12
PTBS. Posttraumatische Belastungsstörung.
Zwei hübsche Worte für Hangman, findet Ihr nicht? Ein bisschen viele Vokale vielleicht.
Nicht jeder, der an PTBS leidet, leidet automatisch an einer dissoziativen Identitätsstörung. Aber jeder, der an DIS leidet, leidet unter PTBS.
Unser Vater hat randaliert, wenn er wütend gewesen ist und wenn er getrunken hat noch mehr. Geschirr und Möbel sind durch das Haus geflogen. Man hat die Türen zu den Zimmern von meinen Geschwistern und mir nie abschließen können. Jede Nacht bin ich wachgelegen und habe schwitzend und zitternd seinen schweren Schritten auf dem Flur gelauscht, bis sie vor einer Türe zum Halten gekommen sind. Entweder vor Brielles, Owens, Jeds oder meiner. Wenn wir Glück gehabt haben, ist er nur in sein Zimmer gegangen und auf sein Bett gefallen, nicht aber, ohne zuvor die Lampe umzustoßen und dann wütend auf die Lampe zu sein, weil sie sich ihm in den Weg gestellt hat.
Wenn er in mein Zimmer gekommen ist, um zu schreien, mich zu beschimpfen oder mich zu verprügeln, hat er auch immer die Türe aufgerissen, weshalb ich einen halben Herzinfarkt erlitt.
-
„Iu! Iu, iu, iu, iu, iu!", rief Jedrek während er sich hastig von der Türe wegdrehte.
„Jed!", rief ich sauer und rollte mich von Zach herunter. Schnell kroch ich unter der Decke hervor, um meinem kleinen Bruder zu beweisen, dass ich durchaus noch meine Hose anhatte. Das machte das kleine Trauma, dass er vermutlich gerade durchlitt, vielleicht erträglicher.
„Ich hoffe, du zahlst mir jetzt meine Therapiestunden", bemerkte er und drehte sich vorsichtig wieder zu mir. „Das hinterlässt sicher bleibende Schäden."
„Was soll in seinem Gehirn noch groß kaputt gehen?", fragte Beth. Ich verdrehte die Augen. „Was willst du?"
„Ich wollte dich nur fragen, ob du weißt, wann Owen nach Hause kommt, aber das wollte ich nicht sehen!"
Ich zog ihm sein Cappy vom Kopf und die blonden Haare fielen ihm ins Gesicht. Schließlich haute ich ihn mit seiner Kappe aus meinem Zimmer und auf den Flur hinaus. „Dann klopf das nächste Mal gefälligst an!"
Ich warf sein Cappy den Flur hinunter, schlug die Türe zu und lehnte mich dagegen.
„Weißt du, wann Owen kommt?", fragte Jed nochmal. Ich stöhnte auf.
„Nein, keine Ahnung! Verdufte!" Nachdem ich hörte, dass er wieder nach unten trabte, stieß ich einen angestrengten Seufzer aus und ließ den Kopf fallen. Mein Herz pochte noch immer vor Schreck.
„Du kannst von Glück reden, dass du Einzelkind bist", meinte ich.
„Ich hab eine Schwester", erwiderte Zach plötzlich. Verwirrt hob ich den Kopf und zog die Augenbrauen zusammen.
„Was?"
„Halbschwester", räumte er ein. „Meine Mom hat wieder geheiratet."
„Warum hast du das nie erzählt?"
„Du hast nie gefragt", lächelte er und ich legte den Kopf schräg, konnte ihm aber kaum böse sein.
Schließlich hatte ich ihm auch nichts von Beth erzählt und sie war sowas wie meine Schwester.
Er schwang sich von meinem Bett und nahm mich an der Hand. „Komm schon, wir fahren zu mir, und ich lass dir das tollste Schaumbad ein, das du dir vorstellen kannst. Und dann lass ich dir eine Hühnersuppe machen. Vielleicht darf ich sie sogar selber salzen."
Ich musste lachen und ließ mich nun doch bereitwillig von ihm zu seinem Auto ziehen. Dabei liefen wir Jed zum Glück nicht wieder über den Weg. Vermutlich war er auf dem Weg zu seinen Freunden, trotz Hausarrest und hatte deshalb nach Owen gefragt. Normalerweise würde ich Jed suchen und zusammenstauchen, aber mit dem tollsten Kerl der Welt an der Hand, war nicht leicht denken.
„Wie heißt deine Schwester?", fragte ich, als er sich hinter dem Steuer fallen ließ.
„Camille. Cami."
„Wie alt ist sie?"
„Sie wird dieses Jahr elf."
Ich biss mir auf die Lippe, weil ich nicht wusste, ob er gerne über seine Familie redete oder nicht.
„Hast du noch Kontakt zu deiner Mom? Du redest fast nie über sie."
Er hielt den Blick fest auf die Straße geheftet. „Ich sehe sie an Feiertagen" war seine Antwort.
Er wollte nicht drüber reden, also ließ ich es sein.
-
Es war wirklich das beste Schaumbad, das ich mit hätte vorstellen können. Während ich mich in der riesigen Badewanne in der Mitte des Raumes räkelte und von der alleinigen Luxusatmosphäre verwöhnen ließ, überlegte ich, womit ich Zach überhaupt verdient hatte. Ich glaubte weder an Karma, noch Schicksal, noch Gott. Deshalb dachte ich nicht, dass ich in diesem oder einem früheren Leben genug Gutes getan hatte, um ihn zu verdienen.
„Er ist ein millionenschwerer Romantiker", bemerkte Beth. „Die Romantik kannst du haben, ich will nur die Millionen."
Ich rollte mit den Augen. „Er ist zu gut für uns. Er ist zu gut für dich! Du hast ihn betrogen! Du hast mich ihn betrügen lassen!"
„Und wenn schon. Genieß es, so lange du kannst. Wird bestimmt nicht ewig halten. Du hast recht: Er ist zu gut. Und sein Dad hasst dich. Gib Zach noch ein Jahr, dann hat er genug von dir."
Es klopfte an der Türe, bevor ich etwas darauf erwidern konnte. „Kann ich reinkommen?", fragte Zach.
„Ist dein Haus." Trotzdem ließ ich mich ein Stück tiefer ins Wasser gleiten und war froh über die Blickdichten Schaumwolken, die darauf herumschwammen.
„Hühnersuppe", lächelte er, als er mit der Schüssel das Bad betrat und sich neben die Wanne kniete. „Selbst gesalzen." Er klang so unfassbar stolz, dass ich nicht anders konnte, als zu lachen und ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken.
Ich wusste, dass seine Köchin ihm immer den Kochlöffel aus der Hand riss und ihm damit leicht auf die Finger schlug, wenn er helfen wollte, weil er absolut nicht kochen konnte. Aber zu seiner Verteidigung muss ich sagen: Von wem hätte er es lernen sollen?
„Ist dein Dad Zuhause?", fragte ich und blies auf den ersten Löffel Suppe.
Zach schüttelte den Kopf. „Die ganze Woche nicht."
Ich sah ihn an und ein Lächeln, von dem ich nicht recht wusste, was es zu bedeuten hatte, bahnte sich auf meine Lippen.
Zach nickte zustimmend. „Ja, ich weiß. Eine ganze Woche jeden Tag Hühnersuppe und Schaumbad á la Zach." Ich boxte ihm in die Schulter und hinterließ einen dunklen Fleck auf dem Ärmel seines Shirts.
Ich war auch gerne hier, wenn sein Dad zu Hause war, aber dann bewegte ich mich eben nicht aus Zachs Zimmer raus. Ich wollte Mr. Parsons nicht öfter als nötig gegenübertreten, und wenn dieser Mann wüsste, dass ich mich in der sündhaft teuren Wanne seines Sohnes wälzte und mich von seinem Personal bekochen ließ, wäre ich tot gewesen. Mr. Parsons Vermutung, dass ich nur hinter dem Wohlstand seines Sohnes her war, wäre berechtigt gewesen.
„Wir haben gar nicht über deinen Abschlussball geredet", bemerkte ich. Die Hühnersuppe war köstlich. Und perfekt gesalzen.
„Da gibt es auch nicht viel zu erzählen."
„Hattest du ein Date? Dumme Frage."
Ihm entfuhr ein amüsierter Laut, als er nickte. „Ja. Cat Miller. Aber sie war nicht meine Freundin. Damals waren wir einfach nur die Einzigen beiden aus unserem Jahrgang, die noch keine Begleitung hatten."
Ich zog die Augenbrauen hoch. Mr. Perfect war nicht immer perfekt gewesen? Was war denn hier los?
„Wieso das? Als ob du kein Mädchen abbekommen hättest?"
Er zuckte mit den Schultern. „Also erst mal, haben auch zig andere Typen, die viel mehr Geld hatten als ich und ein totaler Mädchenschwarm waren, dieselbe Schule besucht. Und ich war schüchtern."
Ich hätte beinahe den Löffel fallen lassen. „Du? Du warst schüchtern?" Das war doch ein Witz. Der Kerl, der Beth bei unserer dritten Begegnung flach gelegt hatte (drei verdammte Male!) soll vor fünf Jahren schüchtern gewesen sein? „Was hat sich geändert?"
„Ich trag jetzt fast jeden Tag Anzüge", grinste er.
„Machst du Witze?"
Er schüttelte den Kopf. „Ich war praktisch noch ein Kind. Aber sobald ich aus der Schule raus war, hat mein Dad mich mit seinem Unternehmen bekannt gemacht und mich in einen Raum voller Erwachsener gestoßen. Mir ist gar nichts anderes übriggeblieben, als selbstbewusst zu werden, sonst hätte ich dort nie überlebt."
So hatte ich die ganze Sache noch gar nicht betrachtet. „Vermisst du es? Das schüchtern sein?" Es war eine komische Frage, aber wenn man einen Charakterzug gezwungenermaßen ablegen muss, verändert einen das nicht?
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Denn sonst würdest du jetzt sicher nicht nackt in meiner Wanne liegen und Hühnersuppe löffeln."
-
Ich muss dazu sagen, mein Vater wurde auf einem Bauernhof großgezogen von Eltern, die ihn vermutlich noch viel schlimmer behandelt haben als er uns. Sie haben ihn bei den Schweinen schlafen lassen, mit Stöcken und Gürteln verprügelt und halb verhungern lassen. Damit will ich ihn keines Falls in Schutz nehmen. Er war ein grauenhafter Mann, der es verdient hätte, in der Hölle zu schmoren.
Aber manche Dinge lassen sich erklären, auch wenn mir unbegreiflich ist, wie er seinen Kindern dasselbe antun konnte, das ihm widerfahren ist.
Doch was einer Kinderseele angetan wird, heilt niemals.
Manchmal hat er uns in die Truhe im Keller gesperrt und Stunden dort gelassen. Vielleicht ist das der Grund, warum weder Owen, noch Brille, noch Jed, noch ich den Keller seit seinem Tod sonderlich gerne betreten haben.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top