Drysden [6]
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Entgegen all meiner Erwartungen fand ich mich einmal mehr in einer schaukelnden Todeskiste auf dem offenen Meer wieder. Nur dieses Mal blieb mir nicht die Demütigung erspart, unbeobachtet zu leiden. Vielleicht lag es an der Tatsache, dass meine letzte Schifffahrt mit einem Desaster geendet war, doch mein Magen beruhigte sich nicht.
Die Piraten, die am Anfang noch über mich gelacht hatten, hielten mittlerweile Abstand oder schielten besorgt in meine Richtung. Sicherlich vermuteten sie etwas Ansteckendes bei mir. Doch das war mir nur recht, in den letzten Tagen hatte mir jegliche Privatsphäre gefehlt. Ein wenig Zeit für mich war da nicht schlecht.
Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass Isabel dem Piraten Caras Titel angeboten hatte. Oder, dass der Pirat darauf eingegangen war. Das Anwesen lag im tiefen Süden, mitten im Nirgendwo.
Mit einem Seufzen wischte ich meinen Mund mit dem Stück Stoff ab, dass Cara mir vor ein paar Stunden gegeben hatte. Dann, als ich sicher war, dass mein Magen sich für eine kleine Weile beruhigt hatte, lehnte ich mich an die Reling. Aus halbgeschlossenen Augen betrachtete ich das bunte Treiben an Deck.
Issi stand am Bug des Schiffes und starrte auf das endlose blau hinaus. Gerne hätte ich gewusst, was sie in diesem Moment dachte, doch sie hatte mit den Rücken zugewandt. Neben ihr, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, stand Yan. Vielleicht sprachen sie miteinander, doch weitaus wahrscheinlicher war es, dass Isabel versuchte, ihn zu ignorieren. Ein paar Schritte von ihnen entfernt stand Cara. Auf den ersten Blick hätte sie sogar als Magd durchgehen können, doch selbst auf die Entfernung konnte ich erkennen, wie sie immer wieder den Nacken zu strecken versuchte oder von einem Bein auf das andere trat.
Doch den Piraten schien das nicht aufzufallen. Genauso wenig wie Andrejs Nervosität sie zu interessieren schien. Der große Mann, der mit verschränkten Armen an der Reling lehnte und die Piraten misstrauisch zu beobachten schien, war nicht ganz bei der Sache. Wann immer jemand etwas fallen ließ, zuckte er zusammen und wann immer jemand in seine Nähe trat, hob er die Schultern an. Weshalb, war mir nicht ganz klar. Beinah schien es, als würde er sich verstecken wollen.
Doch den Grund würde ich wohl noch nicht erfahren, denn eine weitere Welle der Übelkeit überrollte mich und für die nächste Viertelstunde starrte ich wieder auf dieses ewige, mich verspottende Blau herab. Allein der Gedanke, noch einen weiteren Tag hier zu verbringen, machte mich verrückt.
Schließlich endete diese Episode, wenn auch dieses Mal, weil nichts mehr in meinem Magen war, was ihn hätte verlassen können, und ich sank ein weiteres Mal gegen die Reling. Es war später Nachmittag, was bedeutete, dass wir bereits seit einigen Stunden auf See waren. Am frühen Morgen waren wir aufgebrochen und, laut dem Piratenkapitän, würden wir in zwei Tagen in Yver ankommen. Ich konnte nur hoffen, dass dieses Mal kein Sturm auf uns wartete. Mein Kopf konnte diese Möglichkeit beim besten Willen nicht ausschließen, auch wenn mein Bauchgefühl mir sagte, dass diese Piraten genau wussten, was sie taten.
Man segelte nicht jahrelang in einem Gebiet, ohne nicht zu wissen, was man tat. Und ich war mir sicher, dass kein Pirat seine Mannschaft direkt ins Unglück stürzen würde. Wenn sich der Kapitän nichts von diesem Unterfangen versprach, so hätte er uns vermutlich in der nächsten Barke aufs offene Meer treiben lassen. Vielleicht plante er noch immer, uns auf offener See über Board gehen zu lassen.
„Was ein schöner Nachmittag, findet Ihr nicht?"
Überrascht öffnete ich meine geschlossenen Augen und blickte zu dem Kapitän, der ein paar Schritte entfernt stand und mich mit kaum verhohlener Belustigung ansah. Ich erwartete, dass er sich an meinem Anblick noch für ein paar Sekunden ergötzen würde, um dann zu gehen, doch auch nach gut einer halben Minute stand er noch immer neben mir, auch wenn er den Blick auf das Meer richtete.
Gequält und zu allen Göttern, die ich kannte, bettend, erhob ich mich vorsichtig. Ich erkannte eine Aufforderung, wenn ich sie sah. Er wollte reden, also würde ich ihm den Gefallen tun. Je mehr ich über dieses Schiff und seine Mannschaft erfuhr, desto besser.
Als ich sicher war, dass ich nichts Peinliches machen würde, wie mich zu übergeben, folgte ich dem Blick des Kapitäns hinauf auf das Meer. Dann, betont ruhig, als würde das sanfte Schaukeln des Schiffes mir keine Kopfschmerzen bereiten, zuckte ich mit den Achseln und lehnte mich auf die Reling.
„Ich schätze, dass jeder Nachmittag hier draußen gleich ist."
Ein leises Schnauben.
„Ihr seid ein großer Freund der Seefahrt, wie es scheint."
Ich senkte den Kopf auf das Holz unter mir und pullte einen Splitter daraus hervor, fast so, als fände ich die Aussage ärgerlich. Was ich auch tat, aber normalerweise konnte ich einen solchen Seitenhieb wegstecken. Was man nicht von den meisten Adeligen sagen konnte.
„Was natürlich die Frage aufwirft, weshalb Ihr freiwillig auf ein Schiff gestiegen seid."
Daher also wehte der Wind. Mit einem kleinen Lachen, das selbst für meine Ohren nicht richtig kann, schüttelte ich den Kopf, den Blick noch immer auf die Reling gerichtet.
„Wie gesagt, meine Ehefrau kann sehr überzeugend sein."
Das Wort allein klang falsch, doch es selbst auszusprechen, war noch viel schlimmer. Isabel würde nie meine Ehefrau sein oder werden, auch wenn mein Vater sich das lange Zeit gewünscht hatte. Selbst jetzt noch hatte ich manchmal den Eindruck, dass weder er noch seine Majestät den Wunsch ganz aufgegeben hatten.
„Eure Ehefrau. Eine wirklich willensstarke Frau, findet Ihr nicht? Es wundert mich, dass sie überhaupt geheiratet hat."
Wieder zuckte ich mit den Achseln, doch hob ich den Kopf. Der Tonfall seiner Stimme deutete an, dass er noch nicht fertig war, doch begrüßte mich nur ein erwartungsvoller Ausdruck, als ich den Blick schließlich hob.
„Wo die Liebe hinfällt, nicht wahr?"
Meine Stimme klang gepresster, als ich beabsichtigt hatte. Das fiel auch dem Piratenkapitän – Emerald? – auf, dessen Mundwinkel sich zu einem zufriedenen Ausdruck verzogen. Ich hatte ihm wohl die erwartete Reaktion gegeben.
„Liebe? Sicher, dass Ihr ein solch großes Wort benutzen solltet?"
Ich zwang mich zu einem Lächeln, das sicherlich viel zu schmallippig ausfiel, dann nickte ich.
„Weshalb auch nicht?"
Wieder das Schmunzeln, dann drehte der Pirat sich von mir weg. Obwohl er mir den Rücken zuwandte, wusste ich ganz genau, wo er hinblickte. Am Bug schüttelte Isabel gerade den Kopf über eine Aussage von Yan, den Rücken noch immer mir zugewandt.
„Es scheint mir, als hätte Eure Gemahlin kein rechtes Interesse an Euch. Seid Ihr das Schiff betreten habt, hat sie Euch kein einziges Mal besucht. Viel eher scheint sie Euch zu meiden."
Der spöttische Tonfall trieb mich zur Weißglut, doch ich grub lediglich meine Finger in das erbleichte Holz der Reling, bevor ich antwortete.
„Ich bin mir sicher, dass mich jeder auf diesem Schiff meidet."
Daraufhin bekam ich ein leichtes Wiegen des Kopfes und er wandte sich wieder mir zu, ein hinterhältiges Glitzern in den Augen.
„Dann lasst es mich anders formulieren: Ihr zeigt weit mehr Interesse an meiner Mannschaft als an Eurer Gemahlin. Und mich würde brennend interessieren, was es damit auf sich hat."
Ich blinzelte, nun zum ersten Mal wirklich überrascht. Ich war dafür trainiert worden, zu spionieren. Niemand sollte dazu in der Lage sein es zu bemerken, wenn ich beobachtete. Anscheinend machten sich die letzten Monate im Schloss bemerkbar, denn anders außer als mit der Seekrankheit konnte ich mir nicht erklären, wie er dahintergekommen war. Es sei denn natürlich...
„Ich schätze, es ist interessant, wie auf einem Schiff gearbeitet wird. Sieht man nicht alle Tage."
Meine Antwort fiel knapp aus und ich betete, dass er den gezwungen lockeren Tonfall nicht bemerkte. Zu meiner großen Erleichterung aber schien er meine Aussage zu akzeptieren, denn er wandte sich wieder der See zu. Nach einigen Sekunden folgte ich seinem Beispiel, nicht sicher, was ich sonst machen sollte.
Überrascht stellte ich fest, dass meine Übelkeit beinah gänzlich verflogen war. An ihre Stelle war ein schlechtes Bauchgefühl gerückt und ich zwang mich, entspannt zu bleiben. Der Kapitän war noch nicht fertig mit seinen Investigationen, im Gegenteil. Ich war sicher, dass er noch einmal mit einer guten Beobachtung ausholen würde.
Doch zunächst blieb es still. Nur hier und da hörte ich die Rufe der Matrosen im Hintergrund und einmal meinte ich, Isabel lachen zu hören, doch sicher war ich mir über das sanfte Rauschen des Windes hinweg nicht.
„Warum lügt Ihr?"
Überrascht verspannte ich mich und mein Kopf fuhr herum, nur um dem stechenden Seegrün seiner Augen zu begegnen. Zufrieden, als hätte er ein besonders schwieriges Rätsel gelöst, lehnte er an der Reling. In mir stieg derweil der Wunsch auf, etwas gegen diesen Gesichtsausdruck zu unternehmen. Doch stattdessen schüttelte ich den Kopf, in der Hoffnung, den Schaden noch etwas zu beheben.
„Ich lüge nicht."
Sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er meinen Worten keinen Glauben schenkte. Ich tat es ja selbst kaum.
„Was hat sie gegen Euch in der Hand?"
Dieses Mal runzelte ich die Stirn, während mein Blick zu Isabel schweifte.
„Gar nichts."
„Ihr wollt, dass ich Euch das glaube?"
Der amüsierte Klang seiner Stimme gefiel mir nicht sonderlich gut, dennoch musste ich zugeben, dass ich bisher alles andere als überzeugend gewesen war. Also zuckte ich, anstelle weiterer Worte, mit den Schultern und versuchte möglichst beschämt auszusehen, während ich dem Blick des Kapitäns auswich. Wenn Worte nicht halfen, ihm vom Gegenteil zu überzeugen, sollte ich wohl meine Rolle in diesem neuen Stück einnehmen.
„Je länger ich dieses Schauspiel betrachte, desto mehr offenbart sich."
Mein Kopf schoss ungewollt in die Höhe, während das Blut in meinen Adern zu gefrieren schien. Dieses Schauspiel? Hatte er erkannt, dass wir nicht die waren, für die wir uns ausgaben?
„Welches Schauspiel?", fragte ich schließlich nach, meine Stimme gepresst.
Für ein paar schrecklich lange Sekunden erwiderte er meinen Blick, dann nickte er in Isabels Richtung, der Ausdruck auf seinem Gesicht voll selbstzufriedener Überlegenheit.
„Ihr und Eure Gemahlin."
Fast wäre ich vor Erleichterung zusammengesackt, doch ich zwang mich, die Haltung beizubehalten. Er dachte, er hätte die Dynamik zwischen einem jungen Ehepaar erkannt, nicht jedoch den großen Plan dahinter. Doch noch konnte ich meine Erleichterung nicht zeigen, ohne ihn nicht auf eine neue Fährte zu locken, also blieb ich wie erstarrte stehen und wartete auf seine nächsten Worte.
„Mit allem was Ihr tut, versucht Ihr, ehrliches Interesse an ihr zu heucheln. Aber Ihr seid ein verflucht schlechter Lügner, Graf, lasst Euch das sagen. Würdet Ihr sie lieben, so hättet Ihr sie niemals auf ein Schiff gelassen. Und Ihr würdet ihr auch nicht einfach so die Führung überlassen, dafür seid Ihr zu befehlsgewohnt. Ich gebe zu, es ist mir nicht sofort aufgefallen, doch Ihr haltet den Kopf wie ein Mann, der es gewohnt ist, ihn auch zu verteidigen."
Bei seinen Worten musste ich den Blick abwenden. Denn er hatte recht, wenn auch auf eine verdrehte Art und Weise. Nicht nur hatte ich Isabel auf diese Mission gelassen, ich hatte ihren Irrsinn auch noch mit meiner eigenen Neugier angetrieben. Wenn ihr etwas passierte, dann würde ihr Vater mich dafür verantwortlich machen, niemanden sonst. Ich hätte dafür sorgen können, dass sie in Sicherheit gebracht wurde. Und doch fühlte ich mich nicht schuldig, denn meine Freundin hatte eine Chance verdient, sich zu beweisen.
„Eure Gemahlin hingegen ist eine ganz andere Geschichte."
Ein weiteres Mal runzelte ich die Stirn.
„Was meint Ihr damit?"
Wieder erschien das zufriedene Grinsen auf seinem Gesicht, auch wenn es dieses Mal von einem überraschten Funkeln begleitet wurde.
„Ihr wisst es wirklich nicht, nicht wahr?"
Meine Antwort bestand aus einem auffordernden Blick und einer erhobenen Augenbraue. Es gefiel mir nicht, wenn jemand tat, als wäre ich nicht dazu in der Lage, einfache menschliche Signale zu deuten. Besonders aber gefiel mir nicht, wenn jemand etwas absichtlich zurückhielt. Schon einmal hatte jemand mir Informationen enthalten, was in dem schlimmsten Moment meines Lebens geendet hatte.
„Sie ist Euer perfektes Gegenteil. Sie versucht krampfhaft, Euch zu ignorieren. Wie jetzt. Selbst Eure Magd bringt mehr Mitgefühl für Euch auf."
Die Pause, der er einlegte, konnte ich nur als theatralisch bezeichnen. Beinah überwältigte mich der Wunsch, die Augen zu verdrehen, doch ich zwang mich dazu, lediglich auffordernd zu schauen. Diese Spielchen reichten mir langsam.
„Und dennoch weiß Eure Gemahlin immer, wo Ihr seid. Einmal ganz davon abgesehen, wie Sie Euch betrachtet, wenn sie denkt, niemand würde es bemerken."
Ich drückte den Rücken durch, als mir klar wurde, worauf er anspielte. Trotzdem wartete ich mit trockenem Mund darauf, dass er die Worte einfach aussprach.
„Sie ist wirklich in Euch verliebt."
Ich gab mein bestes, überrascht zu wirken, doch ich wusste, dass es mir misslang. Isabel mochte vielleicht nicht direkt ein offenes Buch sein, doch wir waren zusammen aufgewachsen. Schon als Kinder war es offensichtlich gewesen, wie viel ich ihr bedeutete. Über die Jahre hatte ich immer wieder die Hoffnung gehabt, sie würde die Schwärmerei von allein Überwinden. Ich würde ihr nicht geben können, was sie wollte, da war ich mir mittlerweile ganz sicher. Aber Isabel sah es nicht.
„Ihr wisst davon!"
Mit einem Lachen schüttelte der Kapitän den Kopf, dann stieß er sich von der Reling ab.
„Ihr wisst davon und sie weiß es nicht."
Kopfschüttelnd wandte er sich von mir ab, dennoch konnte ich hören, wie er leise murmelte: „Er wird ihr Herz brechen, was eine Wendung."
Mit zusammengepressten Lippen wandte ich mich wieder der See zu und versuchte, den Gedanken an seine Worte zu verdrängen. Stattdessen blieb ich stehen, bis die Sonne hinter dem Horizont verschwand und die Welt der Dunkelheit überließ.
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Tada, ein weiteres pünktliches Kapitel. Hiermit habe ich offiziell 60.000 Wörter überschritten, also ist "The Emerald Sea" mit fast 10.000 Worten mehr meine bisher längste Geschichte. Irgendwie macht mich das glücklich.
Ich hoffe, dass euch das Kapitel gefällt. Ich gebe zu, ich habe es gerade erst geschrieben, also noch nicht auf Rechtschreibfehler etc. untersucht.
Over and Out,
DasLebenLesen
15/03/2021
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