Yan [6]
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„Habt ihr alles?"
Ich verdrehte die Augen.
„Frag doch nochmal nach, vielleicht ändert sich dann etwas an meiner Antwort."
Der Baron warf mir einen kurzen Blick zu, entschloss sich aber dann dazu, mich zu ignorieren. Immerhin warf er nur einen kurzen Blick zu den anderen, um sicherzustellen, dass sie ausgerüstet waren. Dann stapfte er los, vermutlich um ein weiteres Mal die Tür zu der Hütte, in der sich der Großteil der Piraten tummelte, zu überprüfen.
„Sei froh, dass er an alles denkt. Das hier muss funktionieren, eine zweite Chance bekommen wir nicht."
Wie der Geist, der sie nicht war, war Cara neben mir aufgetaucht. Dabei lehnte sie sich auf den eleganten Kampfstab und starrte zu Isabel hinüber, der den Piratenkapitän dabei beaufsichtigte, wie er ein paar Karten aus seiner Hütte holte. Dabei sah sie so entspannt aus, als würde sie jeden Tag eine Piratenmannschaft überfallen und deren Kapitän entführen.
„Warum bist du nur mit ihr befreundet?"
Nun hatte ich die ungeteilte Aufmerksamkeit der Gräfin. Aus zusammengekniffenen Augen sah sie mich an, dann richtete sie sich auf.
„Vielleicht solltest du das deine Freunde fragen. Also, falls du überhaupt welche hast."
Mit diesen Worten ließ sie mich zurück und gesellte sich zu Drysden, der um die Hütte herumging, vermutlich um sicherzustellen, dass die Piraten nicht herauskommen konnten, bevor wir nicht einen guten Abstand zwischen sie und uns gebracht hatten.
„Warum bringst du nur immer alle gegen dich auf?"
Genervt drehte ich mich herum und warf dem großen Leibwächter, der ein paar Schritte entfernt seine Waffen überprüfte, einen erwartungsvollen Bick zu. Als er nicht reagierte verdrehte ich ein weiteres Mal die Augen.
„Vielleicht will ich einfach nur keine Zeit mit euch verbringen."
In aller Ruhe schob Andrej sein Schwert in die Scheide, dann erhob er sich, bis er auf mich heruntersehen musste.
„Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du dich dazu entschlossen hast, uns zu begleiten."
„Ich weiß nicht, ob du es vergessen hast, aber ich habe das Festland in Ensomniya nicht freiwillig verlassen."
Mit großen Fingern fuhr er sich durch den Bart, als könnte das irgendetwas an den Knoten darin ändern, dann schüttelte er den Kopf und wandte sich zum Gehen.
„Dich hält niemand davon ab, zu gehen. Den Weg zum Strand kennst du ja."
Ein wenig fassungslos blinzelte ich, dann eilte ich ihm hinterher, bereit, seine Logik zu widerlegen. Zu meiner Überraschung hatte ich ihn schon nach wenigen Schritten eingeholt. Nun eher neugierig als wütend blickte ich ihm prüfend in das Gesicht. Aufgrund des Bartes konnte ich nicht sonderlich viel von seiner Miene erkennen, doch da war etwas in seinen Augen, dass mich stutzig machte.
„Was ist anders?"
Er sah kurz zu mir hinab, dann richtete er seinen Blick wieder stoisch geradeaus. Gerne hätte ich weiter gestochert, denn ich war mir sicher, dass etwas mit dem großen Kerl nicht stimmte, doch da stießen Cara und Drysden zu uns. Sofort verwickelte die Gräfin Andrej in ein Gespräch und nahm mir die Chance, weiterzumachen. Normalerweise hätte ich mich daran nicht gestört, doch da ergriff auch schon der Baron die Stimme.
„Halt dich von dem Kapitän fern."
Ich warf dem ernst dreinblickenden Mann einen bösen Blick zu.
„Warum? Damit ich nichts Dummes mache?"
Ich meinte, so etwas wie einen genervten Gesichtsausdruck über das sonst so regungslose Gesicht zucken zu sehen, dann rollte der ehemalige Soldat mit einer Schulter.
„Du bist der Einzige, der keine Erfahrung mit Nahkampf hat. Erinnere dich nur an die Räuber im Baumfäller. Wir können es uns nicht leisten, dass der Kapitän das gegen uns nutzt."
Diese Antwort akzeptierte ich mit einem halbherzigen Nicken. Denn der Baron hatte recht: Ich war großartig mit dem Bogen, doch ein Versager im Nahkampf, und ich wusste es. Dennoch war es kein gutes Gefühl, wegen so etwas als Last gesehen zu werden. Ich hatte uns alle schließlich erst hierhingebracht, denn die Schauspielqualität der anderen hatte zu wünschen gelassen. Traurig, wenn man bedachte, dass ich der Ehrlichste von uns war, einmal abgesehen von meinem schiefgegangenen Plan.
Die Tatsache, dass die Hand des Barons kurz zu der Schulter, die er kurz zuvor rotiert hatte, hochzuckte, bestätigte mich darin. Wenn da nicht ein weiteres Geheimnis hinter steckte, dann wusste ich auch nicht. Im Allgemeinen umgab eine ganze Fülle an Geheimnissen den jungen Baron. Und ich war mir sicher, dass es etwas Großes war, was er verbarg. Denn wir tief meine Angestellten auch gebuddelt hatten, sie hatten nicht herausfinden können, warum er so plötzlich aus der Königsgarde ausgetreten war.
„Ist er fertig?"
Caras ungeduldige Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich warf ihr einen kurzen Blick zu, nicht sicher, warum sie unbedingt aufbrechen wollte. Ich war mir sicher, dass uns nichts als Enttäuschung – für die anderen – erwarten würde, wenn wir diesen geheimen Treffpunkt fanden. Wenn sich dieser Pirat schon nicht sicher war, um wen es sich handelte, dann wollte ich das erst recht nicht wissen.
„Ich kann auch für mich selbst sprechen", erwiderte der Kapitän da, während Prinzessin Isabel die Augen verdrehte.
„Ja, wir können gehen", erklärte sie und bedeutete dann dem Piraten, vorzugehen.
Der zögerte kurz, das Gesicht zu einer Grimasse verzogen, und blickte unschlüssig zu der Hütte, in der die Piraten eingesperrt waren. Dann nickte er, noch immer mit unglücklicher Miene, und nickte in die Richtung eines Baumes.
„Da entlang."
Mit sicheren Schritten führte er uns auf etwas zu, was ich schließlich als einen schmalen Waldweg enttarnte. Er lag gut verborgen zwischen zwei Bäumen, deren Äste wie Vorhänge herabhingen. Zwischen den stapfte er dann durch. Die Prinzessin folgte ihm nach einem kurzen Blickaustausch mit dem Baron, er dicht hinter ihr. Mit einer Geste, die viel zu übertrieben ausfiel, bedeutete ich Cara, ihnen zu folgen. Dann schob auch ich mich zwischen den Ästen durch und unterdrückte prompt einen Fluch, als ich über eine Wurzel, die den Weg kreuzte, stolperte.
Mit so viel Würde, wie ich aufbringen konnte, ignorierte ich das leise Lachen von hinten und vermied den Blick der Gräfin, der eine Mischung aus zurückhaltender Sorge und offensichtlichem Spott war. Stattdessen sah ich auf den Boden und wich einer Gruppe Steine aus, die mitten auf dem Weg lagen. Vermutlich sah ich lächerlich aus, wie ich hinter Cara her trottete und auf den Boden starrte, doch das war mir weitaus lieber, als ein weiteres Mal zu stolpern.
Eine ganze Weile lang folgten wir dem Weg, der partout nicht breiter wurde. Stattdessen schien das Blattwerk um uns herum noch dichter zu werden, bis ich im Schatten der Bäume zu frösteln begann. Das Gefühl, dass dieser Weg selten benutzt wurde, beschlich mich und verstärkte meinen Missmut noch.
Während wir etwas trockenes Brot und Früchte im Lager der Piraten gegessen hatten, hatte ich versucht, meine Bedenken mit der Prinzessin zu teilen. Was war, wenn der Pirat uns einen falschen Weg zeigt, der ins Nirgendwo führt? Was, wenn er uns nur ablenkt, bis seine Männer nachkommen? Was, wenn es tatsächlich Lebewesen gibt und er uns direkt in eine Falle führt?
Doch die Prinzessin hatte kaum darauf reagiert, nur dem Baron einen kurzen Blick zugeworfen. Dann hatte sie sich ein weiteres Stück Brot in den Mund geschoben, gekaut und erst danach mit einem schiefen Grinsen geantwortet: „Ich denke nicht, dass er etwas davon tut. Er will schließlich sein Schiff zurückhaben. Und wenn doch, dann kämpfen wir uns den Weg eben frei und nehmen dann selbst das Schiff. Letzte Nacht haben wir schließlich bewiesen, dass wir nicht unfähig sind."
Bei der Erinnerung an die vorangegangene Nacht stieg die Müdigkeit wieder in mir hoch. Zuerst hatte es eine ganze Weile gedauert, bis die Piraten das Lager zu ihrer Zufriedenheit vorbereitet hatten. Danach hatte es noch einmal genauso lang gedauert, bis das Schlafmittel im Rum seine Wirkung entfacht hatte. Andrej, der das Serum angemischt und in die Fässer der Piraten gefüllt hatte, als niemand hingesehen hatte, hatte sich mit dem Anteil Nachtrosen verschätzt und somit ein viel zu leichtes Mittel gebraut.
Während ich ihn dabei beobachtet hatte, noch bevor wir dieses lächerliche kleine Schauspiel begonnen hatten, war die Frage in mir aufgestiegen, woher der Mann so viel über diese Art Trunk wusste. Oder wo er so viel über die Nutzung von Nachtrosen gelernt hatte. Natürlich, jeder wusste das die tiefblauen Blumen eine einschläfernde Wirkung haben konnten, aber wie man die süßliche Flüssigkeit extrahierte, hatte mir niemand beigebracht.
Dann, nachdem die Piraten endlich einer nach dem anderen in ihre Hütte getaumelt waren, hatten wir das Schiff an einen neuen, gut versteckten Ort segeln müssen. Zu unserem Glück hatten wir nicht weit entfernt eine gute Stelle gefunden, in der das Schiff ungesehen residieren konnte. Es würde sicherlich eine Weile dauern, bis die Piraten es in der kleinen Bucht fanden.
Dennoch, Prinzessin Isabel hatte übertrieben, als sie meinte, wir hätten uns im Umgang mit dem Schiff bewiesen. Die Hälfte der Zeit hatte Andrej umherrennen und helfen müssen, damit wir das Schiff nicht versenkten oder auf Grund laufen ließen. Der Baron hatte sich dabei als einziger weiterer noch recht geschickt angestellt, was vermutlich aber daran lag, dass er die größte Muskelkraft hatte.
Die Nacht hatten wir dann auf dem Schiff verbracht, um sicherzustellen, dass die Piraten es nicht doch fanden, bevor wir unser Druckmittel einsetzen konnten. Ich spürte die harten Planken des Schiffes noch immer unter mir, denn die Kajüten waren allesamt zugesperrt gewesen, sodass wir an Deck hatten schlafen müssen.
Die Erinnerung an diese Nacht und die Tage zuvor half nicht gerade dabei, meine Laune anzuheben. Entsprechend konnte ich es mir nicht verkneifen, regelmäßig nachzufragen, wie lange es noch dauerte. Als ich schließlich zum fünften Mal ansetzte, war die einzige Antwort, die ich bekam, ein Schlag gegen das Schienbein mit dem Kampfstab der Gräfin.
Daraufhin verdrehte ich die Augen, blieb aber still, denn dieser Stab war so gut balanciert, dass selbst ein kleiner Stoß wie dieser höllisch wehtat. Es würde mich nicht wunder, wenn mein Schienbein an der Stelle grün und blau wurde.
Als wir schließlich an einer etwas breiteren Stelle des Weges anhielten, um eine kurze Pause zu machen, hielt ich mich etwas abseits der Gruppe und aß schweigend. Andrej, der am nächsten saß, versuchte ein paar Mal, mich in ein Gespräch zu verwickeln, doch ich ignorierte ihn zu großen Teilen.
Entgegen meiner Erwartung half diese Pause zwar mit meinem Hunger, aber nicht mit der Irritation, die ich schon den ganzen Tag verspürte. Eher im Gegenteil. Als wir uns daran machten, weiter zu marschieren, verspürte ich das Bedürfnis, zu schreien. Ich musste etwas tun. Also näherte ich mich der Prinzessin, die sich mir mit einem Stirnrunzeln zuwandte, nachdem sie sichergestellt hatte, dass der Baron sich um den Piratenkapitän kümmerte.
„Was passiert, wenn wir diesen Treffpunkt erreichen?"
Spielerisch zog sie eine Augenbraue in die Höhe.
„Jetzt glaubst du also doch daran, dass der Kapitän uns nicht in die Irre führt?"
Beinah hätte ich aufgestampft, um die Frustration, die stetig wuchs, loszuwerden. Stattdessen atmete ich ein paar Mal tief durch, bevor ich antwortete.
„Ich meine es ernst. Der Piraten hat es selbst gesagt: Sie treffen sich dort nur, wenn die Piraten auch Ware für diese Leute haben. Offensichtlich ist das nicht der Fall, also stellt sich mir die Frage, ob wir einfach nur dort Däumchen drehen wollen, oder ob ein anderer Plan existiert, von dem ich wieder einmal nichts weiß."
Den letzten Teil meines Satzes schleuderte ich ihr eher entgegen, vermutlich lauter als beabsichtigt, denn der Pirat, der ungeduldig in den Wald gestarrt hatte, musterte mich nun mit einem kalkulierenden Blick. Ich gab ihm meinen besten unbeeindruckten Blick, bevor ich mich wieder der Prinzessin zuwandte, die nachdenklich an einer Strähne zupfte, die aus ihrem lockeren Zopf herausfiel.
„Wenn wir den Treffpunkt erreichen, dann werden Andrej und Drysden sich nach Spuren umsehen. Du, Cara und ich, wir warten mit dem Kapitän, für den Fall, dass doch jemand dort vorbeikommt oder die Piraten sich schneller befreien konnten als angenommen. Finden wir keine Spuren und treffen wir niemanden, dann müssen wir uns etwas Neues ausdenken. Zufrieden?"
Nach einem kurzen Augenblick nickte ich widerstrebend, nicht unbedingt glücklich mit dem Plan, ihn aber akzeptierend. Damit konnte ich leben.
„Sehr schön. Dann kann es ja weitergehen."
Mit einer Geste bedeutete Prinzessin Isabel dem Piratenkapitän, sich in Bewegung zu setzen.
Das tat er, doch zuvor erklärte er genervt: „Ich heiße Emerald, nicht Kapitän oder Pirat. Klar?"
Die einzige Reaktion, die er darauf bekam, war ein Stoß an der Schulter von dem Baron, damit er endlich loslief. Ich seufzte, denn meine Füße fühlten sich an, als würden sie abfallen, dann setzte ich mich aber auch in Bewegung. Je schneller wir das hier hinter uns brachten, desto besser.
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Ich muss heute wieder in die Schule und glaubt mir wenn ich sage, ich würde alles lieber tun als das. Wer dachte, dass diese 1,5 Wochen Schule nötig sind?
Over and Out,
DasLebenLesen
12/04/21
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