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Eine leicht nervenaufreibende Stille lag in der Luft der Wohnung über der Apotheke. Ciel war nach einiger Zeit, die er benötigt hatte um das Ganze ein wenig sacken zu lassen, aufgestanden, um hinunter zu gehen und die Utensilien zu verräumen, die er für die Behandlung seines Patienten benötigt hatte.
Vaith war währenddessen auf der kleinen Couch im Wohnbereich sitzen geblieben und hatte sich mit geschlossenen Augen zurückgelehnt. Die Vergangenheit des jungen Mannes musste er einmal verarbeiten und je mehr er darüber Nachdachte, desto deutlicher hob sich ein gewisses einschneidendes Ereignis aus seinem eigenen Leben hervor.
Die plötzlich aufkommenden Emotionen, welche drohten ihn in seinem erschöpften Zustand zu überwältigen, versuchte er mit einem leisen Fluchen zu unterdrücken und bedeckte sein Gesicht mit seiner Hand.
„Was ist los?", ertönte plötzlich eine sanfte Stimme neben ihm und der Schwarzhaarige fuhr erschrocken auf, nur um sich anschließend wieder zurück in die weichen Polster sinken zu lassen, nachdem er erkannte hatte, dass es sich bei der Stimme um den Hausherren handelte. Dieser hatte sich wohl still und heimlich die knarzende Treppe hinaufgeschlichen, in dem glauben, dass er eingeschlafen war.
„Du bist erschöpft und siehst echt scheiße aus", stellte Ciel trocken und ein wenig überrascht fest, wobei er sich ein kleines, sarkastisches Schmunzeln nicht verkneifen konnte. „Du solltest jetzt schlafen gehen und dich ausruhen. Du musstest heute einiges Einstecken und ich glaube, dass es noch nicht ganz vorbei ist."
Einerseits hatte sich der Schneeleopard gefreut, dass Vaith seine Maske bei ihrem Gespräch vorhin weitgehend fallen gelassen hatte, denn er war in diesem Moment eine wirklich einfühlsame und Sicherheit ausstrahlende Person gewesen. Eine Seite, die der Junge, bis jetzt, nicht von dem sich selbst distanzierenden Mann kannte, jedoch wirklich schätzte. Er fühlte sich geehrte, dass sich Vaith mittlerweile in seiner Gegenwart so wohl zu fühlen schien, sodass er begann sich ebenfalls fallen zu lassen und darauf vertraute, dass ihn der Apotheker auffing. Denn Ciel war sich sicher, dass der Panther nicht vielen Leuten seine scheinbar verletzliche Seite zeigte.
Doch vermutlich hatte die Erschöpfung ebenfalls ihren Teil dazu beigetragen, dass Vaiths Maske loser geworden war.
„Und dir macht es wirklich nichts aus, dass du auf der Couch schläfst? Immerhin gibt es unten drei Betten?", hackte der Gestaltwandler noch einmal skeptisch nach und wie schon die Male zuvor, erhält er zur Antwort lediglich ein stures Kopfschütteln.
„Nein, wie du schon gesagt hast, werden sie nicht so schnell nachgeben, da wäre ich unten wie auf dem Silbertablett serviert. Da würde ich nicht wirklich zur Ruhe kommen können", gab der Schwarzschopf von sich und vermied dabei den Augenkontakt mit seinem Gesprächspartner.
Ciel nickte nur verstehend, obwohl er dachte, dass seiner Entscheidung noch ein anderer Faktor zu Grunde lag. Der Apotheker vermutete insgeheim, dass der Panther einfach nicht von seiner Seite weichen wollte und da war nun mal die Couch die nähere Schlafmöglichkeit. Ob Vaith jetzt das Verlangen hatte, ihn beschützen zu müssen oder er einfach seine Nähe suchte, dass konnte der Jüngere wahrlich nicht genau sagen. Er tippte auf eine Mischung von beidem.
„Na gut, wenn du etwas benötigst, weißt du ja wo du mich finden kannst." Der Braunhaarige wollte sich schon zum gehen abwenden, als ihm der Gegenstand in seiner Hosentasche ins Gedächtnis sprang.
„Ach ja, bevor ich es vergesse..." Er stellte ein gläsernes Fläschchen mit dem braun-grünen Inhalt auf den kleinen Tisch unweit der dunkelgrünen Couch ab. Naserümpfend und mit äußerst skeptischem Blick musterte der Panther das medizinische Arzneimittel. „Das hier ist eine Dosis Schmerzmittel. Nimm es! Das sollte eigentlich für die Nacht reichen, aber scheue nicht davor zurück mich zu wecken, wenn du eine Neue brauchst!", wies er seinem Patienten seufzend, aber mit strengem Blick an, denn er wusste genau, dass Vaith vermutlich lieber kein Auge zu tat, wegen den Schmerzen, als ihn zu wecken und um ein weiteres Mittel zu bitten. Wenn er überhaupt die erste Dosis nahm.
Denn alleine dies stand schon in den Sternen.
Echt jetzt, mit ihm als Patient konnte man als Arzt wirklich durchdrehen. Wie kann man sich nur so gegen Schmerzmittel wehren. Liebt er den Schmerz wirklich so sehr. Oder vertraut er mir immer noch nicht und ist einfach nur paranoid. Wie hat er bis jetzt nur Überlebt?!
Als nur ein einfaches Okay von dem Schwarzhaarigen kam, schüttelte Ciel nur augenverdrehend den Kopf und wollte sich schon zu seinem Schlafzimmer auf machen, als ihn ein leises „Warte...", innehalten ließ.
Verwundert drehte sich der Apotheker mit den Worten: „Was ist?" um.
Vaith schien plötzlich nervös zu sein, denn sein Blick war starr auf das kleine Fläschchen vor ihm gerichtet und er spielte unruhig mit seinen eigenen Fingern.
Nach einem tiefen Atemzug hob schließlich der Panther seinen Blick und sah dem Jüngeren tief in die Augen.
„Meine vermutlich größte Schwäche ist das Wasser...", gab der meist gesuchteste Mann in ganz Prära sein wohl Best behütetste Geheimnis preis.
„Was?!"
Ciel brauchte einige Momente um zu realisieren, was sein Patient da gerade gesagt hatte, bis es endlich Klick in seinem Kopf machte.
„Wasser? Warum Wasser? Und warum erzählst du mir das so plötzlich wie aus dem nichts heraus?", überhäufte er den Panther mit Fragen. Auch wenn er merkte, dass es dem Älteren nicht leichtfiel, darüber zu reden, verspürte der Mediziner so etwas wie Glück und Freude, aber auch Verwirrung.
Immerhin hatte ihm gerade der Anführer der größten Räuberbande eines seiner vermutlich wichtigsten Geheimnisse anvertraut. Auch wenn Ciel nicht genau wusste, wie Wasser eine ernst zu nehmende Schwäche sein konnte. Doch es freute ihn. Denn dass war gerade der erste Schritt von Vaith gewesen sich ihm gegenüber zu öffnen.
„Weil du mir vorhin etwas über deine Vergangenheit erzählt hast, hatte ich das dringende Bedürfnis diesen Beweis des Vertrauens und des Willens, dass das hier klappen könnte, zu erwidern. Außerdem bin ich dir wegen heute und vermutlich für das Rest deines Lebens etwas schuldig. Immerhin bin ich nicht irgendwer und das Leben mit mir wird nicht einfach und deshalb ist es nur fair, dass du erfährst was einer meiner größten Schwächen ist", beantwortete die schwarze Raubkatze einer seiner vielen Fragen.
„Und warum Wasser?"
Die schwarze Raubkatze dachte lange nach, ehe er sich einen Ruck gab: „Mit 3 oder 4 hatte ich meinen besten Freund gefunden. Er lebte ebenfalls auf der Straße und war ein Zwerg. Zusammen haben wir fünf Jahre überstanden. Wir waren Ryû und jeder hätte sein Leben für den anderen gegeben. Durch stehlen und betteln haben wir uns unser tägliches Brot verdient. Arbeiten wollten wir nicht, dazu waren wir erstens noch zu Jung und außerdem war das Straßenleben zu aufregend. Wir beide liebten das Schwimmen und wir sind regelmäßig zu einem Teich in der Nähe von Tramtin schwimmen gegangen. Oft hab ich mich verwandelt und dann ist Örba auf mir geritten. Dort war auch unser Lager. Wir hatten uns ein richtig schönes Baumhaus zusammengebaut. Die Roten Raben waren unser Vorbild und Örba und ich haben uns geschworen, alles zu tun, um bei ihnen aufgenommen zu werden." Seine Augen die einem Lapislazuli glichen starrten dumpf gegen die gegenüberliegende Wand, so als ob dort gerade ein Film mit Erinnerungen abgespielt wurde, die jedoch nur Vaith sehen konnte. Ein trauriges lächeln breitete sich auf seinen schmalen Lippen aus, doch es verschwand schnell, als der Panther weitererzählte.
„Doch wie es kommen musste, waren wir eines Tages auf eine komplett bescheuerte Idee gekommen. Eines führte zum anderen und wir wurden bis zu unserem Lager außerhalb der Stadt verfolgt. Als sie uns schließlich schnappten, wollten sie sich einen Spaß daraus machen, wer von uns beiden Länger die Luft unter Wasser anhalten konnte. Kurzum, ich gewann und musste dabei zusehen wie mein Bruder neben mir sein Leben aushauchte, während ich selbst um mein eigenes rang. Alles begleitet von dem belustigten Gelächter der Stadtwache. Irgendwann nahm mich die Dunkelheit zu sich und ich musste nichts mehr von dem Ganzen mitbekommen. Aufgewacht bin ich schließlich im Hauptlager der Raben, dich mich anschließend unter ihre Fittiche genommen haben."
Vaiths Hand wanderte wie von selbst zu seiner linken Schulter. „Von diesem Tag stammt auch die vogelähnliche Narbe, die mein Erkennungsmerkmal geworden ist. Irgendwie ironisch, wenn man so darüber nachdenkt", lachte der Panther traurig und ließ seine Hand wieder sinken.
Seinen Schmerz nachvollziehend, ging Ciel zu seinem Gefährten und legte seine Hand sanft auf dessen Schulter. Dabei sah er ihm warm und verständnisvoll in die tiefblauen Augen. „Danke... ich weiß das wirklich zu schätzen, dass du mir das erzählt hast..." Auch wenn der Schneeleopard nicht genau wusste, was er bei solchen Worten erwidern sollte, so hoffte er, dass Vaith diese Aufheitern würden.
„Deshalb erstarre ich so ziemlich jedes Mal, wenn ich unvorbereitet mit einer gewissen Menge Wasser konfrontiert werde. An manchen Tagen kann ein einfacher Eimervoll reichen und ich kann mich nicht mehr wirklich Bewegen, bis ich mein Trauma irgendwie überwunden habe. Du bist jetzt der Vierte im Bund, die das wissen", erklärte er sich mit leicht belegter Stimme weiter.
„Und ich werde es auch keinem weitererzählen. Versprochen!" Eigentlich verspürte der Apotheker schon eine gewisse Neugierde, zu wissen, wer die anderen Drei waren, doch stellte sich der jetzige Zeitpunkt nicht als richtig heraus, um danach zu fragen. Vielleicht würde er es irgendwann einmal in Erfahrung bringen.
Mit einem leichten und dankbaren Lächeln nickte der Gestaltwandler langsam, legte seine Arm lose um die Hüfte des Kleineren und lehnte seinen Kopf gegen dessen Bauch. Ciel war kurzzeitig ziemlich überrascht, ließ aber kurz darauf seine Finger seiner anderen Hand in die offenen, langen, rabenschwarzen Haare gleiten und ein kleines Schmunzeln schlich sich auf sein Gesicht.
Ohne ein weiteres Wort genossen die Beiden so für geraume Zeit, das erste Mal, die beruhigende Nähe des Anderen. Ihre Herzen hatten sich einem gemeinsamen Rhythmus angepasst und schlugen nun einheitlich vereint. Dasselbe galt auch für ihre Atmung. Ein angenehmes Prickeln durchlief ihre Körper in Wellen. Es nahm eine ganz eigene sehr intime Stimmung an.
Der gesamte emotionale Schmerz, Trauer, Wut und sämtliche andere negativen Emotionen waren in diesen Augenblicken wie weggeblasen. Geblieben war nur das Gefühl der Geborgenheit, welches sie sich gegenseitig gaben. Etwas, dass Beide nun dringend brauchten. Der Eine offensichtlicher als der Andere.
Langsam lösten sie sich voneinander und für wenige Herzschläge herrschte ein intensiver Augenkontakt in dem begehrende Blicke ausgetauscht wurden, ehe dieser ebenfalls ein Ende fand. Verlegen sahen beide zu Boden.
„Wir sollten versuchen noch etwas Schlaf zu bekommen, auch wenn bald die Sonne wieder aufgehen würde", murmelte Ciel leise und konnte sich so gar nicht mit dem Gedanken anfreunden, schon wieder in ein – zwei Tairusse aufzustehen. Daraufhin beschloss er, dass die Apotheke für diesen Tag geschlossen blieb und vielleicht auch für den darauffolgenden Tag.
„Gute Nacht", wünschte ihm Vaith und nachdem ihm der Schneeleopard diese Worte erwidert hatte, ging der Jüngere endlich in sein eigenes Schlafzimmer. Auf den Weg dorthin löschte er noch alle Kerzen.
Als er sich schließlich in sein Bett warf, fiel augenblicklich all die Anspannung und der Stress des Tages von ihm und es dauerte nicht lange, bis er in einen traumlosen Schlaf geglitten war.
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Das zersplittern von Holz erfüllte den spärlich bemöbelten, feuchten Kellerraum. Betretenes Schweigen herrschte über den Köpfen der Anwesenden. Keiner wagte es auch nur einen Mucks von sich zu geben.
"Ihr habt ihn schon wieder entkommen lassen!", knurrte der Mann, welcher den Dolch aus Frust und Ärger in den schweren Eichentisch gerammt hatte.
"Ja Sir. Es ist unverzeihlich. Aber wir reden hier vom schwarzen Panther der Jäger. Es war uns allen klar, dass diesen Unterfangen nicht einfach werden würde", schaffte es Einer seine Stimme zu erheben, ohne dass diese zitterte.
"Und warum habe ich dann dieses Mal so viele Söldner angeheuert und zusammen mit meinen Soldaten ausgesandt?! Wir hatten aus sicherer Quelle die Information, dass er dort sein und welche Wege er nehmen würde, sollte er fliehen!", donnerte der großgewachsene Mann seinem Untergebenen als Antwort entgegen.
Denn Blick starr auf den steinernen Boden gerichtet, raffte nun ein anderer Kommandant seinen Mut zusammen und wagte es zu sprechen: "Aus uns unbekannten Gründen, ist er nach Trabi gegangen. Râthaer Jongul hat ihn dort auf dem Weg angetroffen und gegen ihn gekämpft. Wir wissen immer noch nicht ob er es schaffen wird und werden deshalb nicht so bald in Erfahrung bringen können, was dort genau passiert war. Eigentlich hätte er ja auf den Gagak Handap treffen sollen, doch dies lief auch außer Plan..."
"Lauter schlechte Nachrichten! Ich will wissen, was wir erreicht haben!", unterbrach ihn der Man mit der überaus furchteinflößenden Autorität. Bei seinen Worten beugte er sich über die detaillierte Karte von dem Gebiet des Waldes an der Grenze von Ramura zu Lísöra und Örphas und fuhr mit dem Finger die Linien nach, welche die ungefähren Fluchtrouten der Hohen Tieren der Räuberbande darstellten.
Irgendetwas muss auf dieser Versammlung, dessen Inhalt sie ebenfalls noch nicht kannten, vorgefallen sein, sodass sich die Zielpersonen anders verhalten haben, wie es ihr Informant vorhergesehen hatte. Und dieser war bis jetzt immer zuverlässig gewesen.
"Sir, da gibt es leider nicht viel zu berichten. Der Gagak Handap konnte uns wundersamerweise leider Entkommen, wurde aber so schwer Verletzt, dass er wohl bereits nach wenigen Tairusse verstorben ist. Außerdem haben wir einige niedrigere Mitglieder gefangengenommen oder getötet. Doch bevor wir diese noch befragen konnten, haben sie sich entweder selbst die Zunge abgebissen oder sich gar in den Tod getrieben..."
"Wir wissen daher nichts genaueres und der Kontakt zu unserem Spion ist seit den Abendstunden ebenfalls abgebrochen. Wir werden also erst wieder von ihm hören, wenn er sich selbst bei uns meldet", erhob nun Einer das Wort, welcher bis jetzt nur Stumm an dem Tisch gestanden war und fasste alles kurz und bündig zusammen.
"Einen Moment, Ihr sagtet, dass Gagak Getih auf dem Weg nach Trabi war. Bei einem Zusammenprall mit dem Rabenschlächter kommt selbst dieser Mann nicht unverwundet aus einem Kampf heraus..." Schnell fischte er sich seine goldene Taschenuhr heraus, warf einen kurzen Blick darauf, ehe er diese wieder verschwinden ließ. "Er wird wohl in der Umgebung untergetaucht sein um sich seine Wunden zu lecken." Die Stimme hatte einen gefährlichen Unterton angenommen und seine Untergebenen ahnten schlimmes.
"Durchstreift sofort die gesamte Umgebung rund um Trabi und bei Morgengrauen stellt ihr die Stadt auf dem Kopf. Nehmt so viele Soldaten wie ihr benötigt. Er darf euch nicht noch einmal durch die Finger gleiten! Ich will ihn endlich fassen!"
"Aber was wird König Tôlarth dazu sagen, wenn wir mit so einem Aufgebot eine seiner Städte stürmen?"
"Darüber braucht Ihr euch keine Sorgen machen. Ich habe schon alles mit dem alten Fettsack geklärt!"
"Jawohl!" Nach einem strammen Salut stürmte der Mann mit der starken Aura aus dem Raum und wurde bei der Türe von zwei seiner Elitesoldaten in Empfang genommen.
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