-𝟸𝟾-
Die ganzen Lügen, das ganze Betrügen, der Verrat... Es stand mir bis zum Hals. Ich drückte Roel sein Handy gegen die Brust und dann rannte ich. Davon von diesen ganzen scheinheiligen Gestalten, versteckt unter ihren fein hergerichteten Masken. Sie wollten mich Ertränken in ihren Übeltaten und ich verlernte das Schwimmen.
Tränen verschleierten meine Sicht,
als ich mich von meinen eigenen Dämonen, durch den Saal jagen ließ. Am liebsten hätte ich auf irgendwas eingeschlagen und getreten. So lange, bis meine Kraft zu Ende ging.
Es würde Leontes nicht einmal leid tun. Wie denn auch, wenn ich mir selbst die Schuld dafür gab. Keiner hatte mich gezwungen, mich dem ersten daher gelaufenen Vampir anzuvertrauen.
Ich stieß mit meinen Ellenbogen um mich und rammte alles, was nicht fest im Boden verankert war.
Endlich vernahm ich die laute Musik nur noch im Hintergrund und ich entfernte mich weiter. Die Vernunft schrie, dass ich die Wut in meinem Zimmer verrauchen lassen sollte, doch der Teufel in mir, wollte diese produktiven Emotionen nicht verschwenden. Viel mehr sehnte er sich danach, sie in eine Tat umzuwandeln.
Als ich aus dem Aufzug ausstieg, musste ich mich entscheiden. Mein Zimmer, oder die Brücke zur Produktionshalle.
Niemand mehr sollte an das arme, schwache Mädchen denken. Ich krümmte meine Finger zu Fäusten. Gegen die Erwartungen aller, sowie gegen meine eigenen, ging ich über die Brücke. Die Zeit des Aufräumens war gekommen. Das Hämmern der Absätze über dem metallischen Boden verstummte, sowie ich meine Absätze von nun an, in den Händen trug.
Mal sehen, was Feliz sogar vor seinen liebsten Vampiren versteckte.
Ich durfte keine Angst zeigen und bisher verdrängte ich sie in die hinterste Schublade meines Inneren. Solange ich mich noch fürchtete, würde ich für sie eine kleine Maus bleiben. Nicht mit mir. Nie wieder. Egal, ob gegen Vampir, oder Mensch.
Ich erreichte die Halle. Die Produktion stand still. Der mysteriöse Gang rückte noch mehr in den Fokus als tagsüber. Was man in den Mittagsstunden nämlich nicht sehen konnte, waren die Wände, die als Lichtquelle selbst dienten. So leuchteten sie mir von allen Seiten den Weg voraus. Nur der Boden blieb von dem Spektakel unberührt.
„Junge Frau, verziehen Sie sich!"
Sie sprachen mehr Akzent als Englisch. Ich tippte auf Osteuropäer. Sie steckten ihre Glatzen zusammen und tuschelten, bevor der eine dumm vor sich hin grinste.
„Oh Jungs, entschuldigt. Ich habe mich wohl verlaufen." So betrunken, wie ich es Ihnen vorspielte, war ich in meinem Leben noch nie gewesen.
Im Zick-Zack tastete ich mich durch den Gang vor.
„Kommen Sie. Ich bringe Sie zurück." Der jüngere der Männer steuerte mir entgegen. Meine Finger suchten in der Clutch nach meinem Parfum.
So schnell, das mein Gegenüber kaum reagieren konnte, sprühte ich ihm einen Hauch von Rizin ins Gesicht. Einem Menschen dürfte es kaum etwas ausmachen, außer, dass der Alkohol für ein paar Minuten in den Augen brannte.
Dieser Typ jedoch hustete, rieb sich gleichzeitig über das Gesicht und den Hals. Rote Flecken entstanden dort, wo die Flüssigkeit ihn getroffen hatte, fast schon so, als hätte ich ihn mit Graffiti besprüht.
Hinter seinen Händen, erschienen leere Augen, so dunkel, wie ihre Höhlen selbst. Der Anblick gefror mir noch immer das Blut in den Adern. Ich versuchte meine Atmung flach zuhalten und nicht vor den Zähnen, die sich in Speere verwandelten, in die Knie zu gehen. Nein, ich hatte mich vorbereitet, Waffen gebastelt und mich von einem Vampir höchst persönlich quer durch den Raum schubsen lassen.
Weiche niemals aus, komme der Bewegung entgegen, erinnerte ich mich an Roels Worte aus dem Training.
Der Blutsauger vor mir würde gleich zum Angriff ansetzen. Seine gebeugten Beine sammelten die maximale Sprungkraft. Ich griff mir seitlich in den BH, wo das Messer bereits wartete, benutzt zu werden. Er sprang direkt auf die Klinge. Aus dem Fauchen, wurde ein Stöhnen. Direkt vor meinen Augen, verwandelte ihn das Rizin in einen Stein. Seine leblosen Glieder fielen nach und nach, bis er gänzlich vor mir kollabierte. Speichel tropfte auf den Boden. Sein Kopf färbte sich rot. Es ähnelte einem anaphylaktischem Schock.
Ich schaffte es nicht, mich abzuwenden, da steckte der andere, kräftigere von beiden, mir seine Zähne in den Hals. Die angenehmen Gefühle, die Roel mir mit seinem Biss bescherte, blieben aus. Wahrscheinlich vertrug sich auch das Vampirgift nicht mit dem Rizin. Ich hatte meinen Hals damit eingeschmiert und nun brannte es wie Feuer auf meiner Haut und darunter. Der Schmerz schlich von der Schulter, bis hinunter zur Brust. Mir entfloh ein kläglicher Aufschrei, als der Godzilla von mir abließ. Auch er begann zu krampfen.
Der Boden unter mir geriet ins Wanken. Unsicher, wie ein Kleinkind stolperte ich bis zur Schiebetür, an der ich hinab rutschte. Mein eigenes Blut färbte die dunkelgrauen Fliesen.
Ich presste meine Hand gegen die Wunde und sah vom Untergrund auf.
Was tat ich hier eigentlich?
Vor mir krümmten sich zwei Vampire vor Krämpfen und ich lag vor einem Tor, dass ich ohne die richtige Hand niemals öffnen konnte.
Also, wofür das alles? Entweder diese zwei Godzillas würden mich nun auseinander nehmen, wenn sie wieder erwachten, oder spätestens Feliz. Anto war verloren.
Was zum Teufel hatte ich mir bei dieser Aktion gedacht?
Lediglich mein innerer Teufel wurde gesättigt. Die Wut schwieg.
„Ta qifsha nanen." Er tippte einen von ihnen mit dem Fuß an, während seine jungen Gesichtszüge sich angewidert verzogen. Ich hatte die Kontrolle verloren und war mit den Wellen des Zornes getrieben. Mein Handeln setzte das Leben meiner Freundin auf's Spiel.
„Sieht so aus, als hätte ich mehr aus unserer Übung mitgenommen, als wir beide dachten." Ich ließ von der Verletzung ab und wischte mir stattdessen über das Gesicht. Der Schweiß, die Tränen, das Blut, sie juckten bereits. Immer wieder befeuchtete ich erneut, die mittlerweile schon trockenen Stellen. Der Damm brach und ich weinte. Meine verborgene Traurigkeit fand einen Weg hinaus. Sie sprengte dafür eine ganze Mauer.
Vor meinen Füßen landete erst ein Herz, dann ein anderes. Ein Organ, welches ich sonst nur von Modellen her kannte. Die Venen waren durchtrennt, oder besser gesagt, sie wurden aus dem Körper gerissen. Die Aorta legte sich wie ein dickes, weißes Bündel um das bordeaux-farbene Fleisch. Ich folgte der Blutspur und fand seine Hände. Er steckte, wie ich, bis zu den Ellenbogen in der Scheiße. „Was hast du getan? Was haben sie dir getan? Wieso hast du sie getötet?" Ich sprang auf die Knie und krabbelte vor die Leichen. Sie sahen wieder menschlich aus. Menschlich tot und blau verfärbt.
„Wir sind nur Monster, also was solls? Du hattest mit deiner ersten Annahme recht." Nein, sie waren keine Monster! Sie hatten noch immer Eltern, Geschwister und Freunde, ihre ganze Vergangenheit. Genauso, wie er...
Das Leid stand ihm ins Gesicht geschrieben. Es war der selbe Blick von damals, als wir uns das erste Mal begegneten. Seine Schritte kamen mir näher. Roel streckte seinen Arm aus. Erst dachte ich, er würde mir auf helfen wollen, doch dann legte er seine Hand auf den Scanner. Meine Rückenlehne gab nach. Die Tür zur Hölle bewegte sich zur Seite.
Erst jetzt, erschienen seine von Blut verschmierten Finger direkt vor meinen Augen. Ich nahm seine Unterstützung an.
„Welcher von denen hat dich gebissen?" Im ersten Moment, wusste ich es selbst nicht mehr, doch dann fiel mir der genaue Ablauf des Geschehens wieder ein und ich zeigte auf den größeren. Roel hielt mir seinen rechten Unterarm hin.
„Aber heute ohne Zähne, bitte", kommentierte er. Ich wollte gar nicht wissen, wie viele arme Frauen, sich diesen Spruch schon reinziehen mussten.
Allein der Gestank von Eisen ließ meine Magensäfte aufkochen. Ohne dieses Blut würde ich allerdings sterben. Das war mir mittlerweile klar. Ich würgte dem Blut entgegen und glitt letztendlich mit meiner Zunge seitlich über sein Handgelenk. Die Stelle schien mir am wenigsten als unangenehm. Im Endeffekt war es auch egal. Der Geschmack trieb mir Tränen über die Lider. Ich schaffte es kaum zu schlucken. Mein Magen kämpfte gegen mich. Aber ich vergaß sehr schnell, was mich eben noch quälte. Roel starrte ohne zu blinzeln vor sich. Es musste unglaublich sein, wenn es selbst ihn aus der Bahn warf.
Ich folgte seinen Iriden. Meine landeten in einer Art Gefängnis. Jede Zelle leuchtete so hell, wie unter der Lampe eines Chirurgen. Es brannte in den Augen. Wahrscheinlich erkannte ich deswegen nicht gleich, die kleinen Insassen. Nein, ich glaubte nicht, was ich sah, denn hätte ich es geglaubt, hätte die Menschlichkeit keinen Wert mehr.
Meine Finger streichelten über die kalten Gitterstäbe, dahinter verstümmelte Körper. Der erste zappelte ohne Kopf und Beine, so unkenntlich gemacht, dass ich zwischen Mann, oder Frau, nicht unterscheiden konnte. Ich wich unbewusst zurück und prallte gegen eine andere Zelle. Ein lebloser Fleischbrocken hing hier von der Decke. Es könnte ein Vampir gewesen sein. Eigentlich wollte ich es nicht herausfinden.
„Wusstest du davon?" Leontes hatte es erwähnt, doch keine Beschreibung würde diesem Schlachthaus gerecht werden. Roel blinzelte der Helligkeit entgegen. Es verschlug ihm die Sprache, genauso wie mir.
„Vampire sind doch eigentlich schon tot. Wir dürften sowieso nicht existieren."
Als Liebling dieses Monsters fiel es ihm leicht zu reden.
„Das tut ihr aber und nichts rechtfertigt, was hier getrieben wird." Meine Magensäure brannte bereits im Rachen. Ich schaffte es nicht mehr, vom Boden aufzusehen. Allein der Gestank von rohem Fleisch, trieb mich in den Wahnsinn. Vielleicht waren sie keine Menschen mehr, aber immer noch Lebewesen.
Wie konnte Feliz zu sowas im Stande sein? Er schnitt ihnen Stück für Stück das Leben aus dem Leib. Er hörte ihre Schreie.
„Wer ist da?", vernahm ich eine zarte Stimme. „Amari, schweig", wurde sie harsch gestoppt. Blind, folgte ich dem Flüstern. „Sie gehört nicht dazu", widersprach sie dem Mann.
„Es könnte nur eine Falle sein", mutmaßte er, doch sie ignorierte ihn. Nach allem, was sie hier mit ansehen musste, bewunderte ich ihren Mut. Kurz darauf entdeckte ich auf halber Höhe braune, zierliche Finger, die sich um die Gitterstäbe schlossen. Sie trug eine lockere Tunika aus Leinen. Kleine grüne Ranken verzierten die Nähte ihrer ausgestellten Ärmel. Als ich noch näher an sie heran schlich, stellte ich fest, dass sie noch kleiner war, als ich. Schwarze Korkenzieher-Löckchen umrandeten ihr feines Gesicht. Nur der weiße Verband passte nicht. Sie hatten ihn ihr um den Kopf gewickelt, nachdem ihre Augen entfernt waren. Das Blut drang noch immer durch den weißen Stoff hindurch.
Ich trat an sie heran und streichelte sanft über die rauen Knöchel ihrer Fingergelenke.
Amari zuckte zusammen und entfernte sich von den metallischen Stäben.
„Sie sind die einzigen beiden, die noch ansprechbar sind. Von den anderen ist nicht viel übrig", klärte Roel mich auf. Gut, dann musste ich mir kein Bild mehr von der Lage machen.
Amaris Zellennachbar war es nicht so gut ergangen. Der Mann sah mich zwar und beobachtete mich regelrecht, doch er saß regungslos, ohne Beine, oder Arme, in einem einfachen Stuhl. Es tat mir weh, ihn anzuschauen.
„Keine Sorge, wir werden euch helfen", versprach ich, ohne einen Plan zu besitzen. Dafür klimperten Schlüssel rechts von mir.
„Die hingen neben der Tür."
Ich nickte Roel zu. Er litt, durchgehend. Sein zerstörter Blick, wich meinem aus.
„Probier sie aus, bis einer passt", forderte ich ihn auf, denn an diesem Bund hingen mindestens dreißig Schlüssel. Ich hingegen kümmerte mich um die schwache Gestalt vor mir, die gleich fliehen musste.
„Brauchst du Blut, Amari?", sprach ich die Sprachlose direkt an. Sie traute mir nicht und ich konnte es ihr nicht verübeln.
„Ich will nicht hier raus", meldete sich der Insasse von nebenan.
Seine dunkelblonden Haare reichten ihm bis über die Ohren. „Amari wird alleine flüchten. Uns andere, musst du erlösen." Seine strenge Mimik, die Falten unter seinen Augen, ließen keinen Platz für Zweifel zu und ich verstand es. Ich wollte ihm gar nicht gut zureden.
„Norvid! Lass uns draußen darüber reden." Aber Amari versuchte es. Ihre Akzente klangen, wie aus zwei verschiedenen Welten, so als würden sie nicht, das gleiche Englisch sprechen. Genauso unterschieden sie sich optisch. Amari wurde von der Sonne geküsst, Norvid vom Mond. Seine Haut war bleich, ihre dunkel.
Das Schloss rastete ein. Roel öffnete die Zelle.
„Hast du ein Feuerzeug dabei?"
Er hob und senkte seinen Kopf mit zusammen gezogenen Augenbrauen. Ich rannte zum Eingang und löste die Desinfektionsmittel zu beiden Seiten. In jede Zelle spritzte ich die Flüssigkeit, verteilte sie auf meinem Weg, bis hin zu Norvid.
„Bist du dir sicher?", wollte ich von ihm wissen, doch er lächelte nur. „Was denkst du?", stellte er mir die Gegenfrage, seinen Körper betrachtend, von dem mehr als die Hälfte fehlte. Ich war zu spät hier angekommen. Amari hakte immer wieder bei Roel nach, was gerade passierte, doch dieser starrte nur in meine Richtung.
„Es tut mir leid", flüsterte ich dem Mann zu, den ich kaum kannte, dessen Schicksal mich jedoch auf Ewig begleiten würde.
„Das muss es nicht", waren seine letzten Worte.
Roel reichte mir sein Feuerzeug und ich entfachte ein Inferno. Von Staub und Ruß bedeckt verließen wir die Hölle gemeinsam mit Amari.
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