämpfen dürft." Sie bedachte die vier Kinder mit einem warnendem Blick. „Und Fangen spielen fällt leider auch aus."
  Niedergeschlagen bedachte Roxane ihren Fuß, während Iskira ihn mit einer kühlenden Salbe bestrich und dann verband. Kämpfen und tanzen zählte zu ihren Lieblingsunterrichten, alles andere war schrecklich langweilig, obwohl Benedict nicht müde wurde zu predigen, dass jemand wie sie mehr können musste als tanzen und kämpfen. Und Fangen spielte sie am liebsten mit ihren Freunden. Dann fiel ihr etwas ein. „Darf ich wenigstens reiten?"
  Iskira lächelte entschuldigend. „Leider nicht. Wahrscheinlich ist es am besten, wenn Ihr für die Zeit Eurer Verletzung das Bett hütet, bevor ihr etwas anstellt und es noch länger dauert, um zu heilen."
  Während des gesamten Weges zu ihren Räumen war Roxane wütend und traurig, dass ihr all der Spaß, den die anderen Kinder haben durften, verwehrt bleiben würde.
  Die nächsten Tage lag sie traurig in ihrem Bett, ließ sich von ihrer Zofe bemuttern, las ein Buch nah dem anderen und langweilte sich schrecklich, sogar dann, wenn sie Unterricht hatte. Iskira lobte zwar ihre Schrift und sie kannte sich immer besser mit der Geographie der bekannten Welt aus, doch trotzdem wollte Roxane nichts mehr, als aus dem Bett zu springen und zusammen mit Felix  zu tanzen, mit Luna und Marie auszureiten und mit Morgaine und Favian zu kämpfen.
  An ihrem dritten Tag, als Marie sich neben sie ins Bett gelegt hatte und sie sich wieder einmal über Benett und Madrid Yarrow unterhielten, kam Roxane eine Idee.
  „Marie?"
  „Ja?"
  „Was hältst du von der Idee, dass ich Madrid zu mir kommen lasse und er mir Geschichten aus seinem Leben erzählen soll? Du hast ja gerade gesagt, dass er im Großen Saal immer die wildesten Erlebnisse erzählt!" Solange Roxane in ihrem Zimmer festsaß, war Marie ihre Auge und Ohren in der Dunkelwacht.
  Marie lehnte sich zu Roxane. „Oh, das ist eine großartige Idee! Aber wir müssen es geheim halten, weil Onkel Ben fürchterlich wütend wird, wenn sich ein Söldner in deinem Gemach aufhält." Sie kicherte.
  Am nächsten Tag setzte sie ihre Idee in Tat um. Sie wartete, bis Ben mit seinen Soldaten und Söldnern in die Berge geritten war, dann ließ sie Marie nach Madrid suchen. Keine Viertelstunde später klopfte sie an ihr Zimmer.
  „Ihr habt nach mit gerufen, meine Königin?", sagte er, während Marie, die hinter ihm stand, Roxane einen verschwörerischen Blick zuwarf.
  Roxane nickte aufgeregt. „Ja. Verzeiht mir, aber mir war so langweilig, und da habe ich Marie gebeten, Euch zu mir zu bringen. Sie hat mir erzählt, Ihr hättet schon sehr viel erlebt, und Ihr könntet mir doch damit die Zeit vertreiben." Ängstlich, weil sie fürchtete, sich allzu albern anzuhören, wartete sie auf eine Antwort.
  Doch er zuckte nur mit den Schultern. „Warum auch nicht? Es ist ist stets eine Ehre, Euch zu dienen", fügte er mit einer Verbeugung hinzu. Dann ließ er sich auf einem Stuhl neben ihrem Bett nieder. „Was wollt Ihr hören?"
  Roxane dachte kurz nach. „Was habt ihr bei den Fuchsbrüdern erlebt?", fragte sie dann.
  Er lachte. „Das ist eine sehr lange Geschichte, meine Königin. Ich habe schon sehr viel mit Eric und Rykker und den anderen erlebt. Aber ich werde Euch erzählen, wie ich ihnen beigetreten bin. Es war vor sechs Jahren, als ich siebzehn war, und in den Straßen von Felipe da Cuña lebte..."
   In den nächsten Wochen erzählte er ihr sein ganzes Leben, ein Leben voller Blut und Kämpfe und Abenteuer, wie er Eric Fox das Leben rettete, von seinen Reisen nach Santaca und in den Eisigen Norden und in die Vereinigten Königreiche, wie er einem schwarzen Hexenmeister ins Gesicht schlug und dafür fast mit dem Leben bezahlt hätte, wie er in den Eissteppen von Sundarsquir einen Verbrecher jagte, und wie er in Abisyala gegen einen Drachen gekämpft hatte und dieser ihn fast umgebracht hatte. Bei dieser Geschichte zog er tatsächlich sein Hemd aus und zeigt Roxane die riesige wulstigen Narbe über seinen Rippen, die der Biss zurückgelassen hatte. Als sie das später Marie erzählte, drehte sie fast durch.
   Durch die Geschichten vergingen die Wochen wie im Flug, und als Roxane wieder laufen durfte, wünschte sie sich beinahe zurück in ihr Bett und zu Yarrows Geschichten. Doch nun war ihre Zeit belegt von Kampf- und Tanzunterricht, wilden Ausritten in die Berge und sie hatte keine Gelegenheit, mit Yarrow zu reden, denn es war ein Geheimnis zwischen ihm, ihr und Marie, und wenn sie sich ihm gegenüber etwas anders verhalten hätte, hätten die anderen vier Kinder sie sofort an Ben verraten.
  Doch Roxane beobachtete ihn weiter, wie er im Großen Saal, wo Ben die Söldner einquartiert hatte, mit seinen Freunden feierte und trank, und oft stand sie mit Marie auf dem Balkon über dem Saal und zusammen beobachteten sie die Söldner. Viele von ihnen waren Krieger von dem Kontinent Darquir im Norden. Roxane fand ihren Körperbau seltsam, mit den Tierköpfen und -Beinen, ihre Oberkörper und Arme waren zwar menschlich, aber doch mit Fell bedeckt. Sie kannten nun schon einige von ihnen beim Namen und ihre Begabungen.
  Eric Fox, ein schlankes, flinkes Kriegerpferd mit fuchsrotem Fell, war der Anführer der Truppe. Er war bei weitem der beste Kämpfer, und unterschied sich von den anderen Soldaten durch seinen Mantel, der grün statt grau war. Roxane hatte herausgefunden, dass er ein uneheliches Kind von Lord Marego Darke war, dem Lord der Murrim-Marschen, weswegen er den Bastardnamen Fox trug. Die unehelichen Kinder der Lords in Ilron trugen immer den Namen des Wappentiers oder -symbols, und das Wappentier der Darkes war ein Fuchs. So hießen Bastarde der Solstices Panther mit Nachnamen, die der Biancos von der Riffkette Snake und die der Healsteads in den Arat-Bergen Eye. Das hatte sie in einem Buch über die Kriegerstaaten gelesen.
  Rykker war ein Nebelparder, grau wie ein Stein und der älteste der Fuchsbrüder, doch er war ein begnadeter Speerkämpfer, Ulric, der Zweite Anführer, war ebenfalls ein Kriegerpferd, zwei Köpfe größer als Eric und ein Meister des Zweihänders, Schnee, ein Panthera, war ein Löwe, mit einem Fell so weiß wie sein Name und sprach nie ein Wort, sondern tötete stumm, Lester war ein stets amüsierter Dracon mit einem lauten, hohen Kichern, Garun war ein Mensch mit dunklen, fettigen Haaren, der unter seinem Fuchsmantel immer die graue Kluft der Grauen Männer trug, aus deren Bund er ausgetreten war, Manu war ein ungestümer junger Mann mit haselnussbraunen Augen, in die Luna sich verliebt hatte, und niemand konnte besser ein Messer werfen als er... Sie und viele andere Männer bildeten die eingeschworene Kompanie der Fuchsbrüder.
  Und sie fanden heraus, dass Madrid Yarrow einen Spitznamen trug: Bastard. Und das, obwohl er nicht einen einzigen Tropfen adeliges Blut in sich trug. Die Erklärung, warum er dennoch so genannt wurde, kam eines Abends von Eric. Als ein Soldat aus der Dunkelwacht danach fragte, erklärte Fox: „Madrid Yarrow ist ein stinkender, elender Bastard, der nichts als Wein, Weiber und Blut im Kopf hat. Deswegen nennen wir ihn so." Roxane fand, das dies eine sehr eigenartige Beschreibung war.
  Einmal, als Marie zusammen mit Roxane in ihrem Bett schlief und die beiden kichernd miteinander flüsterten, vertraute Roxane Marie an, dass Madrid ihr Herz gestohlen hatte, und sie nichts daran ändern konnte. Jedes Mal, wenn sie den Söldner sah, fühlte sie sich leicht wie eine Feder, und wenn er abends durchs Tor geritten kam, stand sie mit Marie auf dem Torbogen und freute sich, dass er wieder einen Kampf überlebt hatte. Wenn er sich später im Großen Saal von einer der Bediensteten den Rücken massieren ließ, wurde sie so eifersüchtig, dass sie mit dem Gedanken spielte, das Mädchen aus der Festung zu werfen. Glücklicherweise hielt Marie sie davon ab.
  Doch dann, im Frühsommer, hatte Roxanes Glück ein Ende.
  Ben hatte es geschafft, die aufrührerischen Lords wieder unter Kontrolle zu bringen, und entließ die Fuchsbrüder aus dem Dienst der Blackhearts. Mit den Satteltaschen voll Gold verließ die Kompanie die Festung, ohne sich noch einmal zu ihr umzudrehen. Roxane weinte bittere Tränen vor Liebeskummer, und Marie tröstete sie und riet ihr, Madrid Yarrow zu vergessen. Doch es gelang ihr nie, und sie dachte jeden Abend vor dem Einschlafen an den galanten Söldner, der ihr Herz gestohlen hatte.

  Das zweite Mal hatte sie ihn in Santaca getroffen, in Kushan, während ihrer Rundreise durch das Land der vielen Völker.
  Sie war inzwischen einundzwanzig Jahre alt, eine richtige Frau, und war mit ihren Soldaten auf dem Rückweg nach Amostown, als sie kurz nach den Stadtgrenzen von Kushan an einem Bauernhof vorbeiritt. Es kam ihr schon seltsam vor, dass davor ein Drache angebunden war, komplett aufgezäumt, denn Drachenreiter waren in Santaca sehr selten, als wütende Stimmen aus dem Haus drangen und kurz darauf ein Mann mit ungepflegten blonden Haaren in lederner Rüstung mit einem Tritt aus der Tür befördert wurde.
  Ein zweiter Mann, anscheinend der Bauer, sprang hinter ihm her und brüllte: „Dass du dich hier nie wieder sehen lässt, du elender Hurensohn! Verpiss dich, du und dein stinkender Drache!" Im selben Moment entdeckte er Roxane auf ihrem Pferd. Im Nachhinein hatte sie erkannt, dass sie in diesem Augenblick wohl sehr herrschaftlich und königlich ausgesehen haben musste: eine junge, hübsche Frau, in engen Männerhosen, da sie zum Reiten angenehmer waren als ein Kleid, mit wallenden schwarzen Haaren, auf einem schneeweißen Ross, umringt von Soldaten.
  Der Bauer kam mit seinen Entschuldigungen kaum hinterher. „Verzeiht, M'lady, aber dieses Schwein von einem Mann wollte meine Frau verführen und sie zum Ehebruch verleiten! Und er hat sie unziemlich berührt!", rechtfertigte er sich. „Wenn Ihr Euch seiner annehmen würdet, um ihn zur Verantwortung zu ziehen, wäre dies sehr edel von Euch."
  Roxane, die zuerst reichlich verblüfft darüber war, dass ein normaler Bauer sie sofort als eine Dame von edlem Blut erkannt hatte und nun damit rechnete, dass sie einen völlig Fremden bestrafte, wollte zunächst ablehnen, als sie das Gesicht des Missetäters erkannte. Zuerst dachte sie, dass er es nicht sein konnte, an Zufälle glaubte sie nicht, doch dann war sie sich sicher. Das musste der Söldner aus ihrer Kindheit sein, der, dem sie ihr Herz geschenkt hatte.
  So hochnäsig, wie sie konnte, sagte sie: „Ich werde ihn gerecht bestrafen. Nehmt Euren Drachen und folgt mir", wies sie den Söldner an, der ihrem Befehl mit einem listigen Grinsen nachkam.
  Zuerst ritt Madrid in der Mitte der Soldaten, bis sie außer Sichtweite des Hofes waren, dann ließ sie ihn aufschließen. Der Geruch seines Drachen beunruhigte ihr Pferd, doch sie zwang es zur Ruhe.
  „Ich denke, Ihr könnt euch nicht an mich erinnern?", eröffnete sie das Gespräch mit klopfenden Herzen und betete, dass er sie erkannte.
  Er lächelte charmant. „Wenn Ihr mir Euren Namen sagt, dann vielleicht. Eine so hübsche Dame wie Euch vergesse ich nicht."
  „Ich bin Roxane Blackheart. Ihr wart vor elf Jahren auf der Dunkelwacht, mit einer Söldnerkompanie, den Fuchsbrüdern. Damals sind wir uns zum ersten Mal begegnet. Erinnert Ihr Euch?"
  Er erkannte sie fast sofort. „Meine Königin. Verzeiht mir, dass ich Euch nicht erkannt habe. Ihr seid wunderschön geworden", sagte er mit einem Unterton in der Stimme, den Roxane ungemein angenehm fand.
  Leicht verschämt sah sie auf ihre Zügel. „Seid Ihr immer noch...", begann sie, doch er unterbrach ihre Frage.
  „Bist du immer noch", berichtigte er sie.
  Sie wurde rot wie der Sonnenuntergang. „Bist du immer noch im Dienste der Fuchsbrüder?", wiederholte sie.
  Er schüttelte den Kopf. „Ich hatte vor vier Jahren eine Meinungsverschiedenheit mit unserem Anführer und bin ausgetreten. Seitdem kämpfe ich für jeden, der mich bezahlt."
  Roxane überwand ihre Scheu und sah ihm in die Augen, ihre braunen begegneten seinen grauen. „Würdest du auch für mich kämpfen?"
  Er nahm ihre Hand und drückte einen Kuss auf das weiche Leder ihrer Reithandschuhe. „Für Euch für einen Freundschaftspreis, meine Königin", sagte er lächelnd.
  „Für dich für einen Freundschaftspreis", verbesserte sie.
  In den nächsten Tagen ritten sie stets nebeneinander und erzählten von all den Dingen, die passiert waren, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, sie berichtete von ihrem Umzug von der Dunkelwacht in die Festung von Amostown und von der Bruderschaft, der sie eigentlich auch angehörte, aber gleichzeitig auch nicht, und er erzählte von seinen Erlebnissen als Söldner. Nachts blieben sie lange wach, saßen um das Lagerfeuer, und wenn es Roxane zu kalt wurde, gab Madrid ihr seinen alten Fuchsumhang, den er immer noch in der Satteltasche seines Drachen hatte.
  Eines Abends, als die Soldaten schliefen, außer einer von ihnen, der Wache halten musste, kamen sie sich näher als zuvor und schließlich küsste Madrid sie. Zuerst sanft, und als sie den Kuss erwiderte, wurde er herausfordernder, wilder und begann, an der Schnürung ihres Mieders herumzuzerren.
  Sie löste sich von ihm. „Noch nicht", flüsterte sie atemlos und ängstlich, gespannt auf seine Reaktion.
  Er lächelte. „Wenn du bereit bist, dann sag es mir", raunte er und überfiel sie mit einem weiteren Kuss.
  Einige Tage später wusste sie, dass sie weiter gehen wollte als ihre allabendlichen Küsse und Berührungen am Feuer. Sie ritten des Abends zusammen von der Gruppe weg, an ein Flussufer, und als sie einige Stunden später zurückkehrten, hatte Roxane neben ihren Herz auch ihre Jungfräulichkeit verloren.
  Sie nahm ihn unter Vertrag und bezahlte ihm jeden Monat eine Summe, damit er in Amostown, ihrer Heimatstadt, blieb. Fast jeden Abend schlich sie sich aus der Festung, um ihn im Toten König zu treffen, dem Gasthaus, in dem er sich einquartiert hatte. Zwar wäre es ihr lieber gewesen, wenn er in der Festung gewohnt hätte, aber Madrid schätzte seinen Freiraum, und Roxane wollte ihre Beziehung zueinander geheim halten. Zu leicht wäre es sonst für ihre Feinde gewesen, sie mit ihm zu erpressen. Sie hatte zwar nicht viele davon, dennoch gab es ein paar Lykaner, die Roxane für die Verbrechen ihres Vaters zur Verantwortung ziehen wollten.
  Seit vier Jahren nunmehr lebte Madrid Yarrow in Amostown, nachts kam Roxane zu ihm, und ließ es sich gut gehen. Aber es gab einen Teil in ihm, den Roxane nicht bewusst erkannte, und der regte sich. Er hatte lange geruht, und jetzt wachte er auf.
  Die Freiheit rief nach ihm. Und sobald ihm jemand eine Gelegenheit zur Flucht aus seinem Trott geben würde, würde er sie ergreifen.

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