•65• Liebe tut weh

Von meiner, beziehungsweise unseren ziemlich schockierender Entdeckung total verstört taumelte ich die paar Treppenstufen runter, die ich wenige Augenblicken zuvor noch zusammen mit Andrew hoch gelaufen war.
Meine Gedankengänge glichen dem Chaos einer Legokiste und ich kniff meine Augen zu.
Die Folge waren starke Kopfschmerzen und ich fasste mir an die Schläfen um diese zu unterbinden.

»-ynn, hörst du mich? Fynn?« Andrew's Stimme klang so, als würde er durch Watte mit mir reden.
Langsam hob ich meine Augenlieder und sah erschöpft hoch zu Andrew, der mich an den Schultern gepackt und leicht geschüttelt hatte.
»Ist alles in Ordnung mit dir?« Fragte er mich und obwohl ich vor wenigen Augenblicken noch am Rande des Wahnsinns war, nickte ich sachte.
»Warum?« Murmelte ich.
»Warum muss ausgerechnet mir das alles passieren? Und WAS passiert mir eigentlich andauernd?« Jammerte ich leise und sah wehleidig in Andrew's braunen Augen.

Andrew sah mich verzweifelt an.
Er schien angestrengt darüber nachzudenken, wie er mir helfen könnte. Doch ich bezweifelte stark, dass selbst er mir jetzt helfen könnte.

Der ältere Vampir strich mir mit seinen Fingerknöcheln über meine Wange und machte den Mund auf um was zu sagen, zögerte aber.
Schließlich schaffte es dann nur ein leises Seufzen über seine Lippen.
Auch er war mit seinem Latein am Ende was mich betraf.
Es deprimierte mich und ich kam mir vor wie ein Alien, mit dem auch niemand was anzufangen weiß.

Ich ging ein paar Treppenstufen runter und brachte so ein wenig Abstand zwischen Andrew und mir.
Zittrig atmete ich tief ein.
Wenn in Zukunft weiter so verrückte Dinge mit mir passieren, würde ich einen Nervenzusammenbruch erleiden!

Erneut schloss ich meine Augen und versuchte mich zu sammeln.
In regelmäßigen Abständen holte ich Luft und stieß sie kurz darauf auch wieder aus.
»Ich werde noch wahnsinnig!« Murmelte ich leise mit geschlossenen Augen.
»Was zum Teufel ist bloß los mit mir? Was habe ich falsch gemacht?« Für Außenstehende dürfte mein Verhalten etwas über dramatisiert wirken, aber ich war wirklich fertig mit den Nerven.
Innerhalb von kürzester Zeit hat sich so viel in meinem Leben drastisch verändert und ich musste mit so vielen neuen Dingen klarkommen, dass ich einfach Angst davor hatte, dass irgendwann mal etwas passiert, mit dem ich nicht fertig werden würde.
Weniger physisch, als viel mehr psychisch.

Ich versuchte meine kurzzeitige depressive Einstellung abzuhaken, als ich hörte, wie die Haustür aufgeschlossen wurde und fast zeitgleich ein unwiderstehlicher Geruch seinen Weg in das Herrenhaus fand.
Wie in Trance glitt ich die restlichen Treppenstufen wieder runter und mein Blick fiel sofort auf den jüngeren der beiden Vampirbrüder Andreas.
Von ihm strömte eigenartigerweise einen sehr interessanter Blutgeruch aus, der mich sehr verzückte.
Ich unterzog ihn einer schnellen, aber sehr genauen Musterung und bemerkte ein paar fast schon unauffällige Blutstropfen am Ärmel seines dünnen grauen Sweatshirts.

Andrew folgte mir und der hinreißende Geruch, der von Andreas kam, schien ihn zwar zu interessieren, aber auch eine böse Vorahnung in ihm auszulösen.
»Was ist passiert?« Wollte er von seinem jüngeren Bruder wissen, doch er machte nur eine wegwerfende Handbewegung.
»Nichts, worüber ich jetzt sprechen möchte.« Erklärte er kurz und knapp und sah uns dann neugierig an.
»Aber was ist mit euch? Ihr seht aufgebracht aus!« Applaus, der Kandidat hat 100 Punkte erreicht. Es war klar, dass er natürlich voll ins Schwarze getroffen hatte, denn alleine schon an meiner Gesichtsmimik müsste es schon klar sein, dass irgendwas hier nicht in Ordnung war.

»Ähm... Ja... Es geht um Fynn... Irgendwas stimmt nicht so richtig... Zumindest mit seinen Schatten, denn er ist weg!« Irritiert sah sich Andreas um, eh sein Blick auf einen Punkt neben mir hängen blieb.
»Ich verstehe eure Aufregung nicht. Da ist er doch!« Andrew und ich folgten seinen Blick und tatsächlich...
Da, direkt neben mir auf dem Boden wurde durch die Deckenbeleuchtung der Schatten von meinem Körper geworfen.
Hä?!
Wie war das möglich?
Andrew und ich hatten doch vor wenigen Sekunden noch nicht mal den Ansatz eines Schattens von mir gefunden.
Oder hatten wir uns das nur eingebildet?
Ziemlich unwahrscheinlich!

»I-ich verstehe das nicht, eben...« Ich unterbrach mich selbst, als ich wieder diese eigenständige zischelnde Stimme wahr nahm.

»~Meister, Eure Familie...
Gefahr!~«

Es hörte sich total komisch an.
Die Stimme schien in einer komplett anderen und mir unbekannten Sprache zu sprechen, doch ich verstand sie fast ohne Probleme. Nur konnte ich nicht alles hören, da es selbst für mich und mein modifiziertes Vampir Gehör zu leise war.

»Habt ihr das auch gehört?« Fragte ich sicherheitshalber, jedoch war ich mir ziemlich sicher, dass die beiden Brüder keine Ahnung hatten, wovon ich sprach.
»Nein... Was de-?« Andrew brach abrupt ab und ich drehte mich besorgt zu ihm um.

Was ich dann sah bereitete mir erhebliche Sorgen!
Denn seine Augen waren schneeweiß!
An sich nichts außergewöhnliches, wenn man über seine Fähigkeiten im klaren war.
Der Punkt war jedoch, dass weder er irgendwen berührte, noch irgendwer ihn!
Er stand wie zu einer Salzsäule erstarrt ganz still und kerzengerade neben mir.
Seine schneeweißen und dadurch irgendwie beklemmend wirkenden Augen waren weit aufgerissen.

Ich bekam Angst um ihn und zupfte etwas an seinem Hemdärmel.
Ich hatte keine Ahnung was das von mir sollte, denn es war irgendwie eine spontan entschiedene Handlung meines Körper.
Vermutlich hatte ich im Unterbewusstsein gehofft dadurch ihn irgendwie wieder 'aufzuwecken'.
Doch natürlich half das genauso wenig, wie als würde man mit Papierkugeln einen Panzer bewerfen.

Jedoch wusste ich nicht, was ich sonst hätte tun sollen und zog etwas ruppiger an seinem Ärmel.
Auch Andreas schien etwas besorgt zu sein und trat näher an seinen Bruder und fuchtelte mit seiner Hand vor Andrew's Gesicht herum.
»Drew? Hey, Andrew!« Rief Andreas, doch von seinem Bruder kam keine Reaktion.

Meine Angst wandelte sich in pulsierende Panik um und ich spürte, wie sich meine Atmung beschleunigte.
Ich hatte Sorgen, dass irgendwas schlimmes mit ihm passieren würde, vor allem weil sein jetztiges Verhalten stark von seinen eigentlichen Fähigkeiten abwichen.

Jedoch konnte ich wenig später wieder etwas aufatmen, als sich in Andrew's schneeweißen Glaskörpern in Sekundenschnelle seine braunen Irden und Pupillen wieder abzeichneten.

Aber ich hatte mich etwas zu früh gefreut.
Denn kaum war Andrew geistig wieder bei Andreas und mir, sah er sich mit weit aufgerissen Augen panisch um.
»Fynn!« Rief Andrew, noch halb in Trance.
»Hier, ich bin hier!« Sagte ich und griff nach seiner Hand.
Ich spürte, wie er sich etwas beruhigte, aber seine Anspannung fiel nicht ganz von ihm.
Mit geweiteten Augen starrte er zu mir herunter.
»Fynn! Wir müssen zu deiner Familie!« Sagte er alarmiert und ich spürte, wie sich abermals Panik in meinen Körper spülte.

Meine Familie, Gefahr...

Das hatte die eigenartige Stimme vor wenigen Augenblicken noch zu mir gesagt!
Ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Margen breit und rein instinktiv griff ich mach Andrew's und Andreas' Hand.

Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich auf den Vorgarten vom Haus meiner Familie.
Es wäre besser, wenn wir nicht plötzlich einfach so mitten im Wohnzimmer auftauchen würden.
So beugte ich einfach ein paar Herzinfarkte vor.

Zufrieden spürte ich, wie sich mein Körper langsam entmaterialisierte und ich nicht den Griff um die jeweiligen Handgelenke der Vampirbrüder verlor.
»Keine Panik, es ist vorbei, eh es überhaupt angefangen hat.« Sagte ich scherzhaft zu den beiden, eh sich unsere Körper ganz auflösten.
Jedoch blieb die gewisse Angst vor dem Unbekannten in meinem Hinterkopf.
Die gewisse Angst vor dem, was mich zu Hause erwarten würde.

Natürlich konnte ich wieder nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war in der Andreas, Andrew und ich unseren Standort gewechselt hatten, aber ich vermutete einfach, dass es nur wenige Sekunden oder höchstens ein paar Minuten waren.

Ich öffnete meine Augen, als ich wieder festen Boden unter meinen Füßen spürte.
Langsam ließ ich Andrew's und Andreas' Handgelenk los.
Wir hatten es geschafft.
Jedoch standen wir jeweils mit unserem Rücken zu meinem alten Heim und mussten uns umdrehen um das hell angestrichene Haus ansehen zu können.

Zuerst hatte ich noch ein kleines angedeutetes Grinsen auf meinen Lippen.
Aber als ich sah, dass die Haustür aufgebrochen und nur noch angelehnt war, schnappte ich panisch nach Luft.

Mein Körper schien wie von selbst zu handeln, als ich förmlich über die paar Meter Rasen zu fliegen schien, so schnell lief ich zu der aufgebrochen Haustür.
»FYNN, NEIN!« Hörte ich noch Andrew rufen, doch ich hörte nicht auf ihn.
Ich stieß das überflüssige Stück Holz so stark zur Seite, dass die ehemalige Tür aus ihren Angeln flog.

Was ich dann sah...


Meine Kehle schnürte sich zu und mir wurde schwindelig.
Ich spürte, wie Tränen über meine Wangen liefen und ich drohte zu Boden zu fallen.

»Ich hab dich!« Hörte ich Andrew, der mich rechtzeitig unter den Schultern gepackt und vor dem Fall auf den Boden bewahrt hatte.
»D-das darf... Das kann nicht sein...« Murmelte ich, während mein Blick auf den zerfetzten Hals meiner Mutter klebte.
Fast kein Tropfen Blut hatte sich von ihr auf den Boden gesammelt also war es klar, dass es ihr ein Vampir vorher ausgesaugt hatte.
Die dunkelgrauen Augen meiner Mom starrten leer und glanzlos uns entgegen und ihr schulterlanges blondes Haar lag wirr wie ein Heiligenschein um ihren Kopf herum auf dem Laminatboden.

Mein Blick glitt erneut zu ihrem verunstalteten Hals.
Derjenige, der DAS getan hatte, hat es nicht getan, weil er Durst hatte.
Er hatte meiner Mutter diesen schrecklichen Tod geschenkt, weil er töten wollte!

Ich riss mich aus Andrew's Armen ging weiter in mein ehemaliges Haus und fand den leblosen Körper meines Vaters im Flur vor der Treppe.
Ihn hatte ein ähnliches Schicksal wie meine Mutter getroffen.
Auch sein Hals wurde brutal aufgerissen und es glich einem Wunder, dass er nicht enthauptet wurde.
Anders als bei meiner Mom war, dass seine Brust aufgerissen war und ein paar seiner Rippen ragten aus seinem vor Blut triefenden und zerfetzten Hemd.
Hier hat der Vampir nun mit dem Blut geschlampt, denn unter dem leblosen Körper trocknete langsam eine Blutlache vor sich hin.
Ich schluckte schwer den dicken Kloß in meinem Hals herunter und versuchte angestrengt, dass die aufwallende Trauer und Aggressivität nicht meinen Körper übernahmen!

Zittrig atmete ich tief durch und war gerade dabei weiter zu gehen, da hielt mich die Stimme von Andrew auf.
»Fynn... Ich halte es für keine gute Idee. Du hast bereits zu viel gesehen, von dem was du eigentlich nicht hättest sehen dürfen. Erspar dir noch mehr Leid und geh nicht weiter!« Bat mich Andrew, doch ich ignoriert ihn und ging weiter, dieses Mal ins Esszimmer.

Ich hatte mit fast allem gerechnet, doch auf das was ich dann tatsächlich sah war ich nun doch nicht vorbeireitet.
Es war makaber und einfach nur abartig!

Charly...
Meine kleine Schwester...
Ihr Körper lag auf dem Esstisch.
Man hatte ihr die Augen geschlossen und ihre Hände auf ihrem Bauch zusammen gefaltet.
Sie lag auf dem Tisch wie in einem Sarg.
Ihr hatte man nicht den schlanken Hals aufgerissen.
Jedoch wurde er von schier unzähligen Bissen geziert.
Ihr dünnen Arme besaßen ebenfalls eine Menge dieser unschönen Male und ihre Handgelenke wurden sauber aufgeschlitzt.
Wie ein schlafender Engel lag sie da und die Tropfen ihres Blutes, die neben ihr auf der Tischplatte waren, sahen aus wie Rosenblätter, die ihren bleichen Körper in ihrer Mitte aufgenommen hatten und wie eine Schutzmauer um ihren geschändeten Körper wirkten.

Mit schweren Herzen schlurfte ich auf mein kleines Mädchen zu und zog sie zu mir.
Ich presste ihren Kopf an meine Brust auf die Stelle, wo normalerweise mein Herz schlagen müsste, und strich ihr über ihr blondes Haar.
Ich gab ein lautes Schluchzen von mir und gab ihr einen letzten Abschiedskuss auf den Kopf, eh ich mit meinen Fingern über ihre kalte Wange strich und sie wieder so auf den Tisch hinlegte, dass ich mir vorstellte, dass sie es einigermaßen bequem hatte.

Vom Esszimmer ging ich links durch den Türbogen in die Küche.
Und sofort vor mir, an der Wand angelehnt, kauerte der bleiche Körper meines älteren Bruders.
Sein Hemd war völlig zerrissen und Bisse prangten überall an seinem durchtrainierten Körper.
Ebenso zierten dunkle blaue Flecken und tiefe Kratzer David's muskulösen Arme.
Auch sein Hals hatte diese Verfärbungen, die nach heftigen Würgen entstanden.

Ich ging näher auf ihn zu und ging vor ihm auf die Hocke.
Jetzt konnte ich seine Dienstwaffe in seiner Hand sehen und war traurig über den Gedanken, der sie weder ihm noch den anderen meiner Familie geholfen hatte.

Wehleidig und mit Tränen in den Augen strich ich vorsichtig mit meinen Fingerspitzen sanft über die Bisse auf David's Schulter.
Da riss plötzlich mein totgeglaubter Bruder seine Augen auf und hob seinen Arm mit der Waffe in der Hand.

Erschrocken krabbelte ich auf den Boden etwas nach hinten und hob beschwichtigend die Hände.
»Hey, Dave. Alles ist gut! Nimm einfach die Waffe runter.« Versuchte ich meinen Bruder zu beruhigen, doch irgendwas stimmte nicht mit ihm.
Obwohl seine Augen weit aufgerissen waren, konnte ich in seinem Blick erkennen, dass er mich überhaupt nicht wahr nahm.

Ich hörte, wie sich Andreas und Andrew ebenfalls zu uns in die Küche gesellten und sich hinter mich stellten.
Einer der beiden zog mich wieder hoch auf meine Füße und ich versuchte weiterhin meinen Bruder zu beruhigen.

»Dave, alles ist okay.« Ich ging einen Schritt auf ihn zu, da fing seine Hand mit der Waffe plötzlich an zu zittern.
»Bleib da! Komm mir nicht näher!« Brüllte er hysterisch.
»Fynn...« Murmelte Andreas.
»Er erkennt dich nicht.« Sagte er und ich nickte.
»Dave, nimm die Waffe runter. Es ist alles okay, niemand wird dir etwas antun!« Versicherte ich ihm, doch es half nichts.
»Bleib von mir weg, Blutsauger!« Rief mein Bruder panisch und ich ging langsam auf ihn zu.

Großer Fehler!

Ich sah, wie sich David's rechter Zeigefinger krümmte und so den Abzug seiner Handfeuerwaffe betätigte.
Durch den lauten Knall zuckte ich erschrocken zusammen...

Kurz bevor sich ein starker Schmerz in meiner Brust ausbreitete...
Und alles um mich herum schwarz wurde...

Irgendwie schaffe ich es immer die Kapitel zu so unchristlichen Uhrzeiten fertig zu stellen.
Aber immerhin habe ich es geschafft ein weiteres zu schreiben.
Wie immer hoffe ich sehr, dass es euch gefällt!

By the way: Guckt euch ›Avengers: Endgame‹ an, wenn ihr es noch nicht getan habt!
Dieser Film hat Gefühle in mir hervorgerufen von denen ich noch nicht mal wusste, dass sie existieren!

Ich hoffe, man liest sich im nächsten Kapitel!

LG Ju★
~2370~ Wörter

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