Yan [IIII]

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Seit frühester Kindheit hatte ich drei Dinge gelernt: Sei pünktlich, sei ehrlich, lass dich nicht hinters Licht führen. Meine Mutter hatte es mir immer und immer wieder gesagt und lebte mit beinah fanatischem Eifer nach diesen Prinzipien. Ich selbst eher nicht, denn Pünktlichkeit war sicherlich nicht meine Stärke. Ehrlichkeit schon eher. Und die eine Sache, die ich mehr hasste als alles andere, waren Menschen, die mich für dumm verkaufen wollten.

„Das ist nicht das, wonach es aussieht."

Die Aussage war so unglaublich, dass ich beinah gelacht hätte.

„Also ist das hier kein Dokument, dass eine Schifffahrt von einem kleinen Hafen in der Nähe von Tel'n für fünf Reisende ermöglichen soll? Eine Fahrt, die in aller Stille geschehen soll, während in der Hafenstadt eigentlich ein Schiff des Königshauses warten soll?"

Cara, die mich eben noch zu beschwichtigen versucht hatte, senkte den Blick auf den Riss in ihrer Satteltasche, zu der sie zurückgekehrt war.

„Denkt ihr wirklich, ich wäre so leichtgläubig?", wollte ich wissen, während ich das Dokument so fest hielt, dass es zerknitterte.

„Glaubst du das denn von uns?"

Mit einem Ruck fuhr ich herum und starrte den Baron wütend an.

„Wie bitte?"

Er richtete sich betont langsam auf und trat an Cara heran, die ich im Moment wirklich nicht sehen wollte. Sie hatte das alles hinter meinem Rücken gemacht und dann auch noch die Dreistigkeit gehabt, sich mit mir anzufreunden. Ich meine, wie könnte ich da nicht bezweifeln, ob sie es wirklich meinetwegen getan hatte, oder nur, um mich abzulenken?

„Das Schiff in Tel'n. Wartet es wirklich dort?"

Ich runzelte die Stirn. Das tat jetzt nichts zur Sache! Dennoch nickte ich, wenn auch widerstrebend. Es ging hier um den Verrat der Gruppe an mir, denn niemand schien von dem Dokument überrascht, also konnte ich davon ausgehen, dass nicht Cara allein mich hintergehen wollte.

„Und wo hätte uns dieses Schiff hinbringen sollen?", fragte Drysden weiter, während er Caras Nadel, die hinuntergefallen war, vom Boden aufhob und den Riss in der Satteltasche inspizierte.

Gereizt zupfte ich an meinen Haaren. Mir gefiel die Richtung ganz und gar nicht, die das hier gerade nahm. Denn trotz der nonchalanten Art hatte ich das Gefühl, verhört zu werden. Tatsächlich verstärkte das scheinbar nicht vorhandene Interesse dieses Gefühl noch in mir.

„Zu den Fae, wohin denn sonst?"

„Ich weiß auch nicht. Aber wenn ich als König und Vater ein anderes Ziel nennen müsste, dann doch vermutlich die Festung im Nordosten, weit weg von jeglichen Fae und Kriegen. Oder sogar über die Grenze hinaus in die Steppe. Dahinter befindet sich, wie man sagt, tatsächlich noch Zivilisation."

Ich öffnete den Mund, schloss ihn aber dann wieder. Denn das war so ziemlich genau der Plan seiner königlichen Majestät und mir fehlte jegliche Lüge. Ich hatte mich darauf vorbereitet, Teile des Plans zu verleugnen, doch damit, dass der Baron alles auf einmal erkannte, hatte ich beim besten Willen nicht erwartet.

„Also Yan, sag mir, kannst du uns wirklich für diese Lüge verurteilen? Du kannst mir nicht sagen, dass du tatsächlich dachtest, wir würden den Plan nicht durchschauen."

Ich presste die Lippen zusammen und warf ihm einen dunklen Blick zu. Wut brodelte noch immer in mir und ich hätte am liebsten mit dem Fuß gestampft, wie ein bockiges Kind. Stattdessen ließ ich das Dokument in eine Pfütze am Boden segeln und trat dann an Cross heran, der ein paar Schritte entfernt an einem Flecken Gras stand.

Sein Ohr zuckte kurz in meine Richtung, doch dann schüttelte er sich nur und graste weiter. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich Andrej, der ein paar Schritte an mich heran trat und dabei nicht einmal versuchte, unauffällig zu wirken.

Ich schloss die Augen, in dem Versuch, mich zu beruhigen und das Gefühl von Verrat, das sauer in meiner Kehle hing, zu verdrängen. Ich hätte gar nichts anderes erwarten sollen. Warum auch hätte sich mir irgendjemand nähern sollen, wenn die tolle Prinzessin mich doch hasste?

Ein paar Minuten lang lehnte ich mich an Cross, dann nahm ich wahr, wie ein paar Fackeln entzündet wurden. Es raschelte, dann spürte ich, wie jemand nach meiner Schulter griff. Ich zuckte nicht weg, doch lehnte ich mich der Berührung auch nicht entgegen.

„Wir wollen noch etwas weiterreiten, um Abstand zwischen uns und dieses Chaos zu bringen."

Cara klang ungewohnt sanft, vielleicht sogar reumütig, doch dem schenkte ich keine Beachtung. Stattdessen schwang ich mich auf Cross und mied es, sie anzusehen. Ich würde lieber nochmal gegen diese räuberische Bande kämpfen, statt auch nur mit irgendeinem von ihnen, besonders aber mit ihr, zu reden.

Doch Cara hatte andere Pläne. Mit einer Hand hielt sie die Zügel, mit der anderen eine der Fackeln, während sie nur wenige Schritte neben mir ritt. Andrej reihte sich wieder hinter uns ein, die Prinzessin und der Baron vor uns, auf der Suche nach einem geeigneten Nachtlager.

„Ich wollte dich nicht verletzen."

Ich schnaubte, als die leisen Worte mich erreichten. Doch eine andere Reaktion bekam sie nicht, denn wirklich glauben konnte ich ihr das nicht. Cara war klug, sicherlich hatte sie damit gerechnet, dass das rauskam. Spätestens bei Tel'n hätten sie sich etwas anderes ausdenken müssen.

„Ich meine es ernst, Yan. Die letzten Tage haben viel Spaß gemacht. Und es tut mir leid, dass du es so erfahren musstest."

Wieder machte sie eine Pause, die ich dafür nutzte, zu bereuen, keinen Mantel aus der Tasche gezogen zu haben, denn ich fror in meinem Hemd. Doch ich biss die Zähne zusammen, denn ich wollte nun wirklich keine Schwäche zeigen. Mein Plan war aufgeflogen und neben mir ritt eine Frau, die sich dafür entschuldigte, mich hintergangen zu haben. Mir war nicht bewusst gewesen, dass ich in meinem Leben noch tiefer sinken würde.

„Kannst du nicht irgendetwas sagen? Dieses Selbstgespräch ist nämlich nicht hilfreich."

Langsam klang sie wütend und, trotz all meiner Wut und Enttäuschung, spürte ich so etwas wie Schadenfreude in mir aufsteigen. Sollte sie ruhig wütend werden, war mir doch egal. Viel offensichtlicher konnte ich ihr kaum zeigen, dass ich nicht an einem Gespräch interessiert war.

„Okay, dann eben nicht. Dann hör aber zu. Ich verstehe, was Seine Majestät hiermit erreichen wollte. Isabel bedeutet ihm viel und er will sie schützen. Aber er kennt sie auch gut. Er musste doch wissen, dass sie nicht dumm genug ist, zu glauben, er würde sie einfach so gehen lassen. Hätte er mehr darauf bestanden, selbst die Begleiter zu wählen, oder hätte er einen General mitgeschickt, dann wären wir vielleicht darauf hereingefallen.

So oder so, auch ich sorge mich um Issi, sie ist schließlich meine beste Freundin. Doch ich weiß auch, dass sie für das Abenteuer geboren wurde, nicht um Däumchen drehend in einem Schloss zu verrotten. Sie braucht diese Mission. Und auch Ensomniya braucht uns, besonders jetzt, wo wir einen Beweis haben, dass die Fae wirklich existieren. Wir kennen sogar einen Weg zu ihnen!

Dieser Krieg wird nicht leicht zu gewinnen sein. Sicherlich hat König Zechus lange gegrübelt, wie er uns am besten angreifen soll. Er wird einen guten Plan haben, weshalb wir jede Hilfe brauchen, die wir kriegen können. Und die Fae wären eine große Hilfe, dass musst du doch akzeptieren können."

Zum Ende hin wurde ihre Stimme leiser, eine Mischung aus Verzweiflung und Wut. In meinem Magen zog sich nun aber wieder die Wut zusammen, wie eine Schlange, die sich gleich auf ihr Opfer stürzen wollte. Schließlich, da ich dieses Gefühl und die Kälte und die Wut und diese erdrückende Einsamkeit nicht mehr aushielt, hob ich den Kopf und blitzte Cara wütend an.

„Hast du jemals nachgedacht, wie es die Kriegsführung des Königshauses beeinflusst, wenn sie nicht wissen, ob ihre teure Prinzessin wohlauf ist? Und was, wenn deine tollen Fae ein Haufen arroganter Wesen sind, die sich als etwas Besseres einschätzen und uns nicht helfen wollen? Und was, wenn sie mit Cidus zusammenarbeiten? Wir würden ihnen eine Geisel liefern. Würdest du dich wirklich um deine Freundin sorgen, dann hättest du all das bedacht und wärst auch direkt in Torn geblieben. Krieg ist nichts für Frauen."

Ihre Augen leuchteten vor Wut auf in dem schwachen Licht der Fackel. Doch bevor sie mir einen, zweifelsohne giftigen, Kommentar zuwerfen konnte, rief Drysden, sie hätten einen geeigneten Platz gefunden. Für ein paar Sekunden sah sie aus blitzenden Augen an, während ich spürte, wie Zufriedenheit in mir aufstieg. Sollte sie ruhig wissen, wie ich mich schon mein ganzes Leben lang fühlte, umgeben von Verrat und Hass.

Wortlos zog ich an Cara vorbei, dann bereitete ich mich schnell für das Nachtlager vor. Die Lichtung war groß genug für uns alle und von ein paar Felsbrocken geschützt, sodass es mir nicht schwerfiel, müde auf mein Nachtlager zu sinken. Während die anderen den Wachplan diskutierten, drehte ich ihnen den Rücken zu und schloss die Augen. Sie würden mir garantiert keine Wache zuweisen, was mir nur recht war. Mehr Schlaf für mich.

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Am nächsten Tag ritten wir, trotz der späten Rast, schon früh los. Zwischen den Blättern der hohen Bäume bahnten sich nur vereinzelte Sonnenstrahlen einen Weg auf den Waldboden und ich zog müde meinen Mantel enger um mich. Cara ritt nicht mehr neben mir. Seit der vorangegangenen Nacht war sie es, die mich ignorierte.

Andrej ritt stattdessen in meiner Nähe, bildete die Nachhut und, das vermutete ich, behielt mich im Auge. Beinah hätte ich die Augen darüber verdreht. Noch musste er sich keine Sorgen machen. Mein Plan war gerade erst am reifen, auch wenn ich wusste, dass ich mir schnell etwas ausdenken musste. Mir blieben nur noch wenige Stunden, bis die Nacht hereinbrach, dann musste ich verschwinden. Ich war mir sicher, dass sie so schnell wie möglich übersetzen wollten und wir würden Tel'n am nächsten Tag erreichen.

Ich musste also einen Weg finden, zu verschwinden, und schnell nach Tel'n kommen, bevor sie Gelegenheit hatten, zu verschwinden. Sobald sie dann von einem Trupp Soldaten umgeben waren, musste ich mir keine Sorgen mehr machen, gescheitert zu sein und sie würden einsehen, dass ihr ganzes Unterfangen eine schlechte Idee war. Die Frage war nur, wie sollte ich das alles schaffen?

Ein paar Stunden später stellte sich heraus, dass ich mir nicht stundenlang den Kopf hätte zerbrechen müssen. Wir machten recht früh Rast, denn wir hatten die Ausläufer des Holzfällers erreicht. Durch die Bäume hindurch konnte man wieder den strahlenden Himmel erkennen und ich erhaschte immer wieder einen kurzen Blick auf grüne Felder. Hier im Norden hatte der Sommer noch nicht gänzlich zugeschlagen, sodass trotz der Bäume eine angenehme Brise herrschte.

Im Moment lehnte ich mit geschlossenen Augen an einem Baum am Rande der Lichtung und genoss das gewohnte Wetter. Es war schön, trotz all der grässlichen Erinnerungen, wieder zuhause zu sein. Um mich herum zirpten die Insekten und die Vögel zwitscherten fröhlich. Ideal wenn man verschwinden wollte, denn das verdeckte die Geräusche von knackenden Ästen und schnellem Atem.

Andrej war wieder losgezogen, um Feuerholz zu suchen. Cara hatte sich eine Tasche über die Schulter geschlungen, die Kapuze ihres hellen Umhangs tiefer gezogen und war wer weiß wohin gestapft. Drysden begleitete sie in diesem Moment, würde aber schon bald wieder zurückkehren. Von ihm ließ die Gräfin sich beschützen, sprach man das Thema Schutz aber offen an, plusterte sie sich auf. Typisch Frau.

So blieben nur die Prinzessin und ich zurück. Sie lief immer wieder über die Lichtung, doch ich ignorierte sie einfach und hielt weiterhin die Augen geschlossen. Alles, was ich wollte, war etwas Ruhe und Frieden. Denn der König würde mir sicherlich die Ohren langziehen, wenn er erfuhr, dass ich nicht von Anfang an durchschaut hatte, was vor sich ging.

Nachdem ich eine Weile lang nichts von der Prinzessin gehört hatte, öffnete ich vorsichtig ein Auge, dann runzelte ich die Stirn und öffnete auch das zweite. Doch ich hatte mich nicht getäuscht: Die Prinzessin war weg.

Für ein paar Sekunden blieb ich wie angewurzelt sitzen, doch dann schoss ich in die Höhe und eilte zu meinem Pferd. Nach einem kurzen Blick auf den Weg neben der Lichtung, der nach Nordosten verlief, griff ich nach einem meiner Messer, nach dem Bogen mit den Pfeilen und dem Brief mit dem Befehl des Königs. Oder ich wollte es. Mit gerunzelter Stirn wühlte ich in der Satteltasche herum, bis mein Blick auf einen geöffneten Brief fiel. Ich zog ihn heraus, dann presste ich meine Lippen zusammen, nun eher wütend als nervös.

Ich hätte damit rechnen müssen, dass sie meine Taschen durchsuchten, dennoch tat es weh, den Beweis in den Händen zu halten. Mit zitternden Fingern zog ich auch noch eine Karte aus der Tasche, versicherte mich über meinen Standort, dann sah ich mich um. Drysden würde sicherlich den Waldweg zurücknehmen und Andrej war richtig Südosten verschwunden. Also wandte ich mich dem Nordwesten zu, steckte meinen kleinen Kompass in die Tasche und trat dann in die Wälder ein, die ich seit jungen Jahren immer wieder aufgesucht hatte, um etwas Ruhe von dem wilden Stadtleben zu haben.

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Es tut mir wirklich, wirklich leid, dass in den letzten Wochen nichts gekommen ist. Ich hatte mit drei wirklich lernintensiven Klausuren zu kämpfen und dann noch mehrfach die Woche Migräne, besonders, wenn ich auf einen Bildschirm geguckt habe. Criminal Minds hat darunter gelitten, dass sage ich euch.
Jedenfalls, jetzt geht es mir besser und die Klausurenphase ist fast vorbei. Schon seltsam, aber ich schreibe morgen (8.12) meine letzte Englischklausur. Meine letzte Deutschklausur habe ich auch schon hinter mir. Und ich bin volljährig! Das vergesse ich ehrlich gesagt ständig. Beispiel: Ich habe mit meiner Schwester zusammen Pralinen für meine Mutter gekauft. Zuhause ist uns dann aufgefallen, dass wir instinktiv nach der alkoholfreien Version gegriffen haben.

Over and Out,

DasLebenLesen

07/12/2020

PS: Ich lege euch allen "Mama's Boy" von Dustin Lance Black ans Herz. Ein so gutes Buches habe ich lange nicht mehr gelesen.

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