Kapitel 23 ~ Nervensäge
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Die nächsten Tage verschwammen in einem einheitlichen, grauen Brei. Ich bekam kaum etwas mit von dem, was geschah, denn ich versuchte, mich von der täglichen Realität abzukapseln. Das war gar nicht so schwer, denn Carlisle hatte mich krank geschrieben und mir strikte Bettruhe verordnet, sodass ich den großen Teil des Tages mit Schlafen verbringen konnte. Mein Onkel hatte die Pflege meiner Oma übernommen, wie er es angekündigt hatte und seine Frau kümmerte sich zusätzlich um mich, brachte mir Essen, das ich nicht anrührte und hielt mich über den Gesundheitszustand meines Großvaters auf dem Laufenden. Das war eigentlich das einzige, was mich wirklich interessierte. Wenn Emma kam und von der Schule erzählte, ignorierte ich sie einfach und auch Hailey, Mason und Antonio hatte ich bei ihrem Besuch nicht beachtet. Alles was ich wollte war meine Ruhe, um mit mir und meiner Trauer alleine zu sein. Es lag nicht an meinen gebrochenen Rippen oder an meinen Schmerzen, es lag daran, dass Carlisle Recht behalten hatte. Seitdem Kuss war Jasper nicht mehr bei mir aufgetaucht und er würde es vermutlich auch nicht mehr tun. Auch von den anderen Cullens hatte ich weder etwas gesehen noch gehört und manchmal fragte ich mich, ob ich nicht alles bloß geträumt hatte. Dann aber erinnerten mich meine Schmerzen daran, dass es Realität gewesen war und ich fing an zu weinen, weil ich mich so schrecklich verlassen fühlte. Ich hatte mich in Jasper verliebt, viel zu schnell und viel zu überstürzt, aber dafür umso unwiderruflicher und intensiver. Nun war er weg und ich alleine mit diesem riesigen Gefühl, das mich so gnadenlos überforderte. Ich sehnte mich so sehr nach ihm, nach seinen schönen Augen, seinem seltenen Lächeln und seiner besonnen Art, nach seinem Blick, mit dem er mich ansah. Ich wünschte mir nichts mehr, als ihn bei mir zu haben, aber dieser Wunsch würde nicht mehr in Erfüllung gehen. Ich hatte ihn verloren, ohne ihn wirklich gehabt zu haben und konnte damit gar nicht umgehen. Es fühlte sich an, als würde mein Herz auseinander brechen und ich war mir sicher, dass es nie wieder heilen würde.
Müde vergrub ich meinen Kopf in meinen Kissen, um meine Schluchzer zu ersticken, denn ich wollte nicht, dass jemand sie hörte. Mein Onkel, seine Frau und Emma machten sich schon genug Sorgen und ich wollten ihnen weitere ersparen. Allerdings konnte ich die Tränen, die mich immer wieder einholten, nicht unterdrücken. Wenn wenigstens Carlisle, Esme, Alice, Edward, Emmett oder meinetwegen auch Rosalie mich einmal besuchen kämen, damit ich sie nach Jasper fragen konnte. Aber das taten sie nicht. Selbst Carlisle hatte meine Versorgung einem Kollegen übertragen. Die Familie Cullen war aus meinem Leben verschwunden, genauso schnell, wie sie darin aufgetaucht war.
"Mira Magdalena Scott", tönte plötzlich eine energische Stimme durch den Raum, die mich zusammen zucken ließ. Nur einen Moment später wurde meine Zimmertür aufgerissen und eine riesige Gestalt tauchte darin auf, die ich nicht einordnen konnte.
"Du wirst jetzt sofort aus diesem Bett aufstehen! Sonst werde ich dich persönlich da heraus holen!", forderte die Gestalt und begann dann, bis drei zu zählen. Ich dachte aber gar nicht daran, aus dem Bett aufzustehen und zog mir die Bettdecke über den Kopf, um den Störenfried aus meiner Trauerblase auszuschließen. Derjenige meinte es aber bierernst, denn als er bei drei angekommen war, stürmte er zum Bett und zog mir einfach die Bettdecke und anschließend das Kissen weg.
"Nah, du stinkst!", bemerkte der ungebetene Besucher dann und warf mein Bettzeug auf den Fußboden. Dann stürzte sich die Person auf mich und begann, mich durchzukitzeln. Verzweifelt wehrte ich mich gegen die unfaire Attacke, trat und schlug um mich und schrie, aber ohne Erfolg. Der Angreifer war viel zu stark und schließlich fügte ich mich resigniert meinem Schicksal, einige verzweifelte Lacher abgebend, die Schmerzen meiner gebrochenen Rippen ertragend und hoffte, er würde bald den Spaß an dieser Quälerei verlieren. Tatsächlich ließ er bald von mir ab und seufzte: "Du bist echt langweilig geworden, Magda!"
Dabei klang er wie ein kleines Kind und mit einem Mal ging mir ein Licht auf. Mit neuer Kraft richtete ich mich ruckartig auf und starrte den Störenfried an, der mit Schmollmund auf meinem Bett saß und dabei so sehr wie der kleine Junge wirkte, den ich in Erinnerung hatte, dass es mich beinahe aus den Socken gehauen hätte, hätte ich welche angehabt.
"SETH!", quiekte ich einige Tonlagen zu hoch und fiel nur kurz darauf meinem besten Freund aus Kindertagen um den Hals, den ich eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte. Dieser erwiderte meine Umarmung bereitwillig, allerdings sehr vorsichtig, was so gar nicht zu seiner Kitzelattacke von gerade eben passte.
"Und ich dachte schon, ich muss sauer sein weil du mich nicht mehr wiedererkennst!", frötzelte er in meine zerzausten Haare und schob mich dann von sich, seine Nase angewidert gerunzelt. "Mal ehrlich, Magda, wann hast du das letzte mal geduscht! Das ist ja ekelhaft!"
Ein wenig peinlich berührte senkte ich den Blick, denn meine letzte Dusche war wirklich schon einige Tage her. Die Freude darüber, ihn wiederzusehen siegte aber und ich hob den Kopf, um ihn leicht anzulächeln. Dabei nutzte ich die Gelegenheit, ihn zu mustern und staunte nicht schlecht, denn aus dem einst schmächtigen Burschen war ein Riese von Mann geworden, mit solchen Muskelbergen, dass er locker als Bodybuilder durchgehen würde.
"Was machst du hier?", fragte ich ihn, bekam aber keine vernünftige Antwort.
"Nun, die Frage ist eher, was machst du hier! Und wieso hast du mich noch nicht besucht!", warf er mir vor und das schlechte Gewissen holte mich ein, denn tatsächlich hatte ich es mit Absicht vermieden, ins Reservat zu fahren. Emma wohnte zwar dort, aber für mich war aus dem Ort, an dem ich einst fast jeden Tag verbracht hatte, Sperrzone geworden. Seth wusste nicht warum, ich hatte es ihm damals verschwiegen, denn er wäre sicher nicht erfreut gewesen wenn er herausgefunden hätte, dass ich damals in seinen dicksten Freund verknallt gewesen war. Auch heute wollte ich ihm das nicht auf die Nase binden, also schwieg ich einfach und zwang mir ein unverbindliches Lächeln ins Gesicht.
"Nun, ist auch egal. Allerdings ist es nicht egal, dass du dich hier seit Tagen in deinem Zimmer verschanzt!", rief Seth und ich sah auf meine gemusterte Schlafanzugshose, da mich die Trauer um Jasper wieder einholte.
"Ich bin krank geschrieben", nuschelte ich, aber Seth schnaubte bloß. "Aber du bist ja nicht hochansteckend. Ich bin mir sicher, etwas Bewegung schadet deinen Rippen nicht. Also mach hin, geh duschen, zieh dir was an und dann gehen wir raus!", forderte er mich auf und ich wusste, dass das keine Frage war. Widerrede war zwecklos, also richtete ich mich mühselig auf und warf meinem angeblichen Freund einen wütenden Blick zu.
"Dich hat der Teufel geschickt", knurrte ich halb im Scherz, halb ernst, aber Setz zuckte nur mit den Schultern.
"Nun, eigentlich war es nur Emma, aber so falsch lagst du gar nicht", erwiderte er. Emma, natürlich. Sie hatte Seth darauf angesetzt, mich aus meiner selbst auferlegten Isolation zu holen. Ein kleines Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, denn Emma war einfach unverbesserlich. Dann ging ich in die Dusche und ließ das Wasser eiskalt auf mich herabregnen, sodass ich mich danach schon viel besser und viel klarer fühlte. Dennoch schlüpfte ich nur in eine Leggins und ein übergroßes T-Shirt, denn darin mich unnötig schick zu machen sah ich keinen Sinn.
Seth saß nach wie vor auf meinem Bett und wartete geduldig auf mich und nickte anerkennend, als er mich angezogen sah. Zu meinem Outifit und meinen nassen Haaren sagte er nichts, wofür ich ihm dankbar war. Stattdessen stand er auf, schnappte sich meine Hand und zog mich aus meinem Zimmer, vorbei an meiner Oma und meinem Onkel, denen ich nur kurz zu winken konnte, und hinaus in das kalte Nieselwetter, das so typisch für diesen Ort war.
"Wohin fahren wir?", fragte ich neugierig, als ich den großen, grünen Pickup sah, der auf unserem Hof parkte.
"Lass dich überraschen, Magda!", erwiderte Seth bloß und hob mich dann auf die Beifahrerseite, da ich wegen meiner Rippen noch sehr bewegungseingeschränkt war. Dann stieg er selber ein und brauste davon, während ich mich das erste Mal seit Tagen wieder annähernd wie ich selbst fühlte.
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