Yan [5]

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„Yan."

Warum schrie meine Mutter denn so? Gerade eben hatten wir noch die Haltung während des Bogenschießens geübt. Und warum schüttelte sie mich?

Als ein harter Stoß meine Seite erreichte, öffnete ich die Augen. Die reich verzierte Decke des Anwesens verwandelte sich in einen strahlend blauen Himmel und statt meiner Mutter meinte ich, eine andere Person am Rande meines Blickfeldes wahrzunehmen.

Doch darauf achtete ich nicht, denn ein plötzlicher Hustenanfall riss mich aus dem letzten bisschen Schlaftrunkenheit. Ächzend und mit brennendem Hals hievte ich mich auf die Seite, sodass ich mich nicht fühlen musste, als würde ich ein Reibeisen schlucken. Angewidert starrte ich auf die gelben Körner, die auf dem weichen Gras unter mir landeten.

Als der Hustenanfall abnahm, drehte ich mich weiter herum, bis ich auf allen Vieren war und nicht mehr nur auf einem Arm lehnte, dann atmete ich ein paar Mal mit geschlossenen Augen durch.

„Wie geht es dir?"

Zu meinem größten Entsetzen verspürte ich so etwas wie Erleichterung, als ich Caras Stimme hörte. Sie hatte also überlebt. Für ein paar weitere Sekunden blieb ich in meiner Haltung, dann setzte ich mich auf, sodass ich mich umsehen konnte.

Mir gegenüber, ein paar Schritte entfernt, saß Cara, die mich erwartungsvoll ansah. Ihre braunen Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengefasst, was sie sonst nie tat. Ihr Kleid war an manchen Stellen von dem Salz des Meeres verkrustet und an ihrem Saum hingen Sandkörner. Doch ansonsten schien sie gesund zu sein, wenn auch nicht glücklich, doch wer war das schon?

„Ganz gut."

Die Worte wurden von einem unangenehmen Brennen begleitet und ich musste ein paar Mal schlucken, um das Gefühl loszuwerden. Dann, mit einem Räuspern, sah ich mich um. Anscheinend waren wir auf einer Insel gelandet. Der Sandstrand war ein breiter Streifen, der mich unangenehm blendete, und der Wald, der sich hinter der Gräfin erstreckte, war lichtdurchflutet.

„Wo sind wir?"

Dieses Mal gelang mir das Sprechen ohne Schmerzen, dafür aber nur mit einem heiseren Tonfall, der mich das Gesicht verziehen ließ.

„Das weiß ich nicht. Ich schätze, dass es eine der Inseln zwischen Ensomniya und Yver ist. Andrej vermutet Piraten, aber ich hoffe, dass dem nicht so ist. Bisher haben zumindest wir noch keine Beweise gefunden."

Während sie sprach, hatte Cara sich von mir abgewandt, nur um sich dann mit etwas, was ich als Kokosnuss identifizierte, umzudrehen. Ich verzog das Gesicht, denn ich hasste den Geschmack von Kokos, dennoch nahm ich sie an und trank das Wasser daraus.

In diesem Moment hätte ich alles getrunken, denn ich war durstig. Was vermutlich kein Wunder war, wenn man überlegte, dass ich sicherlich einen Tag im Meer verbracht hatte. Und dazu kam noch die Zeit, die ich hier auf der Insel verbracht hatte. Sicherlich war eine Nacht vergangen, denn ich konnte mich noch gut daran erinnern, bei Tageslicht eine Insel gesehen zu haben.

Im ersten Moment hatte ich sie für eine Einbildung gehalten, eine Illusion des Wassers vielleicht, doch dann, als sie nicht verschwunden war, hatte ich meine letzten Kraftreserven aufgebracht und darauf zugehalten. Kaum hatten meine Finger den warmen Sand gespürt, war ich dann bewusstlos geworden. Und anscheinend hatte Cara mich gefunden, auch wenn ich nicht glaubte, dass sie mich allein hierhergebracht hatte.

Wie als würde das Schicksal meine Vermutung unterstützen, trat Andrej aus dem Wald, etwas in seinen Armen haltend. Was auch immer es war, er hatte es in ein Stück Stoff, vermutlich einen Mantel, gewickelt.

Als sein Blick auf mich fiel, schenkte er mir ein müdes Lächeln, dann reichte er Cara das Bündel und ließ sich neben sie auf die Wurzel sinken, um sich dann gegen einen breiten Baumstamm zu lehnen. Mit gerunzelter Stirn dankte ich den Göttern, keinen Bart und feine Haare zu haben, denn die Menge an Sand, die Andrej mich sich herumschleppte, reichte für einen neuen Strand.

„Fang."

Gerade noch rechtzeitig streckte ich die Hand aus, um eine Frucht zu fangen, die sonst meinen Kopf getroffen hätte. Neugierig betrachtete ich sie, denn sie war mir unbekannt. Ich musste zugeben, die Auswahl der Speisen, die ich zu mir nahm, war limitiert, denn ich mochte nur wenige Lebensmittel. Die Kokosnuss war wohl ein gutes Beispiel dafür.

„Ich habe die Pfirsiche ganz in der Nähe gefunden. Vermutlich sind die besser als Feigen, besonders wegen all der Flüssigkeit. Die können wir alle gut vertragen", erklärte Andrej, als hätte er meine Gedanken gelesen, dann nahm er einen großen Bissen.

Fasziniert beobachtete ich, wie er die Frucht mit nur drei Bissen aß und sich dann eine neu nahm, die fast in seiner Hand verschwand. Dann jedoch erinnerte mich mein grummelnder Magen daran, dass ich selbst etwas essen musste, und ich nahm einen vorsichtigen Bissen.

Überrascht aufgrund der Süße und der Flüssigkeit hielt ich inne, dann beeilte ich mich damit, weiter zu essen. Erst ein halbes Dutzend Pfirsiche und zwei Handvoll Früchte, die Andrej irgendwo aufgetrieben hatte später, hörte ich auf und lehnte mich, endlich mit vollem Magen, zurück.

„Du weißt nicht zufälligerweise, wo Drysden und Issi sind, oder?"

Seufzend schüttelte ich den Kopf und versuchte, einen Ast beiseite zu schieben.

„Ich habe sie zuletzt am Schiff gesehen."

Mit einem bedrückten Blick nickte Cara, dann schüttelte sie den Kopf.

„Egal ob sie hier sind oder nicht, wir sollten die Insel unter die Lupe nehmen. Vielleicht finden wir jemanden, der uns helfen kann, oder zumindest einen Weg, hier wegzukommen."

Bei dem Gedanken, mich bewegen zu müssen, schmerzten all meine Knochen, doch ich nickte.

„Vermutlich aber sollten wir aufpassen, wohin wir gehen. Ich habe keine Lust, direkt in den Säbel eines Piraten zu laufen. Denn bei der Menge an Nahrungsmitteln, die es hier gibt, gibt es sicherlich auch Piraten. Anders kann ich mir nicht erklären, dass es so eine große Vielfalt gibt. Bestimmt wurde hier etwas gepflanzt", gab Andrej zu bedenken, doch ich hörte gar nicht mehr zu.

„Was ist das?"

Beide folgten meinem ausgestreckten Finger, dann zuckte Cara mit den Schultern.

„Eine Kiste. Wir haben uns an ihr festgehalten."

„Und ihr habt nicht nachgesehen, ob etwas interessantes darin sein könnte?", wollte ich ungläubig wissen.

Die beiden sahen einander an, dann schüttelten sie einstimmig den Kopf.

„Nein."

„Aber zu unserer Verteidigung: Wir waren beschäftigt, zu überleben und dich vor dem Auskühlen zu retten", war Caras schnippische Antwort, auch wenn sie verlegen wirkte.

Mit einem Ächzen erhob ich mich, dann trottete ich mit einem Kopfschütteln darauf zu. Denn in keiner der Kisten auf der „Wellenbrecher" war unnützes Zeug gewesen. Daran musste man doch denken!

Ungläubig ließ ich mich vor dem dunklen Holz in den Sand fallen. Die Kiste war beinah hüfthoch und so lang wie ich hoch. Ansonsten war sie sehr simpel, nur mit einem Metallriegel versehen, der sich nach ein paar Momenten ächzend öffnete. Ich stemmte mich am Rand der Kiste hoch, dann warf ich einen Blick zu Cara und Andrej, die langsam auf mich zuliefen.

„Sieht aus, als müssten wir keine allzu große Angst vor Piraten haben."

Während ich die Worte sagte, konnte ich den zufriedenen Tonfall nicht verdrängen. Dann beugte ich mich hinein und zog meinen geliebten Langbogen und den leichten Köcher heraus. Nur zwei der Pfeile waren zerbrochen, wahrscheinlich unter dem Gewicht einer anderen Waffe, der Rest war intakt.

Auch meine Messer befanden sich darin, genauso Andrejs Schwert, Caras Kampfstab, das Langschwert der Prinzessin und das Sammelsurium an Waffen, das der Baron immer mit sich herumschleppte, eingeschlossen seine geliebten Schwerter. Nach dem Betreten des Schiffes hatten wir all unsere Waffe in diese Kiste legen müssen, mit Ausnahme von einer.

Anscheinend hatte der Kapitän schlechte Erfahrungen mit bewaffneten Fahrgästen gemacht und Vorkehrungen getroffen, um sich und seine Crew zu schützen. In dem Moment, als ich meinen Bogen hatte weglegen müssen, hätte ich schreien können, doch gerade war ich erleichterter als jemals zuvor in meinem Leben.

So schien es auch den andere zu gehen, denn Andrej begutachtete sein Schwert mit dem ersten richtigen Lächeln, das ich heute gesehen hatte, und Cara strich zärtlich über das glatte Holz des Stabs, vermutlich auf der Suche nach irgendwelchen Blessuren in dem hellen Holz.

„Was machen wir mit den anderen Waffen?"

Ich sah von einem der Messer auf, das ich gerade verstaute, und blickte stirnrunzelnd in die Kiste hinab. Andrej hatte recht, wir konnten schlecht all die Waffen mitnehmen. Allein schon für das Schwert der Prinzessin war niemand ausgerüstet und wie der Baron all diese Waffen trug, ohne unter ihrem Gewicht zusammenzubrechen, war mir ein Rätsel. Genauso wie die Frage, wo er sie alle unterbrachte, denn neben den Schwertern, die er am Rücken trug, und zwei Dolchen in seinem Gürtel hatte ich keine Ahnung, woher die anderen kamen.

„Wir verstecken sie im Gebüsch dort drüben. Dann findet sie niemand, bis wir zurückkehren können, im besten Fall mit Issi und Drysden, im schlechtesten Fall, um uns mit weiteren Waffen einzudecken", schlug Cara vor.

Dann machten wir uns daran, die große Kiste bis zum Wald zu schleppen. Als das geschafft war, musste ich mich für ein paar Minuten im Schatten ausruhen, bis der Schweiß mir nicht mehr in die Augen lief und ich zu Atem gekommen war. Ich trank sogar noch etwas mehr Kokoswasser.

Doch schließlich schlüpften wir in unsere – getrockneten, den Göttern sein Dank – Stiefel, um die Insel zu erkunden. Der Schatten im Wald war angenehm, dennoch begann ich schon bald wieder zu schwitzen. Meine einzige Erleichterung war es, dass es auch den anderen so gehen musste, denn Andrej öffnete sein Wams weiter und Cara krempelte die Ärmel ihres Kleides hoch, auch wenn die immer wieder hinabrutschten.

In einer Reihe, denn die Bäume standen dichter, je weiter wir ins Inselinnere vordrangen, schoben wir uns durch den Wald. Immer wieder blieb Andrej, der die Prozession anführte, stehen, entweder um auf verräterische Geräusche zu horchen oder um den Weg freizumachen.

Ich musste zugeben, dass mich dieser Marsch schneller ermüdete, als mir lieb war. Die Freude über meinen Bogen wurde getrübt durch meine müden Muskeln, die sich anfühlten wie Blei und den Wunsch, einfach nur zu schlafen. Entsprechend fiel mir zu spät auf, dass etwas nicht stimmte und ich landete mit dem Gesicht zuerst auf dem Boden, nachdem meine Fußspitze an etwas hängen geblieben war.

Das dumpfe Geräusch meines Aufpralls sowie der Laut, mit dem die gesamte Luft aus mir herausgepresst wurde, sorgte dafür das Cara herumfuhr, den Kampfstab erhoben. Als sie jedoch erblickte, dass ich nur hingefallen war, verzogen sich ihre schönen Lippen zu einem erleichterten Lächeln und die Falte auf ihrer Stirn glättete sich.

Ich jedoch verzog das Gesicht, dann rappelte ich mich mit brennenden Wangen auf und sah nach dem Grund meines Sturzes. Ich erwartete eine Wurzel oder ähnliches, die den schmalen Weg durchschnitt, doch stattdessen erblickte ich etwas, was verdächtig nach einer Kiste aussah. Nur eine Kante ragte aus dem dichten Dickicht hervor, also war es kein Wunder, dass nur jemand wie ich, der nicht aufpasste, darüber stolperte.

Ich warf einen Blick über die Schulter zu Cara, die mit schnellen Schritten zu Andrej aufschloss. Vermutlich wäre es das Beste, ihnen zu folgen. Unentschlossen stand ich da, doch als Cara den Leibwächter antippte und beide zum Stehen kamen gewann meine Neugier, die ich sonst weitaus besser unter Kontrolle hatte.

Also ging ich in die Knie und schob die dichten Blätter beiseite. Die Kiste, die wie erwartet zum Vorscheinen kam, war an ein paar Stellen bleich, ansonsten aber von dunklem Holz und sicherlich nur halb so groß wie die, in der unsere Waffen gewesen waren.

Das Schloss, bereits von Rost durchzogen, war aufgebrochen worden. Besorgt aufgrund der Tatsache, dass hier auf jeden Fall Menschen waren, sah ich mich um. Dann jedoch schüttelte ich den Kopf. Wenn Andrej niemanden gesehen hatte, dann war auch niemand in der Nähe. So weit konnte ich dem Leibwächter trauen, sonst wäre er schließlich niemals in die Leibgarde der Prinzessin aufgenommen worden.

Vorsichtig berührte ich das Holz, das sich unter meinen Finger rau anfühlte, dann schob ich den Deckel auf. Das laute Knirschen der Scharniere ließ mich das Gesicht verziehen und ich hielt den Deckel fest, sodass ein Spalt entstand, durch den ich gerade so hereinsehen konnte. Immerhin wusste ich nun, dass diese Kiste für einen langen Zeitraum ungeöffnet gewesen war.

Der Anblick dessen, was sich darin befand, ließ mich aber verwundert die Stirn krausziehen. Stoffe? Nein, Kleider. Ich stellte sicher, dass ich den Deckel noch immer festhielt, denn streckte ich eine Hand aus und befühlte den Stoff, der ein wenig zerknittert, ansonsten aber wunderbar weich war. Unter der ersten Lage aus hellem Grün erhaschte ich einen Blick auf rosa, blau und sogar ein weißes Kleid. Das war wohl einmal die Truhe einer Lady gewesen.

„Da ist jemand."

Die gezischte Aussage ließ mich zusammenzucken und beinah wäre mir der Deckel entglitten. Im letzten Moment jedoch konnte ich meine Finger in den Spalt schieben und verzog das Gesicht. Der Deckel war schwerer als erwartet. Dennoch ließ ich mir keine Zeit, darüber nachzudenken. Stattdessen schloss ich die Kiste vorsichtig, schob sie wieder an ihren Platz zurück und huschte dann zu Cara und Andrej, die sich im Gebüsch verkrochen hatten.

„Was war in der Kiste?"

Andrej flüsterte die Worte leise, dennoch warf ich einen prüfenden Blick auf die Männer, die sich ein gutes Stück von uns entfernt befanden. Der Wald hörte mit diesem Gebüsch auf und öffnete sich auf eine große Fläche mit ein paar primitiv anmaßenden Hütten. Die Männer, die umherliefen, wirkten nicht sehr viel kultivierter.

„Nichts, was uns helfen könnte. Ein paar Kleider von guter Qualität, sonst aber habe ich nichts gesehen."

Zu meiner Überraschung legte Cara den Kopf schief und schüttelte ihn dann, den Blick auf die Männer gerichtet. Doch sie schien sie nicht zu betrachten, denn wie auch ihr Blick war ihre Stimme abwesend.

„Vielleicht ja doch."

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Well, das war es mit den Ferien. Adieu, Criminal Minds, hallo, homeschooling.

Over and Out,
DasLebenLesen

11/01/2021

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