•79•
Eine Bewegung neben mir lässt mich langsam wach werden. Da ich bereits weiß, dass es sich um Smith handelt, öffne ich leicht meine Augen und sehe zu ihm. Drei Tage ist es her, dass wir weggesegelt sind und bisher hat Jason nicht mitbekommen, dass ich mich auf seinem eigenen Schiff befinde. "Es ist noch viel zu früh. Die Sonne ist gerade erst aufgegangen, schlaf noch weiter."
"Ich bin aber wach", sage ich leicht verschlafen und muss leicht gähnen. Ich reibe mir mit einer Hand über meine Augen, blinzle und sehe ihn genauer an. "Musst du ans Steuer?"
Er kommt gar nicht dazu mir zu antworten, da im selben Moment ein Klopfen an der Tür ertönt und sich diese öffnet.
Geschockt weiten sich meine Augen, als Jason erst zu Smith, dann zu mir sieht und sich seine Augen kaum merkbar weiten. "Was zum?"
Ich setze mich auf, bin aber nicht in der Lage etwas zu sagen. Smith hat sein Oberteil halb angezogen und sieht seinen Freund und Captain so geschockt an wie ich.
"Fickst du sie? Ist sie deine neue kleine Schlampe?!", brüllt er und seine Hände ballen sich zu Fäusten. Im Augenwinkel sehe ich wie Smith auf ihn zugehen will, jedoch stockt. "Nein Jason-"
"Komm mir zu Nahe und du bist ein toter Mann. Es reicht schon, dass du diese Frau ohne meine Erlaubnis auf mein Schiff gebracht hast, aber jetzt liegt sie auch noch in deinem verdammten Bett! Und du!"
Mit Wut verzerrtem Gesicht sieht er zu mir und ich zucke zusammen. "Habe ich dir nicht gesagt, dass ich dich nicht mehr sehen will?! Was verstehst du daran eigentlich nicht?! Hast du die Beine breit gemacht für meine Crew, damit sie nichts verraten?!"
"Was ist nur aus dir geworden", sage ich leise und schüttle traurig den Kopf. Ich erkenne den Mann vor mir gar nicht wieder. "Hörst du dir eigentlich selbst zu!? Glaubst du wirklich, dass Smith dir sowas antun würde?"
Ich erhebe mich vom Bett, sodass auch er sehen kann, dass ich völlig bekleidet bin.
"Ich verstehe, dass du wütend bist. Aber sie haben es nur gut gemeint. Sei wütend auf mich, aber nicht auf ihn. Sie haben mir nur geholfen."
"Sie stehen unter meinem Kommando und haben gefälligst mir Bescheid zu sagen, wenn jemand auf mein Schiff kommt!" Mit schnellen Schritten kommt Jason auf mich zu und im nächsten Moment fliegt mein Kopf zur Seite. Brennender Schmerz breitet sich über meiner Wange aus und ich höre wie Smith drohend seinen Namen ruft. Noch nie hat er seine Hand gegen mich erhoben und die Tatsache, dass er sich nun nicht davor scheut, lässt die Tränen in meine Augen steigen.
Eine Hand greift in mein Haar und halten meinen Kopf so, dass ich ihm in die Augen sehen muss. "Ich weiß nicht, was daran so schwierig war zu verstehen: ich möchte dich nicht mehr sehen! Und jetzt bist du auf meinem Schiff!"
Ruckartig lässt er von mir ab und ich sehe erschrocken dabei zu wie er drohend auf seinen Freund zugeht. "Das ist deine Schuld, also kümmerst du dich um sie. Mach das Beiboot fertig, sie wird von Bord gehen." Kurz darauf knallt die Tür ins Schloss und ich zucke zusammen. Ich halte mir eine Hand an die Wange und blicke zu Smith, der mit verzerrtem Gesicht auf die Tür sieht. Niemals hätte ich gedacht, dass Jason zu sowas imstande wäre. Doch ich habe mich in ihm wohl getäuscht.
"Es tut mir leid", flüstere ich leise zu Smith, bevor ich im Begriff bin mein Säckchen mit meiner Kleidung zu füllen.
Noch ehe ich meine Kleidung verstauen kann nimmt Smith sie mir jedoch aus den Händen und schüttelt seinen Kopf.
"Lass das. Ich kümmere mich um ihn. Du wirst sicherlich nicht von Bord gehen, zieh dich erst einmal an und dann komm raus. Frische Luft wird dir gut tun."
Da ich weiß, dass es nichts bringt zu diskutieren nicke ich, lächle ihn jedoch dankend an. Während er die Kajüte verlässt und vermutlich an Deck läuft ziehe ich mir eine Hose an, ziehe eine Bluse drüber und ein Korsett, welches ich mir auf dem Markt ersteigert habe. Ich sehe in den Spiegel und muss automatisch lächeln, da ich auch damals ähnliche Kleidung getragen habe. Meine Haare flechte ich in einen Zopf, welcher mir über eine Schulter nach vorne hängt, ehe ich seine Kajüte verlasse und ebenfalls an Deck gehe.
Ich betrete grade das Deck, als ich Jason's Stimme laut und deutlich höre.
"Ich erwarte, dass meinen Befehlen folge geleistet wird! Nocheinmal und dir passiert mehr als lediglich eine gebrochene Nase!"
Meine Augen wandern zwischen ihnen hin und her, bis ich seine blutige Nase sehe und sich meine Augen weiten.
"Mit dir bin ich auch noch lange nicht fertig!", ruft er und sieht mich eindringlich an, stürmt dann von Deck und lässt uns zurück. Sofort gehe ich zu Smith, der sich noch immer seine Nase hält. Aus meiner Hosentasche hole ich ein Tuch hervor, was ich ihm reiche.
"Ich wollte das alles nicht", murmle ich, aber eher zu mir selbst.
"Wer will sowas schon?" Er sieht zu mir und ich kann genau sehen wie seine Nase eindeutig etwas abbekommen hat. "Geh ihm einfach so gut es geht aus dem Weg und provozier ihn nicht. Ich versuche das ganze hinzubekommen."
Ich nicke, bevor ich ihn an meiner Hand mit mir ziehe um mich um seine Verletzung zu kümmern. Wenn auch brummend lässt er sich mitziehen und in seiner Kajüte auf das Bett dirigieren. Ich hole eine Waschschüssel und etwas, womit ich die Blutung stoppen kann, bevor ich mich vor ihn stelle und seine Nase behandle.
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Ich befinde mich erst wenige Tage wieder auf der Black Hell und dennoch kann ich sagen, dass ich mich noch nie so unwillkommen gefühlt habe wie in diesem Moment.
Ein Ort, der einst mein Zufluchtsort, mein Zuhause gewesen ist, gibt mir jetzt das Gefühl, als sei ich ein Parasit, den es zu beseitigen gilt. Dass dies hauptsächlich an einer einzigen Person liegt - und diese ausgerechnet jene ist, welche dieses Schiff vor Jahren zu meinem Zuhause gemacht hat - macht diesen Schmerz in meiner Brust umso stärker.
Habe ich einst seine Nähe gesucht, versuche ich nun alles, um ja nicht unter seine Augen zu geraten. Lag einst dieses Strahlen in seinen Augen, wenn sie auf meine trafen, ist in ihnen nichts mehr als die Kälte von Eis zu erkennen. Hat mir seine Präsenz damals ein wärmendes, liebendes Gefühl gegeben, weiß ich nun, dass nicht einmal mein Tod eine Regung in diesem Mann hervorrufen würde.
Und wenn es nicht Smith, Joe und die anderen geben würde, wäre die Wahrscheinlichkeit nicht einmal so gering, dass ich es nicht bereits wäre.
Den Mopp in meinen Händen haltend wische ich unter Deck durch die Räume, um ja so viel Abstand zwischen uns zu wahren wie nur möglich. Auch Smith meinte, dass es besser sei, wenn ich erst einmal Abstand zu Jason bewahre, damit dieser sich wieder an meine Präsenz gewöhnen könne. Allerdings bezweifle ich, dass das passieren wird.
Dennoch, sobald ich seine Anwesenheit spüren kann stocke ich. Nur langsam wage ich es mich zu ihm zu wenden, ohne ihm in die Augen zu sehen. "Wisch oben an Deck weiter. Und danach wechsel meine Laken. Sie sind durchgeschwitzt."
Ohne ein Wort zu sagen gehe ich an ihm vorbei, spüre jedoch wie seine Augen mich verfolgen, bis ich aus seinem Blickfeld verschwunden bin. Sobald ich den ersten Fuß an Deck setze spüre ich bereits die heißen Strahlen der Sonne auf meiner Haut und weiß genau, dass sie mir jegliche Feuchtigkeit aus dem Körper entziehen wird, wenn ich diese Aufgabe nicht so schnell wie möglich hinter mich bringe. Wissend, dass der ein oder andere Blick mich beobachtet wie ich die Dielen wische, versuche ich stets daran zu denken, dass die meisten Personen auf diesem Schiff mich stets anlächeln statt mich mit einem kritischen oder abschätzigen Ausdruck zu mustern. Dass einige Neue dabei sind ist mir ebenfalls nicht entgangen.
Diese scheinen nämlich nicht zu wissen wie sie mich behandeln sollen. Einerseits ist da ihr Captain, der mich wie die Pest, welche sie heimsucht, behandelt. Andererseits aber Offiziere wie Smith, die mich wie ein Familienmitglied behandeln. Aber verdenken kann ich es ihnen nicht. Sobald ich an ihnen vorbei komme lächle ich ihnen zu, was sie erwidern. Ansprechen tun sie mich jedoch nicht und die erste Person, die mich erst wieder anspricht, ist mein Zimmergenosse. "Du solltest langsam mal was trinken. Du siehst nicht sonderlich gut aus und bist schon ne Weile hier oben."
Mit seinem Kopf nickt er gen Sonne, doch schüttle ich den Kopf. "Nein, es geht schon. Außerdem will ich mir nicht noch mehr Ungunst bei ihm ansammeln, ganz abgesehen davon, dass ich noch sein Bett neu beziehen muss."
Seine Augen betrachten mich stumm, bis er aufseufzt und den Kopf schüttelt. "Beeile dich einfach, damit du in den Schatten kommst", antwortet er, wendet sich dann ab. Ich meine noch ein "So stur wie eh und je" zu hören, was mir ein Schmunzeln entlockt.
Dennoch brauche ich mehr Zeit wie erhofft, um auch wirklich jeden einzelnen Winkel zu erwischen, bevor ich den Mopp zurück in die Kammer bringen kann, um dann mit frischem Bettbezug in Richtung seiner Kajüte zu gehen. Auch ohne die Tür zu öffnen weiß ich bereits, dass er sich in ihr befindet, und ich atme vorher noch einmal durch, öffne dann die Tür und trete hinein, ohne ihn anzusehen. Stattdessen begebe ich mich direkt zu seinem Bett, wo ich beginne die Laken abzuziehen. Der Geruch von Schweiß, Sex und ihm ist beinahe unerträglich und dennoch lasse ich mir nichts anmerken.
Was habe ich mir nur dabei gedacht auf dieses Schiff zu gehen.
"Wenn du fertig bist bereite bitte eine Wanne für mich vor. Ich möchte mich Waschen."
Ich presse meine Zähne aufeinander, erwidere aber nichts. Ich werde ihm nicht die Genugtuung geben zu sehen, wie zuwider mir sein Verhalten ist, denn genau das ist es, was er will. Er will mich nicht auf diesem Schiff. Er will mich nicht in seinem Leben. Als ob ich allein Schuld an allem tragen würde.
Wie verblendet kann ein Mann eigentlich sein ...
Das Bett frisch bezogen nehme ich die dreckige mit mir und verlasse seine Kajüte. Einen Augenblick überlege ich jemanden um Hilfe zu bitten, schüttle den Gedanken aber ab, da mir etwas sagt, dass das eine törichte Entscheidung meinerseits wäre. Daher begebe ich mich zu der Wanne, die zu meinem Glück leichter ist als sie aussieht, und trage sie dann zurück in seine Räume, fülle diese dann mit einem Eimer immer wieder mit heißem Wasser. Dabei habe ich darauf geachtet, dass es so heiß wie möglich ist, damit die Temperatur nicht so schnell senken kann. Und vielleicht bekomme ich die Genugtuung und er verbrennt sich.
Dafür, dass ich dafür auch noch unzählige Male wieder und wieder mit dem Eimer laufen muss, wäre es aber nur ein kleiner Trost.
Erleichterung macht sich in mir breit, als ich die letzte Ladung Wasser in die nun volle Wanne gieße, und wende mich dann ab, um ihn allein zu lassen.
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"Was hast du heute für mich?"
Ich höre seine Stimme noch ehe er die Küche betritt. Nachdem ich aus seiner jagute geflohen bin und meine restliche Arbeit erledigt habe brauchte ich einen Ort, an dem ich zumindest für eine Weile abschalten konnte. Natürlich habe ich es mir nicht nehmen lassen Joe zu helfen, was er mit einem Lächeln hingenommen hat, während wir in friedlicher Stille das Essen zubereiten. Mir hätte klar sein sollen, dass Jason auch hierher kommen würde.
"Wir haben noch Trockenfleisch. Ich kann dir welches bringen lassen", antwortet dieser, woraufhin ich einen Blick zu ihm wage. Statt zu Jason zu sehen wende ich meine Augen von Joe zurück zu dem Gemüse, welches ich weiter schneide, bis auch das letzte Stück klein genug geschnitten ist.
Ich konzentriere mich so sehr auf das Messer in meiner Hand, dass ich weder mitbekomme, was Jason Joe antwortet, noch, dass er wieder gegangen ist. Erst, als Joe mich mit der Seite anstubst, blicke ich auf und begegne einem aufmunterndem Lächeln. "Er braucht Zeit. Ihr beide braucht Zeit."
"Ich glaube eher, dass wir Abstand brauchen." Ich schüttle meinen Kopf und füge dann das Gemüse in den Topf dazu.
"Ich hätte einen anderen Weg von Tortuga finden sollen."
"Wir wissen beide, dass es keinen anderen gegeben hat seit dem Moment, als er dich wiedergesehen hat. Ob du es glaubst oder nicht, ihm liegt noch viel an dir. Aber er war noch nie die Sorte Mann, der sich mit seinen Emotionen auseinandergesetzt hat."
Unbeholfen zuckt er mit den Schultern und belässt es dabei. Und das ist mir auch lieber so, denn noch mehr von seinen Aufmunterungsversuchen kann und will ich nicht hören. Nicht, wenn ich es besser weiß. Sonst wäre der Blick in seinen Augen ein anderer. Dann würde es sich nicht anfühlen, als würde ich diesem Mann zum ersten Mal begegnen. Oder ich habe ihn all die Jahre niemals wirklich gekannt.
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