Szene XVI
The Wedding Date. So lautet der Titel des Films, der am heutigen Abend im Kino läuft. Wirklich neu ist er durch seine Erscheinung im Jahr 2005 nicht mehr. Dennoch habe ich ihn noch nie gesehen und bin umso gespannter, wie gut oder schlecht er ist. Laut Trailer geht es um Kat, die die Brautjungfer ihrer jüngeren Schwester sein muss. Doch ihr ehemaliger Verlobter ist der Trauzeuge ihres angehenden Schwagers. Daher engagiert sie einen Callboy. Nick soll Kats Freund spielen, um den Exverlobten eifersüchtig zu machen. Dieser Plan kann entweder nur schiefgehen oder in eine ganz andere Richtung umschwenken – funktionieren wird er definitiv nicht. Aber das ist nur meine unqualifizierte persönliche Meinung.
"Sehen deine Haare genauso aus?", lehnt sich Shawn so weit zu mir hinüber, dass ich seinen warmen Atem auf meiner Wange spüre. Schemenhaft kann ich erkennen, wie er mit einem Finger auf die Leinwand und somit auf die orangenen Haare der Protagonistin deutet. "Wieso bist du so versessen auf meine Haare?", bemühe ich mich, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. Mit Sicherheit sind die Haare von Kat gefärbt. "Ich versuche nur, dich mir vorzustellen", behauptet der Junge neben mir.
"Sie sind wesentlich heller", gebe ich ihm zunächst eine Antwort auf seine Frage. Sein Atem, der nicht zu verschwinden scheint, macht mich nervös. "Wie wär's, wenn wir uns dann mal vor der Tür treffen", schiebe ich dann hinterher – ziemlich unüberlegt. Dafür bekomme ich auch direkt die Quittung. Denn alles, was Shawn daraufhin von sich gibt, ist ein Grummeln. Dann eben nicht. Etwas beleidigt wende ich mich von ihm ab und konzentriere mich wieder auf den Film.
Die Stille, die sich zwischen uns gebildet hat, wird jedoch wenige Minuten später von meinem Lachen durchbrochen. Ich kann es beim besten Willen nicht zurückhalten. Es ist einfach zu lustig, wie Kat so tut als würde sie trinken und sich das Wasser dann lasziv auf ihr Dekolleté und ihre Bluse schüttet. Ein lustiger – wie ich finde – Versuch ihren Exfreund anzumachen. Neben mir ertönt ein kurzes leises Lachen und ich bin mir sicher, dass es mir und nicht dem Film gilt. Doch es klingt alles andere als abwertend, weshalb sich auf meine Lippen ein kleines Lächeln stielt.
Nachdem Kat wirklich – wirklich – viel Alkohol auf dem Junggesellenabend ihrer Schwester getrunken hat, setzt sie sich in den Kopf mit Nick zu schlafen. Normalerweise hätte sie dafür bezahlen müssen. Aber natürlich sagt der Callboy diesbezüglich nichts. Denn er hat sich schon längst in die Protagonistin verliebt und lässt es einfach so geschehen. Natürlich.
Plötzlich liegt meine Aufmerksamkeit auf der Hintergrundmusik. 'I don't know you but I want you so bad' singt eine mir unbekannte Stimme, während das Bild langsam ausgeblendet wird. Es scheint mir ein wenig zu zufällig, dass ausgerechnet ein Lied mit diesem Text abgespielt wird, während ich neben Shawn sitze. Ich mein, ich kenne ihn nicht und doch fühle ich mich auf eigenartige Weise zu ihm hingezogen. Natürlich will ich ihn nicht 'so sehr', doch irgendwas will ich von ihm. Wenn ich nur wüsste, wie genau das funktionieren soll – etwas mit einem wildfremden Jungen anzufangen. Den restlichen Film zermartere ich mir den Kopf, weshalb ich eigentlich so komisch bin.
"Ich will mich lieber mit dir streiten als eine andere Frau zu lieben", gesteht der Callboy der Protagonistin. "Wie lange kennen die sich jetzt?", flüstert mir Shawn zu. "Vier Tage in etwa?", bin ich mir nicht genau sicher, ob sie vor vier oder drei Tagen nach London gereist sind. "Dann könnten wir auch glatt eine Beziehung starten", lacht der Braunhaarige. Augenblicklich verschlucke ich mich an meiner eigenen Spucke. "Was?", krächze ich etwas unverständlich. "War nur ein Spaß", lacht Shawn erneut, bevor auch er hustet – peinlich berührt, wie es mir scheint.
Die letzten Minuten des Films sitzen wir wieder schweigend nebeneinander. Ehe Shawn sich ein letztes Mal zu Wort meldet, bevor der Abspann schließlich läuft. "Was für ein scheiß bester Freund." Zwar kann ich ihm in diesem Punkt zu hundert Prozent zustimmen. Doch ich werde das Gefühl nicht los, dass er lediglich den Drang hatte, etwas von sich zugeben, nachdem sein Witz nur Verwirrung gestiftet hat. "So einen wünscht man keinem", zucke ich mit meinen Schultern. Für einen Moment schweifen meine Gedanken zu Matt. Und seine ständige Nachfragerei bezüglich Shawn.
"Würdest du dir eine Begleitung kaufen?", kratze ich mich nachdenklich am Kinn. Eigentlich möchte ich nicht herausfinden, ob er unmoralisch – wenn man das denn so nennen kann – handeln würde, sondern viel mehr, ob er schon vergeben ist. "Muss ich nicht", sorgt Shawn dafür, dass mein Herz ein kleinwenig zusammenschrumpft, "meine Schwester heiratet nicht in naher Zukunft – hoffentlich." Erleichtert lache ich auf. Doch ganz eindeutig war seine Antwort trotzdem nicht.
"Und wenn einer deiner Freunde heiratet oder jemand aus der Verwandtschaft?", hakte ich daher weiter nach. "Wenn es in naher Zukunft geschieht, werde ich mir wohl eher keine Begleitung kaufen", wägt der Junge ab, "aber wenn meine Schwester in zehn oder lieber in zwanzig Jahren dann doch heiratet und ich immer noch Single bin, muss ich mir vielleicht Gedanken über diese Option machen." Danke. An diesem Punkt können wir das Gespräch beenden.
"In zwanzig Jahren?", lache ich, "dann ist sie fünfunddreißig. Willst du ihr das wirklich antun? Nur weil du glaubst, dass kein Junge außer dir auf deine Schwester aufpassen kann? Dass keiner würdig genug ist, sie auf seinen Händen zu tragen?" Irritiert über mich selbst schüttle ich kurz meinen Kopf. Meine Stimme klang amüsiert, aber in gewisser Weise hatten meine Worte etwas Anklagendes.
Plötzlich spüre ich Shawns Atem wieder auf meiner Wange. "Woher willst du wissen, was ich denke?", raunt er mir zu, während ich die Präsenz von seinem Oberkörper deutlich spüre. Er ist definitiv zu nah, um einen regelmäßigen Herzschlag zu haben. "I-ich weiß es nicht", versuche ich mich zusammenzureißen, "aber du scheinst der Typ für solche Ansichten zu sein. Immerhin hoffst du, dass deine Schwester möglichst spät heiratet. Erst dann, wenn du dir sicher sein kannst, dass sie bezüglich Jungs die richtigen Entscheidungen trifft."
"Aber glaub mir, auch junge Frauen können ganz gut einschätzen, wen sie heiraten sollten und wen nicht. Meistens jeden Falls", runzle ich nachdenklich meine Stirn. "Schon schlechte Erfahrungen gemacht?", erkundigt sich der Junge neben mir. Und auch wenn es bescheuert klingt, ich höre nicht nur, wie er lacht, sondern kann es auch spüren. "Ja", seufze ich theatralisch, während ich mein Gesicht ihm zuwende, "ich weiß nicht, was mich dazu verleitet hat, bereits meinen dritten Ehemann zu heiraten."
Das Kichern bleibt mir im Hals stecken, als mir bewusst wird, wie nah wir uns mittlerweile sind. Sein Atem kitzelt an meiner Nasespitze und der Duft von seinem Haarshampoo vernebelt meine Sinne. "Was für ein Jammer", flüstert Shawn, während er vorsichtig einige Haare hinter mein Ohr streicht, "dabei hatte ich gehofft, dass du noch zu haben bist." Schluckend sehe ich in seine braunen Augen – zumindest muss ich darauf vertrauen, dass seine Augen wirklich braun sind.
Einatmen. Ausatmen. Es kommt mir vor als würde ein Knistern in der Luft liegen. Aber vielleicht essen die anderen Zuschauer auch nur ihr restliches Popcorn auf. Ich kann es mir nicht verkneifen, meine Hand auszustrecken und mit meinen Fingern für einen kurzen Moment über seinen Oberarm zu fahren. Und was ich spüre, sind wirklich ausgeprägte Muskeln – heilige Scheiße. "Weißt du Shawn", gebe ich mich etwas geheimnisvoll, "die Hoffnung stirbt zuletzt. Es ist nie zu spät für einen vierten Ehemann."
Dann stehe ich auf und renne einfach los. Beinahe falle ich gegen die dicke Tür, die mir den Weg aus dem Kinosaal versperrt, als ich über meine eigenen Füße stolpere. Aber ich fange mich noch rechtzeitig ab, reiße die besagte Tür auf und laufe weiter. Erst als mir draußen der kühle Abendwind entgegenweht, fällt mir auf, dass ich meine Jacke auf Sitz Acht vergessen habe. Doch ich kann jetzt nicht noch einmal zurückgehen – nicht nach diesem Vorfall. Ich werde George einfach von Zuhause anrufen und ihn bitten, dass er die Jacke für mich aufbewahrt. Währenddessen werde ich versuche zu vergessen, was Shawn gesagt hat und vor allem, was ich gesagt habe.
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So, ich brauchte eine kleine Schreibpause, aber jetzt bin ich wieder da.
Ich warne euch schon einmal vor: Ab morgen muss ich wieder arbeiten. Daher weiß ich nicht, wie regelmäßig ich weitere Kapitel schreiben kann. Aber ich werde mich auf jeden Fall bemühen, dass dieses Buch nicht wieder einschläft ✌🏻
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