❄︎ 𝟸 ❄︎

𝟸. 𝙳𝚎𝚣𝚎𝚖𝚋𝚎𝚛
❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎

Nachdenklich schlenderte Noël weiter durch den Flur. Er fand es interessant, endlich in Berlin zu sein und all die unterschiedlichen Eindrücke in sich aufzunehmen, auch wenn er sich nach der ungeplanten Einkehr in die erste Wohnung und der Geschichte über die Geburt Jesu fragte, was ihn wohl ganz oben in seiner zukünftigen Wohnung erwarten würde.

Er war nach Berlin gekommen, um sich während seines Studiums ein neues Leben aufzubauen. Noël wollte frische Energie tanken und endlich raus aus dem Dorf, in dem er gewohnt hatte. Er hatte nichts gegen das Land, aber irgendwann hatte er sich dort einsam gefühlt, nachdem alle seine Freunde dem Ruf der Arbeitswelt folgend fortgezogen waren. Großstädte boten einfach mehr Chancen für junge Menschen wie ihn - besonders kurz vor Weihnachten. Noël freute sich schon darauf, interessante Menschen und neue Freunde inmitten des pulsierenden Großstadtlebens zu treffen, mit denen er die Weihnachtstage neu erleben konnte.

Und während er den Gang so entlangschritt, wurde er das eigenartige Gefühl nicht los, dass er für diese interessanten Begegnungen gar nicht mal so weit weg von seinem neuen Zuhause gehen würde müssen.
Noël richtete seine Aufmerksamkeit auf die nächste Tür, die in seinem Blickfeld auftauchte. Es war die Nummer 2. Ein großes goldenes Messingschild prangte neben dem Eingang, doch das war es nicht, was ihn überrascht nach Luft schnappen ließ. Irritiert wich der junge Mann einen Schritt zurück.
Was war hier denn bitte passiert?

Die Tür sah aus, als wäre dem Bewohner der Wohnung eine explosive Mischung aus Farbe heruntergefallen, denn das gesamte Holz war mitsamt Teilen der umliegenden Wand in die leuchtenden Farben der vier Elemente getaucht. Anders konnte Noël es nicht beschreiben. Schrecklich altertümlich wirkende Symbole zierten den Türrahmen, mit goldener Farbe gepinselt, und kleine Rußflecken zeichneten sich neben dem Griff ab. Noël schluckte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Frau Wagner das genehmigt hatte, andererseits konnte sie dieses Spektakel auch unmöglich übersehen haben.

Die Neugierde trieb ihn schließlich voran und Noël warf einen Blick auf das Messingschild neben der Tür »Alche & Mist GbR - Brauerei und Werkherstellung von allerlei wirksamen Getränken und Mitteln« stand dort geschrieben. Verwundert lachte er auf. Ach, die Bewohner brauten Alkohol dort drin! Das erklärte natürlich einiges. Dann war das Chaos hier garantiert auch nur durch fehlende Nüchternheit an einem langen Tag bedingt.

Obwohl er sich schon wunderte, ob man eine Brauerei einfach in einem Wohnhaus betreiben konnte. Gedämpfte Geräusche drangen bis zu ihm nach draußen und Noël trat interessiert näher und legte sein Ohr an das mysteriös bemalte Holz, um ein wenig mehr herauszufinden...

Drinnen marschierte ein stattlicher Herr mit einem aus rotem Stoff gefertigten Umhang durch das abgedunkelte Wohnzimmer. Er hatte die Arme angestrengt hinter dem Rücken verschränkt und seine Stirn wurde von tiefen Rillen gezeichnet.
„Das kann doch nicht so schwer sein!", fauchte er, als seine Schüler, die im Schneidersitz zwischen Kissen und Kerzen auf dem Boden saßen, zum wiederholten Male nur eine winzige Dampfwolke hervorbrachten.
„Schnee und Frost sollt ihr schaffen, keine Kälteschwaden! Schaut her!"

Der Mann zückte ein Pergament und eine goldene Schreibfeder und blickte zu seinen Schülern, die mittlerweile einfach nur frustriert aussahen. Hätte er damals gewusst, dass das neue Zentrum der Alchemie und Zauberkunst in einem kläglichen Wohnblock in Berlin einziehen würde, hätte er sich nie zu diesem Job breitschlagen lassen. Vor allem, weil die Schüler von heute so viel talentloser waren als diejenigen, die seine Vorfahren noch vor hundertfünfzig Jahren ausgebildet hatten.

„Aber Professor Thorn", jammerte Elva, die mit vor Elixieren verschmierten Händen und verstrubbelten Haaren vor ihm saß. „Wir geben unser Bestes!"
„Das sehe ich", brummte er. Er wartete, bis alle seiner fünf Schüler zu ihm sahen, dann setzte er die Feder konzentriert auf das Papier und schloss die Augen.
Die Kerzenflammen flackerten, die Vorhänge hatte er längst zugezogen. Es duftete nach Zimt, Schnee, Staub und Qualm, alles Abfallprodukte misslungener alchemistischer Zauber. Außer der Zimt - der kam von den Keksen, die Tilly mitgebracht hatte, um das Lernen in der Adventszeit ein wenig angenehmer zu gestalten.

Professor Thorn holte tief Luft. „Feuer", wisperte er schließlich und malte das Symbol mit der magischen Tinte auf das Pergament, während er mit der anderen Hand einen Tropfen des roten Elixiers in ein Gefäß gab. Die Schrift glomm leuchtend auf, ebenso wie seine Fingerspitzen, und die Mundwinkel des Magiers zuckten zufrieden.
„... entzieht dem Wasser..."

Es folgte eine weitere Zeichnung und ein kristallblauer Tropfen fiel in den Topf.
„... die Wärme."
Thorn blickte auf. Wie neugierige Welpen schauten die Kinder auf sein Werk, wohl wissend, dass sie mit ihren Fähigkeiten noch ganz am Anfang standen. Sie würden noch viel lernen müssen, bevor er sie an der geheimen magischen Akademie im Untergrund vorstellen konnte. Aber das hatte Zeit. Schon seit Jahrhunderten versteckten sich ihre Gilden vor der normalen Welt. Die Menschen hatten keine Ahnung, wer teilweise unter ihnen hauste, geschweige denn, wie sie sie finden konnten ...

„Unter dem Segen von Erde und Luft rufe ich die magischen Kräfte", fuhr Thorn fort und seine Stimme wurde kräftiger. „Vollendet mein Werk, schenkt ihm Kraft und Energie!"
Gekonnt vermengte er alle elementaren Pulver mit dem Elixier und ließ seine leuchtende Hand darüber kreisen. Das Elixier brodelte, mit einem Schlag glühte es golden auf. Thorn packte den Topf und schwenkte ihn wie einen Wok herum. Ein Junge namens Yule quietschte auf, als das Gebräu in alle Himmelsrichtungen spritzte, aber im Nu riss der Zauberer seine Hände hoch und konzentrierte sich auf die Kraft. Die golden funkelnde Flüssigkeit hielt mitten in der Luft inne, kristallisierte und kompensierte sich zu blauen Tropfen und wurde dann schneeweiß, sammelte sich im Zentrum des Raumes über ihren Köpfen. Thorn verengte die Augen.

„Komprimieren!", rief er und ballte die Hand. Die Temperatur sauste um einige Grad nach unten wie ein Schlitten den Berg hinab, aber das Elixier folgte seinem Willen. Er war rechtzeitig gewesen. Natürlich, er war ein Meister. Die Tropfen klumpten sich zu einem schneeweißen Ball zusammen, das Glühen ließ nach. Thorn pflückte den Schneeball aus der Luft, ein perfektes Werk. Seine Mundwinkel zuckten.
Die Schüler staunten.

„Eine Schneebombe", sagte er und wog den Ball in der Hand. „Wenn es diesen Winter wieder Mal nicht schneit, darf sie zum Einsatz kommen. Für eine weiße Weihnacht. Und damit die Menschen sich nicht nur über ein bisschen Schnee freuen dürfen, sondern etwas mehr davon bekommen, seid ihr jetzt an der Reihe und dürft eure klugen Köpfe anstrengen, hier ebenfalls ein paar hübsche Zauber zu wirken!"

Er grinste herausfordernd, doch die Kinder stöhnten nur. Völlig unverständlich, diese Einstellung. Thorn schnalzte missbilligend mit der Zunge und schüttelte den Kopf, während er an den Pakt mit dem MagiNature-Umweltzirkel dachte. Für echte weiße Weihnacht war mehr als Magie nötig, darum ging jemand anderes das Problem an der Wurzel an. Währenddessen kümmerten sie sich um das hier. Thorn wog seinen dritten Ball für heute in der Hand und blickte zu seinen Schülern, die eher frustriert als fröhlich auf dem Boden kauerten und in ihren Büchern blätterten. Eigentlich war es ganz gut, dass sie diese Bruchbude in der Großstadt ausgewählt hatten. Die Kinder mussten schließlich überall auf der Welt in Alchemie und Magie ausgebildet werden. Sonst stellten sie mit ihren Kräften noch Blödsinn an. Nein, nein - lieber nicht. Außerdem war die Zeit der Güte. Vielleicht sollte er ja gütig sein und ein bisschen Schnee in den Advent bringen?

„Wollt ihr sehen, was wahre weiße Magie ist?", wollte er mit einem Zwinkern wissen, als die Laune seiner Schüler sich gefährlich dem Tiefpunkt nährte. Mit einem geheimnisvollen Lächeln holte er aus. Abwechslung und Schnee - das war es, was Berlin gerade brauchte. Er sah noch die erstaunten Gesichter, ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht... - als Elva plötzlich aufsprang und „Nicht!" schrie.
Thorn drehte irritiert den Kopf - aber es war zu spät. Die Kugel flog bereits in Richtung des Fensters. Elva riss die Augen auf.
„Die Fenster in dieser Welt haben Scheiben!"
Dann knallte es gewaltig und eine eiskalte weiße Wolke explodierte im Raum. Thorn hustete überrascht, als der Schnee und Frost sein Gesicht trafen und wirbelte herum - die Kinder standen da wie mit Puderzucker begossene Pudel. Weißer Schnee rieselte von der Decke, der Winter legte sich über sein Wohnzimmer. Stumm blickten sie sich an.
Dann fing Yule plötzlich schallend an zu lachen. „Das war mit Abstand die beste Vorführung aller Zeiten!"

Thorns Mundwinkel zuckten - ob nach oben oder unten, konnte er nicht sagen - während die Kinder lachten und bibberten und Tilly die ersten Schneebälle formte. Mit einem kecken Grinsen hielt sie ihm die Kugel entgegen. „Da haben wir wohl doch alle heute Schneebomben geschafft."
Sie kicherten und der Professor schüttelte den Kopf. Wie gut, dass der Raum dank seines Runenzaubers gegen alles, was sich magisch anhörte, schallgeschützt war. Es konnte unmöglich jemand die Katastrophe vernommen haben. Denn es würde die Leute mächtig wundern, wenn sie wüssten, dass seine Schüler gerade eine Schneeballschlacht im Wohnzimmer begannen.

Und während die Kinder endlich ihre Pause genossen, ging Professor Thorn schonmal den Staubsauger suchen. Oder vielleicht würde auch ein Sauge-Zauber zum Einsatz kommen - dann könnte er seinen Ruf für heute wenigstens halbwegs retten. Thron lachte kopfschüttelnd über sich selbst und seine Unachtsamkeit, aber was soll's? Er liebte die zahlreichen Möglichkeiten von Magie.

Und Noël blickte nur verwirrt auf die weißen Staubflusen, die durch den Türschlitz zu ihm auf den Gang segelten, und fragte sich, wer zum Teufel hier wohnte, dass sogar der Dreck unter der beschmieren Tür durchflog.
Was für interessante Menschen... Aber hey - er war in Berlin und da war alles möglich. Sogar eine Brauerei mit kunterbunter Tür wie von Pippi Langstrumpf und mit alten nordischen Runen bemalt.

Noël beschloss, sich keine weiteren Gedanken darüber zu machen und sich stattdessen lieber seine Wohnung anzusehen. Vielleicht würde er den Mieter ja später noch treffen. Er zuckte mit den Schultern und trat zurück in den Gang.
Was heute wohl noch alles geschehen würde?

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