[Kein Ende der Welt]

Hi, hi! Der Teil hier ist schon vor Monaten entstanden (Liebe an traumjaegerin), aber ich hab ihn damals nur an meine Freunde geschickt, damit sie aufhören mir mit Mord zu drohen. Aber here we go, ein bisschen "wie hätten sich Du und Ich getroffen wenn die Welt nicht untergegangen wäre" auch für euch.

*

Ich habe meinen Schlüssel vergessen.
Diese Erkenntnis ist fast schon erleichterend angesichts der Tatsache, dass ich einen Moment vorher noch dachte, ich hätte ihn verloren - und fuck, der Vermieter würde mich killen, weil der mich eh schon seit der Sache mit der Waschmaschine auf dem Kicker hatte. Aber nein, ich weiß genau wo er ist. In meiner Jacke, meiner anderen Jacke, welche ich gerade nicht trage. Die stattdessen auf der Garderobe hängt, vielleicht zwei Meter von mir entfernt.
Wie blöd, dass eine verschlossene Tür unser rührendes Wiedertreffen verhindert.
Ich gehe fluchend den Flur auf und ab. Super. Grandios. Toll. Eigentlich ist der Tag heute echt voll okay gewesen, aber natürlich muss so ein Scheiß noch passieren.
Ich lass mich frustriert auf eine der Treppenstufen sinken und hole mein Handy heraus, wähle die Nummer meiner Mitbewohnerin und bin so dankbar wie nie zuvor, dass sie einer der komischen Menschen ist, die ihr Handy nie auf stumm schalten.
"Hey?", nimmt sie sofort ab.
"Hey", antworte ich und bereite mich darauf vor, bis zum Rest meines Lebens verspottet zu werden, "ich hab meinen Schlüssel vergessen. Wollte dich nur fragen, wann du ungefähr nach Hause kommst."
"Idiot", kommt die unglaublich mitfühlende Antwort, gefolgt von einem "warte mal einen Moment."
Ihre Stimme entfernt sich, bevor sie wieder kommt. "Sorry", sagt sie dann und dieses Mal klingt ihr Mitleid aufrichtig, "ich komm vor drei Stunden hier nicht weg. Willst du sonst rüber kommen und die Schlüssel holen?"
Ich denke kurz darüber nach, aber mit den Öffentlichen durch die halbe Stadt zu fahren und wieder zurück würde wohl auf das gleiche hinauslaufen, wie einfach auf sie zu warten.
"Nee, schon gut", erwidere ich also, "schreib mir einfach wenn du fertig bist."
"Klar, mach ich", verspricht sie, bevor wir das Telefonat beenden.
Ich lehne meinen Kopf frustriert gegen die kahle Wand und versuche meine Optionen durchzugehen. Wenigstens hat mein Handy noch ausreichend Akku und ich bin nahe genug an der Wohnung dran, um mit dem WLAN verbunden zu sein. Ich bezweifle aber, dass es mir mein Rücken danken wird, wenn ich drei Stunden lang zusammengekauert auf der Treppe Netflix gucke.
Außerdem sollte ich eigentlich meinen Koffer packen, da morgen der Flug zu meinen Eltern geht.
Da mir jedoch erstmal keine großartig andere Möglichkeit einfällt, bleibe ich sitzen und scrollen wahllos durch Instagram herum.
Dadurch kriege ich zumindest ein paar Minuten rumgeschlagen, bevor mir langweilig wird. Also krame ich in meiner Hosentasche nach meinen Kopfhörer, berühre stattdessen jedoch etwas kühles. Ich greife danach und halte einen Moment später zwei Büroklammern in der Hand.
Ich sehe sie etwas unschlüssig an, doch die Idee hat sich längst eingeschlichen und weigert sich zu gehen. Und so lasse ich mir nur kurz darauf später von einem Wiki-How-Tutorial erklären, wie man ein Schloss knackt.
Zugegeben, ich mache mir nicht großartig Hoffnungen und da ich nicht reinzufällig eine Zange mit mir herumschleppe, scheitert mein Vorhaben schon halb daran, die Klammern zurecht zu biegen. Aber ich habe auch nichts besseres zu tun, also versuche ich es einfach weiter.
Als ein klickendes Geräusch ertönt halte ich inne und für einen Augenblick denke ich, dass ich es irgendwie geschafft habe und das Schloss aufgeschnappt ist. Aber leider bin ich nur mit Dämlichkeit statt einem Talent für Kriminalität gesegnet und die Tür bleibt verschlossen.
Dafür öffnet sich offensichtlich eine andere - im Stockwerk über mir.
Ich richte mich hastig auf und versuche irgendeine Position einzunehmen, in der ich nicht vollkommen bescheuert aussehe. Jedoch geht das schlecht, wenn gerade Büroklammern in meiner Wohnungstür stecken und in meiner Hektik schaffe ich es nicht sie sofort zu entfernen. Soll ich mich ganz unverdächtig davor stellen und so tun, als ob ich in meinem Handy vertieft bin?
Aber bevor ich mich entscheiden kann, sind die schnellen Schritte schon näher gekommen und als ich aufblicke, stehst du auf der letzten Treppenstufen neben mir.
"Hallo", sagst du und nickst mir zu, bevor du die Stirn runzelst. "Was machst du da?"
"Ähm... " _In meine eigene Wohnung einbrechen, ist so ein neues Hobby von mir._
"Hab meinen Schlüssel vergessen", erkläre ich lahm.
Du lehnst dich ein wenig herunter, um meine Konstruktion zu betrachten.
"Und, erfolgreich?"
"Nicht wirklich."
"Hm, lass mich mal ran."
"Passt schon", versuche ich abzuwinken, aber da greifst du schon nach einer der Büroklammern. Also
mache ich nur einen Schritt zur Seite, damit du besser an das Schloss rankannst.
Ich betrachte dich gespannt dabei, wie du die Klammern wieder rausholst und neu biegst. Ich kenne dich nicht wirklich. Klar, wir hatten uns ein paar Mal getroffen und das ein oder andere kurze Gespräch geführt, aber in meinem Kopf warst du einfach nur die Person, die über uns lebte.
Und jetzt würde ich für dich für immer die Person sein, die ihren Schlüssel vergessen hatte und mit zwei Büroklammern versuchte das Problem zu lösen.
Was vielleicht nicht sonderlich tragisch ist, aber ich hatte deutlich eindrucksvollere Eigenschaften.
"Lass es gut sein", sage ich schließlich, als du genau so erfolglos bleibst wie ich, "meine Mitbewohnerin kommt eh irgendwann. Wollte es nur ausprobieren."
"Na gut", erwidertst du, ziehst die Drähte erneut aus dem Schloss und gibst sie mir, "schade, beim Tagebuch meines kleinen Bruders hat es damals geklappt."
Ich lache auf. "Und, hast du damals irgendwelche Geheimnisse gefunden?"
"Oh ja, er hatte eine meiner Pokémon-Karten gestohlen und sie zwischen den Seiten versteckt."
Ich zog betont laut die Luft ein. "Und diesen Verrat hast du ihm verziehen?"
Du grinst mich schief an. "Naja, ich konnte ihm schlecht sagen, dass ich die Karte gefunden hatte, ohne ihm zu verraten, dass ich sein Tagebuch geknackt hatte."
"Schade." Ich verlagere mein Gewicht auf das andere Bein und zeigte Richtung Türschloss. "Übrigens, trotzdem danke fürs Versuchen. Sorry falls ich dich aufgehalten habe."
"Kein Ding", erwiderst du, "sieh es mal so: zumindest weißt du jetzt, dass niemand es mit einer Büroklammer schaffen wird bei dir einzubrechen."
"Oh ja." Ich lege mir theatralisch eine Hand auf die Brust. "Ich werde endlich wieder beruhigt schlafen können."
Du grinst nochmal und dann folgt der unglaublich komische Moment, in dem keiner von uns beiden weiß, wie er das Gespräch fortführen oder beenden soll.
"Also..." Ich ziehe den letzten Buchstaben lang in der Hoffnung, dass mir währenddessen was schlaues einfällt. Aber mein Gehirn erweist sich erneut als elender Verräter. "Wohin wolltest du eigentlich hin?", frage ich schließlich.
Du zuckst mit den Schultern. "Nirgendwo besonderes. Wollte mir nur was zu essen holen. Döner oder so."
"Achso."
"Joah."
"Hm."
"Und du?"
"Ich?"
"Was wirst du jetzt machen?" Du gestikulierst wage zu meiner Wohnungstür.
"Naja, auf meine Mitbewohnerin warten. Bleibt ja sonst nicht viel übrig." Ich ließ mein Handydisplay kurz aufleuchten und seufzte dann. "Sind nur noch zweieinhalb Stunden."
Du wirfst mir einen skeptischen Blick zu. "Echt? Die ganze Zeit hier im Treppenhaus?"
Ich hebe die Augenbrauen. "Hast du einen besseren Vorschlag?"
"Vielleicht", erwiderst du und legst dein Kopf ein wenig schief. "Magst du Döner?"
"Natürlich. Einziger Grund warum ich nach Deutschland gekommen bin", antworte ich so ernst wie ich kann.
Du lachst auf und machst einen betonten Schritt nach vorne. "Na dann."
Die Entscheidung ist schnell gefällt. Außerdem ist sie absolut logisch - wenn ich jetzt was esse, muss ich nachher nicht noch kochen und hab zumindest den Abend über noch Zeit zum Koffer packen. Also folge ich dir nur einen Bruchteil eines Augenblicks später.
Und wenn du nach dem heutigen Tag nicht mehr nur die Person über uns und ich nicht mehr nur die Person mit mangelnden Einbrechfähigkeiten bin - nun, dann haben wir den Rest der Welt Zeit herauszufinden, was wir werden können.

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