Drysden [II]
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„Es muss doch noch etwas zu finden sein!"
Mit gerunzelter Stirn stellte ich ein weiteres Buch, das sich als Sackgasse bewiesen hatte, zurück an seinen Platz. Dann trat ich ein Stück zurück, um mir das Regal noch einmal genauer anzusehen. Vielleicht gab es doch noch einen Band. Doch nach einer intensiven Musterung schüttelte ich den Kopf und verließ den Gang, um mich einem weiteren zu widmen.
Mittlerweile hatte ich mehrere Dutzend Bücher durchgesehen, doch nur eine Handvoll Informationen erlangt. Es war zum verrückt werden, zumal ich bereits die hintersten Gänge erreicht hatte. Es war nett zu erfahren, wie die Fae aussahen, doch das nutzte mir nichts, solange ich nicht wusste, wo sie lebten. Im Norden, doch wo? Wie lange musste man mit dem Schiff reisen? Einen Tag, eine Woche, ein Jahr?
Seufzend zog ich ein weiteres Buch aus einem der dunklen Holzregale und nieste, als mich etwas Staub traf. Angewidert schob ich es direkt wieder zurück. Dafür musste ich jedoch ein weiteres Buch aus dem Regal ziehen. Gerade als ich es zurückstellen wollte, erkannte ich den Titel.
Die Abenteuer des Barons Dante Sorane
Vorsichtig wischte ich darüber, um den Einband ohne weitere Störungen vom Staub zu befreien. Dann, nach einem abwägenden Blick durch die menschenleeren Gänge, setzte ich mich im Schneidersitz vor das Regal, den Rücken gegen die alten Ledereinbände gelehnt, und schlug es auf. Denn Baron Dante Sorane war einer meiner Vorfahren. Wenn mich nicht alles täuschte, so hatte er etwa während der Zeit des Ersten Großen Krieges gelebt. Und selbst sollte nichts über diese Zeit darinstehen, so konnte ich zumindest noch etwas mehr über meine Herkunft lernen.
Vorsichtig, um die alten Seiten nicht zu beschädigen, blätterte ich hindurch. Viele der Informationen kannte ich bereits, wie die Geschichte, als er einhändig eine ganze Gruppe Räuber besiegt hatte. Das meiste waren Übertreibungen, das wusste ich selbst. Doch ganz am Ende, als ich bereits glaubte, meine Zeit verschwendet zu haben, erblickte ich eine Seite, die die Zeichnung eines weiteren Buches offenbarte.
Es heißt, in Baron Soranes Tagebuch befinden sich die fehlenden Abenteuer seiner letzten zehn Lebensjahre. Leider ist es vor vielen Jahren schon einem Brand zum Opfer gefallen.
Beinah andächtig fuhr ich über die Zeichnung, um sicherzugehen, dass mein Verstand mir keinen Streich spielte. Mit klopfendem Herzen schlug ich das Buch zu und rappelte mich auf. Dann schob ich es zurück an seinen Platz, nahm mir aber die Zeit, mir die Regalnummer zu merken. Vielleicht würde ich später noch einmal zurückkehren müssen. Dann eilte ich den Gang zurück und griff nach meinem, leider sehr leeren, Notizbuch. Feder und Tinte waren bereits gesäubert und verschlossen, sodass ich sofort aufbrechen konnte.
Mit dem Buch unter dem Arm eilte ich dann die Treppe hinunter und wandte mich meinem Wohnturm zu. Doch noch bevor ich nur einen Schritt in die Richtung machen konnte, hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Mit gerunzelter Stirn drehte ich mich herum, nur um seiner Majestät persönlich zu begegnen. Sofort fiel ich in die erwartete Verbeugung und meine Stirn glättete sich. Er und mein Vater mochten befreundet sein, doch es würde dennoch nicht gut ankommen, wenn ich meinen König verärgerte. Ich verdankte ihm viel.
„Wie geht es Euch, Baron?", wollte der König wissen, nachdem ich mich wieder aufgerichtet hatte.
„Ich kann nicht klagen, auch wenn das Wetter mir wie jedem auch etwas Sorge bereitet."
Er nickte, als wäre das die erwartete Antwort.
„Das freut mich sehr. Ich hoffe, dass ihr morgen den Weg zu meiner Festlichkeit findet. Es würde meine Tochter sicherlich erfreuen, Euch dort anzutreffen."
Ich unterdrückte eine Grimasse. Eigentlich hatte ich versucht, der Sommerweihung zu entgehen. Viel lieber hätte ich mich an den See gesetzt oder eine weitere schlaflose Nacht in der Bibliothek oder am Rücken meines Pferdes Rousseau verbracht. Doch wenn der König persönlich meine Anwesenheit verlangte, so sehr es auch nach einem Wunsch klang, konnte ich mich wohl nicht herausreden.
„Ich würde nie eine solche Festlichkeit verpassen", antwortete ich also.
„Sehr schön. Wir sehen uns dann morgen."
Wieder verbeugte ich mich, dann wartete ich, bis der König an mir vorbeigelaufen war. Doch kurz bevor er durch eine weitere Tür verschwand, drehte er sich noch einmal um, um mich mit beinah väterlicher Fürsorge anzusehen.
„Es freut mich wirklich, Drysden, Euch so lebensfroh zu sehen."
Dann schloss er die Tür und ich stand allein in der Halle. Für ein paar Sekunden noch sah ich die Tür an, dann drehte ich mich kopfschüttelnd weg und setzte meinen Weg fort. Doch meine vorherige Freude war getrübt und meine Schritte waren langsamer als zuvor. Doch schließlich erreichte ich mein Zimmer, wo ich, ohne zu zögern, den Wandteppich zur Seite schob. Die Aufregung stieg wieder, während ich den Schlüssel von meinem Fußgelenk löste. Wäre ich nicht von meiner Zeit als Soldat nervenzerreibende Situationen gewohnt, hätten meine Finger gezittert, doch so gelang es mir problemlos, die Truhe zu öffnen.
Erst dann legte ich Feder, Tinte und Notizbuch zur Seite. Schnell griff ich in die Truhe und grub mich durch meine Schätze, bis ich schließlich einen Stapel dicker Bücher herauszog, eines älter als das andere. Nacheinander legte ich sie weg, bis ich schließlich bei dem letzten angelangt war. Es war mit Abstand das älteste, mit verkohlten Kanten und schon sichtlich verblasst. Doch ich war mir sicher, dass ich gefunden hatte, wonach ich suchte.
Vorsichtig legte ich das Buch ab, dann räumte ich die Truhe wieder ein und schob alles an seinen Platz zurück. Ich legte das Buch, mein Notizbuch und meine Schreibsachen auf mein Bett, dann sah ich nach, ob ich das Zimmer abgeschlossen hatte. Ich wollte unter gar keinen Umständen gestört werden.
Ein letztes Mal atmete ich tief durch, dann setzt ich mich auf mein Bett und schlug die erste Seite auf. Mit schnellen, aber vorsichtigen Fingern blätterte ich hindurch, bis mir schließlich ein Satz ins Auge fiel. Nun doch neugierig las ich mir die Seite mit klopfendem Herzen durch.
In wenigen Tagen brechen wir auf. Oskar ist davon überzeugt, eine Route in den Norden gefunden zu haben. Ich hoffe, dass diese Reise von Erfolg gekrönt sein wird. Der König bereitet mir bereits genügend schlaflose Nächte und einen weiteren Misserfolg will ich nicht riskieren. Doch in einem stimmen wir überein: Dieser Krieg muss enden, komme, was wolle. Diese Reise wird erfolgreich verlaufen, und ich werde mit Hilfe wiederkehren oder überhaupt nicht.
Vorsichtig blätterte ich weiter, bis ich einen weiteren Beitrag fand, der mein Herz noch schneller schlagen ließ.
Wir sind bereits seit drei Tagen auf dem Schiff unterwegs. Wir scheinen die richtige Route gewählt zu haben, denn Levitius schwört, Land gesichtet zu haben. Wenn alles nach Plan läuft, sollten wir in drei weiteren Tagen Land erreichen. Doch jetzt müssen wir überprüfen, ob alles sicher versstaut ist, denn ein Sturm zieht auf.
Und dann, viele Seiten später, davon ein paar bis zur Unkenntlichkeit verwischt, andere zu Teilen ausgerissen:
Wir haben sie gefunden. Oder sie haben uns heute gefunden. Eine Gruppe von ihnen hat uns durch den dichten Wald eskortiert, bis wir an einer Lichtung angekommen sind. Wie sie sich zurechtfinden, weiß ich nicht. Auf dieser Lichtung hat uns eine Frau von elegantem Antlitz erwartet. Sie nennen sie Idan'shin, sie scheint so etwas wie ihre Anführerin zu sein. Ein seltsames Volk. Groß, mit seltsamen Augen und eigenartigen Bräuchen.
Ganz langsam spürte ich, wie sich ein Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete. Die Fae, es gab sie wirklich. Denn der Name für die strahlende Faekriegerin, die uns gerettet hatte, lautete in vielen Gedichten ‚Idan' oder war zumindest eine Abwandlung. Ihren Namen aber in einem echten Tagebuch, statt in einem Buch über Folklore zu lesen, war wie eine Erlösung. Ein Beweis, dass diese Reise nicht so unnötig sein würde, wie ich befürchtet hatte. Doch dafür brauchte ich das Buch nicht.
Also blätterte ich zurück, auf der Suche nach dem Ort, wo sie gestartet waren oder welche Route sie genau gewählt hatten. Es dauerte eine Weile, auch, weil ich mich immer wieder in den Einträgen verlor, doch schließlich fand ich, wonach ich suchte, sogar zu großen Teilen lesbar.
Anscheinend hatte die Besatzung, mit der mein Vorfahre gereist war, in Tel'n die Segel gehisst, in der Hafenstadt, die auch ich als unseren Startpunkt auserkoren hatte. Von dort waren sie dem Kompass strikt nach Nordwesten gefolgt, durch einen gewaltigen Sturm hindurch, wo sie schließlich auf Festland getroffen waren. Gewissenhaft hielt ich alles in meinem Buch fest. Dann schließlich klappte ich das Tagebuch zu.
All die Jahre hatte das Buch sich in meinem Besitz befunden und ich hatte es nicht gewusst. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie es die Flammen überlebt hatte, denen es eindeutig ausgesetzt gewesen war, doch es erleichterte mir die Arbeit. Morgen während der Sommerweihung musste ich Isabel sofort davon erzählen.
Am liebsten hätte ich sie sofort aufgesucht, doch ich war mir bewusst, dass das die Aufmerksamkeit des Kabinetts oder des Königs auf sich ziehen würde. Während der Festlichkeiten würde es aber nicht auffallen, wenn ich ein Gespräch mit Isabel führte. Es war sicherlich sogar von mir erwartet oder zumindest eine gelungene Ablenkung für neugierige Augen.
Seufzend erhob ich mich und griff nach den beiden Büchern auf meinem Bett. Abwägend sah ich sie an, dann zog ich meinen Nachttisch zur Seite, um ein weiteres Geheimfach zu enthüllen. Normalerweise war es leer, doch jetzt würde es mir gute Dienste leisten. Die Truhe hinter dem Wandteppich war gut versteckt, doch viel eindeutiger. Würde jemand sie finden, dann würde man nichts finden und sicherlich auch nicht weitersuchen, denn warum sollte ich bei der gesicherten Truhe noch ein weiteres Versteck haben?
Mit einer Grimasse richtete ich mich auf. Ich würde mir einen Anzug für den nächsten Tag besorgen müssen. Seufzend rieb ich über meine Schulter, die in den letzten Tagen, wohl wegen des Wetters, wieder zu schmerzen begann. Ich sollte wohl auch noch einmal bei einem Heiler vorbeischauen. Denn mit einer schmerzenden Schulter war ich nicht auf der Höhe und würde damit auch Isabel nicht ideal beschützen können.
Normalerweise hätte ich einen Schlossarzt aufgesucht, doch diese hätten das sicherlich dem König gemeldet. Ich konnte es mir nicht leisten, nicht mitzukommen. Denn Isabel hatte recht gehabt: Die Ruhe war sehr angenehm, doch trieb es mich schon seit Wochen in den Wahnsinn, immer dieselben Wände anzustarren, dieselben Leute zu sehen und dieselben Tätigkeiten auszuführen.
Doch bevor ich irgendetwas kaufen ging, zog ich mir strapazierfähigere Kleidung an. Nur weil Isabel keine Zeit hatte, durfte ich mein eigenes Training nicht vernachlässigen. Die Gänge, die ich durchquerte, waren menschenleer. Wenn mich nicht alles täuschte, sollte gerade die Wachablösung sein, was bedeutete, dass ich den kleinen Trainingsraum im Keller des Turms für eine kleine Weile für mich haben würde.
Und, wie erwartet, war auch der Raum mit den hohen Decken und vielen Geräten wie ausgestorben. Erleichtert sah ich mich um, um zu entscheiden, was ich zuerst trainieren sollte. Dabei fiel mein Blick auf die Seile. Zufrieden nickte ich mir selbst zu. Klettern war jetzt genau das, was ich brauchte. Meine Schulter würde zwar wehtun, aber sie zu trainieren war wichtig, um die zerrissenen Muskeln wiederherzustellen.
Eine Stunde später war ich nicht nur geklettert, sondern hatte den Parkour durchlaufen und war, mit zwei Übungsschwertern bewaffnet, ein paar Schlag- und Pariertechniken durchgegangen. Als jedoch die ersten Wachen den Raum betraten, denn niemand wollte draußen in der Hitze trainieren, legte ich die Schwerter wieder zurück und verließ den Raum. Dabei war ich mir der feindlichen Blicke bewusst. Sie alle nahmen es persönlich, dass ich selten mit ihnen trainierte. Und, was noch viel wichtiger war, missfiel ihnen, dass ich die Prinzessin trainieren durfte.
Viele von ihnen waren, nach dem plötzlichen Tod Alkalis, in die engere Auswahl gekommen. Die Entscheidung war beinah schon gefallen, als der König mir das Angebot gemacht hatte. Und mit nicht nur Isabels Drängen, sondern auch dem meines Vaters, hatte ich kaum eine andere Wahl gehabt. Zudem war mein Interesse an den alltäglichen Aufgaben eines Barons schon immer gering gewesen. In meinem Zimmer wusch ich mich, dann, nach einem kurzen Augenblick, zog ich die Truhe für ein letztes Mal an diesem Tag heraus, um einen Tagebucheintrag zu verfassen.
Donnertag, ein Tag bis zur Sommerweihung
Die Schulter schmerzt, doch sonst scheint alles ordnungsgemäß verheilt zu sein. Ich hatte heute viel zu tun, deshalb habe ich nur selten daran gedacht. Doch seine Majestät hat mich unvorbereitet erwischt. Er gibt sich selbst die Schuld, obwohl es nicht seine Schuld war. Mein Vater kommt zu den Festlichkeiten und wird sicherlich darüber reden wollen. Ich vertraue aber darauf, dass er erkennt, dass er sich keine Sorgen mehr machen muss. Ich bin alt genug, um damit wie ein Mann umzugehen.
Ein weiteres Mal rückte ich alles zurück an seinen Platz, dann befestigte ich einige Münzen an meinem Gürtel. Es wurde Zeit, ein paar Sachen einzukaufen. Sicherlich würden bald die ersten Geschäfte schließen, heute besonders früh wegen der anstehenden Festlichkeit.
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Mein letzter freier Montag, dann muss ich wieder mit lernen anfangen. Hoffentlich finde ich die Zeit, zu schreiben, auch wenn ich noch für einen Monat vorgesorgt habe. Aber ich will diese Reserve ungern weiter dezimieren.
Over and Out,
DasLebenLesen
31/08/2020
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