Yan [7]

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Eigentlich sollte man meinen, dass man eine fliegende Blume mit etwas Vorsicht steuerte. Vielleicht ein sanfter Schwenker hier, eine kleine Anpassung der Flughöhe da, ein angemessenes Tempo. Anscheinend aber hatte das noch niemand an diese Verrückte weitergegeben.

In schwindelerregender Höhe ruckelte und zuckte diese Blume in einem Tempo, das selbst ein Jagdpferd beeindruckt hätte. Der Wind peitschte mir geradezu ins Gesicht, noch schlimmer, als es auf einem Schiff der Fall gewesen wäre, während mein Magen sich immer schneller hob und senkte.

Mit geschlossenen Augen konzentrierte ich mich darauf, mich weder zu übergeben noch von dieser Blume herunterzufallen, auch wenn mir letzteres mehr und mehr wie eine Erlösung klang. Als ein plötzlicher Ruck durch die Blume ging, der mich noch einmal ordentlich durchschüttelte, riss ich die Augen auf. Wir waren abgestürzt, nicht wahr? Die Fae hatte uns direkt in einen Baum hineingelenkt und nun sah ich meinem sicheren Tod entgegen.

Entgegen meiner Überzeugung breitete sich nicht das schreckliche Rot der Baumwipfel, sondern das beruhigende Grün einer Wiese vor uns aus. Als ich einen kleinen Ruck an meiner Hand spürte, blickte ich zu Cara, die mich mit einer Mischung aus Belustigung und Mitleid anblickte. Gerne hätte ich ihr etwas Passendes gesagt, doch da überfiel mich schon der überwältigende Wunsch nach festem Boden und ich sprang geradezu von diesem Teufelsgefährt hinab.

Endlich auf festem Boden ließ ich mich direkt wieder sinken, bis ich auf dem Rücken lag, die Arme und Beine von mir gestreckt. Mit geschlossenen Augen atmete ich tief durch, bis die Welt aufhörte, sich zu drehen und mir das Atmen etwas leichter fiel.

Als ich es schließlich wagte, die Augen wieder zu öffnen, blickte ich direkt in den Himmel und stellte fest, dass die Sonne sich langsam dem Horizont entgegen neigte. Mit einem erleichterten Seufzer, weil das bedeutete, dass wir vermutlich am Ziel unserer Reise angekommen waren, rollte ich mich auf die Seite, um mich dann in die Höhe zu hieven.

Womit ich nicht gerechnet hatte, war eine zweite Person, die sich neben mir am Boden ausgebreitet hatte und mich nun von unten herab angrinste. Überrascht rollte ich wieder zurück und dann auf die andere Seite, bis ich schwankend und mit rasendem Herzen auf die Beine kam.

Die Fae, die sich nun ebenfalls aufrappelte, lachte laut auf und sprang vergnügt zu Isabel und Cara, die noch immer neben der Blume standen und sich ebenso über mich lustig machten. Als ich den Blick der Gräfin auffing, schenkte sie mir ein kleines Schmunzeln über das Ende ihres Kampfstabes hinweg, bevor sie sich den anderen beiden zuwandte.

Energisch klopfte ich mir imaginären Dreck von den Knien, erleichtert, dass keine der drei mir Beachtung schenkte. Denn ansonsten hätten sie mein rot angelaufenes Gesicht gesehen, welches meine sonst blasse Haut wie eine Tomate erscheinen ließ. Mit einem Räuspern richtete ich mich schließlich auf, als ich sicher war, dass meine Gesichtsfarbe wieder der Normalität entsprach.

Ein Schatten erschien über mir, noch ehe ich mich dazu entscheiden konnte, was ich als nächstes machen sollte. Ein Blick in die Höhe verriet mir, dass es eine zweite fliegende Blume war, die sich langsam in weiten Kreisen dem Boden näherte. Schließlich setzte Fina sanft auf.

Neidisch beobachtete ich den ganzen Vorgang, dann trat ich an die Neuankömmlinge heran und nahm sie in Augenschein. Ihnen allen ging es leider so weit gut, selbst dem Baron, der auf See die meiste Zeit wie ein Häufchen Elend in der Nähe der Reling verbracht hatte. Auch wenn er natürlich so getan hatte, als ginge es ihm prächtig.

„Ihr habt ganz schön lange auf euch warten lassen", bemerkte Isabel da, den Kopf schief gelegt.

„Das kommt vermutlich daher, dass ich es vorziehe, keine Unfälle oder Bruchlandungen zu riskieren", erklärte Fina mit einem kleinen Lächeln in Richtung der anderen Fae, die ihr dafür tatsächlich die Zunge entgegenstreckte.

„Was nun?", unterbrach Cara schließlich Fina, die sich gerade daran machte, Maila ein weiteres Mal für ihre Flugkünste aufzuziehen.

Überrascht, als hätten sie vergessen, dass wir auch noch da waren, wandten beide sich ihr zu. Dann deutete Maila über ihre Schulter.

„Wir betreten den Palast, was sonst?"

Verwirrt, weil ich mir sicher war, dass ich keinen Palast übersehen hatte, sah ich mich um. Es dauerte einige Sekunden, bis ich erkannte, dass die Fae auf eine Baumgruppe im Zentrum der weiten Wiese deutete. Verwirrt runzelte ich die Stirn.

„Das ist der Palast?"

Meine Stimme musste meine Skepsis verraten, denn Fina runzelte ebenfalls die Stirn und nickte dann, als wäre ich schwer von Begriff.

„Ja, dort residiert Idan'shin sowie der Rat und einige Vertreter der Clans."

Langsam nickte ich, aber die Skepsis war noch nicht verflogen. Wozu wollte eine Königin bitte in einem Wald leben, es sei denn, sie war verrückt? Natürlich sprach ich das nicht laut aus, aber irgendetwas schien meine Gedanken zu verraten, denn Cara zog mich etwas zu sich heran, als ich mich anschickte, an ihr vorbei auf dieses Waldstück zuzumarschieren.

„Pass auf, was du sagst."

Ich schüttelte ihre Hand ab, während ich so etwas wie Wut in mir aufsteigen fühlte. Ich war es satt, mir von ihr und den anderen sagen zu lassen, wo es langging, was ich sagen und was ich tun sollte. Hätte ich das gewollt, dann wäre ich zuhause geblieben und wäre nie an den königlichen Hof gekommen.

Doch das sagte ich ihr nicht. Ich schulterte einfach an ihr vorbei und versuchte die anderen mit großen Schritten einzuholen. Als ich sie schließlich erreicht hatte, musste ich feststellen, dass ich ganz schön außer Atem war. Drysden warf mir einen kurzen Blick zu, dann verlangsamte er seine Schritte etwas, bis er zusammen mit mir am Ende der Gruppe lief.

Ein weiteres Mal an diesem Tag spürte ich Scham in mir aufsteigen, doch wurde sie diesmal von Erleichterung begleitet. Es reichte schon, wenn nur einer mich Schnaufen hörte, auch wenn dieser jemand vermutlich schon sein ganzes Leben lang seinen Körper trainierte.

Einmal mehr fragte ich mich, warum er das Ziel all dieser harten Arbeit hinter sich gelassen hatte, doch gleichzeitig verstand ich, dass er nicht darüber sprach. Manchmal erlangte man neue Einsichten im Leben oder etwas in dir selbst veränderte sich, bis du auch deine Umwelt verändern musstest, um dich wieder wie du selbst zu fühlen.

Seufzend schüttelte ich den Kopf und versuchte, nicht selbst in Erinnerungen zu versinken. Stattdessen zählte ich die Schritte, die ich machte, in dem Versuch, meinen Kopf zu leeren.

„Wir sind fast da!"

Der aufgeregte Ausruf riss mich aus meinen Gedanken und ich stockte bei 3.454 Schritten. Ein wenig desorientiert sah ich mich um, da die Sonne sich in den letzten Minuten wohl verabschiedet hatte und der Mond die Wiese nun in sein silbriges Licht tauchte.

Überrascht stellte ich fest, dass das, was ich für eine Baumgruppe gehalten hatte, aus weitaus größeren Bäumen bestand, als ich sie jemals zuvor gesehen hatte. Bereits die Stämme der nächsten Bäume waren um ein Vielfaches breiter als ich, obwohl sie noch zu den dünnsten gehörten. Die Wurzeln, die weit aus dem Boden hinaufragten, bildeten so etwas wie Eingänge, die in die Bäume hineinführten?

Als ich erstaunt hinaufsah, erkannte ich so etwas wie schmale Fenster im Holz der Bäume, teilweise verborgen durch die Blätter, die an den noch immer vorhandenen Ästen in üppigen Büscheln hingen.

„Leben Leute in den Bäumen?"

Andrej hatte die Frage mit ungläubiger Stimme gestellt. Maila nickte, während Fina den Kopf schüttelte. Verwirrt starrte ich die beiden an, bis Fina schließlich seufzte, nicht glücklich darüber, dass wir stehen geblieben waren.

„Hier in den äußeren Baumhäusern, wir nennen sie Trähus, befinden sich die Küchen oder die Wäscherei. Erst im Kern des Palastes erreichen wir die Wohngebäude."

Dann lief sie los, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich beeilte mich, ihr zu folgen, denn ich würde mich vermutlich noch in diesem Palast verlaufen. Meine Schritte klangen gedämpft auf dem Waldboden, nur ab und zu knackten die Überreste eines Astes laut.

Ich erwartete, dass es dunkler wurde, je breiter die Bäume und je dichter die Baumkronen wurden, doch ein weiteres Mal wurde ich überrascht. An den meisten Bäumen hingen an den Ästen, die nahe dem Boden lagen, bunte Laternen, die den Wald in fröhliches Licht tauchten und sanft wippten, wenn eine Brise durch die Blätter fuhr.

Wie auch in dem letzten Dorf erblickten wir niemanden, auch wenn Licht in den meisten Fenstern brannte. Vor einem der Bäume, die bereits so breit waren, dass ich mir nicht sicher war, ob man sie noch als Baum beschreiben konnte, hielt Fina inne. Dann ließ sie den Blick über unsere Gruppe schweifen, bis sie an mir hängen blieb.

„Das hier ist dein Trähus, Yan. Wir haben es bereits vorbereiten lassen, deswegen solltest du alles finden, wonach du suchst. Maila oder ich werden morgen vorbeikommen und dich abholen, wenn Idan'shin bereit ist, euch zu empfangen."

Ich warf einen Blick auf den Baum, dessen Laterne in hellem lila erstrahlte, dann einen Blick auf die Gruppe um mich herum. Die anderen schienen mich erwartungsvoll anzusehen, also trat ich vor, bis ich unter die mächtigen Wurzeln trat, die den Eingang markierten. Kaum hatte ich das getan, setzte Fina sich schon wieder in Bewegung.

„Gute Nacht."

Ich blickte über die Schulter zu Cara, die noch immer neben dem Baumhaus stand. Dann, nach einem kurzen Zögern, murmelte ich die Abschiedsformel ebenfalls und beobachtete, wie sie sich nach einem letzten Blick daran machte, die anderen einzuholen.

Als sie schließlich aus meinem Blickfeld verschwand, wandte ich mich ein weiteres Mal dem Baumhaus zu. Dann trat ich durch den einschüchternden Eingang und befand mich in einem sanft beleuchteten Raum. Bis auf eine Treppe, die sich um die Innenseite dessen, was wohl einer Außenwand am nächsten kam, wand, war dieser Raum leer.

Also stieg ich vorsichtig die Treppe hinauf, bis sich neben mir ein Raum öffnete. Ich warf einen Blick hinein und erkannte im Licht der leichten Laternen, die auch hier innen Licht spendeten, so etwas wie einen Salon. Ein niedriger Tisch, der mir nicht einmal bis zum Knie reichte, stand in Zentrum des Zimmers, während eine Reihe weich aussehender Kissen darum herum lagen.

In die Wand des kreisrunden Zimmers war so etwas wie ein Regal eingelassen, indem ein paar Bücher zu stehen schien, dem gegenüber befand sich eine kleine Arbeitsfläche, auf der eine Ansammlung verschiedener Beeren stand. Vorsichtig griff ich mir eine Handvoll und ließ meinen Bogen sowie meinen Mantel, der noch immer trotz der Hitze auf meinen Schultern lag, neben die Arbeitsfläche gleiten.

Dann wandte ich mich wieder der Treppe zu, die weiter hinaufführte. Hier befand sich so etwas wie ein Waschraum, denn ich erkennte ein kleines Becken, etwa hüfthoch, daneben auf einem Podest ein Stück Seife, ein Kamm, ein Handtuch und einige Seidenbänder. Erleichtert trat ich darauf zu und begann, mein Gesicht zu waschen. Zu meiner Überraschung gab es hier fließendes Wasser, das lauwarm über meine trockenen Hände glitt. Dann zog ich das alte Lederband aus meinen Haaren und kämmte diese, bevor ich sie in einem kleinen Zopf mit einem der Seidenbänder zusammenband.

Erst dann sah ich mich um und entdeckte eine Wanne, die auf der anderen Seite des Raumes stand. Am liebsten hätte ich mir ein Bad einlaufen lassen, doch ich war müde, also verschob ich das Bad und versuchte es stattdessen mit einer Katzenwäsche, indem ich eines der Handtücher unter den leichten Wasserstrahl des Waschbeckens hielt und damit schnell meinen Oberkörper wusch.

Zitternd, da das Wasser schnell trocknete und die Luft an meinem nackten Oberkörper nun kälter als zuvor wirkte, eilte ich die Treppe ein weiteres Mal hoch, in der Hoffnung, etwas zum Anziehen zu finden. Tatsächlich war der nächste Raum ein Schlafzimmer, denn an einer der Seite ragte ein Bett in den Raum hinein, das verführerisch weich wirkte.

Am Fußende erhaschte ich einen Blick auf ein paar Kleidungsstücke, die sich bei näherer Betrachtung als ein weiches Seidenhemd und eine farblich passende Hose herausstellten. Erleichtert schlüpfte ich aus meinen restlichen Kleidungsstücken und genoss das weiche Gefühl von sauberer Wäsche, auch wenn diese mir etwas zu groß war.

Ein Blick durch den Raum verriet mir, dass auch hier, an der abgerundeten Wand gegenüber dem Bett, ein Schrank eingelassen war. Als ich die Vorhänge zur Seite schob, die seinen Inhalt verbargen, erkannte ich eine kleine Auswahl an Kleidungsstücken. Also würde ich morgen nicht in dreckiger Kleidung vor die Königin treten müssen.

Beruhigt ließ ich mich auf das Bett sinken und schob Decke und Kissen zurecht, bis ich bequem lag. Dann schloss ich mit einem zufriedenen Seufzen die Augen und genoss die Stille des Raums. Erst in diesem Augenblick fiel mir auf, wie sehr ich die Ruhe und den Frieden meiner Privatsphäre vermisst hatte.

Es war beruhigend, zu wissen, dass ich hier ganz allein war, ohne jemanden, der mir Vorschriften machte oder sich darüber beschwerte, dass ich zu laut war. So war es kein Wunder, dass ich schließlich problemlos in den Schlaf glitt, ohne einen Gedanken an den nächsten Tag oder sogar die nächste Woche zu verschwenden.

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Auf Word haben wir hiermit offiziell die 200 Seiten geknackt. Verrückt, das hier ist jetzt schon mit Abstand mein längstes Buch und ich weiß schon, dass noch einige weitere Kapitel folgen werden. 

Over and Out,
DasLebenLesen

09/08/2021

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