Yan [III]

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Es war zu warm. Müde band ich meine Haare zu einem kleinen Zopf zusammen, dann überprüfte ich das Geschirr an meinem Rappen, Cross. Er zählte zu den kleineren Pferden in den Stallungen, war aber sehr ruhig und zudem stämmig, ohne dabei Eleganz einzubüßen. Ich konnte mein Glück noch immer kaum fassen, dass ich einen wie ihn bekommen hatte, denn seine Rasse war selten.

„Ihr vertraut mir wohl nicht, mein Fürst?"

Mit einem Stirnrunzeln wandte ich mich zur Seite, nur um den Stallburschen Toni, der immer hier zu sein schien, zu sehen. Achselzuckend widmete ich mich wieder meinem Pferd.

„Nichts Persönliches, ich vertraue niemandem."

Geistesabwesend, denn es war viel zu früh, um wach zu sein, schob ich meine Finger durch die gewellte Mähne vor mir und entknotete eine Strähne. Cross ließ es einfach über sich ergehen, wofür ich dankbar war. Mit einem energiegeladenen Bündel würde ich nun wirklich nicht arbeiten können.

„Langsam Pilgrim, ganz ruhig."

Ich verzog das Gesicht und vergrub es in der dichten Mähne vor mir. Die Prinzessin allein war am frühen Morgen schon zu viel, doch zusammen mit ihrem Fuchs? Dafür war ich noch lange nicht wach genug.

„Fürst van Statten, fühlt Ihr Euch nicht gut?"

Ich schüttelte den Kopf, dann löste ich mich von meinem Pferd und schenkte Prinzessin Isabel eine provisorische Verbeugung. Sie grinste mich an, zu wach für die Uhrzeit, und nickte dann.

„Perfekt. Wir werden Cara und Andrej am Stadttor treffen, die beiden mussten gestern Abend noch ein paar Erledigungen abschließen. Drysden kommt jetzt gleich, er musste noch etwas holen."

Kaum endete sie, schien der Baron sich neben ihr zu materialisieren, die Zügel seines Pferdes Rousseau in der Hand. Der Braune überragte Pilgrim um sicherlich eine Handbreit und ich war mir sicher, dass Cross neben ihm wie ein Pony aussehen würde. Das Pferd stand so still neben Drysden wie es nur ein Militärpferd konnte, während Pilgrim nervös umhertänzelte. Typisch.

Mit einem letzten Blick prüfte ich den Inhalt meiner Satteltaschen, dann schwang ich mich auf den Rücken meines Pferdes und nickte dem Stallburschen zu, der uns neugierig hinterher sah. Ich war mir sicher, dass er die Ausrede eines Ausrittes unter Freunden nicht geglaubt hatte, doch das konnte mir egal sein. Das schlimmste, das passieren konnte, war die Vertiefung des Gerüchtes einer Verlobung zwischen der Prinzessin und mir, was so lächerlich war, dass ich darüber tatsächlich lachen konnte.

„Na dann, auf geht's."

Langsam passierten wir das Schlosstor im Zwielicht der ersten Dämmerung, die Sonne am Himmel gerade erst zu erahnen. Torn schlief noch, sodass es niemandem aufzufallen schien, wie die Prinzessin die Sicherheit des Schlosses verließ, um sich vermeintlicher Gefahr zu stellen. Wie jemand so naiv sein konnte, entging meiner Vorstellungskraft. Der König hatte sie so viele Jahre behütet, selbst ein Krieg würde daran nichts ändern können.

Schweigend ritten wir durch die leeren Straßen der Stadt, die Prinzessin flankiert von mir und dem Baron. Für ein paar Momente erlaubte ich es mir, die Stille zu genießen, sicher, in den nächsten Tagen wenig Zeit nur für mich zu haben. Ich kannte niemanden der Reisenden sonderlich gut, hatte nur oberflächliche Beziehungen geschlossen.

Als wir schließlich das Tor erreichten, schien die Prinzessin beinah zu vibrieren, während eine nervöse Energie sie und ihr Pferd umgab. Wie der Baron so ruhig bleiben konnte, seine Umgebung stehts im Blick, blieb mir verborgen. Sogar Cross schien es nach vorne zu ziehen, wo zwei einsame Gestalten warteten. Wortlos, um so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen, schlossen die Gräfin und der Leibwächter sich uns an und ein neues Gefüge bildete sich.

Gräfin Cara ritt schweigend neben der Prinzessin auf einem eleganten Schimmel, dem einzigen Pferd, das kleiner als das meine war. Andrejs kräftiger Braune hingegen reihte sich am Ende der kleinen Prozession ein, die langsam dahinschritt. Die Pferde brauchten ihre Energie und wir hatten einen strammen Marsch vor uns, also hatten wir uns für ein langsameres Tempo entschieden, um sie etwas zu schonen.

Mir war das recht. So gerne ich auch dahingaloppierte, war Cross nicht mehr der Jüngste. Und nebenbei hasste ich Wettrennen, da er nun einmal einfach nicht mithalten konnte. Er war ausdauernd, kein Sprinter.

Während wir die letzten Höfe passierten, die zwischen den vertrockneten Bäumen am Wegesrand zu erahnen waren, spürte ich so etwas wie Melancholie in mir aufsteigen. Ich mochte Torn. Vielleicht war die Stadt nicht die größte von allen, nicht so wie meine Heimat, aber sie war die schönste. Die breite Hauptstraße, gesäumt von hohen, immer erleuchteten Häusern, die Blumenbeete und sogar die schmalen Straßen in den weniger privilegierten Vierteln, all das verströmte seinen ganz eigenen Charme.

Jetzt sah ich beinah zwei Wochen mit Menschen entgegen, mit denen ich nichts zu tun hatte. Menschen, die ich, wenn man es genau nahm, hintergehen würde. Mein schlechtes Gewissen hielt sich in Grenzen, doch ich spürte die Sorge an mir nagen, dass etwas schiefgehen würde. Diese Gruppe war einfach zu unvorhersehbar.

Die Prinzessin mit ihrem wechselhaften Gemüt, die Gräfin mit ihrem Netzwerk aus Freunden und Spionen, der Baron mit all seinen Geheimnissen und der Leibwächter mit seinem unrealistisch fröhlichen Verhalten. Ich konnte mich auf keinen dieser Faktoren verlassen und das hasste ich. Es gab doch nichts Schlimmeres als unangenehme Überraschungen.

„Worüber denkt Ihr nach?"

Aus meinen Gedanken gerissen wandte ich den Blick von dem letzten Gut ab, das wir passieren würden, und drehte mich stattdessen dem Baron zu. Seine Miene war so unergründlich wie immer. Wie irgendjemand diesen Mann verstehen konnte, war mir ein Rätsel.

„Ich bin besorgt um den Verlauf dieser Reise", erwiderte ich. Keine Wahrheit, keine Lüge. Darin war ich gut.

„Ihr solltet Euch darum keine Sorgen machen. Ich bin mir sicher, dass die meisten Räuber von Andrej abgeschreckt werden."

Ich nickte, als wäre genau dies der Grund gewesen. Doch Räuber waren mein geringstes Problem. Ich war gut genug mit dem Schwert, um auf mich selbst aufzupassen und wenn man mir genug Zeit ließ, war ich ein grandioser Bogenschütze.

„Ich sehe diese Reise als Möglichkeit."

Überrascht hob ich den Blick bei dem beinah traurigen Ton der Prinzessin. Sie und die Gräfin hatten sich zurückfallen gelassen, sodass sie nur noch wenige Schritte vor uns ritten.

„Das müsst Ihr mir erklären", warf nun Andrej ein.

Achselzuckend drehte die Prinzessin sich ein Stück, sodass sie ihren Leibwächter ansehen konnte.

„Es gibt viele Gründe dafür. Zum einen war ich noch nie ohne meinen Vater weiter als einen Tagesritt von Torn entfernt. Zum anderen kann ich so eine neue Seite des Landes kennenlernen, die mir sonst versagt bleiben würde."

Kurz zögerte sie, dann fuhr sie leiser fort: „Wenn ich ganz ehrlich bin, weiß ich nicht, wann ich das nächste Mal so durch Ensomniya ziehen kann. Ich weiß nicht, wie lange dieser Krieg dauern wird, der bevorsteht. Ich weiß nicht, ob wir alle diesen Krieg überleben werden. Ich weiß nicht, wen ich heiraten werde oder wie mein Leben dann aussehen wird. Eigentlich weiß ich gar nichts."

Ein wenig sprachlos musterte ich die Prinzessin, während so etwas wie Mitleid in mir aufstieg. Der Krieg schien noch weit weg zu sein, nicht mehr als eine theoretische Überlegung. Doch er war nah, trat mit jedem vergangenen Tag ein Stückchen näher. Das war ein ganz schön entmutigender Gedanke.

„Es hilft, an das hier und jetzt zu denken, nicht an das was sein könnte. Macht das Leben einfacher."

Nach dieser Aussage der Gräfin fiel Stille über unsere Gruppe, jeder schien seinen Gedanken nachzuhängen. Ich nutzte die Zeit und nahm mir den Rat zu Herzen. Und da nicht wirklich viel zu tun war, ließ ich meinen Blick über die Aussicht schweifen.

Mittlerweile hatte die Sonne die Dunkelheit vertrieben. Der Himmel war hellblau, keine Wolke in Sicht. Die Umgebung außerhalb Torns wirkte beinah entspannend, wären da nicht die offensichtlichen Zeichen der Hitze. Verdorrte Busche säumten den Weg, der staubiger war als ich ihn in Erinnerung hatte. Weite Wiesen erstreckten sich bis an den Horizont, kein Beweis von Leben im näheren Umfeld.

Wenn wir gut vorankämen, dann würden wir vielleicht am nächsten Morgen die ersten Türme des verschwenderischen Landsitzes erkennen und am Abend bei der Fürstin eintreffen. So gerne ich auch ein Bett wollte, freute ich mich schon darauf, sie hinter mir zu lassen. Sie und ich, wir kamen nicht gut miteinander aus. Das lag zum einen daran, dass wir gänzlich verschiedene Charaktere hatten, zum anderen an ihrem Hass gegen meine Familie.

Kopfschüttelnd vertrieb ich den Gedanken und konzentrierte mich stattdessen auf die kleine Melodie, die der Leibwächter vor sich hin pfiff. Ein Wanderleid, wenn mich nicht alles täuschte. Die Melodie war sanft, wie eine frische Brise, die den Kopf zu klären vermochte.

So schlich der Tag dahin und die Hitze schwoll an. Schon nach wenigen Stunden mussten wir rasten, um die Pferde im Schatten ein paar schmaler Bäume trinken zu lassen. Die Früchte, die die Prinzessin verteilte, waren saftig, doch machten nicht für lange Zeit satt, wie ich bald bemerkte. Doch das Knurren meines Magens war kaum zu hören über die fehlgeschlagenen Versuche der Prinzessin, ein Rätsel zu lösen.

Was steht auf dem Grabe eines Betrügers?

Ich scheiterte wie sie an der Antwort, doch es war seltsam amüsant, zu hören, wie sie immer und immer wieder daneben lag. Und es war erleichternd, sie wieder so nervig wie immer zu erleben. In ein paar Stunden würde ich mich sicherlich wegwünschen, doch für den Moment genoss ich die Normalität der Situation.

Hin und wieder erschienen die Silhouetten kleiner Dörfer am Horizont und der Baron begann, die Prinzessin darüber auszufragen. Er endete erst, als die Gräfin ihn mit einem Stock abwarf, den sie von einem vertrockneten Baum gepflückt hatte, und ihn ermahnte, dass es sich hierbei um keinen Unterrichtsausflug handelte. Es war wohl nicht überraschend, dass daraufhin eine kleine Schlacht ausbrach.

Wir hielten noch zwei weitere Male an, jedes Mal nur für wenige Minuten und auch nur dann, wenn die Hitze uns allen zusetzte. Ich war mir sicher, dass das Öl, welches die Gräfin mitgebracht hatte, die Sonne nicht davon abhalten würde, mein Gesicht rot zu färben, dennoch nahm ich es dankend an, denn es spendete eine Abkühlung.

Am späten Nachmittag erreichten wir dann schließlich ein kleines Wäldchen. Erleichtert glitt ich von dem Rücken meines Pferdes, als die Prinzessin den Ort zu unserem Nachtlager erklärte, und streckte mich. Dann führte ich Cross zu einem kleinen Bach, kaum mehr als ein Rinnsal, und befreite ihn von dem Sattel und den Taschen. Er dankte mir mit einem kleinen Stupser, dann widmete er sich aber lieber der Erfrischung.

Seufzend ließ ich meine Sachen gegen einen Baum auf der kleinen Lichtung fallen, dann sah ich mich um. Der Leibwächter war bereits losgezogen, um Holz für ein Feuer am Abend zu besorgen und die Damen der Runde, falls man sie überhaupt so nennen konnte, hatten sich auf die Suche nach einem stillen Örtchen gemacht. So blieben nur der Baron und ich zurück, der sich gerade mit dem Auslegen einer Matte beschäftigte.

Ich folgte schweigend seinem Beispiel, dann ließ ich mich ächzend fallen und nahm einen Schluck aus meinem Wasserschlauch. Viel zu früh zwang ich mich dazu, den Schlauch abzulegen, denn bisher hatten wir noch keine Quelle erreicht. Noch immer waren es nur der Baron und ich, der über ein kleines Buch gebeugt dasaß und mich zu ignorieren schien.

„Ich verstehe es nicht."

Die Aussage war aus mir herausgeplatzt, bevor ich sie aufhalten konnte. Baron Exitura hob den Kopf und sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an.

„Was?"

Ich zuckte mit den Schultern, während er das Buch zuklappte und in eine seiner Satteltaschen schob.

„Warum habt Ihr Euch von Prinz Iwo losgesagt? Meines Wissens nach wart Ihr in einem Moment gute Freunde und im nächsten habt Ihr nicht mehr miteinander geredet."

Seine Miene blieb unergründlich, während er sich zurücklehnte und die Arme hinter dem Kopf verschränkte.

„Nicht jede Freundschaft ist für die Ewigkeit bestimmt. Manchmal tun sich Gräben auf, die man nicht mehr zu überqueren vermag. Dann ist es das Beste, auf seiner Seite zu bleiben und den andere ziehen zu lassen."

Ich verzog das Gesicht. So eine Antwort hatte ich nicht hören wollen, und das wusste er auch, wenn das kleine Lächeln auf seinem Gesicht ein Indikator dessen war.

„Was ist denn hier passiert?"

Genervt verdrehte ich die Augen bei dem fröhlichen Ton der Prinzessin. Wie hatte ich nur denken können, dass diese Stimmung mir besser gefiel?

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Laut Word 2020 Wörter. Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen?

Ein schlechtes, ich habe nämlich vergessen, das Kapitel hochzuladen. Jetzt kommt es aber, und zwar mit einer freudigen Nachricht: Ich habe alle Klausuren des ersten Blocks hinter mir und stehe vor zwei Wochen Ferien, also werde ich wieder für den nächsten Block vorschreiben können.

Over and Out,
DasLebenLesen

06/10/20

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