Teil 18
Tag für Tag trainierten Sydney und Calgary miteinander. Mittlerweile konnten sie sich gegenseitig nahezu perfekt einschätzen, und es gelang ihnen immer seltener, den jeweils anderen zu besiegen. Sie hatten gelernt, wie ihr Gegenüber reagierte, was die Taktiken und Gewohnheiten beim Kämpfen waren. Irgendwann sollten sie beginnen, in einem Team zu arbeiten und kämpften in der Arena gemeinsam gegen Toronto und Soweto. Anfangs waren die älteren Rebellen den Jüngeren überlegen gewesen, doch irgendwann schafften Sydney und Calgary es, die Verteidigung der älteren Bluttränen zu durchbrechen. Nach und nach gewannen die jüngeren Rebellen immer mehr der Trainingskämpfe und wurden stärker und gewandter im Umgang mit ihren Waffen.
Irgendwann hatte Soweto seinen Dolch hingeschmissen und gesagt, dass es keinen Sinn mehr hatte, Sydney und Calgary gegen sich und Toronto kämpfen zu lassen- sie bräuchten eine andere Herausforderung. Von da an sprang Amabilia ein. Wurden die Rebellen als schnell und kampferprobt bezeichnet, so war Amabilia noch sehr viel mehr. Sie war flink und mit ihren Waffen absolut tödlich. Sie trieb die Rebellen immer wieder an den Rand der völligen Erschöpfung, bis sie aufgaben.
Doch auch daraus lernten sie. Unermüdlich erprobten sie ihre Kampftechniken. Es gab kaum eine Minute, in der sie nicht kämpften, Muskeln aufbauten, oder im Falle von Sydney, Reiten lernten. Mittlerweile konnte sie ganz passabel Reiten und hatte sich mit Rubinregen zu einem guten Team zusammengefunden.
Wenn sie dann doch einmal für einen Tag Pause hatte, schlenderte sie mit Amabilia durch das Dorf. Calgary verschwand an diesem freien Tag meistens mit Ignis, und tauchte erst bei der nächsten Trainingseinheit wieder auf.
Auch die Reifen aus Silber, die Argenti für sie angepasst hatte, befanden sich mittlerweile im Besitz der Rebellen, auch wenn sie während ihrer Ausbildung bisher noch keine Rolle gespielt hatten.
~🩸~
Doch trotz ihres geregelten Tagesablaufes, verspürte Sydney stets eine innere Unruhe. Sie genoss das Gefühl, immer stärker zu werden, die Kraft in ihrem Körper zu spüren. Und trotzdem fragte sie sich, wozu sie das Ganze machte. Sie brauchte ein Ziel vor Augen, etwas Festes das ihr zeigte, wo sie hinarbeiten musste. Toronto hatte bisher nicht mehr mit ihnen gesprochen und es vermieden, den zwei jüngeren Rebellen zu erzählen, was die nächsten Schritte seines großen Plans waren.
„Calgary. Warte kurz." Ihre Hand lag auf dem Oberarm des Rebellen, während sie ihn bittend ansah. Ignis, die an seinem anderen Arm hin, funkelte Sydney giftig aus ihren schönen Augen an, doch ihren Blick ignorierte die Rebellin gekonnt.
„Was gibt es, Sydney?", wollte Calgary wissen und runzelte leicht die Stirn. Ihm war sofort aufgefallen, wie ernst ihre Stimme klang.
„Ich möchte mit dir reden. Alleine", fügte sie mit einem Seitenblick zu dem Mondauge hinzu, woraufhin Ignis entnervt die Luft ausstieß.
„Sydney, mag sein, dass das bei dir anders aussieht, aber wir hatten Pläne für heute." Die Worte trieften nur so vor Abneigung und Sydney verdrehte die Augen.
„Beruhig dich, Zuckerpüppchen, du kriegst ihn gleich zurück."
Ignis verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen. „An deiner Stelle würde ich nicht so mit mir reden. Du hast wohl vergessen, wer mein Vater ist. Ein Wort von mir, und du kannst deine besondere Stelle hier vergessen. Ich frage mich sowieso, warum man dich gewählt hat. Du scheinst keine nennenswerten Qualitäten zu haben."
Sydney verdrehte ihre Augen so weit, dass sie fast befürchtete, dass sie so stehenblieben. „Ich habe keine Ahnung, warum du so verbittert und arrogant bist, aber eins kann ich dir versichern, bei mir kommst du damit nicht weit. Also, wenn du mich und Calgary nur für zwei Minuten alleine lassen könntest..."
„Wir sehen uns gleich", meinte Calgary nun auch zu Ignis. In seiner Stimme lag eine Bestimmtheit, die keinen Widerspruch duldete. Nun funkelte das schöne Mondauge auch ihn an, einen Ausdruck in den Augen, den Sydney nicht recht deuten konnte, doch Calgary ließ sich nicht davon beeindrucken. Mit einem wütenden Schnauben ließ sie von dem Rebellen ab und rauschte davon.
„Beeindruckend, dass du es auf Dauer mit ihr aushältst."
„Du willst wirklich über sie sprechen? Lass uns über was Spannenderes reden."
Entschuldigend hob Sydney die Hände. „Tut mir leid. Ich hör schon auf."
„Also, was wolltest du mir sagen?"
„Stört es dich nicht, dass wir überhaupt nicht wissen, was die nächsten Schritte des Planes sind?", kam Sydney sofort zum Punkt und musterte den Rebellen.
Calgary zuckte mit den Schultern. „Toronto und Veritas werden schon wissen, was sie tun."
„Das ist alles, was du zu sagen hast?"
Calgary seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was soll ich denn sonst dazu sagen? Du weißt doch, was unsere Aufgabe ist, alles andere werden wir erfahren, wenn es an der Zeit ist."
Sydney warf die Hände in die Luft und sah ihren Kollegen ungläubig an. „Ohne uns würde ihr toller Plan doch gar nicht funktionieren! Findest du nicht, dass wir dann ein Recht darauf haben, zu erfahren, was als Nächstes geplant ist? Es kann doch nicht sein, dass wir wie Spielfiguren benutzt werden!"
„Und was soll es uns bringen, wenn wir wissen, was sie vorhaben?" Abweisend und fast schon gelangweilt sah er sie an. Sydney runzelte die Stirn. Was war in letzter Zeit nur los mit ihm? Wie konnte seine Stimmung dermaßen schnell kippen?
Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte und öffnete und schloss den Mund wieder.
„Ignis wartet auf mich. Also, wenn du nichts weiter zu sagen hast..." Er wandte sich von ihr ab und bevor Sydney wusste, wie ihr geschah, schnellte ihre Hand ein weiteres Mal vor und hielt ihn zurück. Langsam drehte der Rebelle sich wieder um und starrte sie an. Was sie sah, erschreckte sie zutiefst. Angst stand in seinem Blick und seine Augen huschten unruhig umher. Von jetzt auf gleich war er zu einem vollständig anderen Menschen gewechselt. Erschrocken ließ sie ihn wieder los.
„Sydney...", flüsterte er erstickt und die Panik in dem Braun seiner Augen loderte wie ein unendliches Feuer.
„Calgary", sagte sie und nahm sein Gesicht in ihre Hände. „Beruhige dich. Was ist los?"
Die Panik wich so plötzlich aus seinen Zügen, wie sie gekommen war und hinterließ nichts als Gleichgültigkeit. Absolute Verwirrung machte sich in der Rebellin breit und sie kniff die Augen zusammen.
„Was soll sein?", fragte er und nahm ihre Hände von seinem Gesicht. Sie fielen zu ihren Seiten hinab, während sie versuchte zu verstehen, was soeben vorgegangen war.
„Wir sehen uns", sagte er, drehte sich um und ging in zügigen Schritten davon.
Noch eine ganze Weile blieb die Rebellin so stehen und sah Calgary hinterher, bis er hinter einer Biegung verschwand.
~🩸~
„Sydney? Hast du Ignis zufällig gesehen?"
Mittlerweile war der Abend hereingebrochen und Sydney hatte sich in ihrer kleinen Küche einen Sud zubereitet, als Amabilia in ihre kleine Unterkunft gestürmt war. Besorgnis zeichnete sich auf dem Gesicht des Mondauges ab.
„Ich hab sie zuletzt mit Calgary gesehen. Freundlich wie immer. Wieso fragst du?" Noch immer dachte sie über das seltsame Verhalten des Rebellen nach, und ihr komisches Gefühl besserte sich nicht, als sie Amabilia betrachtete, die alles andere als ruhig wirkte.
„Heute ist eine Familienbesprechung, aber sie ist nicht gekommen. Ich habe schon das ganze Dorf abgesucht, aber sie ist nirgendwo. Ich habe nicht einmal ihre Magie gespürt."
Sydney legte ihren Löffel beiseite und musterte das Mondauge, das sie mittlerweile als Freundin zu bezeichnen wagte. Etwas in ihrem Blick überzeugte sie davon, dass gerade etwas aus dem Ruder lief. Eine dunkle Vorahnung legte sich über jegliche Gedanken und verdüsterte Sydneys Gesicht.
„Einen Moment. Ich bin sofort da."
~🩸~
In voller Kampfmontur stand Sydney wenig später zusammen mit Amabilia, Veritas und Toronto vor der Mondlichtarena. Sydney hatte den anderen gerade erzählt, wie merkwürdig Calgary sich verhalten hatte, und Veritas Gesicht hatte sich mit jedem Wort verdüstert.
Sowetos sonst sowieso schon etwas grimmiges Gesicht wirkte nun hart und verschlossen, doch selbst ein Blinder hätte nun sehen können, dass es unter seiner Oberfläche brodelte.
„Und was sollen wir jetzt tun?", fragte Sydney, nachdem sie mit ihrer Erzählung geendet hatte. Ihr ungutes Gefühl nahm mit jeder Sekunde zu, in der sie nichts tat.
„Wir warten. Ich spüre, dass etwas geschieht. Jemand versucht, unsere Mauern zu durchdringen", sagte Veritas so unheilvoll klingend, dass Sydney ein Schauder über den Rücken lief. Jeder wusste, wer dieser Jemand war.
Toronto, der ihre Unruhe anhand ihrer verkrampften Haltung erkannte, stellte sich neben sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Fast unmerklich beugte er sich zu ihr und flüsterte: „Entspann dich. Was auch immer auf uns zukommt, wir werden uns dem entgegenstellen können."
„Wie konnte das so plötzlich passieren?", flüsterte Sydney, kein bisschen weniger angespannt, als zuvor. „Eben war noch alles in Ordnung."
„Manchmal geschehen Dinge, die wir nicht vorhergesehen haben. Nicht vorhersehen können. Und am allerwenigsten tut man das, wenn es die eigene Familie ist."
In seinen Worten schwang so viel Schmerz mit, dass es Sydney durch Mark und Bein fuhr. Sie sah zu ihrem Anführer, dessen Gesicht von den Gedanken an die Vergangenheit verzerrt war. Was auch immer er erlebt hatte, verfolgte ihn bis heute.
Sydney sah weiter zu Veritas, in dessen gelben Augen nicht minder viel Pein lag. Auch Amabilia hielt nur mühsam ihre Tränen zurück- die Enttäuschung in ihrem Gesicht verriet Sydney, wie verletzt sie von der Tatsache war, dass ihre eigene Schwester dieses Dorf verraten hatte.
Es war klar gewesen, sobald Sydney erzählt hatte, was sie bei Calgary beobachtet hatte. Ständig war Ignis verschwunden gewesen, und ihre Entschuldigung dafür, war Calgary gewesen. Dieser hatte sich im Laufe der Zeit immer merkwürdiger benommen- alleine die Tatsache, dass er nicht mehr mit Sydney gescherzt hatte. Auch sonst war er stiller geworden, ernster. Es hätte ihr auffallen müssen. Sie war seine Trainingspartnerin. Sie war für ihn verantwortlich, genauso wie er für sie.
Ignis hatte ihn manipuliert. Sie hatte ihn als Ausrede benutzt, um ihrer Arbeit nachzugehen, und damit er sie nicht verriet, hatte sie ihn manipuliert. Hatte ihn zu einer Marionette gemacht. Ein simpler Plan. Und doch gewieft genug, um sie alle zu hintergehen. Sydney hatte dieses Mondauge nie für sympathisch gehalten, aber dass sie dazu in der Lage war, ihre Heimat und ihre Familie zu verraten, hätte sie niemals erwartet.
Wut regte sich in ihr und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Weder Ignis noch Calgary waren bisher aufgetaucht, und die Sorge um den Rebellen machte sie schier wahnsinnig.
Nach und nach erschienen Mondaugen aus den Schatten der Edelsteinbäume, die selbst in solch einer angespannten Lage still und friedlich vor sich hin schimmerten. Ein paar der Mondaugen verschwanden in der Arena, Sydney konnte erkennen, dass sie Kinder in ihren Armen hielten. Die Restlichen, ob Mann oder Frau, stellten sich hinter die drei Rebellen und die zwei anderen Mondaugen, bereit, sich und ihr Zuhause zu verteidigen. Sie alle trugen silberne Stirnreifen. Unter ihnen auch Argenti und Sana, der Silberschmied und die Heilerin.
„Ein paar der Mütter und Väter in unserem Dorf beschützen die Kinder in der Mondlichtarena. Da der Mond zu dieser Tageszeit seine volle Kraft entfaltet, werden sie uns über das Silber in der Arena auf schnellem Wege mit Magiereserven unterstützen, selbst wenn wir weiter von der Arena entfernt sind." Veritas hatte die erklärenden Worte an die drei Rebellen gerichtet. Seine Stimme war hart und verbittert.
„Man könnte meinen, meine Tochter hätte nichts von mir gelernt." Die Enttäuschung in seiner Stimme fuhr wie ein Pfeil durch Sydney hindurch.
„Was denkt du, mit wem sie sich verbündet hat?", flüsterte Soweto Toronto zu. Die Anspannung wuchs mit jeder Minute, in der Mondaugen und Bluttränen still verharrten.
Seine Frage sollte nicht von dem Anführer der Rebellen beantwortet werden.
Ein Knallen, so laut, dass Sydneys Trommelfell regelrecht in ihrem Ohr erzitterte, zerriss die Stille und fuhr in die Tiefsten ihres Seins, bevor eine riesige Druckwelle über das Dorf hinwegfegte und jegliches Geräusch verschluckte.
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