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Verwirrt starrte ich auf das Pop-Up Fenster, das in meinen SmartGlasses aufleuchtete.
Helen.
Verärgert blickte ich sie an. Jetzt war der Moment weg. Smith setzte bereits einen gewinnenden Blick auf.

Ich textete zu Helen, "Was soll das? Ich wollte ihr nur meine Meinung sagen."
"Du fängst damit nur einen unnötigen Streit an. Reg dich ab und warte noch kurz. Ich muss noch mit dir sprechen." Zu allen anderen sprach sie mit lauter Stimme: "Das Meeting ist beendet. Ich werde euch auf dem Laufenden halten." Sie wandte sich noch extra an Lucas. "Dich möchte ich auch bitten, noch kurz hier zu bleiben. Ich muss mit dir ebenfalls noch etwas besprechen."
Jetzt war ich die, die zu ihm rübergrinste und eine Augenbraue nach oben zog. Schien so, als hätte er sich ebenfalls etwas eingehandelt. Ha. Das nennt sich ausgleichende Gerechtigkeit.

Lucas warf mir nur einen Blick à la "Ich weiß überhaupt nicht was du meinst" zu. "Klar, ich kann noch kurz bleiben"
"Sehr gut. Dann wünsch ich allen noch einen schönen und erfolgreichen Tag. Wir sehen uns spätestens am Samstag. Danke, dass ihr gekommen seid" Helen stand auf. Daraufhin erhoben sich alle. Die Sessel schabten über den Boden. Mit einem Surren verschwand das Hologramm über dem Tisch. Geschäftigte Hektik machte sich unter den Anwesenden breit. Auf einmal hatten es alle eilig wegzukommen. Jeder hatte heute noch etwas zu tun. Manche würden sofort zu ihrer Schicht gehen. Andere würden im Freizeittrakt verschwinden.

Ich gehörte zu denen, die danach trainieren gingen.
Jede Athena bekam einen Trainingsplan, an den man sich halten sollte. Meist wird man mit den Teammitgliedern eingeteilt. Wenn man neu ist oder sich gerade in der Ausbildung befindet, wird der Trainingsplan ziemlich streng gehandhabt. Wenn ich nur an meine eigene Zeit als Trainee zurückdenke, fange ich schon zum Schwitzen an.
Nach der Ausbildung wurde es entspannter. Man musste nur die vorgegebene Trainingszeit in Quartal schaffen. Wenn man eine Woche Tag und Nacht durchtrainierte, brauchte man sich die restliche Zeit nicht mehr anzustrengen.
Diese Variante war nicht soo schlau. Immerhin schlief man dadurch kaum und bei den Einsätzen sieht man entweder aus, als hätte von Smokey Eyes zu Dark Eyes gewechselt oder als wäre man spontan als Vampir wiederauferstanden. Glaubt mir, man machte, dass einmal und nie wieder. Jeder Trainee musste mal durch.
Die Anderen verabschiedeten sich mit Händeschütteln von Helen und Smith. Kaum war der offizielle Teil vorüber, quasselten alle durcheinander. Der neueste Tratsch wurde ausgetauscht, genauso wie die Ereignisse des letzten Einsatzes. Ich bemerkte wie Isabell beim Hinausgehen kurz bei Lucas stehen blieb, ihm leicht die Finger auf den Unterarm legte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Danach lehnte sie sich zurück und blinzelte ihm nochmal mit ihren Wimpern an. Ehe er etwas darauf erwidern konnte, verschwand sie durch die Tür. Verwundert blickte Lucas ihr hinterher.

Er sah sich um und entdeckte, dass ich die Szene beobachtet hatte. Lässig schlenderte er mit den Händen in der Hose vergraben zu mir rüber. "Sie hat mich gerade auf die Feier eingeladen."
Ich verschränkte meine Arme vor der Brust, weil ich nicht wusste, wo ich sie sonst hingeben sollte. Wenn ich sie in Hose steckte, kam ich mir wie ein langweiliger Nachmacher vor und wenn ich sie einfach nur runter hängen ließ, schaute ich wie ein Zinnsoldat aus.
"Das wundert mich nicht."
Lucas runzelte leicht die Stirn.
"Wieso?"
"Hast du nicht bemerkt, wie sie dich vorhin angestarrt hat? Es war so klar, dass du ihr neuer Auserwählter wirst"
"Kann sein." Er zuckte mit den Schultern. "Weißt du, was mir  aufgefallen ist?"
Ich seufzte. "Nein. Was denn?"
Er setzte ein triumphierendes Lächeln auf. "Mir bist eigentlich nur du aufgefallen, wie du mich angesehen hast." Hitze schoss mir in die Wangen.
"Ich hab dich nicht irgendwie besonders angesehen." Fahrig strich ich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Er hatte recht und das ärgerte mich. Ich musste zugeben, dass er echt gut aussah. Aber es ärgerte mich. Es ärgerte mich, dass ich mich so leicht ablenken ließ. Und es ärgerte mich, dass es ihm aufgefallen war. Wenn ich schon jemanden anstarrte, wollte ich doch nicht, dass ich dabei bemerkt wurde.
"Oh doch. Du hast mich angesehen, als fändest du mich zum Anbeißen. Du bist förmlich an meinen Lippen gehangen."

Wenn ich nicht schon rot war, war ich jetzt bestimmt so leuchtend rot wie das Rot einer Ampel. Blendend hell und laut stopp schreiend.
Das Gespräch ging in die vollkommen falsche Richtung. Immerhin befanden wir uns immer noch im Büro der Direktorin. Gespräche dieser Art sind hier fehl am Platz. Sie waren prinzipiell fehl am Platz. In meinem ganzen Leben gab es keinen Platz für Gespräche dieser Art. Aus diesem Grund stellte ich mich wieder stramm hin und antwortete bissig: "Ich weiß nicht, wovon du sprichst."

Mit forschen Schritten ging ich auf Helen zu. "Du wolltest mich noch sprechen."
Überrascht von meiner kalten Stimme blickte sie mich an. "Ja, das wollte ich."
Ihr Blick fiel auf jemanden hinter mich.
"Lucas, komm doch auch bitte."
Lucas Schatten fiel über mich als er neben mir zum Stehen kam. "Habe ich etwas falsch gemacht, Ma'am?"
Helen winkte ab. "Aber nein Lucas. Es geht um etwas anderes."
Sie sah uns fest in die Augen. "Wie ihr wisst sind einige Vorfälle passiert, die uns alle zum Nachdenken gebracht haben. Die mich natürlich besonders zum Nachdenken bringen. Ich hoffe, dass dies die einzigen Vorfälle dieser Art waren und dass sie sich nicht wiederholen. Aber es gibt selbstverständlich immer die Frage, was wäre, wenn. Was wäre, wenn, noch einmal so etwas passiert? Was wäre, wenn die Angreifer zu stark sind? Was wäre, wenn es mehr als nur Verletzungen gibt? Was wäre, wenn es aufgrund einer Falle Tote gibt?" Sie tippte mit den Fingern auf die Stirn und seufzte. "Das könnte ich nicht verantworten."
Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: "Deswegen habe ich mit Himal Marah gesprochen."
Lucas änderte seine Haltung neben mir. Ich warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. Er wirkte nun interessierter. Seine Haltung war offener und aufmerksamer.
Durch meine Ausbildung wusste ich von wem die Rede war. Himal Marah war der Direktor von der anderen Seite. Lucas' Chef.
"Himal war derselben Ansicht wie ich. Wir haben überlegt, was eine gute Option wäre. Dadurch sind wir zu dem entsprechenden Ergebnis gekommen."
Sie machte wieder eine Pause. Ich hatte das Gefühl, dass sie nur noch auf den Trommelwirbel wartete, um uns ihre Idee zu präsentieren. "Wir wagen ein Experiment. Ein Experiment, dass es so noch nicht unserer Geschichte gegeben hat."
Okay, anscheinend doch ohne Trommelwirbel.
"Wir haben beschlossen, dass wir die Teams von euch beiden, Anabel und Lucas, für unbestimmte Zeit zusammenfügen werden."
Ich blinzelte. Ich blinzelte nochmal.
Die Info begann sich in meinen Kopf auszubreiten wie ein Virus. Von einer Gehirnzelle zur anderen verbreitete sich die Antwort. Und ich begann die Information zu begreifen.
Wir beide? Ein Team?
Das kam sowas von nicht infrage.

"Aber das geht doch überhaupt nicht." Lucas neben mir klang genauso verwirrt.
"Männer und Frauen arbeiten immer getrennt. So steht es im Grundgesetz."
Helen widersprach ihm. "Und dieses Grundgesetz kann aufgehoben werden, wenn die Führungspositionen auf beiden Seiten mit dieser Änderung übereinstimmen."
Ich runzelte die Stirn. Wenn ich das heute noch öfter machen würde, würde ich bald noch Falten bekommen.
"Davon habe ich noch nie gehört. In der Ausbildung wurde darüber nie gesprochen."
"Stimmt" Lucas pflichtete mir bei. "Wie kann man etwas so Wichtiges nicht gelernt bekommen?"
"Weil nicht einmal unsere Lehrer davon wissen. Wissen dieser Art, erfährt man erst in höheren Positionen. Das ist der Grund, warum man ab dem General noch eine zusätzliche theoretische Ausbildung braucht."
"Und das funktioniert so einfach? Es hat noch nie eine Zusammenarbeit gegeben. Wieso genau jetzt?"
"Wegen den eben genannten Gründen und ja, man kann einfach so Teams zusammenfügen."
Lucas trat vor. "Aber das funktioniert doch sicher nicht. Man kann nicht einfach Teams zusammenwürfeln. Wir wissen nichts von den anderen. Wir haben uns noch nicht mal gegenseitig gesehen. Jedes Team ist doch ein Individuum für sich. Jedes Team ist eingespielt und jeder kann sich auf jeden vertrauen. Ihr könnt uns nicht einfach zusammenstecken."
"Ja. Er hat recht.", pflichtete ich ihm bei. "Es wird die ganze Teamstruktur durcheinandergewürfelt. Es tut mir leid, das zu sagen, aber deine Idee kann nicht funktionieren."

"Doch. Die Idee wird funktionieren. Ihr fängt natürlich nicht sofort mit einem Einsatz an. Das wäre sehr leichtsinnig. Ihr werdet vorher Teambuildings absolvieren, wie in den guten alten Zeiten als Trainee." Helen schmunzelte als sie meinen genervten Blick sah.
Teambuilding. Traumhaft. Verzweifelt suchte ich nach Argumenten, die gegen eine Zusammenarbeit sprachen.

"Warum wir? Warum nicht das Team von Isabell, oder von Hana? Alle anderen haben doch schon viel mehr Erfahrung."
Helen hob die Hand und zeigte mit dem Zeigefinger in meine Richtung. "Das meine Liebe ist ebenfalls ein wichtiger Punkt. Ihr beide seit noch jung. Es wird Zeit, eine komplett andere Erfahrung zu machen. Lernen, auf fremde Menschen einzugehen. Vertrauen aufbauen. Andere Denkweisen erkunden. Völlig von neuen Strukturen und Menschen umgeben zu sein."

Ich seufzte leise. "Und was ist, wenn ich keine neuen Menschen kennenlernen will?"
Helen kniff ihr kleines Gesicht zusammen. Ich konnte mir vorstellen, dass dies in jüngeren Jahren niedlich ausgesehen hat. Mittlerweile vertieften sich die Falten in ihrem Gesicht. Tadelnd sah sie mich an. "Anabel. Neue Menschen kennenzulernen ist eines der wichtigsten Dinge, die es gibt. Menschen kennenzulernen ist Horizonterweiterung. Man bricht alte Strukturen auf und bekommt eine andere Sichtweise. Anabel, es wird Zeit, dass du aus deinem Schneckenhaus herauskriechst und dich unter die Menschen mischt. Du bist körperlich top trainiert, aber deine soziale Ebene solltest du ebenfalls trainieren. Ach ja" Sie tippte sich an die Stirn als sei ihr gerade etwas eingefallen. "Übrigens möchte ich, dass du bei der Feier am Samstag bis um 23 Uhr bleibst. Ich erwarte nicht, dass du in die Disco gehst, aber du solltest zumindest anwesend sein und dich nicht sofort wieder verkriechen."

Ich schnappte nach Luft. "Das kannst du nicht..."
Helen unterbrach mit abrupt. "Doch. Ich kann das. Es ist gut für dich."
Sie wandte sich an Lucas. "Lucas, ich gebe dir nun den Auftrag, dass du darauf achtest, das Anabel bei der Feier bis um 23 Uhr anwesend ist." Lucas warf mir einen kurzen fragenden Seitenblick zu. "Ma'am, ich weiß nicht, ob..."
Helen klopfte ihm nur kameradschaftlich auf die Schulter. "Ich vertraue auf dich. Dieser Auftrag ist mir ein besonderes Anliegen. Anabel muss einfach mal wieder unter die Leute."

Genervt verdrehte ich die Augen von ihrem fürsorglichen Ton. Helen hatte sich schon immer für mich verantwortlich gefühlt. Ihre Fürsorge war zwar ganz reizend, aber manchmal übertrieb sie echt. "Helen, ich kann schon gut genug auf mich selber achten. Du brauchst dich nicht um mich zu sorgen."
"Ich sorge mich nicht um dich. Ich mache mir nur Gedanken."
Das sagte sie immer. Aber ich wusste, dass sie sich in Wahrheit um mich sorgt. Ob es die Folge von ihrem Schuldgefühl war oder an anderes, konnte ich nicht sagen. Ich habe bis jetzt nicht die richtige Gelegenheit bekommen, sie darauf anzusprechen.

Allein ihr Verhalten sagte alles. Ihr mitfühlender Blick, wenn es mir schlecht ging. Ihre hartnäckige Bestimmtheit, etwas aus mir herauszubekommen, wenn ich mich verschloss. Die Freude in ihren Augen, wenn ich etwas geschafft hatte. Egal, ob bei meiner ersten Trainingsstunde oder nach meiner bestandenen Abschlussprüfung. Jedes Mal lag ein bestimmtes Glitzern in ihren Augen.
Jetzt sah sie mich zum Beispiel an, als würde eine Mutter ihrem Kind zum zehnten erklären, wie man richtig einen Löffel hält und das Kind den Löffel immer noch wie einen Besenstiel angreift.
Liebevoll tadelnd.

Lucas durchbrach die anhaltende Stille mit einem vorsichtigen Räuspern. "Ähm, wenn es so wichtig ist, kann ich natürlich ein Auge auf Anabel haben."
Helen setzte ein zufriedenes Lächeln auf und nickte ihm dankend zu.
Bestimmter führte Lucas fort. "Wir sind ein wenig von Thema abgekommen. Ich möchte wissen, wie ihr euch die Zusammenarbeit jetzt genau vorstellt. Wie genau arbeiten wir nun zusammen? Trainieren wir auch gemeinsam? Und müssen sie immer zu uns rüberkommen oder wir zu ihnen?"
"Ihr werdet euch im 2-Wochentakt abwechseln. Am Anfang werdet ihr auf unserer Seite trainieren und im Dienst stehen. Nach den zwei Wochen wechselt ihr zu eurer Seite." Helen nickte Lucas zu.
"Das Projekt dauert so lange bis Himal Marah und ich zu dem Entschluss kommen, dass die Gefahr nicht mehr gegeben ist."
"Und was ist, wenn wir nicht kooperieren können? Wenn unsere Teams nicht zusammenpassen?" Diese Frage kam von mir.
"Glaub mir, Anabel. Wir haben alle Komponente beachtet. Laut unseren Berechnungen passen eure Teams perfekt zusammen. Und wenn nicht, dann müsst ihr es eben lernen zusammenzuarbeiten."

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Hi an alle, jetzt noch dabei sind🤗

An dieser Stelle kommen meine gewohnten Fragen.

Ist die Idee der Teamzusammenführung für euch schlüssig? Findet ihr die Reaktionen von Ana und Lucas realistisch?

Außerdem was sagt ihr zu Helen? Ist sie euch sympathisch? Weil das wäre mir echt wichtig😅

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