Emerald [2]

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Wortlos ließ ich mich gegen das Geländer des Balkons fallen. Das Holz in meinem Rücken war geschmeidig und noch immer warm, sodass sich mein Rücken durch den Mantel hindurch erwärmte. Nicht, dass das nötig gewesen wäre. Die Luft hier draußen war noch immer warm und die Sonne würde sich erst in einer Weile verabschieden, obwohl der Abend bereits fortgeschritten war und die ersten Bäume lange Schatten warfen.

Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich in der Ferne die Musik eines der vielen Feste, die die Fae feierten, hören. Meinen Männern würde dieses sicher gefallen, wenn ich mir den lebensfrohen Klang von Flöten und Rasseln nicht einbildete. Ich konnte nur hoffen, dass sie entweder bei der Attika warteten oder die Wächter aufsuchten, statt eigenständig in den Wald zu laufen. Egal wie oft ich sie warnte, ein paar Idioten hörten nie und mussten dann aufgespürt werden.

Doch, obwohl ich sie und ihre schlechten Witze und das raue Lachen vermisste, gerade waren sie nicht meine Priorität. Also richtete ich meinen Blick auf den Koloss von einem Mann, der ein paar Meter entfernt an einer Säule neben der Tür lehnte und versuchte, nicht allzu schuldbewusst dreinzublicken.

Unter dem dichten Bart konnte man kaum noch die eigentlich sehr jungenhaften Züge ausmachen, die ich mit Andrej verband. Stattdessen wirkte er grimmig, während die breiten Schultern und die große Figur nicht weiter von dem schlaksigen Kerl in meiner Erinnerung hätten entfernt sein können. Natürlich hatte ich gehört, dass er der Armee beigetreten war, was ich ihm nach dem ganzen Ärger nicht übelgenommen hatte, doch konnte das Militär einen Mann so sehr verändern?

Einzig die expressiven Augen erkannte ich. Schon früher hatte man jede seiner Emotionen in ihnen ablesen können und daran hatte sich noch immer nichts geändert. Nun ergab sein seltsames Verhalten, die Art und Weise, wie er mich gemieden hatte, Sinn. Andrej hatte die ganze Zeit gewusst, wer ich war und hatte den Mund nicht aufbekommen, auch nachdem dieses kleine Spielchen längst beendet gewesen war.

Dennoch, das Gefühl in meinem Bauch war nicht Enttäuschung und ganz sicher nicht Wut. Stattdessen zitterten meine Finger geradezu vor Aufregung. Es fühlte sich gut an, einem alten Freund von damals gegenüberzustehen, auch wenn unser letztes Treffen nicht gerade angenehm ausgegangen war. Aber ich war nicht bereit, ihn so einfach vom Haken zu lassen. Ein wenig Spaß war er mir schuldig.

„Ich nehme an, du wusstest die ganze Zeit, wer ich war?"

Ich musste zugeben, ein wenig war ich stolz auf den kalten Tonfall meiner Stimme. Andrej zuckte zusammen, wie ich zufrieden erkannte, dann ließ er den Kopf in so etwas wie einem miserablen Nicken sinken.

„Ja, ziemlich genau von Anfang an. Aber ich musste mich an den Plan halten und danach gab es einfach keinen guten Moment, um mit dir zu sprechen."

Ich stieß ein abschätzendes Schnauben aus, das selbst in meinen Ohren etwas übertrieben klang.

„Sei ehrlich, Andrej: Hättest du es mir überhaupt jemals erzählt?"

Seine Schultern sanken tiefer, falls das überhaupt noch möglich war.

„Ich weiß es nicht, Emerald. Diese Situation ist einfach so vertrackt und ich wusste nicht, was das Beste wäre. Da dachte ich mir nun einmal, dass ich lieber erstmal nichts sage und schaue, wie sich die Sache entwickelt. Aber wie du siehst, wurde mir die Entscheidung wohl abgenommen."

Nun tatsächlich etwas irritiert war das Runzeln meiner Stirn eine natürliche Reaktion.

„Dir wurde gar nichts abgenommen. Du hättest Idan'shin das Blaue vom Himmel herunter lügen können und sie hätte dir geglaubt. Im Notfall hättest du sogar leugnen können, mich zu kennen. Aber das hast du nicht, also hast du auch eine Entscheidung getroffen."

„Ich schätze, dann bin ich wohl kein guter Lügner."

Ein wenig verlegen rieb er sich den Nacken und warf mir einen beschämten Blick zu.

„Das habe ich auch nie behauptet. Du hattest wohl einfach Glück, dass dein Bart den größten Teil deines Gesichts verdeckt und man nicht erkennen kann, was du gerade denkst. Ansonsten wäre wohl eure ganze Unternehmung tragisch gescheitert."

„Aber das ist sie nicht", erwiderte er mit einer Mischung aus noch mehr Verlegenheit und offensichtlicher Zufriedenheit.

Meine unglückliche Miene konnte ich beim besten Willen nicht unterdrücken, genauso wie den genervten Blick in seine Richtung.

„Glaub mir, dessen bin ich mir bewusst."

Ich hatte mich angestellt wie ein gieriges Kind, statt mir die Sache genauer anzusehen. Hätte ich nur nachgedacht, wären mir sicherlich die ganzen Ungereimtheiten aufgefallen. Alleine schon die Tatsache, wie uninteressiert Drysden – der wohl tatsächlich Adelig war – gewesen war oder wie schlecht sich diese Gräfin in Sachen Handarbeit angestellt hatte. Keine Dame würde jemand so ungeschickten anstellen, dessen war ich mir eigentlich bewusst.

Ich schüttelte den Kopf, in dem Versuch, die ekelhafte Mischung an Gefühlen, die in mir aufstieg, zu verdrängen. Ich brauchte weder Scham noch Wut und ganz sicher nicht diese kleine gemeine Stimme in meinem Kopf, die mich an all meine Fehler zu erinnern versuchte.

„Und jetzt denkst du, ich wäre sauer auf dich?"

Andrej hob unentschlossen die Schultern und brummelte etwas in seinen Bart rein. Dann warf er mir einen zutiefst traurigen Blick zu und nickte. Wenn er in diesem Moment etwas gesagt hätte, so war ich mir sicher, hätte es kleinlaut geklungen. Für ein paar Sekunden hielt ich die Fassade noch aufrecht, dann löste ich meine Arme, die ich vor der Brust verschränkt hatte, und lehnte mich mit einem kleinen Lächeln zurück.

„Ich kann nichts mehr dran ändern, Andrej. Du hast gemacht, was du für richtig gehalten hast und ich muss zugeben, es tut gut zu sehen, dass du etwas gefunden hast, dem du dich verschreiben kannst. Also, versteh mich nicht falsch, im ersten Moment war ich alles andere als begeistert – und das bin ich immer noch nicht – aber es ist schön, dich nochmal zu sehen."

Seine Schultern sanken wieder, dann nickte Andrej mit funkelnden Augen.

„Ich bin auch froh, dich gesund und munter zu sehen."

Er schenkte mir ein schiefes Grinsen, dann trat er vor, bis er sich neben mich an das Geländer lehnen konnte. Im Gegensatz zu mir wandte er sich aber den Bäumen zu und starrte in das Dunkel der Zweige, statt das schwache Licht, das aus den Fenstern des Baumhauses drang, zu betrachten.

„Und du bist wirklich nicht sauer?", wollte er schließlich wissen, als sich die Stille zwischen uns zog.

Stumm schüttelte ich den Kopf, dann sank ich tiefer zurück, in der Hoffnung, ein paar Sterne durch das dichte Blätterdach zu erhaschen. Die Sonne war schneller untergegangen als erwartet und nun grüßten die ersten Funken die Nacht.

„Was würde es mir bringen? Wir haben einander früher oft genug geholfen, da sollte so etwas nicht zwischen uns kommen", meinte ich schließlich und warf einen Blick auf seine breite Figur.

Als würde er überlegen, legte Andrej den Kopf schief, dann nickte er. Wieder fiel Stille über uns, bis ich mich mit einem Seufzen und einer Grimasse, als meine Wirbelsäule knackte, umdrehte, bis ich mich auch mit den Unterarmen auf das glatte Geländer lehnen konnte. Andrej schenkte mir ein kleines Schmunzeln, dann wurde er ernst.

„Warum Pirat?"

Ich zuckte mit den Achseln, was vermutlich ein wenig verunglückt aussah, da ich noch immer auf dem Geländer lehnte.

„Was hätte ich sonst machen sollen? Ich denke nicht, dass irgendjemand einen Jungen aus Cidus angeheuert hätte. Und von einem wütenden Mob Soldaten wollte ich auch nicht angegriffen werden, wenn du verstehst, was ich meine. Und die Leute haben mich sowieso schon wegen meiner Herkunft für einen Gauner gehalten, warum mich also dagegen wehren, wenn ich ihnen auch einfach das Geld aus der Tasche ziehen kann?"

Bitterkeit stieg in mir auf, während ich weitersprach.

„Ich habe für diese Leute und ihren Hungerslohn geschuftet. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang habe ich dafür gesorgt, dass sie ein schönes, warmes Bett und ein sorgenfreies Leben haben. Und als es drauf ankam, haben sie mich fallen gelassen und ausgetauscht. Sie sind selbst schuld, wenn ihre Ladungen jetzt nicht mehr ankommen."

Andrej stieß ein zustimmendes Brummen aus, dann stieß er seine Schulter gegen meine. Das war schon früher seine Art und Weise gewesen, Anteilnahme zu zeigen. Nur war er damals noch schmächtig gewesen, weswegen er mich jetzt fast zur Seite schubste. Überrascht stolperte ich einen Schritt zur Seite, dann stieß ich, wenig erfolgreich, zurück, als Andrej mich leise auslachte.

„Und du? Warum das Soldatendasein, wenn du auch in der Heimat hättest bleiben können?"

Nun war es an Andrej, nachzudenken. Dann ließ er den Kopf sinken.

„Es war nicht mehr dasselbe, weißt du? Die Heimat. Ich konnte nicht bleiben und mit ansehen, wie alles, was ich wollte, an mir vorbeizieht. Als dann der Aushang kam, habe ich nicht lange nachgedacht, sondern meine Taschen gepackt. Es war ein hartes Stück Arbeit, hier hinzukommen, aber ich kann mich nicht beschweren. Ich denke nicht, dass ich etwas ändern würde, selbst wenn ich könnte."

Der schwere Tonfall in seiner Stimme traf mich unerwartet hart. Denn irgendwie hatte ich Schuld daran, dass alles für ihn schiefgegangen war. Aber was hätte ich tun sollen? Wir waren noch Kinder gewesen. Niemand hätte von uns erwarten sollen, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Für ein paar Sekunden dachte ich darüber nach, das auch zu sagen. Oder mich zu entschuldigen. Doch dann trat ich mental einen Schritt zurück. Unser erstes Wiedersehen in Jahren, auch wenn es schon alles andere als ideal begonnen hatte, sollte nicht so miserabel weitergehen, wie das letzte geendet hatte.

„Sieh das Positive: Du bist jetzt mit dem Adel bekannt. Das du überhaupt noch Zeit für uns Normalsterbliche hast zeugt wirklich von Charakter."

Dieses Mal war ich vorbereitet, als seine Schulter gegen meine stieß. Dennoch konnte ich die Grimasse nicht verhindern, die sich bei dem harten Kontakt auf meinem Gesicht ausbreitete. Das würde einen blauen Fleck geben, so viel war sicher.

„Jetzt aber mal ehrlich: Wie ist das so?"

Für einige Momente runzelte Andrej die Stirn, als wäre er sich nicht sicher, worauf ich hinauswollte, dann schenkte er mir ein kleines Lächeln.

„Natürlich ist es ungewohnt, Frauen wie Cara mit so viel Macht zu sehen. Aber es ist auch irgendwie ein Hoffnungsschimmer, weißt du? Es wäre schön, wenn auch Frauen wie meine Mutter irgendwann mit so viel Respekt behandelt werden."

Ich nickte, denn ich verstand, was er meinte. Seine Mutter hatte hart gearbeitet, um ihn und seine Geschwister zu ernähren. Bis zuletzt hatten die Leute ihr das Leben schwer gemacht. Als sie dann an einer Infektion gestorben war, hatten niemand auch nur einen Finger gerührt, um Andrej, Wanda und Stash zu helfen.

„Und Drysden ist wirklich in Ordnung, auch wenn er manchmal so ruhig ist. Er ist nicht eingebildet wie es andere sind, die in der Königsgarde gedient haben. Man kann einfach mit ihm reden und sich sicher sein, dass er nichts weitererzählt."

Den Eindruck hatte ich auch gewonnen, auch wenn ich fand, dass er etwas zu schwermütig wirkte. Ein Mann in dem Alter sollte nicht aussehen, als würde er das Gewicht der Welt auf seinen Schultern tragen. Er sollte mit seinem Prinzenfreund durch die Gegend ziehen und die Aufmerksamkeit von adeligen Damen, die eigentlich weit über ihm standen, genießen. Das hätte ich zumindest an seiner Stelle getan.

„Was wollte die Königin eigentlich von dir?"

Es war offensichtlich, dass das Thema Freunde für Andrej abgehakt war, also schluckte ich meine Fragen herunter. Dann verzog ich das Gesicht über die Frage.

„Sie hat mir und meinen Jungs ein paar Rechte gestrichen, aber keine Sorge, wir werden es überleben. Idan'shin ist eigentlich immer fair. Deine Prinzessin wird bei ihr in guten Händen sein, solange ihr euch hier aufhaltet."

Die Erleichterung in seinem Bick zeigte, dass er auch darauf aus gewesen war. Und ich konnte es gut verstehen. Wenn man für jemanden verantwortlich war, dann fiel es schwer, nicht immer auf sie aufzupassen. So ging es mir auch manchmal mit meiner Crew, auch wenn ich das niemals zugeben würde. Die Männer würden mir nie erlauben, dass zu vergessen.

„Ich bin ganz froh, wenn wir noch ein wenig hierbleiben."

Ich hob den Blick von einem Vogel mit leuchtenden Federn, der aufgeregt um ein Fenster herumschwirrte, und blinzelte stattdessen Andrej an, der mit einem verlegenen Lächeln in die Ferne sah.

„Es ist auch mal ganz schön, nicht so viel arbeiten zu müssen."

„Und wie", erwiderte ich mit einem Grinsen, denn auch ich genoss unsere Aufenthalte in Yver.

Hier mussten wir uns nicht verstecken oder ständig auf der Hut sein. Solange wir unsere Beute teilten, waren die Fae so nett, uns in Ruhe zu lassen. Sie waren angenehmer als die meisten Menschen, wenn schon nur dadurch, dass sie sich kein bisschen für uns interessierten.

Manchmal wünschte ich mir, für immer hier bleiben zu können. Doch dann warf ich einen Blick auf die See und die Sehnsucht überfiel mich und ich konnte es kaum erwarten, auf die schwankenden Planken zu steigen und die frische Seeluft zu genießen. Doch so weit war ich noch nicht, also schloss ich die Augen und lauschte weiterhin dem aufgeregten Zwitschern des bunten Vogels.

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Und noch ein Kapitel.

Over and Out,
DasLebenLesen

13/09/2021

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