Isabel [8]
•:•.•:•.•:•:•:•:•:•:•:•☾☼☽•:•.•:•.•:•:•:•:•:•:•:•
„Ich fühle mich schon fast wieder wie ein Mensch!"
Mit einem Grinsen nickte ich, dann machte ich mich daran, einen Knoten aus ihren langen Locken zu kämmen. Vor gut einer Stunde, kurz nach Sonnenaufgang, hatte es an der Tür unserer Hütte geklopft und Elen hatte uns einen ziemlich großen Eimer Wasser hereingetragen. Dann hatte sie uns noch ein paar Tücher, etwas Seife und einen Kamm gebracht und uns mit dem leichtesten Anflug von einem Lächeln versprochen, darauf zu achten, dass niemand vorbeikam, solange wir uns wuschen.
Ich mochte sie jetzt schon. Dennoch beschlich mich die Sorge, ob sie auch noch so nett sein würde, wenn sie erfuhr, dass ich eine Prinzessin war. Ich konnte mir nämlich gut vorstellen, dass die Fae meinen Vorfahren nicht unbedingt nur positiv gegenüberstanden, denn das ein oder andere Gedicht, dass Drysden und gezeigt hatte, hatte Spannungen zwischen den Anführern angedeutet.
Doch ich hielt weiter an der Entscheidung fest, so lange wir möglich meine Identität zu verbergen. Nicht nur waren Leute zutraulicher, wenn sie sich mit jemandem unterhielten, den sie für gleichgestellt hielten. Auch waren die Erwartungen geringer und ich würde mich freier bewegen können.
„Wenn du die Strähne weiter so kämmst, wird sie noch abfallen."
Ich verzog das Gesicht und ließ den Kamm sinken.
„Tut mir leid, ich war in Gedanken."
Mit einem Ächzen drehte Cara sich um, bis sie mich ansehen konnte. Wir saßen auf einem der Betten in der Hütte, nur in unseren Unterkleidern, da wir versucht hatten, die anderen Gewänder etwas zu waschen. Meine beste Freundin legte den Kopf schief, sodass die noch nassen Locken feuchte Spuren auf ihrem Gesicht hinterließen, dann lächelte sie vorsichtig.
„Du weißt, dass du nicht die ganze Verantwortung allein trägst, nicht wahr?"
Mit einem kleinen Stirnrunzeln nickte ich.
„Natürlich weiß ich das. Wir wären nie so weit gekommen, wenn wir nicht alle zusammengearbeitet hätten."
„Gang genau. Deswegen darfst du auch nicht vergessen, dass wir dir auch jetzt zur Seite stehen. Du musst nicht allein mit allem fertig werden."
Ich senkte den Blick und machte mich daran, ein paar Haare aus den Haken des Kamms zu befreien.
„Was, wenn sie uns nicht helfen wollen?", fragte ich schließlich leise.
Die Frage hatte mir schon eine Weile auf dem Herzen gelegen, doch der gestrige Tag hatte sie verstärkt. Zwar waren Tanyth, Elen und Katar und freundlich gesinnt gewesen, doch diese Nieven hatte sich nicht für uns erwärmt. Wenn eine Führungsposition sich gegen uns Aussprach, dann würden andere folgen. Und selbst wenn die Königin uns gut gesinnt war – falls wir sie überhaupt treffen würden – so lag doch in den Sternen, ob sie sich gegen den Willen ihrer Untergebenen stellen würde. Aber schon nach dem Wenigen, was ich aus den Geschichten erfahren hatte, stellte ich das ernsthaft in Frage.
Etwas weiches, schweres landete auf meiner Schulter. Als ich überrascht den Kopf drehte, begrüßten mich wieder feuchte Locken, die in der Nase kitzelten.
„Wir wissen nicht, wie sie entscheiden werden, also sollten wir uns darüber auch noch keine Gedanken machen. Und selbst wenn die Fae uns ablehnen und wir sie nicht von uns überzeugen können, so haben wir es zumindest versucht. Das ist mehr, als dein Vater getan hätte."
Ich verzog das Gesicht bei der Erwähnung meines Vaters. Egal wie sich die Fae entscheiden würden, ich war mir sicher, dass mich eine Standpauke zuhause erwarten würde. Nicht nur hatte ich ihn belogen, was die Route anging, auch hatte ich mich ihm entzogen. Das würde ihm sicher nicht gefallen.
Bei dem Gedanken stieß ich ein Seufzen aus und Cara drückte, wie zur Antwort, ihren Kopf ein wenig fester auf meine Schulter. Das Gewicht war beruhigend und so entspannte ich mich für ein paar Minuten, konzentrierte mich auf meine Atmung und versuchte, an gar nichts zu denken.
Als meine beste Freundin mich schließlich anstieß, damit wir uns anzogen, war ich so entspannt, dass mir die Fäden meines Kleides zweimal entglitten. Cara lachte mich dafür bloß aus, dann warf sie mir die Scheide meines Schwertes zu. Gerade noch rechtzeitig griff ich danach, sonst hätte das Schwert womöglich die elegante Schale voller Obst vom Tisch gestoßen. Gerade, als ich das letzte Messer in den Schwertgurt schob, klopfte es an der Tür.
„Das Schiff ist bereit für die Überfahrt."
Ich ließ meinen Blick kurz zur Tür gleiten, dann wandte ich mich Cara zu, deren Augen zu funkeln schienen.
„Auf geht's!"
Ich straffte die Schultern und warf einen letzten Blick durch das Zimmer, dann trat ich vor und öffnete die Tür. Blinzelnd machte ich einen Schritt hinaus, dann einen zweiten. Es war mittlerweile hell draußen, die Sonne bereits hoch am Himmelszelt. Dennoch war es warm, nicht heiß, was auch an der leichten Brise lag, die wehte.
Auf dem kleinen Platz vor den Hütten warteten die anderen bereits. Yan hatte die Schultern hochgezogen und verzog das Gesicht, als hätte er etwas saures gegessen, während Andrej neben ihm irgendetwas in seinen Bart brummte. Drysden schenkte ihm dafür ein kleines, erheitertes Lächeln, das mich unwillkürlich den Atem anhalten ließ.
Mein Blick ruhte ein wenig zu lang auf dem Baron, denn als ich schließlich zum letzten Mitglied in der Runde blickte, Emerald, schenkte dieser mir ein wissendes Lächeln und zog eine spöttische Augenbraue in die Höhe.
Augenblicklich verschlechterte sich meine Laune, dennoch versuchte ich mich an einem fröhlichen Gesichtsausdruck, während ich auf Elen zutrat, die einige Schritte entfernt wartete.
„Ich denke, wir wären dann so weit."
Mit einem leichten Nicken deutete sie auf den Pfad, den wir den Abend zuvor genutzt hatten.
„Begleite mich doch ein Stück."
Ich versuchte mich an einer neutralen Miene, während wir loszogen, die anderen ein paar Schritte hinter uns. Als ich mich umdrehte, um sicherzustellen, dass die anderen uns auch folgten, fing ich kurz Drysdens Blick auf, der mir zunickte. Die Geste war Beruhigung und Aufforderung zugleich. Das hier war meine Show.
„Ich möchte dich warnen, Isabel. Bemästra Nieven ist manchmal eigen, aber sie hält viel Macht und ist euch nicht positiv gesinnt."
Sie senkte die Stimme, bis ich mich anstrengen musste, um über dem lauten Pochen meines Herzens noch etwas zu verstehen.
„Ich weiß nicht, wie viele noch denken wie sie. Aber es sind nicht wenige, also stellt euch darauf ein, nicht von jedem mit herzlichen Worten empfangen zu werden. Ich bin mir sicher, dass Idan'shin euch anhören wird, aber denkt nicht, dass sie euch ohne guten Grund helfen wird."
Das warme Gefühl, dass sich nach dem Gespräch mit Cara in meiner Brust breit gemacht hatte, verschwand wieder so schnell wie es gekommen war. Tatsächlich fühlte es sich nun mehr an wie ein Schlag in den Bauch, der die Luft aus meinen Lungen presste. Und da sagte man, dass Hoffnung zuletzt sterben würde. Dennoch zwang ich mich zu einem neutralen Tonfall und beugte dankend den Kopf.
„Vielen Dank für den Rat, Elen. Das weiß ich zu schätzen."
Stille kam über uns und ich nutzte die Zeit, mich umzusehen. Entgegen meiner Erwartung war nicht mehr los als in der Nacht zuvor, auch nicht, als wir auf die Hauptstraße bogen. Hier und da standen die Türen der Hütten offen oder der Duft nach Gebäck strömte durch ein geöffnetes Fenster, aber eine weitere Fae erblickte ich nicht.
„Die Havssangare sind ein geschäftiges Volk. Die meisten werdet ihr in der Nähe des Sees erblicken", erklärte Elen, die meinen neugierigen Blick gesehen haben musste.
Beschämt, dass ich mich so leicht verraten hatte, nickte ich und richtete den Blick nach vorne. Und tatsächlich, nach ein paar Minuten erkannte ich Figuren in der Nähe des Sees, der sich weit über den Horizont erstreckte. Es dauerte noch ein paar weitere Minuten, bis ich erkannte, dass unter ihnen auch Nieven war. Die Frau stand groß und stolz neben einem kleinen Boot, dessen Segel beinah so breit und doppelt so hoch war.
Zu meinem Erstaunen erkannte ich, dass die Konstruktion weder Ruder noch ein Steuer besaß, der Mast des Segels aber in der Brise sanft hin und her schwang. Als sie und erblickten, hoben einige der umherlaufenden Fae die Blicke, doch die meisten schienen entweder desinteressiert oder schlichtweg zu beschäftigt zu sein, um uns lange zu betrachten.
Das war auch gut so, denn sonst wäre ich meinerseits versucht gewesen, die Männer und Frauen näher zu betrachten. Stattdessen konnte ich all meine Konzentration auf Nieven richten, die uns kaum Beachtung schenkte, während sie Elen etwas mit harschem Ton sagte. Diese nickte und senkte den Kopf, dann drehte sie sich zu mir.
„Bemästra Nieven ist auch bereit, über zu setzen. Wir warten nur noch auf einen zweiten Steuerer, dann geht die Reise los. Auf der anderen Seite werden euch die Skuggdykare empfangen und zu Idan'shin führen. Keine Sorge, sie sind ein sehr zuvorkommender Clan, der gerne hilft. Sie werden euch sicherlich herzlich begrüßen."
„Vielen Dank, Elen."
Sie lächelte, dann verbeugte sie sich.
„Es war mir eine Ehre. Ma vagorna för oss en gang till."
Mit diesen Worten erhob sie sich aus der gebeugten Haltung. Doch statt direkt zu gehen, zögerte sie einige Augenblicke und warf einen Blick auf den See. Sie schien mit sich zu kämpfen, ihr Gesichtsausdruck voller Sehnsucht. Dann jedoch schüttelte sie sich und marschierte mit festen Schritten davon. Mit mulmigem Gefühl blickte ich der sich entfernenden Gestalt hinterher, dann wandte ich mich Nieven zu, die ungeduldig auf den Füßen wippte. Als sie meinen Blick auffing, verzogen sich ihre Lippen kurz zu so etwas wie einem missbilligenden Blick, dann deutete sie auf das Boot.
„Nach euch."
Mit vorsichtigen Schritten trat ich auf das seltsame Boot. Die anderen folgten mir, doch Nieven schien das nicht schnell genug zu gehen, denn sie drängte sich harsch an Yan vorbei, der prompt mit den Armen ruderte, um nicht über den Rand des Bootes, das nicht für so viele Leute gemacht schien, zu fallen. Nieven schien der Gedanke nicht zu beunruhigen, denn sie deutete stattdessen auf den Rand des Bootes.
„Setzt euch."
Ich warf einen zweifelnden Blick auf die Stelle, auf die sie deutete, doch zu meiner Überraschung erkannte ich nicht den nackten Holzboden, sondern eine Art Bänke, die den Rand säumten. Langsam ließ ich mich auf eine davon sinken, Cara mir gegenüber. Auch die anderen folgte, bis wir zwischen dem Segel und Nieven standen. Diese rollte derweil die Schultern und warf einen Blick nach hinten. Dabei rief sie etwas, was ein Mann, der mit schnellen Schritten über das Dock lief, erwiderte.
Mit einem Ruck entfernte er das schmale Brett, das wir zum Einstieg genutzt hatten, dann machte er einen erschreckend großen Sprung und landete leichtfüßig auf dem Boot, sodass es nur leicht schaukelte, statt wild zu wippen, wie ich angenommen hatte.
Vorsichtig löste ich meine Finger von dem Bootsrand, an dem ich mich instinktiv festgehalten hatte, dann beobachtete ich mit wachsender Verwunderung, wie auch der Mann sich aufzuwärmen schien. Nieven und er unterhielten sich weiter in dieser seltsamen Sprache, die Stimmen gesenkt. Dann plötzlich wandte sie sich an uns.
„Ihr solltet sitzen bleiben und euch bei der Fahrt so wenig wie möglich bewegen. Ich will mich nicht vor Idan'shin dafür verantworten müssen, dass einer von euch über Bord gegangen ist."
Sie wartete keine Antwort ab, sondern hob die Hände, bis diese auf das Segel gerichtet waren. Dann schloss sie für einige Sekunden die Augen, die Stirn leicht gerunzelt. Einige Zeit lang passierte nichts und ich erwartete schon, dass der Mann gleich eingriff, doch dann, ganz sanft, sodass ich es zuerst kaum merkte, nahm der Wind zu, bis er schließlich um uns herum zu peitschen schien.
Ein wenig besorgt warf ich einen Blick auf die Fae, die noch immer am Steg arbeiteten, doch keiner von ihnen schien das wilde Peitschen zu spüren. Während meine Haare mir in die Augen geweht wurden, warf ich Drysden neben mir einen Blick zu, doch der schien mich gar nicht zu bemerken. Stattdessen wart all seine Konzentration auf die Fae gerichtet, die noch immer ihre Hände auf das Segel richtete.
Als ein Ruck durch das Boot ging, fasste ich ein weiteres Mal nach dem Bootsrand, nur um diesen vor Schreck fast zu verfehlen, als Nieven die Augen öffnete, die beinah unnatürlich strahlten. Gerade rechtzeitig bekam ich Drysdens Arm zu fassen, bevor ich aus dem nun auf dem Wasser gleitenden Boot fiel. Dabei ließ ich die Frau keine Sekunde lang aus den Augen, während ihre Finger sich in sanften Drehungen bewegten, manchmal begleitet von einer Drehung des Handgelenks.
Der Wind schien darauf zu reagieren, denn jede Bewegung veränderte die Richtung, aus der meine Haare mir ins Gesicht geweht wurden, während wir langsam an Fahrt aufnahmen, bis das Wasser um uns immer wieder in kleinen Sprühnebeln auf uns niederging.
Hatte ich bis hierher auch noch leise gezweifelt, war mir nun klar: Das hier waren die Fae, die wundersamen Wesen, von denen all die Märchen und Gedichte geschwärmt hatten. Selbst Yan, der alte Zweifler, konnte das nun nicht mehr leugnen.
•:•.•:•.•:•:•:•:•:•:•:•☾☼☽•:•.•:•.•:•:•:•:•:•:•:•
Wer hätte das gedacht? Noch ein pünktliches Update.
Over and Out,
DasLebenLesen
12/07/2021
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top