Isabel [12]
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„Was ist denn bei dem los?"
Ich schüttelte den Kopf, als ich Yans verwunderten Blick auffing. Denn ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, was Drysden hatte. Er hatte überragend gegen Baylor gekämpft. Selbst die Fae, die neugierig den Kampf verfolgt hatten, hatten beeindruckt gewirkt.
„Sollten wir hinterhergehen, um sicherzustellen, dass es ihm gut geht?"
Andrej klang so unsicher, wie ich mich fühlte. Dennoch wusste ich, dass die anderen eine Antwort von mir wollten. Ob ich sie nun kannte oder nicht, irgendjemand musste die Entscheidung treffen.
„Lassen wir ihm etwas Freiraum. Wenn er sich morgen noch so verhält, dann können wir uns etwas anderes überlegen."
Mit einem letzten Blick in die Richtung, in die Drysden verschwunden war, drehte ich mich zu den anderen um. Zufälligerweise geriet der Berater dabei direkt in mein Blickfeld. Baylor sprach mit ein paar anderen Fae, die ebenfalls ihre Waffen säuberten. Als würde er meinen Blick auf sich spüren, drehte er sich um und unsere Blicke trafen sich. Ich war mir sicher, dass ich mir das kleine, wissende Lächeln nicht einbildete, das er dabei auf den Lippen trug.
Doch so schnell wie er sich auch zu mir umgewandt hatte, so schnell drehte er sich wieder weg. Dann sagte er etwas zu den anderen Fae, die nickten, und legte seine Waffe weg. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ er den Platz, seine Haltung so entspannt, als hätte er gerade einen kleinen Spaziergang hinter sich.
Ein kleiner Stoß an meiner Schulter erst ließ mich wegsehen. Cara schüttelte den Kopf, sodass ihre langen Locken nur so flogen. Dann setzte sie sich in Bewegung, um Yan und Andrej zu folgen, die mit schweren Schritten Nyan folgten. Seufzend hob ich meinen Mantel auf, der seit dem Morgen vergessen in einem kleinen Häufchen auf mich wartete, und folgte den anderen.
Nyan führte uns zielsicher in den Wald hinein. Erst nach einigen Minuten bemerkte ich, dass er einen anderen Weg nahm als auf dem Hinweg. Doch um ihn danach fragen zu können, hätte ich schneller gehen müssen, wofür mir die Energie fehlte. Ich war mir sicher, dass ich es Drysdens Training zu verdanken hatte, dass ich überhaupt den ganzen Tag ausgehalten hatte. Wie Soldaten jeden Tag trainieren konnten, war mir unbegreiflich.
Langsam lichtete sich das dichte Blätterdach über uns, bis wir auf einer neuen Lichtung ankamen. Für einige Sekunden fürchtete ich, dass wir hier doch noch weiter trainieren würden, doch da fiel mein Blick auf die langen Tische, die auf dünnen Holzplanken standen, an denen Fae saßen und aßen. Das Knurren meines Magens, das folgte, als mir der Geruch von warmem Apfel in die Nase stieg, war schon beinah peinlich.
Doch Cara neben mir schien genauso begeistert zu sein. Mit schnellen Schritten schloss sie zu den anderen auf, die bereits auf einen Tisch am Rand der Lichtung zusteuerten. Ich zögerte einige Sekunden, bevor ich aufschloss. Denn Drysden hatte wie wir alle kaum etwas gegessen. Aber dann siegte der Hunger. Es würde ihm nichts bringen, wenn ich nichts aß, also schloss ich auch zu den anderen auf und bediente mich an der reichen Auswahl, die Auslag.
Mit einer vollen Platte Brot, Aufstrichen und in Schokolade gewälzten Früchten ließ ich mich dann auf eines der Kissen fallen, die um die niedrigen Tische herumlagen. Gefräßiges Schweigen herrschte, während wir alle unsere Portionen vertilgten. Erst als ein Schatten auf uns fiel, bemerkte ich Nyan, der mit seiner eigenen Platte neben uns stand. Er sah überraschend nervös aus, während er auf einen freien Platz deutete.
„Macht es euch etwas aus, wenn ich mich dazu setze?"
Sofort schüttelte ich den Kopf und er ließ sich sinken. Währenddessen beeilte ich mich, hastig den letzten Bissen herunterzuschlucken.
„Hast du schon lange dort gestanden?"
Er schüttelte den Kopf, dann schob er sich ein Stück Brot in den Mund. Bedächtig kaute er, dann räusperte er sich.
„Ich habe Drysden eine Platte zusammengestellt, damit er auch etwas essen kann. Ein Freund bringt sie ihm gerade."
Ein wenig beschämt, weil ich nicht daran gedacht hatte, bedankte ich mich. Dann fiel Stille über uns, die erst Yan wieder brach.
„Möchte mich vielleicht auch jemand vorstellen?"
Bevor ich antworten konnte, verdrehte Cara die Augen. Dann deutete sie auf ihn.
„Nyan, das ist Yan. Yan, das ist Nyan. Er trainiert uns. Zufrieden?"
Jetzt war es an Yan, die Augen zu verdrehen, während Nyan den Kopf zum Gruß senkte. Dann richtete er seinen Blick auf mich.
„Euer Freund, Drysden, hat sehr gut gekämpft."
So etwas wie stolz stieg in mir auf, doch ich gab mir beste Mühe, es nicht zu zeigen. Es reichte schon, dass all meine Freunde zu wissen schienen, dass ich an Drysden interessiert war. Ein Fae musste das nicht auch noch erfahren.
„Er war eine Weile der Captain der Königsgarde. Das sind die besten Krieger, die es in Ensomniya gibt."
„Und er war der Beste", bestätigte Andrej mit einem enthusiastischen Nicken meine Worte.
Überrascht zog Nyan eine Augenbraue in die Höhe.
„Ja? Und warum ist er es dann nicht mehr dort?"
Ich klappte den Mund zu, den ich schon für eine Antwort geöffnet hatte. Denn, um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung. Auch die anderen schüttelten ratlos den Kopf, als Nyan sie ansah. Der zog schließlich eine Augenbraue in die Höhe.
„Ihr habt keine Antwort darauf? Ich dachte, ihr wärt Freunde."
„So weit würde ich nicht gehen", murmelte Yan, woraufhin Cara ihm einen überraschend düsteren Blick zuwarf.
Doch er hatte recht. Drysden und Yan waren, meines Wissens nach, keine Freunde gewesen, bevor wir losgezogen waren. Und auch in den letzten Wochen hatten sie nicht gerade viel miteinander zu tun gehabt, obwohl wir ständig zusammen waren.
Leider aber konnte ich die Ausrede nicht nutzen. Denn ich war bereits mein ganzes Leben lang mit ihm befreundet und hatte im letzten Jahr quasi täglich mit Drysden Zeit verbracht. Man sollte meinen, dass ich wusste, was los war. Doch außer wilden Gerüchten von bösen Zungen hier und da hatte ich keine Ahnung, warum Drysden plötzlich zum Lehrmeister geworden war.
„Wir sind Freunde", erklärte da Andrej, bevor ich mir eine Antwort ausdenken musste, mit fester Stimme.
„Und als Freund ist es meine Aufgabe, ihn sein zu lassen. Wenn er mir nicht sagen will, was los ist, dann zeige ich ihm, dass das in Ordnung ist. Und wenn er mit mir darüber reden will, dann höre ich zu und unterstütze meinen Freund. Bisher hat Drysden geschwiegen, also werde ich auch schweigen, bis er bereit ist, mir zu erzählen, was passiert ist. Alles andere wäre nicht richtig."
Seine Worte klangen so aufrichtig, dass ich nur nicken konnte. Dennoch stieg einmal mehr Scham in mir auf. Denn ich hatte Drysden öfter als einmal versucht zu überreden, mir zu erzählen, was los war. Ich hatte versucht, Andrej und auch meinen Bruder nach Details zu fragen, in der Hoffnung, endlich dieses Rätsel zu lösen. Doch Drysden war kein Rätsel, sondern ein Mensch. Es war anmaßend von mir gewesen, zu denken, ich hätte das Recht, alles über Drysden wissen zu dürfen.
„Dann soll es so sein", beschloss Nyan mit einem Nicken.
Damit war das Gespräch erledigt und wir kehrten zu unserem Essen zurück. Trotzdem konnte ich den Gedanken nicht abschütteln, dass ich eine grässliche Freundin gewesen war. Gedankenverloren aß ich, bis nichts mehr auf meinem Teller war. Dann erhob ich mich, sodass die leisen Gespräche, die unter den anderen entstanden waren, abrupt stoppten.
„Ich bin wirklich müde, darum würde ich mich gerne jetzt schon für die Nacht zurückziehen. Ich hoffe, dass ihr erholsam schlafen könnt. Bis morgen früh."
Die anderen wünschten mir ebenfalls eine gute Nacht, auch wenn ich sehen konnte, dass sie verwirrt waren. Ich blieb normalerweise, bis alle anderen fertig waren und ging als letzte. Als ich aus dem Augenwinkel sah, wie Cara die Stirn in Falten legte, beeilte ich mich, mit Nyan zu sprechen. Ich war mir sicher, dass Cara mir anbieten wollte, mich zu begleiten, doch heute musste ich alleine sein.
„Gibt es einen Pfad, dem ich folgen kann, um zurückzukehren?"
Er runzelte die Stirn, dann hob er einen Arm an und winkte einen Fae heran, der einige Meter entfernt gestanden hatte.
„Gehst du zurück?"
Der andere Fae sah stur zu Nyan, ohne auch nur einen Blick auf uns zu richten, als er nickte.
„Zeigst du dann Prinzessin Isabel den Weg zurück?"
Kurz wirkte der Fae, als wolle er widersprechen, aber dann verdrehte er die Augen und stapfte los, ohne sich noch einmal umzudrehen. Überrascht sah ich zu den anderen, dann beeilte ich mich, mit dem Mann mitzuhalten. Er war einer der größeren Fae, denen ich bisher begegnet hatte, entsprechend große Schritte tat er. Ich selbst war keinesfalls klein, dennoch musste ich beinah rennen, um mit ihm mitzuhalten.
„Mein Name ist Isabel. Darf ich fragen, wie du heißt?"
„Nein."
Kurz und knapp also.
„Okay, Nein, kannst du mir dann vielleicht sagen, wie lange etwa der Weg zurück dauert?"
Der Mann warf mir einen irritierten Blick zu, dann beschleunigte er seine Schritte ein weiteres Mal, als versuche er, mich abzuschütteln. Aber ich blieb hartnäckig an ihm dran, nicht bereit, so leicht aufzugeben.
„Weißt du, Nein, wenn du langsamer gehen würdest, wärst du vielleicht nicht so außer Atem."
„Ich bin nicht außer Atem!", empörte er sich da.
Zufrieden versuchte ich, mein Lächeln zu verbergen. Männer waren also überall gleich.
„Und warum antwortest du mir dann nicht?"
„Weil deine Fragen keine Antwort wert sind."
„Und dennoch hast du mir jetzt gerade geantwortet. Also sag mir, Nein, was ist der Unterschied zwischen dieser und der letzten Frage, die du unbeantwortet gelassen hast?"
„Es dauert vielleicht fünf Minuten. Und ich heiße Oska."
„Vielen Dank für die Auskunft, Oska."
Die einzige Antwort, die ich darauf bekam, war ein leises Brummen, doch das konnte meine Stimmung nicht trüben. Erst, als wir zwischen den Bäumen hervortraten und mein Blick auf den Weg fiel, der uns zu meinem Baumhaus führen würde, sank meine Laune. Vor meinem Haus angekommen verabschiedete ich mich von Oska, der nur mit düsterer Miene nickte, als hätte ich ihm gestanden, seinen Hund ermordet zu haben.
Ich trat ein in mein Baumhaus, dann blieb ich in dem dunklen Vorraum stehen. Licht drang durch die dünnen Fenster hinein, aber geblockt durch die hohen Bäume, sodass die Treppe nur wie ein dunkler Schemen wirkte. Unentschlossen sah ich hinauf. Es wäre so einfach, hinaufzusteigen, mir ein warmes Bad einzulassen und den Tag zu vergessen.
Doch ich zögerte.
Denn ich hatte den anderen gesagt, wir sollten Drysden in Ruhe lassen. Meinen eigenen Rat nicht zu befolgen, wäre töricht. Und trotzdem. Der Gedanke, wie Drysden alleine in seinem Baumhaus saß, behagte mir nicht.
Also atmete ich ein letztes Mal tief durch, in der Hoffnung, damit die Nervosität in mir herunterzuschlucken, dann öffnete ich meine Tür ein weiteres Mal und trat zurück auf den Weg. Mit schnellen Schritten, weitaus entschlossener, als ich mich fühlte, lief ich dann auf Drysdens Baumhaus zu. Es lag nicht weit von meinem entfernt, sodass ich nach nur wenigen Minuten ankam.
In den oberen Zimmern brannte noch Licht, also ließ ich mir keine Zeit, zu zögern, und klopfte an, bevor der Mut mich verließ. Dann wartete ich. Und wartete. Und niemand kam.
Dann plötzlich, gerade als ich gehen wollte, schwang die Tür auf. Vor Schreck trat ich einen Schritt zurück, als Baylor mich mit hochgezogener Augenbraue musterte. Dann warf er mir ein kleines, schon beinah spöttisches, Lächeln zu.
„Guten Abend, Hoheit."
Sprachlos sah ich ihm hinterher, als er an mir vorbeilief. Erst als er in den Schatten verschwunden war, fühlte ich mich, als könnte ich mich wieder bewegen. Und wie ich das konnte.
Mit schnellen Schritten trat ich ein, schloss die Tür hinter mir und beeilte mich dann, die Treppe hinaufzukommen. Auf dem obersten Treppenabsatz angekommen wandte ich mich dem Raum zu, denn hier hatte ich zuvor Licht gesehen. Und tatsächlich saß Drysden hier oben, die Beine auf dem Bodenkissen verschränkt, und hielt etwas in den Händen, was er zu betrachten schien.
Bevor ich einen genaueren Blick darauf werfen konnte, schoss sein Kopf in die Höhe und er sah mich verwundert an, während er den Gegenstand unter dem Tisch verschwinden ließ.
„Was machst du denn hier?"
Mit langsamen Schritten näherte ich mich ihm, dann ließ ich mich auf das Kissen ihm gegenüber sinken.
„Ich denke, wir müssen reden."
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Over and Out,
DasLebenLesen
31/01/2022
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