Isabel [10]

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Ich erstarrte in der Bewegung. Woher wusste sie das? Ich hatte in den letzten Tagen vermeiden wollen, meinen Titel zu nutzen und so Einfluss zu nehmen. Wenn ich etwas erreichte, dann, weil ich überzeugend war und nicht wegen meines Titels. Außerdem hatte ich keine Erwartungen oder Vorurteile im Weg haben wollen.

„Prinzessin?"

Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse und warf dem Piratenkapitän einen Blick aus dem Augenwinkel zu. Seine Miene war schwierig einzuschätzen, doch ich war mir sicher, dass ich so etwas wie Unglauben darin erkennen konnte.

Doch das sollte jetzt nicht meine größte Sorge sein, also wandte ich mich vollends der Königin zu, die mich mit schief gelegtem Kopf musterte. Es war schon beinah gruselig, wie ihr Gesichtsausdruck, auch wenn er freundlich wirkte, keine Emotionen verriet. Der Fae neben ihr hingegen schien diesen Moment förmlich auszukosten, wenn das winzige Schmunzeln auf seinen Zügen ein Indikator sein konnte.

„Es ist mir ebenfalls eine Ehre, hier sein zu dürfen", erwiderte ich schließlich mit einer vorsichtigen Verneigung.

Das schien die richtige Antwort zu sein, denn sie ließ sich mit einem Nicken sinken. Einige Meter entfernt von ihr schien sich der Boden plötzlich zu bewegen, dann wuchs dunkles Holz empor. Mit einer weiten Geste deutete sie darauf.

„Bitte setzt euch doch. Nach den letzten Tagen müsst ihr des Stehens müde sein."

Mit einer weiteren Senkung des Kopfes, um meine Dankbarkeit für die Geste auszudrücken, trat ich vor. Dabei entging mir nicht, dass einer dieser provisorischen Hocker ein Stück weiter vorne stand als die anderen. Betont ruhig ließ ich mich darauf nieder, den Rücken durchgedrückt, die Beine fest auf den Boden drückend. Dann wartete ich ein paar Sekunden, bis ich sicher war, dass auch die anderen Platz genommen hatten.

Gerne wäre ich mit all meinen Fragen herausgeplatzt. Was genau konnten die Fae alles? Stimmte es, dass sie unsterblich waren? Was hatte es mit dem Pakt mit den Piraten auf sich? Doch ich geduldete mich und stellte stattdessen die offensichtlichste Frage.

„Entschuldige bitte, aber wie kommt es, dass du meine Herkunft kennst? Ich habe in den letzten Tagen kein einziges Wort darüber verloren."

Mir war bewusst, dass ich womöglich wie eine Betrügerin auf sie wirken könnte, schließlich hatte ich meine Identität bewusst zurückgehalten. Doch sie wiegte nur sanft den Kopf von einer Seite zur anderen, während sich der Hauch eines Lächelns auf ihrem Gesicht abbildete.

„Versteh mich nicht falsch, Isabel, aber ich informiere mich gerne, wenn ich erfahre, dass Menschen ihren Weg in mein Reich finden. So habe ich übrigens auch Emerald gefunden."

Das Lächeln, das sie dem Piraten zuwarf, war beinah spielerisch, während er sich weigerte, in ihre Richtung zu blicken. Dann jedoch schenkte er mir einen überaus dunklen Blick.

„Vielen Dank für die Warnung, übrigens. Es hätte mich nämlich durchaus interessiert, wen ich da transportiere", murmelte er dann zwischen zusammengebissenen Zähnen.

„Und was hätte dir das gebracht?"

Die Stimme war tiefer und ein wenig monoton, dennoch klang sie auch höhnisch. Ich warf dem Fae neben der Königin einen Blick zu, doch seine Augen waren ganz auf Emerald gerichtet. Er lehnte an dem Geländer, immer noch etwas abseits, doch ich war mir sicher, dass er sich keinesfalls aus dem Gespräch ausklinkte. Viel eher wirkte er wie ein Beobachter, bereit, sich immer wieder einzumischen, wenn es gefordert wurde.

Einige angespannte Sekunden verstrichen, während der Fae auf eine Antwort wartete und Emerald schwieg.

„Nun? Hättest du dann nicht unseren Pakt gebrochen, oder hättest du mehr gefordert, um dich schlussendlich hintergehen zu lassen?"

Zum Ende hin nahm seine Stimme an Härte zu und jede Belustigung verschwand aus seiner Miene. Emerald versuchte starr, seinem Blick standzuhalten, doch schließlich senkte er den Kopf in einer resignierten Geste. Ich atmete erleichtert durch, nicht sicher, was ich bei einer Eskalation der Situation hätte tun sollen. Mich auf Emeralds Seite stellen, weil er uns hergebracht hatte – wenn auch unfreiwillig -, oder auf die Seite der Fae, schließlich wollte ich ihre Hilfe?

„Das reicht, Baylor. Ich denke, der Kapitän weiß sehr gut, was er getan hat. Wir werden später über die Konsequenzen sprechen", erklärte die Königin mit bestimmter Stimme.

Der Fae, Baylor, presste kurz die Lippen zusammen, dann wich jede Emotion auf seinem Gesicht einer gelangweilten Miene und er nickte.

„Sehr schön. Nun Isabel, sag mir, was führt dich her?"

Für ein paar Augenblicke war ich versucht, zu fragen, ob sie das nicht auch wisse, doch ich hielt mich zurück. Das hier war nicht die Zeit für schnippische Antworten und verletzte Gefühle. Also beugte ich mich etwas vor, bemüht, nicht so aufgeregt zu wirken, wie ich mich fühlte. Das hier war vielleicht der wichtigste Moment in meinem bisherigen Leben.

„Ich weiß nicht, wie weit deine Informationen reichen, aber ich fürchte, dass ein weiterer Krieg zwischen Ensomniya und Cidus bevorsteht. Deshalb möchte ich im Namen meines Volkes die Hilfe der Fae erbitten."

Aus dem Augenwinkel erhaschte ich einen Blick auf das Flackern von Emotionen auf Baylors Gesicht, doch sie verschwanden so schnell, dass ich sie nicht zuordnen konnte. Viel wichtiger jedoch war das Mienenspiel der Königin. Bei meinen Worten lehnte sie sich zurück, den Kopf schiefgelegt, während das Kinn auf ihrer Hand auflag.

„Was weißt du über den Krieg, der vor all diesen Jahren gewütet hat?"

Ich zögerte, dann wiederholte ich, was vor allem mein alter Professor mir erzählt hatte. Drysden hatte sich lieber auf die jüngere Geschichte konzentriert, also dauerte es ein paar Sekunden, bis die Erinnerungen in mir aufstiegen.

„Zur Zeit meines Ururgroßvaters, König Anton dem Zweiten, kam es zu Uneinigkeiten zwischen den friedlich lebenden Königreichen Cidus und Ensomniya. Die Bewohner von Cidus hatten zu der Zeit mit einer großen Dürre zu kämpfen und wandten sich an den König von Ensomniya, der jedoch mit einigen Aufständischen und einigen aggressiven Räuberbanden zu kämpfen hatte, weswegen er es sich nicht leisten konnte, Ressourcen zu versenden. Entweder hätte er Soldaten für den Schutz der Güter abziehen müssen, oder er wäre Gefahr gelaufen, dass die Ware von den Räubern abgefangen würde.

Das Königshaus in Cidus sah das als Kränkung an und unterbrach die Kommunikation der beiden Königreiche. Jahre später wurde dann König Anton der Dritte gekrönt. Durch Spione erfuhr der König von Cidus, wie gering das Interesse des Königs an seinem Titel war und so entschloss er sich, Ensomniya für die verweigerte Hilfe büßen zu lassen.

Innerhalb weniger Jahre baute er eine Armee und eine Seeflotte auf, die dazu in der Lage sein würden, Ensomniya zu überrennen. Durch Zufall erfuhr Prinz Isaak, der jüngere Brüder von König Anton, von dem Komplott und mobilisierte alle Streitkräfte, mit deren Hilfe er einen ersten Vorstoß durch Cidus verhindern konnte.

Eine Zeit lang gelang es ihm und seinen Männern, das Reich zu verteidigen, doch ihm wurde klar, dass seine Männer nicht mehr lange durchhalten würden. So schickte er in seiner Verzweiflung eine Gruppe seiner besten Kämpfer los, die sich auf die Suche nach den, in Legenden der Bürger gepriesenen, Fae machten.

Sie fanden dieses Volk, dein Volk, und mit eurer Hilfe dann konnte Cidus vernichtend geschlagen werden. Sie zogen sich zurück und, da sie kooperierten, konnten sie ihre Unabhängigkeit behalten. Lediglich der König wurde durch seinen jüngeren Cousin ersetzt, der sich Ensomniya gegenüber als stabilerer Anführer präsentierte.

Dennoch haben beide Länder seitdem wenig Kontakt und die gemeinsame Vergangenheit liegt schwer. Immer wieder kamen die Gerüchte auf, dass Cidus sich eines Tages rächen würde, doch bis jetzt war das nie mehr als ein Gerücht."

Ich räusperte mich, nachdem ich geendet hatte und drehte mich wieder der Königin zu. Während meiner Erzählung hatte ich meinen Fokus schweifen lassen, bis ich auf das rote Meer aus Blättern gestarrt hatte, vollkommen versunken in der alten Legende.

Nun aber sah ich abwartend zu der Königin, die nachdenklich einen Blick mit Baylor tauschte, der kaum merklich eine Augenbraue in die Höhe zog. Worüber sie sich auch immer dort zu unterhalten schienen, schlussendlich nickte die Königin und drehte sich mir zu. Dabei entging mir die intensive Musterung nicht, die sie nicht nur mir, sondern uns allen zukommen ließ.

„Weißt du, was das Problem an Menschen ist?", wollte sie dann plötzlich wissen.

Ihr Blick, den sie auf mich gerichtet hielt, war überraschend intensiv. Ich spürte, wie mir bei diesen Worten die Haare zu Berge standen und mein Magen etwas tiefer rutschte. Das klang nicht gerade so, als würde sie ihre Unterstützung zusichern wollen.

Langsam schüttelte ich den Kopf, nicht sicher, worauf sie hinauswollte. Doch meine Reaktion beachtete sie sowieso kaum, ihr Blick plötzlich weit entfernt.

„Eure Sterblichkeit."

Verhängnisvoll hingen diese Worte zwischen uns, dann fuhr sie mit leiser Stimme fort, sodass ich mich vorbeugen musste, um sie klar zu verstehen.

„Viele Teile deiner Geschichte sind wahr, aber andere wurden verändert oder weggelassen. Denn diese Aufständischen? Das waren die Bürger deines teuren Reiches, die unter den Steuern der Adeligen litten. Diese Leute hat dein Ururgroßvater herzlos terrorisieren und anfeinden lassen, bis sie aufgegeben haben.

Viele Menschen, die nur etwas zu essen haben wollten, um ihre Kinder durchzubringen, mussten sterben. Und was hat ihr König getan? Ihnen mehr Steuern aufgezwungen, da er ihnen die Schuld an dem Ende der Beziehungen mit Cidus gab.

Es war auch nicht Prinz Isaak, der es gewagt hat, sich den Soldaten zu stellen. Es war eine junge Frau, die älteste Schwester von König Anton dem Dritten. Sie hat jahrelang, trotz all der Missbilligung und Anfeindung, standgehalten. Ihr ist es zu verdanken, dass Ensomniya nun ein freies Land ist. Zum Dank wurde sie wenige Tage vor Kriegsende von einem Auftragsmörder erstochen, den ihr eigener Verlobter aus Eifersucht auf ihre Erfolge angeheuert hat.

Und mein Volk, eure Retter? Eure Dankbarkeit hatte einen hohen Preis. Wir haben uns noch immer nicht von den Verlusten erholt, weder emotional noch in Zahlen. Das ist vermutlich unser Laster, die Schwierigkeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen.

Diese Geschichte, die man heute erzählt, ist eine angepasste, geschönte Version der Ereignisse, verstehst du? Es ist normal, dass sich manche Details ändern, schließlich nimmt jeder ein Ereignis anders wahr. Dennoch aber zeigt es mir, wie es auch dir zeigen sollte, dass dein Volk nicht das ist, für was es sich hält. Und ein Volk, das seine eigene Geschichte nicht wertzuschätzen weiß, das ist auch kein Volk, das ich unterstützen kann."

Sie hielt inne und atmete tief durch, dann sah sie wieder zu mir. In ihrem Blick lag so etwas wie Bedauern, aber auch die Sicherheit, das Richtige zu tun.

„Es tut mir leid, Isabel, aber ich werde mein Volk kein zweites Mal in einen Krieg führen, der nicht mein eigener ist. Ich bin mir sicher, dass du einen Weg finden wirst, in diesem Krieg deine Rolle zu erfüllen, welche auch immer das ist, aber nicht mit meiner Hilfe.

Dennoch möchte ich dich und deine Begleiter dazu einladen, euch ein paar Tage auszuruhen und dann gestärkt aufzubrechen. Wenn du möchtest, kann ich dir etwas mehr über den Krieg und über Cidus erzählen, womöglich hilft dir das. Aber mehr kann ich dir um meines Volkes Willen nicht anbieten."

Für ein paar Sekunden schloss ich die Augen. All die Planung, die Schwierigkeiten für Nichts. Vielleicht hatte mein Vater sein Ziel ja doch erreicht: Ich war weit weg vom Geschehen des Krieges, in Sicherheit. Die Ironie der Situation entging mir nicht. Doch schließlich richtete ich mich wieder auf und öffnete die Augen, um dem Blick der Fae-Königin zu begegnen.

„Ich danke dir für die ehrlichen Worte, Idan'shin. So sehr ich auch bedauere, deine Unterstützung im Gefecht selbst nicht zu haben, würde ich mich doch geehrt fühlen, von dir zu lernen."

Das kleine, unbesonnene Lächeln kehrte zurück auf ihre Lippen, dann nickte sie.

„Dann bitte ich dich nun, noch etwas hier zu bleiben. Dasselbe gilt für Emerald, denk nicht, ich hätte dich vergessen. Der Rest kann sich gerne in den unteren Stockwerken umsehen, solange ihr die Privatsphäre der Bewohner beachtet."

Ich blieb sitzen, während die anderen um mich herum sich erhoben. Cara legte mir sanft eine Hand auf die Schulter und Andrej zögerte ein paar Sekunden, bevor er den anderen die Treppe hinab folgte. Yan rannte förmlich davon, während Drysden eher nachdenklich als traurig wirkte.

Nachdem die anderen die Treppe hinunter verschwunden waren, erhob die Königin ein weiteres Mal die Stimme: „Und nun zu dir, Emerald."

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Over and Out,
DasLebenLesen

23/08/2021

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