Drysden [III]
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„Da bist du ja endlich", waren die Worte, mit denen mein Vater mich begrüßte, als ich an dem Morgen nach der Sommerweihung in seine Gemächer eintrat.
Am Vorabend hatte ich ihn erfolgreich vermieden, doch nachdem mich eine Einladung zum Frühstück erreicht hatte, hatte ich mich mit meinem Schicksal abfinden müssen. Es war nicht einmal so, dass mein Vater ein schlechter Mann war. Im Gegenteil, er war der einfühlsamste und liebevollste Ehemann und Vater, den man sich nur wünschen konnte. Und dort lag das Problem.
Denn Baron Dexter Exitura schaffte es, dass ich mich wie ein kleiner, zerbrechlicher Junge fühlte, der den Schutz seines Vaters brauchte. Genau deswegen hatte ich mich so bereitwillig in jeden Kampf gestürzt, in den Prinz Iwo mich geführt hatte, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Denn ich hatte mir und ihm immer etwas beweisen wollen, wollte es noch.
„Dir auch einen schönen guten Morgen", war schließlich meine Antwort, während ich auf meinen Vater zutrat, der bereits seine Arme nach mir ausstreckte.
Überraschend fest für seine schmale Gestalt drückte er mich an sich und ging sogar so weit, von einer Seite zur anderen zu wippen. Ich unterdrückte ein Augenrollen, doch unwillkürlich musste ich grinsen. Denn ich konnte mich wirklich glücklich schätzen, dass mein Vater mich immer und bei allem unterstützte.
Als er mich schließlich losließ, trieb er mich mit einer scheuchenden Bewegung in die Richtung eines bereits gedeckten Tisches nahe dem Fenster. Neugierig ließ ich meinen Blick über das Angebot gleiten, während mein Magen in demselben Augenblick zu grummeln begann. Lachend schob mein Vater mir einen Teller mit aufgeschnittener Mango entgegen und griff selbst nach den Beeren.
Für ein paar Minuten aßen wir schweigend, doch ich war mir bewusst, dass sein Blick immer wieder zu mir glitt. Schließlich seufzte ich und schob mir ein letztes Stück Brot in den Mund, bevor ich den Teller wegschob und mich mit einem Räuspern aufrichtete.
„Wie geht es Mutter?"
Mein Vater ließ sich Zeit mit der Antwort, kaute erst noch und nahm dann einen Schluck des Saftes, auf den er nie verzichtete. Dann verzog er das Gesicht.
„Sie ist am Weg der Besserung, sonst wäre ich nie hergekommen, das weißt du. Aber darüber will ich nicht mit dir reden. Ich habe gehört, dass du in ein paar Tagen wieder ausziehen willst."
Meine Schultern sackten etwas herab. Natürlich würde mein Vater davon erfahren. So sehr seine Majestät auch auf Verschwiegenheit pochte, so oft verriet er auch meinem Vater Staatsgeheimnisse. Die beiden sprachen über alles, angefangen bei dem, was sie zum Frühstück gegessen hatten, bis hin zu ihren tiefsten und geheimsten Gefühlen. Eine Weile lang war ich eifersüchtig darauf gewesen, dann hatte ich geglaubt, in Iwo auch einen solchen Freund gefunden zu haben. Ich hatte mich getäuscht.
Nicht sicher, wie ich antworten sollte, zuckte ich mit den Achseln und rührte stattdessen in meinem Tee. Dabei vermied ich den sorgenvollen Blick, den mein Vater mir zuwarf.
„Ich bin kein kleines Kind, ich kann meine eigenen Entscheidungen treffen."
Mit diesen Worten hatte ich ihm den Wind aus den Segeln nehmen wollen, wie man so schön sagte, doch viel eher klang es nach der Rechtfertigung eines übermütigen Jünglings, der gerade erst zum Erwachsenen geworden war.
„Ich mache mir nur Sorgen um dich, Drys. Dasselbe gilt für deine Mutter."
Da war er, der Tonfall, den ich am meisten hasste. All die väterliche Sorge gemischt mit Schuld, als wäre er verantwortlich für das, was passiert war. Dabei war es lediglich meine Dummheit, gepaart mit verletztem Stolz und einem Haufen Hass, gewesen.
„Ich will nur wissen, dass du dafür bereit bist. Sag mir, dass du auf dich aufpasst und wieder heimkommst. Sag mir, dass du auch für dein eigenes Wohl sorgen wirst. Bitte."
Mit zusammengepressten Lippen hob ich den Blick und fing den traurigen Blick auf, mit dem mein Vater mich bedachte. Er wusste, welche Antwort er bekommen würde.
„Vater, ich..."
„Sag nichts, wenn du mir dieses Versprechen nicht geben kannst", fiel er mir ins Wort.
Ich öffnete den Mund ein weiteres Mal, doch dann schloss ich ihn wieder. Mit einem Mal fiel mein Vater in sich zusammen und wandte den Blick ab. Scham stieg in mir auf, denn ich wusste, wie sehr ich ihn immer wieder enttäuschte. Ein weiterer Grund, weshalb ich das Treffen herausgezögert hatte. Ich konnte es nicht ertragen, ihn so unglücklich zu sehen.
„Geh nicht, bitte. Ich will dich in Sicherheit wissen."
Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen, in dem Versuch, den flehenden Ton meines Vaters zu ignorieren.
„Du weißt, ich werde dich immer unterstützen, so gut ich kann. Aber brich deiner Mutter und auch mir nicht wieder das Herz. Lass Körper und Seele Zeit zum heilen, dann komm nachhause."
Ich schüttelte den Kopf und öffnete die Augen, während dieses beklemmende Gefühl in mir aufstieg, das ich immer bekam, wenn ich an die weiten Wiesen und schlanken Gebäude meiner Heimatstadt dachte. Felder soweit das Auge reichte und Winde, die an dir rissen, wenn du zu Pferd unterwegs warst.
„Ich kann nicht mehr hierbleiben, Vater. Das Schloss erdrückt mich langsam. Und ich bin noch nicht bereit, das Schwert niederzulegen. Wir hatten eine Absprache. Ich werde gesund und dann sehen wir weiter. Es ist soweit und ich habe meine Entscheidung getroffen. Es tut mir leid."
Mit etwas mehr Schwung als nötig erhob ich mich.
„Richte Mutter schöne Grüße von mir aus. Wir sehen uns, wenn das hier vorbei ist. Dann reiten wir durch den Wald und suchen uns eine schöne Lichtung, auf der wir ungestört essen und reden können."
Er seufzte, doch dann erhob er sich und schloss mich ein weiteres Mal in die Arme. Er schien mich noch etwas fester an sich zu pressen und ich presste meine Stirn an seine zitternde Schulter, ebenso noch nicht bereit, ihn loszulassen.
„Komm nur gesund nachhause, das ist mein einziger Wunsch."
Die Stimme meines Vaters brach bei dem letzten Wort und beinah wäre ich eingeknickt und hätte ihm versprochen, zu bleiben, einfach nur, um ihn nicht wieder so gebrochen zu sehen. Zuletzt hatte er vor etwas mehr als einem Jahr so geklungen und damals hatte ich ihm nachgegeben und die Stelle als Lehrmeister für Isabel angenommen, statt dem königlichen Heer als Offizier beizutreten. Doch nicht dieses Mal.
Vorsichtig löste ich mich und schenkte ihm ein kleines, schiefes Grinsen, das er mit einem traurigen Lächeln quittierte. Dann verpasste er mir einen kleinen Schubs.
„Geh schon, ich habe vernommen, dass ein letztes Treffen vor eurer Abreise ansteht. Du solltest nicht wegen deinem alten Herrn zu spät kommen. Wir sehen uns, wenn du heimkehrst."
Für ein paar Sekunden noch blieb ich stehen, dann setzte ich mich langsam in Bewegung. Vor der Tür blieb ich noch einmal stehen und sah zurück zu meinem Vater, der auf einem Sessel platz genommen hatte und auf seine Hände hinabsah. Er schien weit weg zu sein, wie damals. Seufzend trat ich in den langen Flur mit Gemälden der Gründungsväter jeder einzelnen Adelsfamilie. Mit schweren Schritten eilte ich auf mein eigenes Zimmer zu. Das Treffen würde erst in einer Stunde anfangen und ich benötigte dringend Zeit für mich.
In meinem Zimmer angekommen schloss ich einmal mehr ab, dann ließ ich mich rückwärts auf das Bett fallen. Plötzlich erschöpft starrte ich hinauf an die dunkle Holzdecke. Manchmal zog ich mein Tagebuch heraus, um mich zu erinnern. Doch an Tagen wie diesen, an denen ich einmal mehr gesehen hatte, wie die Augen derer, die ich liebte, meinetwegen nicht mehr scheinen konnten, erdrückten die Erinnerungen mich beinah.
„Gott sei Dank, du bist wach."
Verwirrt blinzelte ich, dann drehte ich meinen Kopf zur Tür hin und weg von den Strahlen des hellen Wintermorgens. Ich verspürte den Wunsch, mich zu kneifen, als ich sah, wer dort stand. Doch meine Arme schmerzten, mal ganz abgesehen von meiner Schulter.
„Ich bin gekommen, sobald ich davon gehört habe."
Mit besorgter Miene ließ sich mein Vater auf einen Sessel neben meinem Bett gleiten, während seine rastlosen Augen über meinen Körper glitten, der unter einer dicken Decke verborgen lag. Ich richtete meinen Blick an die Decke, die Freude, die ich normalerweise bei dem Anblick meines Vaters fühlte, vergraben. Mein Gehirn war benebelt von starken Schmerzmitteln, die ein Arzt mir vor gut einer Stunde eingeflößt hatte, und dennoch schmerzte alles. Und wann immer ich doch den Nebel durchbrach stürzten Erinnerungen auf mich ein, die mehr schmerzten als jeder gebrochene Knochen in meinem Körper.
Ich schüttelte mich, dann schnellte ich hoch und griff nach dem Schlüssel an meinem Fußgelenk. Mit mehr Kraft als nötig löste ich ihn, doch statt die Truhe hervorzuholen, starrte ich darauf, wütend auf mich selbst und wütend auf die Welt. Weder hatte ich meine Karriere so in den Sand setzen wollen, noch war es meine Absicht gewesen, meinem Vater Sorgen zu bereiten.
Kopfschüttelnd erhob ich mich, nachdem ich den Schlüssel ein weiteres Mal befestigt hatte, dann trat ich aus meinem Zimmer heraus und machte mich auf den Weg zur Bibliothek. Tief in Gedanken versunken erreichte ich die eleganten Türen, deren Muster ich als kleiner Junge gerne nachgemalt hatte, und trat ein, nur um verdutzt den Kopf schief zu legen. Andrej saß bereits am Tisch, den Blick zwischen die Regalreihen gelenkt.
Wortlos nahm ich den Platz neben ihm ein, dann folgte ich seinem Blick. Ein paar Regale tief, im Gang mit den Gemälden der ersten Bibliothekare, ging Isabel die Bücher durch und strich verträumt über die einzelnen Buchrücken. Sie war hübsch. Lange blonde Haare, ein trainierter Körper und intelligente Augen.
„Du wirst ihr das Herz brechen, stimmt's?"
Überrascht sah ich zu meinem Freund, der seinen Blick noch immer nicht von der Prinzessin genommen hatte. Ich sank etwas auf meinem Stuhl zurück, dann seufzte ich.
„Nicht mit Absicht. Sie ist großartig, aber..."
Ich brach mit leiser Stimme ab, nicht sicher, was ich noch sagen sollte. Doch Andrej schien es zu verstehen, denn kurz huschten seine Augen zu mir, seine Miene verständnisvoll, dann sah er wieder zurück. Ich tat es ihm gleich und spürte ein kleines Lächeln an meinen Mundwinkeln ziehen, als sie ein Buch herauszog, nur um prompt zu niesen. Für eine Weile blieb die angenehme Stille zwischen uns und ich erwartete schon, dass das Thema beendet war, da murmelte Andrej: „Ich weiß vielleicht nicht genau, warum das bei dir so ist. Aber ich verstehe, wenn es einfach nicht geht."
Ich nickte, nicht sicher, wie ich darauf antworten sollte. Vor ein paar Monaten, als wir uns in einem unserer bevorzugten Pubs getroffen hatten und beide zu tief in Glas geblickt hatten, hatte er mir von ihr erzählt, seiner großen Liebe. Es hatte mich geschmerzt, zu wissen das mein Freund so litt, und gleichzeitig hatte ich mich gehasst, weil ein kleiner Funken in mir erfreut gewesen war, nicht der einzige zu sein, der litt.
„Es sind ja schon alle da!"
Ich hob den Blick, der in den letzten Minuten auf den Tisch geglitten war, und nickte Cara zu, die sich auf einen weiteren Stuhl fallen ließ. Einen Stuhl weiter ließ der Fürst sich nieder, der einmal mehr mit der Gräfin zusammen eingetroffen war. Er hatte die Stirn gerunzelt und sah ebenfalls zu Isabel, die mit großen Schritten und vor Begeisterung leuchtenden Augen an den Tisch herantrat. Sie setzte sich gar nicht erst, sondern rollte die Karte auf, die bereits auf dem dunklen Holztisch ruhte.
„Wir sollten die Route besprechen. Yan, helft mir auf die Sprünge, welche Fürsten haben zugesagt?"
„Fürstin Sureda hat uns ihren Landsitz, zwei Tage zu Pferd von hier, zugesichert. Fürst Wenomin kann zudem seine Stadtvilla bei Merigua herrichten lassen und Fürst Rikard hat sein Gut am Rand des Baumfällers versprochen. Es liegt zwar etwas abseits der Straßen, aber ich bin mir sicher, dass es angenehmer sein wird, als beinah eine Woche im Wald zu schlafen."
Ich nickte und spürte Freude in mir aufkommen. Fürst Kris Rikard zählte zu meinen besten Freunden, doch wir hatte uns schon eine Weile lang nicht mehr sehen können.
„Das sind dann zwei Tage zur Fürstin, drei Tage bis Merigua, etwa drei Tage bis zu Rikard und dann nochmal drei Tage bis nach Tel'n. Korrekt?"
Ich nickte ein weiteres Mal, während ich gedanklich den Weg entlang ging.
„Wir sollten aber lieber zwölf statt elf Tage planen, wir wissen nicht, wie sich die Hitze auf die Straßen und Pferde auswirkt. Ein zu enger Zeitplan könnte uns zu unüberlegten Maßnahmen drängen", schlug ich dann vor.
Je mehr Zeit verging, desto besser. Würde der Plan aufgehen, von dem ich sicher war, dass Isabel ihn umzusetzen versuchte, waren selbst wenige Stunden essenziell. Es war wichtig, den König nicht aufzuschrecken oder auch Yan daran glauben zu lassen, dass wir mehr über diese Reise wussten, als wir ihm erzählten.
Es dauerte auch nicht lange, bis wir uns auf eine Abreise geeinigt hatten. In zwei Tagen, am Mondtag, drei Tage nach Sommerweihung, würden wir uns zu Sonnenaufgang an den Stallungen treffen und den Weg antreten, sofern seine Majestät keine Einwände dagegen hatte. Mit dem Gefühl, doch nicht gänzlich an diesem Tag versagt zu haben, verabschiedete ich mich und zog mich in mein Zimmer zurück. Dann holte ich ein weiteres der Tagebücher meines Vorfahren heraus, erpicht darauf, etwas mehr über diesen Mann zu lernen.
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Well, mein letztes Reservekapitel. Glücklicherweise sind die anspruchsvollen Klausuren in meinen Abiturfächern rum, was bedeutet, dass ich schreiben kann. Dazu fahren noch drei meiner Lehrer auf Klassenfahrt, was zu einem Ausfall von 10 Schulstunden führt. Ich bin mir sicher, dass ich da ein neues Kapitel schreiben kann. Apropos, was haltet ihr von Drysdens Vater?
Over and Out,
DasLebenLesen
PS: Kennt hier noch jemand das Gefühl der Enttäuschung bei einer Klausurnote, obwohl sie echt gut war?
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