12
CHICO
„Hey, wo willst du hin? Zum Alkohol geht's da lang!", ruft Perry in mein Ohr. Die Hälfte von dem, was er sagen wollte, geht in der dröhnenden Musik unter, deren harter Bass die Blätter an den Bäumen mit tanzen lässt.
„Ich brauch keinen Alkohol", rufe ich in sein Ohr. „Ich muss Fonda finden."
Perry klopft mir lachend auf die Schulter und zeigt mit seinem halbvollen Becher auf all die Leute um uns herum, die sich lachend, schreiend und singend aneinanderreiben. „Aye, viel Spaß dabei, Kumpel."
Ich verdrehe die Augen und bahne mir meinen Weg durch die Leute. Ich muss hier weg, ich muss raus aus dem Trubel und klaren Gedanken fassen.
Ich finde einen flachen Felsen etwas abseits vom Loch, mitten im Wald, auf dem ich mich hinsetze. Hinter einen der Bäume höre ich jemanden kotzen. Aber ansonsten bin ich endlich alleine. Ich schließe die Augen.
Fonda und ich sind seit drei Stunden hier und die letzten beiden davon habe ich sie nicht mehr gesehen. Das ist kein gutes Zeichen. Ich weiß, wenn ich sie nicht rechtzeitig finde, baut sie Scheiße und dann sind wir beide am Arsch. Wahrscheinlich bin ich sowieso schon zu spät. Verdammt, wie konnte ich sie aus den Augen verlieren? Das ist alles Elliots Schuld. Wäre er nicht aufgetaucht, wäre meine Schwester bei mir geblieben und ich müsste sie jetzt nicht suchen.
Fick dich, Elliot.
Ich schaue noch einmal auf mein Handy, aber sie hat mir nicht geschrieben. Oder zurückgerufen. Ich versuche, sie noch einmal anzurufen. Das Tuten ist unter der Lautstärke der Musik kaum zu hören. Mich wundert es, dass die Cops noch nicht aufgetaucht sind.
Sie geht nicht ran. Ich fluche und fahre mir gestresst durch die Haare. Wo zur Hölle soll ich überhaupt anfangen, sie zu suchen?
„Du suchst Fonda?", kommt plötzlich eine Stimme aus dem Nirgendwo.
Ich erschrecke mich nicht einmal. Als hätte ich es geahnt. „Ich dachte, sie ist bei dir?", frage ich, ein sarkastisches Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Ich drehe mich um.
Elliot steht mit einer Zigarette im Mundwinkel lässig an einem Baum gelehnt, das große Lagerfeuer im Loch lässt seine sonst so hellen Locken orange wirken. Seine Haare haben die Farbe von einem Sonnenuntergang.
„Und ich dachte, sie ist bei dir", antwortet er gelassen. Erst in diesem Moment entdecke ich den Plastikbecher in seiner Hand. Er nimmt einen großzügigen Schluck von was auch immer da drinnen ist.
„Du trinkst?", frage ich und habe Fonda für einen kurzen Augenblick vergessen.
Elliots rechter Mundwinkel zuckt kurz nach oben. „Solltest du vielleicht auch mal versuchen."
Ich lache trocken auf. „Nein, danke." Ich lasse ihn da stehen, ohne mich noch einmal umzudrehen.
Ich hasse Alkohol. Und wenn der Typ auch nur ansatzweise auf Fondas Level ist, sollte er es genauso hassen.
„Soll ich dir mal was verraten?", verfolgt mich seine Stimme, wenig später höre ich knackende Äste und das Rascheln von toten Blättern unter seinen Schritten. Er kommt mir hinterher. „Ich bin eigentlich nur wegen dir hier."
Ich bleibe langsam stehen und drehe mich um. „Was?"
Elliots amüsierter Blick wiegt so viel, dass ich ihn nicht lange erwidern kann. Stattdessen schaue ich auf seinen Hals.
„Ich wollte mitansehen, wie du wütend wirst. Ich wollte wissen, ob du auch was anderes kannst, als langweilig zu sein."
Ich wünschte, ich könnte ihm dieses bescheuerte Grinsen aus dem Gesicht schlagen.
„Fick dich."
„Ah, er kann fluchen. Plus eins."
Ich sollte einfach weiterlaufen und ihn ignorieren. Ich hab Wichtigeres zutun. Fonda zu finden, zum Beispiel. Aber ich will ihn nicht wieder das letzte Wort haben lassen.
„Was soll das Ganze hier? Was versuchst du hiermit zu erreichen, huh?", fahre ich ihn an.
Elliot antwortet nicht sofort, nimmt stattdessen einen großen Schluck aus seinem Becher und lässt sich extra Zeit dafür. Als er fertig ist, schmeißt er den Becher achtlos ins Gebüsch.
„Ich versuche gerade, dich von Fonda abzulenken."
Als er meinen Gesichtsausdruck sieht, seufzt er kurz auf und zuckt mit den Schultern. „Das war nicht meine Idee, glaub mir."
„Wo ist sie?", zische ich und kann spüren, wie sich ein Knoten aus Hass und Wut in meiner Magengegend bildet. Ich bin fertig mit seinen Spielchen. Egal, was die beiden sich da ausgedacht hat, das Spiel ist jetzt vorbei. Ich werde sie finden und zurück in die Klinik bringen. Wenn sie Glück hat, werden wir nicht erwischt. Wenn doch, wird sie sich da selbst rausreden müssen, denn ich bin fertig mit dem Scheiß.
„Beruhig dich. Sie ist mit diesem Typen abgehauen. Jeremy."
Jeremy. Ich hätte es wissen müssen. Natürlich hat sie ihn getroffen. Gott, ich kann gar nicht beschreiben, wie verdammt sauer ich gerade bin.
"Chill, es ist doch nur Jeremy. Du und ich wissen beide ganz genau, dass der Typ nichts anstellen wird, womit sie nicht einverstanden ist. Du weißt, wie sie drauf ist", sagt er, als ich nichts antworte und kommt mir einen Schritt näher.
"Was willst du damit sagen? Wieso willst du, dass ich chille?", sage ich monoton und schaue ihm direkt in die Augen. Ich habe mich schon einmal gefragt, ob er davon weiß. Jetzt gerade denke ich, wie naiv es von mir war, zu glauben, dass dieser ganze Skandal aus dem letzten Schuljahr an ihm vorbeigegangen ist. Offensichtlich kann er sich noch daran erinnern. Wenn er doch nur wüsste, was damals wirklich vorgefallen ist.
"Ich versuche hier nur, den Typen zu beschützen", entgegnet Elliot und in seinem Blick ist diesmal keine Spur mehr von Amüsement zu erkennen.
„Vielleicht solltest du lieber dich selbst beschützen und mich in Ruhe lassen, bevor du auch noch zusammengeschlagen im Krankenhaus landest", knurre ich. Dieser Typ verschwendet gerade nur meine Zeit.
„Darauf wollte ich eigentlich gar nicht hinaus. Aber gut, wenn du schon so weit gehst..." Er kommt mir näher, doch ich weigere mich, einen Schritt zurückzugehen. Er ist mir so Nahe, dass ich ihn riechen kann.
„Dann solltest du vielleicht aufpassen, dass du nicht auch irgendwann tot im See gefunden wirst." Elliot lächelt mich an. Wahrscheinlich soll es stark und bedrohlich wirken, aber ich kann durch seine Fassade hindurchblicken, ohne es überhaupt wirklich zu versuchen. Die Verbitterung in seiner Stimme macht es nicht gerade schwerer.
„Auch?", frage ich ernst.
Elliot starrt mir einen Moment zu lang in die Augen, bevor er den Kopf schüttelt. „Vergiss es", murmelt er sarkastisch und verschwindet ohne ein weiteres Wort zwischen den Bäumen in der Dunkelheit.
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