𝟷𝟽

♤ 𝚠𝚘𝚘𝚢𝚘𝚞𝚗𝚐

Es war mittlerweile beinahe schon etwas Alltägliches, Routine geworden. Wie wir beide hier saßen, ich auf dem Tisch und er vor mir auf einen Stuhl, während er mir sein Gesicht hinhielt. Vorsichtig strich ich ihm mit einem Tupfer über das kleine Hämatom an seiner Stirn, welches er laut seiner Aussage bei einer Faust an seinem Kopf abbekommen hatte.

Seitdem ich ihm in der einen Nacht das Angebot machte, jederzeit gerne her zu kommen bei neuen Wunden, tat er dies tatsächlich auch wohlwollend. Manchmal war es aber eigentlich offensichtlich, dass er nicht nur wegen den Wunden her kam, sondern unteranderem auch wegen unseren Gesprächen, die wir dadurch ständig führten. Es waren keine tiefgründigen Gespräche. Eher im Gegenteil, ganz entspannte Konversationen, wo wir beide uns nach einem anstrengenden Arbeitstag fallen lassen konnten.

Manchmal kaufte er uns sogar Ramennudeln vom nächsten Conveniencestore nebenan, bevor er zu mir ins Studio kam und die wir gemeinsam in meinem Büro aßen. Somit war er beinahe täglich hier, und natürlich war er nicht jeden Tag mit neuen Wunden hier. Doch heute hatte es ihn doch etwas getroffen, was ich an der starken Rötung an seinem Haaransatz beziehungsweise Stirn klar erkennen konnte.

Wie ein kleiner Welpe schaute er mir still von unten dabei zu, während ich ihm ein kleines Verbandspflaster aufklebte und mir dabei unwillkürlich ein kleines Lächeln auf die Lippen erschien. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass mir seine ständige Anwesenheit und die Möglichkeit, mich um ihn zu kümmern, nicht gefallen würde. Vorallem genoss ich die Tage oder Nächte am meisten, wo wir stundenlang danach auch noch am Unterhalten und Austauschen waren.

,,Jetzt siehst du aus, wie ein kleines Kind, welches auf dem Spielplatz von der Schaukel geschubst wurde.",gab ich mit abschließenden Worten grinsend von mir, als ich vom Tisch absprung, um den Verbandskoffer zurück in den Regal zu stellen. Dabei musste ich ihn verjagen, da er dicht vor mir gesessen hatte. Somit stand er da ruhig, während er mir wie so oft auch bei meinem Tun still zu sah.

Das Studio war für die Mittagspause gerade geschlossen, demzufolge wir alleine hier waren. Paar Kollegen und Kolleginnen von mir hingen in ihren eigenen Räumen noch ab und planten die nächsten Kurse für später, während ich in meiner Tanzhalle mit San verweilte.

Grinsend klopfte ich ihm mit meiner Handfläche gegen die Wange, als ich vor ihm wieder zum Stehen kam und meinen Kopf etwas schief legte. Ich gewöhnte mich über die Wochen und Monate an seiner sehr ruhigen Art und Weise, obwohl er immer wieder Momente bei mir hatte, wo er dann richtig aufblühte und sich wie ein Crackhead benahm. Doch gerade schien er der ruhige San sein zu wollen, sodass ich ihm den Raum dafür gab und friedlich auf die Tanzfläche hüpfte.

Auch dies taten wir seit geräumiger Zeit schon: Ich tanzte, wenn ich merkte, dass er nicht in Redelaune war, und er saß am Rande auf dem Boden und schaute mir brav zu.
Ich wusste nicht, wie man all diese Treffen und Beschäftigungen zwischen uns beide nennen konnte. Ein freundliches Kennenlernen? Eine Freundschaft, die aber eine ziemlich komische Freundschaft wäre, wenn man dabei bedachte, wie weit wir die letzten Male schon gegangen waren?

Ich wusste es nicht, aber ließ mich davon auch nicht stören. Es musste nicht alles im Leben immer eine klare und genaue Definition haben, manchmal reichte es für das Erste aus, wenn man die einzelnen Momenten in zwischenmenschlichen Kontakten genoss und auf sich wirken ließ. Und der Kontakt zu San wirkte wie purer Balsam auf meine Seele, weil das alles so ohne Zwang und völlig unbeschwert ablief.

Während ich die Musik anmachte und mich eine der Choreografien hingab, die ich in meinem nächsten Kurs integrieren würde, merkte ich, wie ich alles ausblendete. Ich kam ständig zur Ruhe, sobald ich die ersten Töne eines Liedes hörte und mein Körper sich wie selbstverständlich dazu bewegte, ohne das mein Verstand etwas zu sagen hatten. Es waren nur meine Gefühle, meine Emotionen und Ich. Und auf dieser Weise entstanden viele meiner Choreografien, womit ich eine Menge an Menschen in meinem Studio schon beeindrucken konnte. Sonst würde ich mit meinen 22 Jahren nicht hier stehen, wo ich war. Denn Gefühle, Emotionen waren immer das, womit man die empfindliche Seele des Menschens am besten erreichen konnte.

Und dies merkte ich auch bei San, der plötzlich sagte:,,Ich kenne das Lied auch. Meine Mutter tanzte immer dazu."

Damit zog er mich erstmal aus meiner Trance raus, was mich aber nicht störte, weshalb ich ihm ein warmes Lächeln schenkte. Die Musik war leise, sodass wir in einer normalen Tonlage miteinander sprechen konnten. Während ich mich weiterhin bewegte, fragte ich ihn:,,Deine Mutter tanzte?"

,,Ja, sie war selbst professionelle Tänzern. Contemporary Tänzerin.",offenbarte er mir anscheinend einen ziemlich verletzlichen Teil seiner Vergangenheit, als ich daran zurück dachte, wie er mir im Auto vom Tod seiner Mutter erzählte. Somit blieb ich erstmal stehen und blickte ihn nachdenklich an, was er genauso gedankenvertieft erwiderte.

,,Yejin und Ich tanzten als kleine Kinder immer mit ihr mit. Sie hatte ebenso ihr kleines Studio gehabt, wo wir beide entweder an ihren Kursen spielerisch teilgenommen haben oder in ihren Pausen ständig mit ihr am Tanzen waren. Vorallem zu diesem Lied.",erzählte San unbeschwert immer weiter, sodass das ehrliche Interesse in mir weiter stieg und ich langsam auf ihn zu ging, um mich vor ihm zu setzen.

,,Du kannst tanzen?",fragte ich ihn leise.
,,Naja, ich war sehr klein. Bestimmte Dinge sind mir noch in meinem Kopf geblieben und manchmal zwingt mich Yejin zuhause die Choreos von dir, mit ihr zu üben.",antwortete er doch etwas verlegen, wodurch ich nur noch mehr auflächeln konnte.

Ohne dies wirklich selbst wahrzunehmen, es geschah unwillkürlich, rein aus Herzen her.

,,Dann kennst du bestimmt die Choreo, zu der ich gerade tanzte.",stellte ich gut gelaunt fest, sobald ich aufstand und ihm meine Hand hinhielt.
,,Ich will, dass du sie mit mir tanzt.",beendete ich meine Worte und ließ ihn an meinem Vorhaben teilhaben, was er mit einem etwas überforderten Blick erstmal erwiderte.

Doch er nahm meine Hand langsam an und ließ sich hochziehen, sodass ich ihn friedlich mit mir zog und sagte:,,Nur eine Minute.~" Daraufhin nickte er doch etwas verlegen, während er sich neben mich stellte und ich das schöne, doch emotionale Lied wieder von vorne abspielte.

Und tatsächlich, er konnte wirklich tanzen. Während wir beide den Schritten der Choreografie mit einer immensen Ruhe und Frieden in unserer Mimik und Akt folgten, merkte ich, wie meine Augen ständig an ihm hängen blieben. Auf Dauer spürte ich, wie mein Bauch am Kribbeln war, als ich realisierte, dass er zu meiner Choreografie tanzte.

Sei es an seiner recht graziler Haltung oder der beeindruckenden Körperspannung, die seinen Schwingungen und Regungen eine ausdrucksstarke Eleganz verliehen, sah ich schnell, dass er verstanden hatte, worum es im Contemporary ging. Um das Offenbaren und Erzählen über die eigenen Gefühle oder einer Geschichte, so, wie er das gerade so unbeschwert neben mir tat.

Mal abgesehen davon, dass er an sich schon wirklich schön anzusehen war...

Noch bevor ich meinen Gedanken weiter ausbauen konnte, stoppte ich mit der Fernbedienung den Song ab einem Punkt, während ich ihm ein beeindruckendes Klatschen widmete, als ich auf ihn zu ging.

,,Nicht schlecht für einen Boxer.",sprach ich schälmisch am Grinsen, ohne ihn an all meinen eigentlichen Gedanken über ihn teilhaben zu lassen, weshalb er seine Augenbraue etwas hochzog und ebenso auf mich zu kam. Ohne zu zögern, legte er seine Arme locker um meine Hüfte, womit er mich etwas an sich zog, was ich gespielt unbeeindruckt mit dem Verschränken meiner eigenen Arm erwiderte.

,,Ist schon gut, Wooyoung. Ich kann warten.",entkam es ihm nach einer Weile, wo wir wie bei einem Wettrennen auf das Nachgeben des jeweiligen Anderen warteten und er dem Ganzen mit seinen Worten wieder einen emotionalen Touch verlieh. Etwas überrumpelt, änderte sich meine Mimik etwas verloren, da ich direkt verstand, worauf er hinaus war.

Denn er schien mein Problem, welches ich mit dem Gefühl von Gefallen und Liebe hatte, schnell zu bemerken, wodurch ich mich wieder vor ihm wie transparent in meiner emotionalen Welt fühlte. Dementsprechend senkte ich meinen Blick für einen Moment und ließ meine Arme mittlerweile wieder locker neben mir hängen.

Somit zog er mich etwas näher an sich heran, sodass wir schon in einer halben Umarmung da standen und er nach einer Weile sagte:,,Weißt du, meine Mutter starb, als ich 16 war. Sie starb ganz friedlich, es war ein natürlicher Tod, so, wie vom Schicksal gewollt. Da kamen Gefühle für mich mit einher, mit denen ich nichts zutun haben wollte. Gefühle, die mich innerlich mit meinen jungen 16 Jahren so zerrissen und ausgespuckt haben, sodass ich lernte, diese in mir zu verstauen und mir eine Maske aufzusetzen. Nicht, um anderen etwas vorzuspielen, vonwegen es ginge mir gut und sie müssten sich keine Sorgen machen, sondern um mich selbst anzulügen und mir selbst einzureden, dass ich diese Gefühle händeln kann und sie mich nicht beeinflussen können."

Langsam hob ich meinen Kopf wieder an, um ihm zu zeigen, dass ich ihm aufmerksam zu hörte. Ich spürte, wie sehr mich seine Worte mitnahmen, da ich einen riesigen Teil in mir selbst in seinen Sätzen wieder finden konnte. Gleichzeitig faszinierte mich seine Selbstreflexion und seine Offenheit über diese anscheinend unfassbar prägende Lebenszeit, die er hinter sich brachte oder womit er immernoch am Kämpfen war.

Seine Augen hafteten direkt an die meinen, sobald ich meinen Kopf hob und er mir einen verständnisvollen aber auch stark empathievollen Blick schenkte. So, als würde er mir alleine mit seinen weichen Gesichtszügen sagen wollen:,,Was auch immer dir geschah, ich verstehe dich und dein Wesen."

,,Eines Tages muss jeder Mensch lernen, sich diesen verdrängten Gefühlen zu stellen und zu widmen. Sonst bringen diese uns eines Tages um. Auf eine qualvolle Weise. Das muss nicht sein. Und oftmals hilft es, wenn man sich diese eine Person anschaut, in der man hofft oder neugierig hinblickt, das richtige Gegenstück gefunden zu haben. Das Gegenstück, wovon man Neues und Altes lernen und verlernen kann. Gemeinsam neu Aufblühen kann."

Ich weitete meine Augen etwas, als ich merkte, worauf das Gespräch solangsam hin lief und merkte gleichzeitig aber nicht, wie mir die Wärme durch den Körper schoss. Ich stand völlig neben der Spur vor ihm in seinen Armen, die keineswegs einnehmend wirkten in ihrem Griff, sondern eher ganz zart und behütend.

,,Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Deine Worte überwältigen mich gerade. N-Nicht im negativen Sinne, aber sie überwältigen mich.",entkam es mir doch etwas wie daneben gesprochen, wobei meine Stimme nur in kleinen und lautschwachen Atemstöße ertönte.

,,Du muss nichts sagen. Zwinge dich bloß nicht, in unseren Gesprächen immer eine Antwort parat haben zu müssen. Manchmal hat man eben nichts, was man sagen kann, und das ist okay. Ich will dir aber noch eine Frage stellen.",antwortete er mir ganz einfach und ruhig in der Tonlage, so, als würde er mich nicht abschrecken wollen. Doch er passte sich meiner Art wie immer geschickt an, womit er mich erneut faszinierte.

Ich nickte nur etwas und versuchte seinen Blick selbstbewusst stand zu halten.

,,Würdest du mit mir ausgehen?"
,,Wie bitte?"
,,Darf ich dich auf ein Date einladen?"

Da ich ja an sich schon völlig hin und weg gerissen von San war, sei es noch vom Tanzen gerade bis hin zu seinen Worten gerade, fiel es mir verdammt schwer, meine lässige Attitüde zu bewahren, sodass ich gerade mit wahrscheinlich hochroten Wangen vor ihm stand und nicht realisierte, was er fragte.

Er hingegen wirkte völlig entspannt, was mich umso mehr aus dem Konzept brachte. Ich wandte meinen Kopf seitlich von ihm ab und antwortete nur gespielt selbstbewusst:,,Das hier ist doch schon fast wie ein Date."

Daraufhin lachte er etwas auf und zog mich nun in eine komplette Umarmung, in der er mich völlig in seinen Körper umschlingte. Dadurch musste ich selbst etwas auflachen und erwiderte die Umarmung ruhig, als ich ihn sagen hörte:,,Dann lass mich dich auf unser zweites Date ausführen, du Schlaumeier."

Auf seine Worte ging ich nicht mehr großartig ein. Ich bestätigte sie ihm mit einem leichten Nicken und war viel mehr damit beschäftigt, die Wärme und Festigkeit seiner Umarmung auf mich Einfluss nehmen zu lassen. Und es tat so gut...

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Ach Ja, Schicksalsschläge. Jeder trägt sein eigenes mit sich. Während die einen es alleine mit sich austragen, haben die anderen die ein oder andere Person in ihrem Leben an ihrer Seite dafür! <3

Ich hoffe, es geht dir heute ganz gut! Genieße den Sonntag!

- Eure Eleja ♡

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