- achtundsechzig -

Nachdem ich mich mit dem Taschentuch gesäubert und wirklich beruhigt habe, laufen Aiden und ich zurück zur VIP Lounge.

Das Spiel scheint spannend zu sein, da alle Anwesenden konzentriert auf das Spielfeld starren. Selbst Emily bemerkt im ersten Moment nicht, dass wir wieder da sind und wirft mir nur schnell einen fragenden Blick zu, bevor sie sich wieder gebannt dem Spielgeschehen widmet.

Ich muss grinsen. Als ob Emily auch nur die leiseste Ahnung hat, was da unten passiert. Sie weiß wahrscheinlich noch nicht mal, ob die Giants führen oder zurückliegen. Trotzdem ist es unheimlich niedlich, wie sehr sie sich bemüht und Alex selbst von dieser Entfernung anhimmelt.

Mich beschleicht ein schlechtes Gewissen. Das erste Spiel von Phil, bei dem ich zuschaue, und ich verpasse die Hälfte.

Ich nehme mein Champagnerglas vom Tisch, leere es in einem Zug und konzentriere mich so gut es geht auf das restliche Spiel.

Die Giants gewinnen das Spiel mit einem deutlichen Vorsprung. Phils Dad hat sich zwischendurch immer wieder erbarmt, Emily und mir das Spiel zu erklären. Er hat es geschafft, dass wir zumindest ein bisschen verstanden haben, was auf dem Spielfeld passiert.

Als das Spiel endet und die Spieler das Feld in Richtung Kabinen verlassen, beginnen sich auch die Ränge zu leeren. Wir verabschieden uns herzlich von Richard und Olivia. Auch Emily, die alleine zum Stadion gekommen war, verabschiedet sich von uns und macht sich auf den Weg nachhause.

"Ich leiste dir noch Gesellschaft bis Phil kommt und dann sprechen wir den Vorfall von vorhin gemeinsam an und nehmen Vivian direkt den Wind aus den Segeln, okay?", schlägt Aiden vor, als wir alleine sind.

"Danke Aiden", antworte ich und schenke ihm ein aufrichtiges Lächeln.

Wir vertreiben uns die Wartezeit, indem wir noch eine rauchen und uns über die Uni und unsere Pläne nach dem Abschluss unterhalten. Phil und ich haben verabredet, dass ich in der Lounge auf ihn warte und er mich dort abholt.

Als er endlich mit John und Alex über den Gang getrottet kommt, alle in ihren blauen Trainingsanzügen und mit nassen Haaren, rutscht mir das Herz beinahe in die Hose.

Nervös spiele ich an meinen Fingern herum und kaue auf meiner Unterlippe.

Als Phil mich entdeckt, erhellt sich sein Gesicht binnen Sekunden. "Sie hat es ihm noch nicht geschickt", zische ich Aiden zu. "Na siehst du, wir klären das schon", flüstert Aiden aufmunternd und zwinkert mir schnell zu. Ich atme erleichtert auf und strahle Phil an.

Alex, John und Phil betreten die VIP Lounge und Phil wendet sich zuerst an Aiden: "Harris, ich wusste gar nicht, dass du auch kommst. Wie geht's deinem Fuß?", fragt er ihn aufmerksam und offensichtlich erfreut, dass sein verletzter Kamerad das Team mit seiner Anwesenheit unterstützt hat.

"Nicht so gut. Die Saison ist für mich beendet", teilt Aiden zerknirscht mit. Die Jungs reagieren schockiert und bekunden ihr Mitleid.

Alex und John begrüßen mich mit einer  Umarmung, bevor auch Phil zu mir kommt und mir einen liebevollen Kuss auf die Wange drückt.

Ich gratuliere ihnen zu ihrem Sieg und dem guten Spiel.

"Wir wollen das heute Abend ein bisschen feiern. Ihr kommt doch auch?", fragt John an Aiden und mich gewandt.

"Wenn dir das zu viel ist, können wir auch zuhause bleiben", schiebt Phil sofort ein und mustert mich aufmerksam.

"Du", ich zeige mit erhobenem Zeigefinger auf Phil, "bleibst auf keinen Fall zuhause. Du feierst schön mit deinem Team den Sieg. Ich überlege mir noch, ob ich mitkomme, oder auf dich warte."

"Kommt Em auch?", frage ich Alex. Der schüttelt den Kopf. "Wir sind heute Abend auf dem Geburstag meiner Schwester eingeladen. Vielleicht kommen wir nach, aber ich denke eher, dass ihr ohne uns auskommen müsst."

"Kommt, lasst uns abhauen. Ich will mir noch 'ne Mütze Schlaf holen, bevor wir die Nacht durchmachen", verkündet John.

Alex nickt, und auch Phil wendet sich zum Gehen und sieht mich auffordernd an, doch ich bleibe wie angewurzelt sitzen.

"Phil, hast du noch fünf Minuten für mich? Ich würde gerne mit dir quatschen", hält Aiden ihn kurzentschlossen auf.

"Klar", nickt Phil Aiden zu und verabschiedet sich von John und Alex, die Richtung Tiefgarage verschwinden.

"Also, schieß los, was gibt's?", wendet Phil sich an seinen Freund.

Aiden will gerade antworten, doch ich grätsche dazwischen. "Phil, eigentlich wollte ich mit dir reden." Er runzelt  verwundert die Stirn.

"Als wir das Spiel geschaut haben, kam auf einmal Vivian in ihrer Cheer-Uniform anstolziert, hat mit deinen Eltern geplaudert und von dir geschwärmt. Ich meine, woher zur Hölle kennt sie die überhaupt? Sie hat sich so aufgespielt, dass es mir zu viel wurde und ich abgehauen bin, um eine Zigarette zu rauchen. Kurz darauf kam Aiden, um nach mir zu sehen. Ich habe ihm mein Herz ausgeschüttet, über das, was in den letzten Wochen passiert ist, über Elijah, über uns, aber auch über John und Vivian. Irgendwie wurde das Gespräch dann ziemlich emotional und Aiden hat mich aufgemuntert, getröstet und umarmt. Als wir zurück gehen wollten, haben wir Vivian entdeckt, die mit ihrem Handy in der Hand vor der Scheibe stand und uns beobachtet und gefilmt oder fotografiert hat."

Ich muss schlucken. Die Worte verlassen nur schwer meinen Mund. Unsicher blicke ich zu Phil, dessen Miene ausdruckslos ist. Er scheint darauf zu warten, dass ich weiterrede. In seinem Gesicht findet sich kein Hinweis darauf, wie er das ganze findet.

"Ich weiß, dass ich dich enttäuscht habe und es schwer für dich ist, mir zu vertrauen. Genau deshalb wollte ich dir das so schnell wie möglich erklären. Ich kann mir vorstellen, dass die Situation auf einem Foto völlig aus dem Zusammenhang gerissen falsch verstanden werden könnte. Um Missverständnisse zu vermeiden, wollte ich dem zuvorkommen," schließe ich meinen Monolog mit einem verzweifelten Seufzen.

Phil beobachtet mich aufmerksam und scheint gerade etwas sagen zu wollen, als Aiden zustimmt: "Es war genauso, wie Ari es erzählt hat: vollkommen harmlos. Ich konnte Vivian nie leiden, aber dass sie so ein intrigantes Miststück ist, hätte ich nicht erwartet."

In dem Moment fängt Phil an zu lachen. Irritiert lasse ich meinen Blick zu Aiden schnellen, der nicht weniger dumm aus der Wäsche guckt.

"Ihr müsstet euch beide mal sehen", prustet er.

Phil macht einen Schritt auf mich zu und legt seine Hand an meine Wange. "Dein Engagement in allen Ehren, Ari, aber selbst wenn Vivian mir ein Foto geschickt hätte, hätte ich dich zuerst damit konfrontiert und dich gefragt, was es mit diesem Bild oder Video auf sich hat. Ich glaube diesem Mädchen nicht mal, wenn sie mir erzählt, dass der Himmel blau ist."

Erleichtert atme ich auf.

"Ich hätte dir das auch nicht zugetraut, Harris. Da müsste ich mich schon sehr in dir täuschen", richtet Phil nun sein Wort an Aiden und klopft ihm freundschaftlich auf die Schulter.

Meine Gedanken werden von Phils warmer Stimme unterbrochen. "Also, sehen wir uns heute Abend?"

Aiden nickt und antwortet schief grinsend: "Ich werde zwar nicht tanzen können, aber saufen kann man auch auf einem Bein."

Kopfschüttelnd stimme ich in sein Lachen ein. Phil schultert erneut seine große Sporttasche und gibt Aiden ein High Five. "Klingt nach 'nem Plan. Dann sehen wir uns später", verabschiedet er ihn.

Aiden umarmt mich kurz. "Bis später, Ari", sagt er leise, verlässt die Lounge und geht über den langen Flur davon.

Ich sehe ihm kurz nach, und wende mich dann Phil zu, der mich aus Argusaugen mustert.

"Dass du mit Aiden auch was hattest, wusste ich gar nicht", sagt er ruhig. Zu ruhig. Sein Blick ist starr und undurchdringlich, sein Körper wirkt angespannt. Ich merke, dass er sich gerade sehr zusammenreißt, um nicht auszuflippen.

"Ich.. Wie kommst du jetzt darauf?", frage ich irritiert und lasse die vorherige Unterhaltung im Schnelldurchlauf Revue passieren.

"Sein Gesicht hat ihn verraten, ich hab's ihm einfach angesehen. Außerdem dachtest du, dass ich das wüsste und hast deshalb Panik gekriegt. Weil die Gefahr, ein Bild von euch, eng umschlungen, falsch zu verstehen, natürlich deutlich größer ist, vor dem Hintergrund, dass er dich schon gefickt hat."

Seine Worte sind einschneidend wie Glasscherben. Dieser Tonfall ist für Phil ungewöhnlich. 'Gefickt' ist viel zu asozial für ihn.

"Das ist lange her, Phil, und es war auch nur einmal", versuche ich Aidens und meinen One-Night-Stand herunterzuspielen und die Situation zu retten.

Phil rauft sich durch seine schönen braunen Haare und lacht heiser auf.

"Hör endlich auf mich für dumm zu verkaufen, Ari!", schnaubt er verächtlich, dreht sich wütend um und läuft schnellen Schrittes davon.

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