48. Circle of life
♪ Circle of Life – Elton John
Niall
„Kieran! Alistair!" Aus Leibeskräften schrie ich die beiden Namen heraus. Mein Puls raste und meine Knie fühlten sich schrecklich schwach an, als ich die letzten Meter Distanz zwischen den beiden auf dem Boden liegenden Menschen und mir, überbrückte.
Blut, wohin das Auge schaute, die Lache wurde immer größer und ich glaubte, den Verstand verlieren zu müssen. Eiskalt lief es mir den Rücken hinunter, als ich nach den zarten, blutverschmierten Händchen unseres Sohnes griff, der neben Alistair lag und sich nicht rührte – ebenso wenig wie der kleine, dicke Mann.
„Kieran, oh Gott, sag doch was! Alistair-." Meine Stimme erstarb, als ich das leise Wimmern unseres Sohnes vernahm.
„Papi, Papi", schluchzte er plötzlich herzzerreißend.
Inzwischen kniete Sienna neben uns, betastete ihn, um festzustellen, ob und wo sein Körper vielleicht Verletzungen aufwies.
„Oh Gott, er hat nichts", hörte ich sie sagen. „Das Blut ist nicht seines."
„Kieran, hast du Schmerzen?"
„Nein", heulte er, „ich – ich hab' Angst."
Seine zarten Lippen bebten, doch als Sienna ihn in ihre Arme schloss, wandte ich mich Alistair zu. Dies alles spielte sich binnen kürzester Zeit ab, trotzdem kamen bereits die ersten Leute aus dem Park angelaufen.
„Können wir helfen?"
„Rufen Sie einen Krankenwagen", brüllte ich und versuchte mich daran zu erinnern, was ich im Erste-Hilfe- Kurses über lebensrettende Maßnahmen gelernt hatte. Das Blut sickerte unaufhörlich aus Alistairs Wunde. Es sah nicht gut aus, und als ich nach seinem Puls tastete, fühlte ich nichts. Absolut nichts.
„Gehen Sie bitte zur Seite." Eine dunkle Stimme forderte mich auf, gleichzeitig legte sich eine Hand auf meine Schulter.
„Sir, ist alles in Ordnung mit Ihnen?"
Wie in Watte gepackt, nahm ich die Umgebung in mir auf. Sanitäter, die sich an Alistair zu schaffen machten. Sie begannen mit einer Herz-Lungen-Massage und versuchten die Blutung zu stillen.
„Bitte atme, Alistair", betete ich stumm vor mich hin. „Bitte, bitte."
Es fühlte sich an, als ob die Zeit stillstehen würde. Sekunden verrannen, wurden zu Minuten und die Erkenntnis, dass ich nichts an dem Zustand meines väterlichen Freundes verändert hatte, ließ mich innerlich zusammenbrechen.
Polizeisirenen erklangen und innerhalb der nächsten Minuten war im Park buchstäblich der Teufel los. Die Schaulustigen wurden zurückgedrängt, man kümmerte sich um Kieran, stellte fest, dass er nur eine Schürfwunde am Ellbogen hatte, aber immer noch unter Schock stand. Er weinte unentwegt, selbst Sienna gelang es nicht, ihn zu beruhigen.
Eine Blutdruckmanschette für Kinder war das nächste, was man ihm anlegte, während einer der Sanitäter sanft über seinen Kopf streichelte.
„Kleiner Mann, das kriegen wir schon hin", sagte er.
Auf was sich diese Aussage bezog, wagte ich nicht zu fragen.
„Hier liegt noch jemand!", brüllte plötzlich einer der Polizeibeamten, im selben Moment sah ich Liam im Laufschritt auf mich zukommen. Sophia folgte ihm auf den Fersen und alles was ich herausbrachte, war: „Gott sei Dank seid ihr hier."
Inzwischen hatte man Alistair in den Krankenwagen verfrachtet, auch ein Notarzt war zur Stelle. Ich konnte nicht sehen, was passierte, ob er wieder atmete oder ob -. Ich blendete den Gedanken aus, als Liam mich am Arm nahm.
„Was ist passiert, Niall? Erinnerst du dich an irgendetwas?"
Hart schluckte ich, als meine Augen zu dem zweiten Opfer gingen, welches soeben zugedeckt wurde. Dieser Mensch war nicht mehr am Leben, ansonsten wäre man anders verfahren.
Stockend begann ich zu sprechen, erwähnte unser Telefonat und dass kurz darauf erst ein und dann der nächste Schuss erfolgte, während Kieran gemeinsam mit Alistair auf Eichhörnchen Jagd machte.
Gerade als ich fragen wollte, wie Liam und Sophia so schnell über dieses Massaker hier in Kenntnis gesetzt worden waren, tauchten zwei weitere Autos auf. Aus dem hinteren Wagen stiegen Louis, Harry und Eleanor, aus dem vorderen ein Mann, den ich nicht kannte.
„Das ist der Staatsanwalt", klärte Liam mich auf, als er meinen Blick bemerkte. „Der kommt immer, wenn es Tote gibt."
Mit zitternden Beinen lief ich zu Sienna, die mit Kieran auf einer Trage saß. Er hatte sich inzwischen ein wenig beruhigt, klammerte sich jedoch fest an seine Mutter. Immerhin hatte man seine Hände gesäubert und die Schürfwunde mit einem Pflaster überdeckt. Ich sah, wie Siennas Körper zitterte, die Angst in ihren Augen und die Fassungslosigkeit darin. Dies hatte ein schöner Tag werden sollen, der jedoch schlimm endete.
Wie groß das Desaster wirklich war, erfuhr ich in der nächsten Sekunde, die alles veränderte.
„Wir haben zwei Tote, der kleine Junge ist unverletzt."
Die Stimme gehörte dem Notarzt, der soeben das Rettungsfahrzeug verließ.
Zwei Tote.
Der eine, war der Unbekannte, der andere -. Verzweifelt ballte ich die Hände zu Fäusten, ein unkontrollierter Schrei entwich meiner Kehle. Ein Schrei, der niemals den Schmerz ausdrücken konnte, welchen ich in diesem Augenblick empfand.
Alistair war tot.
~~~
Ich hätte ein Buch über den Mann schreiben können, der sich meiner annahm, der meinem neuen Leben damals einen Sinn gab, indem er Sienna zu mir brachte. Alistair hatte alles für uns getan. Und in den letzten Sekunden seines Daseins, hatte er Kierans Leben gerettet.
Louis händigte mir verbotenerweise eine Kopie des Polizeiberichts aus, weil er wusste, wie wichtig dies für mich war. Ich las, dass Alistair an einem Schuss, der seine Lunge erreichte, starb. Mutmaßungen ergaben, dass der das Aufblitzen der Waffe durch eine Reflektion der Sonnenstahlen gesehen habe musste. Die Spuren am Tatort wiesen auf eine schnelle Körperdrehung hin, ein Umstand, der ihn, anstatt Kieran zum Ziel machte. In vollem Bewusstsein, dass es ihn erwischen würde, rettete er unseren Sohn.
Kieran sollte getötet werden, durch den Mann, dessen Identität inzwischen festgestellt worden war. Es handelte sich um das alte Oberhaupt der kolumbianischen Mafia, den Vater des Prinzen. In seinem Jackett fand man einen Zettel, der die Worte: „Auge um Auge, Zahn um Zahn und Sohn um Sohn", enthielt. Nach der Tat hatte der Mann sich selbst erschossen.
Nachforschungen ergaben, dass er mit gefälschten Papieren nach Europa gelangt war. Die Leute an den Grenzen musste geschlafen haben, wie Louis sich ausdrückte. Auch er war am Boden zerstört. Niemand von uns kam mit diesem Verlust klar, aber am wenigsten Kieran.
Immer wieder fragte er, ob Alistair nun wirklich beim lieben Gott sei, stets weinte er, wenn ich die Frage mit einem Nicken beantwortete und als der Tag der Beerdigung nahte, wollte ich mich am liebsten verkriechen.
Normalerweise sah ich den Tod mit anderen Augen, als die meisten Menschen, was aufgrund meines Berufes wohl normal sein sollte. Doch dieses Mal verließen mich die Kräfte sowie der unendliche Glaube. Es war falsch, dass ein guter, liebevoller Zeitgenosse, das Zeitlich viel zu früh segnen musste. Er hätte gut und gerne noch zwanzig Jahre leben können.
Einen Menschen wie Alistair zu Grabe tragen zu müssen, riss ein tiefes Loch in mein Herz und in meine Seele. Äußerlich blieb ich gefasst, doch in meinem Innersten tobte ein Kampf. Unzählige Tränen hatten Sienna und ich vergossen, wenn Kieran abends im Bett lag, uns jedes Mal gefragt, ob man seinen Tod nicht hätte verhindern können; was wohl passiert wäre, wenn wir an diesem Tag nicht auf den Spielplatz gegangen wären.
„Er hatte nach euch gesucht, euch gefunden und wollte nur die Rache an seinem Sohn nehmen", lauteten Louis' Worte, als ich ihn danach fragte. „Die alten Männer der Mafia machen solche Dinge. Deswegen wurden die Grenzkontrollen verschärft und er sollte nicht aus den Augen gelassen werden. Unsere ausländischen Kollegen haben es verbockt und auch die Kollegen hier bei der Einreise. Zudem fiel der Fahndungscomputer an diesem Tag stundenweise aus. Viele Faktoren kamen zusammen, die letztendlich dazu führten, dass dies geschah."
Louis klang so ruhig, als er dies sagte, doch ich wusste, wie sehr er litt und dass er in seinem Innersten tobte. Die Unfähigkeit gegen die Fehler anderer anzugehen, die nicht mehr wiedergutzumachen waren, dies grämte ihn fürchterlich.
Er trauerte wie ich im Stillen, während Harry und Liam ihre Gefühle, wie die Frauen auch, offen zeigten. Aber heute, am Tag der Beerdigung, da war es egal, da hielten selbst Louis und ich unsere Fassaden nicht aufrecht.
Stumm stand ich in der Trauerhalle, betrachtete den Sarg aus dunklem Mahagoniholz. Alle anderen verweilten noch draußen, doch in meiner Eigenschaft als ein Kollege des Pfarrers, der gleich die Trauerfeier leiten würde, durfte ich eher hinein. Vorsichtig legte ich meine Finger an die Lippen, um sie anschließend auf dem Sarg zu platzieren. Ein letzter Kuss für Alistair, eine Geste der unendlichen Dankbarkeit und Trauer, die ich empfand. Dieser Mann brachte so viel Sonne in mein Leben und obwohl es sein Job war, mich und meine Familie zu schützen, hatte ich immer das Gefühl, dass er dies gerne tat, aus einer Berufung heraus und nicht unbedingt, weil er dafür bezahlt wurde.
Niemand konnte ermessen, wie sehr Alistair mir und auch meinen Liebsten fehlen würde. Kieran war unglaublich traurig. Selbstverständlich hatten wir ihm nicht gesagt, dass Alistair für ihn gestorben war. Das würde seine zarte Seele im Augenblick nicht verkraften. Er würde sich unendlich schuldig fühlen und denken, er hätte etwas falsch gemacht. Ein fünfjähriges Kind verstand diese Zusammenhänge noch nicht richtig.
Was sich ereignet hatte war tragisch, dennoch mussten wir der Tag mit Würde hinter uns bringen.
Seufzend verließ ich die Trauerhalle aus dem kleinen Seitenausgang, um auf Sienna zuzugehen. Sie stand, mit Kieran an ihrer Hand, mit Briana zusammen, die ebenfalls ihren Sohn bei sich hatte. Wir waren übereingekommen, dass die beiden die Beerdigung miterleben sollten. Vielleicht half es ihnen ein wenig, zu wissen, dass die jederzeit Alistairs Grab würden aufsuchen können. Selbst für mich klang das nur nach einem schwachen Trost.
„Wir können jetzt hineingehen", ließ ich die Frauen wissen, die mir ein stummes Nicken entgegenbrachten.
Was sich hier abspielte, glich einem Staatsbegräbnis. Alistair Kirkland war schließlich nicht irgendjemand gewesen. Er verkörperte alles, was Recht, Genauigkeit, Diensteifer, Loyalität dem Staat und den Kollegen gegenüber ausmachten. Außerdem war er ein liebevoller Familienvater und treuer Ehemann gewesen.
Ich schluckte hart, als ich Rosie und Maggie sah, deren rotverquollene Augen auf die Tränen hindeuteten, die sie bereits vergossen hatten. Irgendwie fühlte ich mich schuldig. Schuldig, weil Alistair für Kieran gestorben war.
Harry stand bei ihnen, er hielt Maggies Hand und kämpfte ebenfalls mit den Tränen. Auch Eleanors, Liams und Sophias Mienen strahlten eine große Trauer aus und von Louis und auch Aki wollte ich gar nicht erst zu reden anfangen. Vermutlich wurde Aki durch die Erinnerungen in Barrow überrollt. Annun war gestorben und nun auch Alistair.
Noch immer erschien mir dieser Gedanke unfassbar, doch als der Pfarrer mit der Trauerfeier begann, wurde plötzlich alles real.
Der Druck von Siennas Hand ausgehend ließ mich wissen, dass meine Familie mich brauchte, dass wir uns festhalten mussten, egal, wie schlimm die Dinge um uns herum sich anfühlten. Nichts würde uns Alistair jemals zurückbringen, er lebte nur noch in unseren Erinnerungen. Und diese besaß ich im Überfluss.
Sein verschmitztes Lachen, das gütige Gesicht, das Strahlen seiner wachen Augen, wenn er Kieran erblickte. Alistair hatte unseren Sohn geliebt wie ein Enkelkind. Seine eigenen, fleischlichen Enkel würde er jedoch niemals kennenlernen. Zumindest nicht in dieser Welt. Sein Körper hatte sich verabschiedet, doch sein Geist, seine Seele, schwebte weiterhin in unserem Universum. Doch nur für diejenigen die glaubten, würde dies eines Tages zum Trost werden. So seltsam es klang, mich konnte im Moment nichts trösten, selbst die Worte meines Kollegen nicht, der diese Trauerfeier wirklich liebevoll gestaltete.
Als sie zu Ende ging, trat ich gemeinsam mit Harry, Louis und Liam nach vorne. Wir hatten besprochen, dass wir Alistairs Sarg, der mit Blumenkränzen und Bändern ausgezeichnet war, zum Grab tragen wollten. Jeder von uns verband Erinnerungen mit diesem Mann, den wir geliebt und verehrt hatten. Sein Verlust stürzte uns beinahe in einen tiefen Abgrund.
Als Louis uns das Zeichen gab, packten wir alle gemeinsam an, um unseren Freund auf seinem letzten Weg zu begleiten. Mit tränenverschwommenen Augen lief ich hinter Liam, neben uns warteten die Menschenmassen. Das halbe Präsidium musste anwesend sein, ebenso Kollegen auf dem Ausland, mit denen er zusammen gearbeitet hatte.
Ich sah Preston, dem die Tränen über die Wangen liefen, Basil, dessen versteinerte Miene seine Trauer verbergen sollte sowie viele unbekannte Gesichter. Der Sarg war schwer, doch das das interessierte mich nicht. Für Alistair würde ich mich bis zum Äußersten quälen.
Die Emotionen, welche sich in meinem Herzen ausbreiteten, als der Sarg schließlich in die Erde hinabgelassen wurde, entbehrten jeglicher Gefühlsregung, die ich bisher in meinem Leben verspürt hatte. Er hatte alles für uns getan, die Dinge stets in die richtige Bahn gelenkt und doch siegte am Schluss das Böse. Warum hatte Gott das zugelassen? Ich verstand es in diesem Augenblick nicht.
Die Grabrede hielt ein Mann, den ich nicht kannte. Als ich Briana, die links neben mir stand, einen fragenden Blick zuwarf, erklärte sie leise: „Das ist James Davis, der Leiter des Präsidiums."
Der Mann hatte Klasse, machte seine Sache richtig gut und am Ende standen erneut Tränen in meinen Augen.
Jeder von uns nahm Abschied, warf Blumen oder Erde in das frische Grab. Stumm betete ich das Vaterunser, in der Hoffnung, dass er mich erhörte, mir in dieser dunklen Stunde Trost spendete.
Ich beobachtete Kieran und Freddie, die Hand in Hand zum Grab marschierten. Für die beiden Jungs war das eine wichtige Erfahrung, eine, die sie glücklicherweise zusammen machen konnten. Gegenseitigen Trost aber auch Leid zu erleben, brachte die Menschen näher zusammen. Freddie und Kieran waren ohnehin sehr eng miteinander befreundet aber ich war mir sicher, dass diese Beziehung im Laufe der Jahre nicht auseinanderbrechen würde, sondern immer mehr an Bedeutung gewann.
Jeder von ihnen nahm eine Blume in die kleinen Hände. Noch immer sah ich das Blut an Kierans kleben, das Bild wollte einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden. Als er die rote Rose fallen ließ, da fühlte es sich an, als würde ich zu Boden gehen. Innerlich tat ich das auch, aber äußerlich blieb ich der gefasste Geistliche, so wie man es erwartete.
Im Anschluss an die Beerdigung trafen sich die Trauergäste in einem großen Café. Der Leichenschmaus war mir seit jeher zuwider, ich rührte kein Stück Kuchen an sondern trank lediglich zwei Tassen Tee. Als meine Augen zu Louis schweiften, der sich in einem Gespräch mit einem jungen Mann befand, schaute er plötzlich zu mir. Vielleicht hatte er meinen Blick gespürt, denn er winkte mich heran.
„Niall, ich möchte dir gerne unseren neuen Mitarbeiter vorstellen. Shawn ist nun der Newbie in unserm Team."
Das fiese Grinsen, das Louis kurz aufsetzte, ließ mich wissen, dass dem armen Kerl so einiges bevorstand. Und für einen Moment vergaß ich die Trauer, sondern erinnerte mich an die Aktion mit Harrys Unterwäsche.
„Hallo, Shawn, es freut mich, dich kennenzulernen." Lächelnd schüttelte ich seine Hand. Er wirkte noch sehr jung, beinahe so, als wäre er noch grün hinter den Ohren. Aber Louis und sein Team würden ihn gewiss zu einem hervorragenden Agenten machen.
„Es freut mich auch, Sir."
„Ich bin, Niall, nicht Sir, ok?"
„Ok. Ich habe schon einiges von dir gehört."
„Ach ja?" Beim besten Willen konnte ich mir den Satz nicht verkneifen, der in diesem Augenblick durch meinen Kopf ging.
„Hast zu zufällig eine rote Boxershorts? Wenn ja, pass gut darauf auf."
Völlig überrumpelt blinzelte er mir entgegen, während Louis zum ersten Mal an diesem Tag kurz ein Lachen sehen ließ. Zwar vermischte sich dies mit der Traurigkeit seiner Augen, doch es tat gut zu wissen, dass ich meinem Freund dies entlocken konnte, wenngleich auch nur für wenige Sekunden.
Louis und ich schwammen noch immer auf einer Wellenlänge und wäre der heutige Tag nicht so tragisch gewesen, dann hätten wir uns vermutlich gerade vor Lachen die Bäuche gehalten.
Als Rosie auf mich zukam, wurde ich von einer zur anderen Sekunde ernst. Der Witwe in die Augen zu schauen, fiel mir schwer, doch sie suchte förmlich den Blickkontakt mit mir und nahm Sienna und mich an die Hände.
„Habt ihr einen Augenblick Zeit für mich? Ich möchte gerne unter vier Augen mit euch reden."
Wir folgten ihr in einen kleinen, separaten Raum, dessen Tür sie hinter sich verschloss.
„Ich weiß, was in euch beiden vorgeht, glaubt mir das. Alistair hat euch beide sehr gern gehabt, euch und euren Sohn. Er sagte immer, er würde sich eines Tages eine Enkel wie Kieran wünschen, so einen lieben Jungen, der immer nur Sonne in das Leben bringt."
„Rosie, ich"-, wollte ich ihr Einhalt gebieten, als ich die Tränen in ihren Augen schimmern sah, doch es war zwecklos, denn sie unterbrach mich sofort.
„Bitte, Niall, lass mich ausreden. Ich möchte meine Gedanken mit euch teilen. Aber zuerst müsst ihr mir versprechen, dass ich Kieran so oft sehen darf, wie ich möchte."
„Aber natürlich, das ist selbstverständlich", erklang Siennas Stimme neben mir.
Meine Frau wirkte total aufgelöst aber sie hielt sich tapfer an meiner Seite.
„Gut, denn ich liebe euren Sohn, so wie mein Alistair es tat. Er musste leider gehen, doch er hat Kieran das Leben gerettet, weil er es so wollte. Alistair war Polizist aus Berufung und mehr als einmal dachte ich, er käme nie wieder lebend nach Hause, das könnt ihr mir glauben."
Rosie machte eine kurze Pause, bevor sie weitersprach.
„Das ist der Kreislauf des Lebens, einer geht und der andere kommt. In der Sekunde, in der Alistair starb, wurde irgendwo auf dieser Erde ein Baby geboren. Zwei Menschen wurden zu den glücklichsten der Welt. Wir dürfen in unserer Trauer nicht vergessen, dass unser Leben weitergeht. Alistair hätte nicht gewollt, dass wir nichts mehr außer diesem schrecklichen Gefühl wahrnehmen. Er war ein warmherziger Mensch, immer bereit anderen zu helfen. Und seine Zeit, sie war vermutlich gekommen. Aber Kierans nicht, er ist ein kleiner, unschuldiger Junge. Es sollte so sein, dass Alistair für ihn gestorben ist, bitte grämt euch nicht, macht euch keine Vorwürfe."
Als Rosie uns an sich drückte, hörte ich, wie sie weinte und für einen Moment gab ich mich willenlos dem Gefühl der Trauer hin, gemeinsam mit Sienna, deren Körper heftig bebte. Rosie ließ uns genau eine Minute, um dies auszuleben, dann sprach sie erneut.
„Das ist alles, was ich euch wissen lassen wollte und nun geht, lebt euer Leben aber vergesst meinen Alistair nicht, ok?"
„Niemals", brachte ich mit bebender Stimme hervor.
„Niemals", kam es leise von Sienna, die meine Hand nahm.
Gemeinsam suchten wir nach Kieran, der neben Freddie saß. Es wurde Zeit, nach Hause zu gehen und diesen traurigen Tag zu beenden.
Die bedrückende Stille im Haus, als wir eintraten, verflüchtigte sich auch während der nächsten Stunden nicht. Kieran malte Bilder, auf denen er mit Alistair zu sehen war. Ich ging mit Myles Gassi, um zur Ruhe zu kommen und Sienna bereitete das Abendessen zu.
Wir nahmen dieses stumm ein, die Gespräche, die wir ansonsten bei Tisch führten, schienen heute nicht passend zu sein. Direkt nach dem Essen brachten wir Kieran zu Bett. Wie üblich beteten wir mit ihm und dieses Mal schloss er Alistair in seine Worte mit ein.
„Bitt lieber Gott, mach, dass es Alistair gut geht. Ich habe ihn sehr lieb, weißt du."
Seine kindliche und feinfühlige Art rührte Sienna, aber auch mich, zu Tränen. Nur mit allergrößter Mühe vermochten wir diese zurückzuhalten, wir wollten nicht, dass Kieran erneut zu weinen anfing. Er sollte endlich in seinen wohlverdienten Schlaf sinken.
Sanft küsste ich seine Stirn, bevor Sienna ihn an sich drückte. Sein kleines Herz hatte in den letzten Tagen so viel Leid erfahren. Es tat mir in der Seele weh.
Kaum hatte ich den Raum verlassen, führten meine Schritte mich in das Erdgeschoss, wo ich mich auf einem der Stühle, am Küchentisch, niederließ. Den Kopf in den Händen verborgen, saß ich einfach nur da und ging meinen Gedanken nach. Warum hatte das alles passieren müssen?
„Niall?"
Siennas Stimme schlich sich zwischen die traurigen Impulse, die mein Hirn unaufhörlich aussendete.
„Warum musste Alistair sterben?", flüsterte ich. „Wieso konnte er nicht bei uns bleiben? Wozu das alles, wenn er am Ende sein Leben verloren hat?"
Es gab nichts, was mir in diesem Moment Trost spenden konnte, nicht einmal Gott selbst, dem ich diente. Zu groß war meine Trauer, zu sehr kämpfte ich mit den Schmerzen, die durch meine Seele und durch mein Herz peitschten wie ein Orkan, der im Begriff war, alles niedermetzeln zu wollen.
„Niall." Ihre sanfte Stimme schlich sich erneut in meine Gedanken. „Bitte schau mich an."
Es lag mir fern, Sienna zurückzuweisen, denn auch sie trauerte. Deshalb nahm ich die Hände von meinem Gesicht, um in ihre klaren, blauen Augen zu schauen.
„Kannst du dich daran erinnern, was Rosie heute gesagt hat?", stellte sie ihre Frage.
Ich schluckte kurz, bevor ich zu einer Antwort ansetzte.
„Rosie hat so Vieles gesagt, was genau meinst du?"
„Dass das Leben ein Kreislauf ist. Ein Leben geht, ein anderes kommt."
„Sicher, Baby."
Geistesabwesend rieb ich meine Augen, als Sienna plötzlich nach meinen Händen griff.
„Schau mich an, Niall", bat sie ruhig.
Klar wirkte ihre Stimme, doch ihr Gesicht war mit einer unheimlichen Blässe überzogen. Auch sie hatte während der letzten Stunden und Tage unglaublich viel durchgemacht. Den Blick auf ihre Augen gerichtet, die einen seltsamen Glanz aufwiesen, spürte ich, wie sie meine Hände vorsichtig auf ihren Bauch legte, um leise zu wispern.
„Ein Leben ist gegangen, Niall, doch ein neues kommt."
Das war der Moment, in dem ich die Bedeutung dieser Worte richtig begriff. Unser Leben würde weitergehen, es musste weitergehen, denn das vollkommene Glück, das uns nun zuteilwurde, wollte gut behütet werden. Ich konnte es nicht fassen. Trauer und Freude vermischten sich in diesem Augenblick, der mir bewusst machte, dass ich in einer der dunkelsten Stunden meines Lebens, das wertvollste Geschenk erhielt, das unser Dasein zu bieten hatte.
Tränen purzelten über meine Wangen, als ich das Shirt über ihren Bauch schob. Zärtlich wanderten meine Hände über die weiche, glatte Haut, die ich nun mit meinen Lippen berührte, um unzählige Küsse darauf zu verteilen.
„Hallo, Baby", wisperte ich, „hier ist dein Daddy."
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Ich habe nicht viele Worte, die ich euch an dieser Stelle sagen möchte, weil mir bewusst ist, wie sehr ich euch schockiert habe. Es tut mir leid, wenn ich eure kleinen Herzen zerissen habe und ja, ich bin sehr gespannt auf die Kommentare. Dieses Kapitel war das schwerste der gesamten Black-Reihe, was das Schreiben angeht. Ich habe geweint, als ich es schrieb.
Danke für euren unglaublichen Support.
Das nächste Update kommt morgen, also am Samstag.
Ich möchte an dieser Stelle eine Collage von Schokohoran einfügen, der ich dieses Kapitel widme. Da ist Shawn drauf, das neue Mitglied des Teams. Ich finde sie wunderschön. Vielen Dank dafür!
LG, Ambi xxx
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