3. Juni 2031

Ich konnte einfach nicht aufhören an das fremde Mädchen zu denken. Ich versuchte verbissen, sie aus meinen Gedanken zu verdrängen, aber es gelang mir einfach nicht. Immer wieder sah ich ihre grau-grünen neugierig umher huschenden Augen vor mir, die leicht zusammen gekniffenen, vollen Lippen, die, obwohl keine Sonne schien, glänzenden, blonden Haare, die leicht im Wind flatterten, die hübsche, schlanke Figur, die leichten Segelohren, die leicht gerunzelte Stirn. Und vor allem ging mir auch nicht aus dem Kopf, dass sie auf keinen Fall aus der Stadt kommen konnte. Allein schon ihre Haare sprachen dafür. Es gab niemanden in der Stadt, der so glatte Haare hatte. Ohne Ausnahme hatten alle gewellte oder lockige Haare. Dann waren da ihr Gang und ihr Blick gewesen. Ihr Gang war vorsichtig, wie ein Tiger bereit zum Sprung, ihr Blick neugierig, wachsam. Immer mehr sah ich sie in meinem Kopf wie ein Tiger. Wachsam, neugierig, hübsch, stark, selbstsicher. In meinem Kopf ging ich noch einmal die Eigenschaften eines Tigers durch, wovon ich in einem alten Buch über chinesische Sternzeichen gelesen hatte.
Meine Mutter riss mich aus meinen Überlegungen, als sie sehr höflich die Tür einfach aufriss und in mein Zimmer stürmte. Da zeigten sich mal wieder die tollen Manieren meiner Mutter und meine Ironie. „Sky, geh sofort einkaufen, ich muss doch noch anfangen die Sachen für das Überraschungsessen nach der Partnerverlosung vorzubereiten!" Das war genau meine Mutter: sie schaffte es immer mir alle Überraschungen im Leben wegzunehmen und es so vollkommen langweilig und eintönig zu machen. Außerdem schien Höflichkeit ein Fremdwort für sie zu sein. In Gedanken seufzte ich. „Gut, Mutter, mach ich." Sie warf mir noch kurz einen Blick zu bevor sie aus dem Zimmer stürmte. „Und stell irgendetwas mit deinen Haaren an, so kannst du doch nicht herum laufen!" Ich verdrehte die Augen.

Ich schlurfte durch die Straßen, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Seit gestern regnete es in Strömen. Außerdem hoffte ich dadurch nicht so sehr aufzufallen. Rote waren genau wie glatte Haare eine absolute Seltenheit in unserer Stadt und man konnte mich selbst in einer gewaltigen Menschenmasse ohne Probleme ausmachen. Wasser schwappte über meine Schuhe, als ich durch mehrere Pfützen lief, doch es machte mir nichts aus. Meine Schuhe waren ohnehin schon dreckig, da konnte etwas mehr ja nicht schaden. Ich ließ meinen Blick durch die Gegend wandern. Wegen dem Regen waren kaum Fußgänger unterwegs. Auf den Straßen rasten geräuschlos die Autos an mir vorbei. In meinen Büchern stand, dass früher die Autos immer sehr viel Lärm gemacht haben, aber dank der neuesten Technologien, war das schon seit mehreren Jahren nicht mehr so. Die neue Methode hatte auch noch den Vorteil, dass sie sehr umweltschonend war. Ich kam an mehreren Modegeschäften vorbei, deren Schaufenster grellbunte Kleidungsstücke, glänzende Schuhe und winzige, glitzernde Handtäschchen anpriesen. Vor einem Markt für Technische Geräte tummelten sich ein paar Jugendliche vor den Schaufenstern, um den neuesten, riesigen, 5D Flachbildfernsehr zu begaffen. Die Älteren musterten eher den neuesten Wastecurdcleaner, ein Gerät ähnlich den alten Staubsaugern, und die neuesten Küchengeräte interessiert. Langsam kroch mir die Kälte unter die Jacke und ich beeilte mich, den Supermarkt zu erreichen.

Als ich das beheizte Innere des Marktes betrat atmete ich erleichtert auf. Wie schon so oft dankte ich Prof. Simon Carter, dafür dass er den Temperaturanpasser für öffentliche Gebäude erfunden hatte. Durch dieses Gerät änderte die Lufttemperatur immer so, dass es bei jedem Wind und Wetter draußen drinnen immer eine angenehme Temperatur herrschte.

Ich schlenderte gemächlich an den vielen Regalen vorbei, die ich trotz meiner Lahmheit nur als Farbenrausch erkennen konnte. Das passierte mir öfter, wenn ich mit meinen Gedanken irgendwie abschweifte.

Nach fast einer halben Stunde irgendwo zwischen Milchprodukten und den neuesten Waschmitteln, trat ich wieder hinaus in das nasskalte Regenwetter.

Auf der Straße kam mir Melina Freyn entgegen. Sie war eine gute Freundin meiner Mutter, Professorin für sämtliche technologische Sachen, Zuständige für die Kindergärten und Krippen, vierfache Mutter, oft gestresst und immer nett zu mir. Ihre Augen leuchteten vor Erleichterung, was mich etwas verwunderte, auf, als sie mich sah und sie hastete auf mich zu. „Sky! Gut, dass ich dich hier treffe! Ich war schon bei euch zu Hause, aber da warst du schon weg. Ich brauche unbedingt deine Hilfe! Im Kindergarten sind zwei Erzieherinnen heute krank und wir haben keinen Ersatz! Könnest du vielleicht für heute einspringen? Es wäre auch alles mit deiner Mutter abgeklärt!" Sie sah mich hoffnungsvoll an. Mir fiel auf, dass sie blasser war als sonst, sie tiefe Augenringe hatte und ihre Augen vor Müdigkeit getrübt waren. Sie hat mir Leid, momentan hatte sie anscheinend sehr großen Stress... „Natürlich kann ich das!" Ich konnte sie nicht enttäuschen. Ich konnte nie jemanden enttäuschen, der meine Hilfe brauchte. „Danke!" Ihre Erleichterung war deutlich aus ihrer Stimme heraus zu hören. „Keine Ursache!" Ich lächelte sie warm an.

Und so stand ich keine zehn Minuten später in einem großen, freundlich eingerichteten Raum mit großen Fenstern, von denen man auf einen großen, grünen Garten mit Spielplatz blicken konnte, einem hübschen, hellen Parkettboden, Möbeln aus ebenfalls hellen Holz, Sitzkissen auf dem Boden, Sofas und Sesseln und mehreren Spielecken, die vor Spielzeug überquollen und schnippelte Gemüse für das Mittagessen. Die Kinder waren momentan draußen und tollten unter der Aufsicht von der einzigen gesunden Erzieherin auf dem Spielplatz, bzw. der Wiese herum. Die Tüten mit dem Einkauf für meine Mutter hatte sich zum Glück Melina bereit erklärt bei mir zu Hause vorbei zu bringen. In einer halben Stunde würde es Essen – Gemüseauflauf – geben und danach würde ich mit einigen Kindern in den Fernsehrraum etwas spielen gehen. Wenn ich ehrlich war, freute ich mich schon darauf. Es machte mir immer sehr großen Spaß mit den kleinen Kindern in virtuelle Welten einzutauchen, Abenteuer zu erleben, mal jemand völlig anderes zu sein. Das letzte Mal, wo ich hier ausgeholfen hatte, hatten wir ein mittelalterliches Abenteuer nachgespielt. Wir waren Ritter und Bogenschützen gewesen und mussten Bösewichte, Drachen und andere Monster besiegen um am Ende die schöne Prinzessin zu befreien. Ja, ich wusste, dass das eindeutig ein Spiel für kleinere Kinder war, allerdings hieß das doch nicht, dass es keinen Spaß machte, oder?

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