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„Ja...Ich bin Vaith. Der Anführer der roten Raben" mit diesen Worten bestätigte er nur die Gedanken des Apothekers. Doch er gab damit auch seiner Person endlich einen Namen, denn bis jetzt wusste keiner außerhalb und nur wenige innerhalb der Bande wie er in seiner menschlichen Gestalt aussah, geschweige denn seinen Namen und das ließ ihn verwundbar und unbehaglich fühlen. Und der Fakt das Ciel sein Gefährte war, machte das Ganze nicht gerade einfacher, denn seit sich Vaith eingestanden hatte, dass sie wahrlich Gefährten waren, hatte sich ein Beschützerinstinkt aufgebaut.

Ja, Ciel hatte das Recht zu erfahren wer er war, doch dieses Wissen konnte den Jüngeren in gewaltige Gefahr bringen und außerdem war es eine schwere Bürde, die er nun mit sich herumschleppen musste. Es würde dessen Leben gehörig auf den Kopf stellen und der Apotheker müsste wahrscheinlich sein jetziges Leben aufgeben, wenn er sich dazu entschließt ihr Band anzunehmen.

Beides wollte der Gestaltwandler nicht für den Anderen, denn er sollte sein Leben in Sicherheit und so leben dürfen wie er wollte und nicht in ständiger Angst entdeckt und verfolgt zu werden.

Deshalb hatte sich der Panther auch einen ganzen Monat von dem Jungen mit den hellbraunen Haaren und den hellgrünen Augen ferngehalten. Er hätte bereits schon viel früher zurückkehren können, doch Vaith hatte lange nicht gewusst wie er sich in der Gegenwart des Schneeleoparden verhalten sollte. Um ehrlich zu sein, wusste er es immer noch nicht genau.

Die Frage, ob es überhaupt schlau gewesen war, zurück zu kehren, überlagerte im Moment seine gesamten anderen Sorgen. Würde er Trabi meiden, würden sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nie wieder begegnen und irgendwann hätte Ciel ihn mit Gewissheit vergessen. Das wäre das Sicherste für den Jüngeren gewesen.

Doch eines Nachts, als Vaith wieder einmal einsam auf den Mauern des Hautlagers saß und die Sternbilder beobachtete, überkam ihn die Sehnsucht nach seiner zweiten Hälfte stärker als jemals zuvor und er entschloss sich einmal selbstsüchtig zu handeln.

Er hatte in seinem Leben schon so vieles verloren und auch gegeben, da wollte er sich ein zweites Mal das nehmen, welches ihm zustand.


Mittlerweile hatte sein Gehirn die Information, dass der große Mann der Anführer der Jäger der Nacht war, einigermaßen verdaut und Ciel konnte langsam etwas damit anfangen.

Sein Gegenüber, der Mann der blutend in seine Apotheke gekommen war, danach spurlos für ein Monat verschwunden war, der Mann der behauptete sein Gefährte zu sein und bei dem er glaubt, dass das sogar stimmte, ist der gefährlichste und bekannteste Mann in ganz Prära.

Ciel konnte es nicht ganz glauben, auch wenn es eine Tatsache war, denn auch wenn ein Name nie in diesem Zusammenhang genannt wurde, lügte die Narbe nicht.

Er hatte diese Form mittlerweile schon auf tausenden Fahndungsplakaten gesehen. Kurz schoss dem Schneeleoparden die Frage in den Kopf wie und vor allem mit welcher Waffe er sich diese Wunde zugezogen hatte.

Langsam und leicht zitternd zog er seine Hand wieder zu sich zurück, konnte aber den Blick nicht von Vaith abwenden. Auch wenn etwas tief in seinem Inneren Ciel sagte, dass der Schwarzhaarige ihm nichts tun würde, machte sich Furcht in ihm breit. Schließlich stand er gerade dem gefährlichsten Mann Präras gegenüber.

„Da... das heißt Krim gehört auch zu den Jägern?", waren die ersten Worte, die sich zu einer der unzähligen Fragen in seinem Kopf, formten. Der Schneeleopard ließ sich überfordert von der unerwarteten Enthüllung in den bequemen Ohrensessel sinken.

„Ja, um genauer zu sein, er ist mein gagak handap. Mein Stellvertreter, meine rechte Hand, nenn es wie du willst", klärte der Ältere den Apotheker auf.


Eine geraume Zeit war es Totenstill in dem Raum und Vaith konnte deutlich im kerzenbeschienenen Gesicht des Gestaltwandlers erkennen, wie es in dessen Kopf ratterte und arbeitete. Er wollte gerade die Apotheke verlassen um Ciel die Zeit zu geben, die dieser benötigte um diesen Schock zu verdauen, als dieser plötzlich wieder die Stimme erhob: „Du hast ihn getötet nicht wahr? An dem Tag als du zu mir in die Apotheke kamst... Am nächsten Tag stand es ganz groß in den Zeitungen. Du hast viele umgebracht. Ich kenne die Geschichten über den schwarzen Panther..." Seine Stimme war Leise, aber auch Hoffnungsvoll.

Der Schwarzhaarige konnte deutlich die Hoffnung aus den Augen des Kleineren lesen. Die Hoffnung, dass diese Geschichten nicht stimmten, dass diese nicht der Wahrheit entsprachen. Das er nicht der Mörder war, für den ihn alle hielten.

Doch Vaiths Lippen blieben geschlossen. Warum auch? Was sollte er schon sagen? Dass die Geschichten stimmten? Verneinen könnte er sie ja auch nicht.

„Aber, wieso...wieso wird man... wieso wird man sooo... naja so", versuchte der Apotheker irgendwie seine Gedanken in Worte zu fassen und fuchtelte etwas überfordert mit seinen Händen in der Luft herum. „Wie wird man so, dass man gewissenlos jemandem das Leben nehmen kann?"

„Ich wuchs als Waise auf der Straße auf und schlug mich oftmals gerade noch so durchs Leben. In meiner schwierigsten Zeit fanden mich die Raben und retteten mich. Sie nahmen mich auf und schnell fand ich in der Bande meine Familie die ich nie hatte. Als ich alt genug war ging ich mit auf Raubzügen, da ich das Bedürfnis hatte ihnen etwas zurück geben zu müssen. Es dauerte nicht lange und ich musste das erste Mal töten, zuerst nur als Notwehr, doch je höher ich in der Bande aufstieg und je mehr Anerkennung ich gewann, desto öfters musste ich töten und irgendwann nicht mehr nur als Notwehr. Am Anfang viel es mir schwer mit den Schuldgefühlen umgehen zu können, doch irgendwann kann man das einfach abschalten. Irgendwann wurde ich Anführer und ich musste andere Verpflichtungen nachkommen. Unter meiner Führung wuchs der Ruf der roten Raben und sie wurden noch gefürchteter", erzählte Vaith ehrlich und frei heraus, nachdem er eine ganze Weile seinen Gegenüber eindringlich gemustert hatte.

Doch es viel ihm schwer über seine Vergangenheit zu reden und dabei hatte er nicht einmal alles erzählt, sondern nur grob sein bisheriges Leben zusammengefasst, in der Hoffnung, dass das Ciel als Antwort reichte und er nicht weiter darauf eingehen würde.

Zumindest jetzt noch nicht. Er war noch nicht bereit sich dem Schneeleoparden zu öffnen, geschweige denn ihn in sein Leben zu lassen. Es war brutal, rücksichtslos und kaltherzig. Es gab nur wenige warmherzige und schöne Momente.

Der Panther ließ seine Augen musternd über das Gesicht des Jüngeren schweifen und versuchte daraus herauszulesen, was der Andere gerade dachte. Doch er wurde nicht wirklich aus den Gefühlsregungen von Ciel schlau. Er schien immer noch verwirrt, verängstigt und geschockt.

Bei dieser Erkenntnis fasste Vaith einen Entschluss! Er würde seinen Gefährten nicht unnötig in Gefahr bringen. Ciel würde solange nicht in Kontakt mit der Bande kommen, bis sich der Anführer sicher war, dass dieser mit der gesamten Situation umgehen können würde und dieser es ausdrücklich wünschte.

Außerdem, auch wenn er wusste, dass der Kleinere ihn dafür hassen würde und es selbst tief in seinem Inneren dagegen strebte, würde er die Besuche so rar wie möglich halten.

Vaith wollte für sein Glück einfach kein Risiko eingehen und bis er eine bessere Lösung fand, reichte es ihm den Schneeleoparden einfach in Sicherheit zu wissen und ihn ab und zu zusehen.


Ciel indes rang immer noch damit, Ordnung in seinen Kopf zu bekommen.

Zu einem wollte er zu Vaith und hatte das dringende Bedürfnis ihn nach dieser Geschichte eng an sich zu drücken, doch andererseits kannte er die blutigen und gewalttätigen Geschichten des Anführers der Jäger. Außerdem hasst er Waffen, wie sollte er da mit einem gefühlskalten Mörder den Gefährtenbund eingehen?!

Er musste hier dringend raus!

Plötzlich fühlte sich die Apotheke so beengend und stickig an. Wie zuvor hatte er das dringende Bedürfnis nach kühler Luft. Doch diesmal in seiner Tierform.

Er wollte den Wind in seinem schneeweißen Pelz spüren, die Erde unter den Pfoten, wenn er durch das Unterholz des nahen Waldes raste.

Er wollte rennen und das sofort.

„Ich muss los, ich habe noch etwas Wichtiges zu erledigen", rasselte der Braunhaarige schnell und aufgebracht herunter, ehe er aufsprang und zum Durchgang eilte.

Im Türrahmen blieb er noch einmal abrupt stehen und drehte sich zu dem Panther um. „Mich würde es sehr freuen, wenn du die Nacht über hierbleiben könntest und wir morgen hierbei weiter reden könnten... wirklich", sprach Ciel ernst und ein wenig Hoffnung schwang in seiner Stimme mit. Nach dem der Andere kurz genickt hatte, musterte er diesen noch einmal skeptisch von oben bis unten. Konnte er ihn wirklich hier alleine lassen?


„Ich werde schon nichts Anstellen, versprochen. Und lass dir ruhig Zeit, es gibt viel zu verdauen", kam es nur von dem Panther, wissend was in dem Kopf des Apothekers vorging.

Nach einem letzten Blick zu Vaith verließ der Jüngere den Raum und stieg die schwere Holzstiege hinter den Tresen hinauf zu seiner Wohnung.

Kurz darauf hörte man erneut das leise knarzen der Stufen und Vaith sah neugierig zu dem Türrahmen durch welchem noch vor kurzem der Apotheker verschwunden war.

Dort stand jetzt eine flauschige Raubkatze und ihre Blicke kreuzten sich. Eine Weile hielt der Schwarzhaarige den Blickkontakt, bis sich das mittlerweile bekannte Ziehen und Brennen in seiner Magengegend ausbreitete und er seine Augen weiter wandern ließ, um den Tierkörper von Ciel mustern zu können.

Das wahrscheinlich schneeweiße Fell des Schneeleoparden erschien nun im spärlichen Licht der Kerzen, welche noch ihm Verkaufsraum brannten, leicht gelb bis orange. Außerdem vermutete der Panther, dass Ciel etwas kleiner war als er selbst in seiner Tierform. Die schwarzen Punkte ergaben einen schönen Kontrast und waren regelmäßig über den gesamten Körper der Katze verteilt. Trotz dem dicken Pelz wirkte die Raubkatze schlank. Als Vaith den nervös hin und her pendelnden Schweif bemerkte, wandte er widerwillig seine Augen von dem Gestaltwandler. Anscheinend fühlte sich der Jüngere unter seinem musternden Blick nicht wohl und das respektierte der Schwarzhaarige mit den dunkelblauen Augen.


Ciel war eigentlich generell seine Tierform heilig, denn er hatte das Gefühl, nachdem er nicht sehr stark war, dass er damit immer noch ein Ass im Ärmel hatte und darum zeigte er sich auch nicht gerne anderen als Schneeleopard.

Dass er sich gerade Vaith so zeigte, war ein gehöriger Vertrauensvorschuss und sollte ihm zeigen, dass er es ernst meinte, aber jetzt erstmal Abstand brauchte, um seine Gedanken zu ordnen und das Ganze zu verarbeiten was er gerade gehört hatte.

Nachdem der große Mann seinen Blick abgewandt hatte, atmete Ciel einmal hörbar aus, ehe er aus der Apotheke verschwand. Zitternd atmete er die kühle Nachtluft ein und die Raubkatze merkte bereits wie sich seine Gedanken zu klären begannen.

Zum Glück lag seine Filiale eher am Stadtrand und so dauerte es nicht lange bis die Häuser Bäumen wichen und er den dichten Wald, an dessen Rand Trabi lag, betrag. Ciel ließ ein tiefes und lautes Fauchen ertönen, ehe er ohne auf den Weg zu achten einfach drauf los rannte. Er spürte wie seine Muskeln unter dem dichten Fell arbeiteten und er verfiel in eine Art Rausch in dem er nicht mehr aufhören konnte.

Wieso tauchte dieser Typ nach all der Zeit plötzlich wieder auf und behauptete sein Gefährte zu sein und wieso fühlte es sich für Ciel so richtig und gleichzeitig auch so falsch an?

Er wusste, dass er Vaith vertrauen konnte, doch er hatte auch Angst davor. Wer nicht?! Schließlich saß seine Vergangenheit einfach noch zu tief. Viel zu viel war passiert und er wusste nicht, ob er sich auf eine Person einlassen konnte, die er nicht durchschauen konnte. Der Panther war ihm ein Rätsel, er wurde nicht ganz aus ihm Schlau.

Ja, die neueste Enthüllung erklärte so einiges, trotzdem warf es noch mehr Fragen und Zweifel auf.

Er war der verfluchte Anführer der gefürchtetsten Bande! Was wenn er ihn einfach nur ausnutzen wollte?

Abrupt blieb Ciel stehen und war erschrocken über seine eigenen Gedanken. Wie kam er denn jetzt auf das?! Seit wann ging er vom schlechtesten vom schlechten aus?

Unsinn...

Der Schneeleopard schüttelte seinen Kopf und setzte seinen Weg weiter fort.

So etwas durfte er nicht denken.

Aber was, wenn der Schwarzhaarige wieder spurlos verschwand?

Nein, das würde er nicht machen. Schließlich hatte er noch so einige Fragen zu beantworten!

Arg...! Er wusste einfach nicht was er tun sollte!

Irgendwann blieb der Schneeleopard auf einer kleinen Lichtung stehen und zögerte nicht lange um frustriert fauchend auf Bäume und Laub einzuschlagen.

Wieso war Vaith ein Typ so gegensätzlich zu ihm?

Warum musste er der Anführer der Jäger der Nacht sein?! Laut den Geschichten war er gewalttätig, brutal, skrupellos und blutrünstig. Warum musste sein Gefährte ausgerechnet der gefährlichste Mann von ganz Prära sein?!

Ciel wusste nicht ob er seelisch und mental dazu bereit war, mit solch einer Person zu interagieren, geschweige denn einen Gefährtenbund einzugehen...Denn darauf würde es wohl hinauslaufen.

Und doch...

Er wollte es, damit war er sich sicher. Tief in seinem Inneren hatte er es in dem Moment gewusst, in dem der andere Gestaltwandler dieses Thema angesprochen hatte. Auch wenn Vaith alles zu sein schien, was er versuchte zu vermeiden, beschloss der Schneeleopard, dass er den Panther besser kennen lernen wollte und dass er am morgigen Tag so viel wie möglich über den Schwarzhaarigen in Erfahrung bringen möchte. Er stand sich gerade einfach selbst im Weg und er hoffte er konnte seine Vorurteile in Bezug auf die Jäger und Vaith vergessen und diese unvoreingenommen neu kennen lernen. Vielleicht kam er ja doch besser mit dem ganzen Zeug zurecht, als er im Moment dachte.




Durchgeschwitzt und erschöpft kehrte Ciel zurück in die Apotheke. Die ersten schwachen Sonnenstrahlen kämpften sich durch den morgendlichen Nebel und der Junge entschloss sich, die Apotheke heute einmal nicht zu öffnen. Er brauchte jetzt unbedingt noch ein paar Stunden Schlaf und danach war Vaith dran.

Leise schlich der Schneeleopard durch den vorderen Raum um den vielleicht schlafenden Gestaltwandler nicht zu wecken. Gerade als er die Treppe zu seiner Wohnung erklimmen wollte, warf er doch noch einen verstohlenen Blick in den Behandlungsraum. Vielleicht würde er ja dort auf einen friedlich schlafenden Vaith mit zerzausten Haaren antreffen.

Ein kalter Luftzug und ein zuschlagendes Fenster holten ihn zurück in die Realität.

Dieser verdammte Bastard nicht schon wieder!

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