Cara [5]

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Der Morgen war warm und ich reckte mein Gesicht der aufgehenden Sonne entgegen, während ich an einer Abzweigung der Nordstraße auf meine Reisegefährten wartete. Die Zeit war gut gewählt, um abzureisen, denn die meisten Bürger des kleinen Örtchens waren noch vor Morgengrauen aufgebrochen und würden erst später zurückkehren. Zwar wäre es mir lieber gewesen, bei Nacht aufzubrechen, doch patrouillierte dann die Marine von Ensomniya, um sicherzustellen, dass sich keine Piraten näherten.

Ungeduldig trat ich von einem Fuß auf den anderen, während ich mich fragte, wo die anderen blieben. Nach einem letzten Gespräch mit dem Captain des Schiffes, das uns nach Yver bringen sollte, hatte ich mir ein kleines Gästehaus in der Nähe gesucht, denn wäre ich gänzlich von der Bildfläche verschwunden, wären die Bewohner des Dorfes sicherlich misstrauisch geworden.

Die leisen Geräusche von Hufen in der Ferne ließ mich etwas aufschrecken und ich griff instinktiv nach dem Kampfstab an meiner Seite. Zum Glück war eine solche Waffe in Ensomniya, aber vor allem im Norden, sehr selten, sodass ich sie mühelos als Wanderstab ausgeben konnte.

Langsam wurden die Geräusche näher, und dann ritt eine Gruppe Reiter um eine Biegung auf dem staubigen Weg. Erleichtert erkannte ich, dass es sich bei ihnen um meine Freunde handelte. Wie ich sonst hätte erklären sollen, dass ich hier am Wegesrand stand, wusste ich nicht.

Als sie näherkamen, runzelte ich verwirrt die Stirn. Drysden und Isabel ritten nicht wie sonst nebeneinander, stattdessen bildete Drysden allein die Spitze der Gruppe. Er schien noch mürrischer zu sein als sonst, während Issi hinter ihm ein wenig den Kopf hängen ließ, die Lippen aber zusammenpresste und immer wieder den Kopf schüttelte. Nur Andrej und Yan ritten wie zuvor, mit der Ausnahme, dass...

„Ist Yan an den Sattel gefesselt?"

Drysden nickte nur knapp, während Issi mir Avantis Zügel reichte und ich aufstieg. Iss neben mir seufzte beschämt auf, während ich einen Blick über die Schulter warf. Wie auch meine beste Freundin zuvor, presste der Fürst die Lippen zusammen und seine Schulter waren starr, während er überall hinsah, nur nicht in unsere Richtung. Mein Magen zog sich zusammen, während ich ihn ansah. Denn auch wenn er wirklich gemein gewesen war, wusste ich doch, dass er auch verletzt war. Was nicht bedeutete, dass ich ihm diese harschen Worte verziehen würde.

„Er ist verschwunden."

Überrascht wandte ich mich Issi zu, die eine Grimasse zog und mich auf den neuesten Stand brachte. Als sie endete, wusste ich nicht so ganz, was ich sagen sollte, deswegen war ich froh, als sich Drysden, der bisher geschwiegen hatte, einmischte.

„Darüber können wir uns noch ausgiebiger unterhalten, wenn wir am Schiff sind, jetzt haben wir wichtigeres zu tun. Was hast du herausgefunden, Cara?"

Ein wenig erleichtert zog ich ein Dokument aus der Tasche, die ich noch immer über den Schultern trug. Dann entrollte ich die Schrift, um sicherzugehen, dass ich keine Information vergaß.

„Erstmal die guten Nachrichten: Das Tor, mit dem die Dörfer in der Nähe des Holzfällers beschützt werden, ist tagsüber weitestgehend unbewacht, da dürften wir also keine Probleme bekommen.
Es gibt insgesamt drei Höfe, an denen wir unsere Pferde abgeben können. Ich schlage vor, dass wir sie aufteilen, dann bringen wir niemanden in Schwierigkeiten.
Der Captain ist sich sehr sicher, dass er uns auf Kurs halten kann, hat aber vor dem unberechenbaren Wetter weit draußen gewarnt. Anscheinend gibt es da die ein oder andere Stelle, die für ihre heftigen Stürme bekannt ist.
Das führt mich leider zu den schlechten Nachrichten. Ein Teil seiner Crew ist abgesprungen, was bedeutet, dass sie im Notfall unterbesetzt sind. Deswegen ist der Preis etwas gestiegen und wir müssen auch mithelfen."

Isabel zog eine Grimasse.

„Wir bezahlen dem Mann schon ein Vermögen."

Ich zuckte mit den Schultern.

„Wir fordern ja auch einiges von ihm. Ich bin mir nicht sicher, ob er trotz der Zahlung überhaupt zugesagt hätte, wenn er mir nicht noch einen Gefallen geschuldet hätte."

„Was hast du denn überhaupt gemacht, dass er dir etwas schuldete?", mischte sich nun Andrej ein, der mit Yan im Schlepptau nähergekommen war, der damit beschäftigt war, etwas Schmutz unter seinen Fingernägeln herauszukratzen.

„Es hatte etwas mit einer Frau, einem verschwundenen Segel und Pilzen zutun. Mehr sage ich nicht."

Mit einem zufriedenen Grinsen registrierte ich Andrej und Isabels verwirrte Gesichter. Drysden hatte lediglich eine dunkle Augenbraue in die Höhe gezogen und Yan ignorierte mich. Unerwartet versetzte mir das einen Stich, doch ich zwang mich dazu, das seltsame Gefühl in meiner Brust zu ignorieren. Stattdessen wurde ich wieder ernst.

„Wir sollten einen Zahn zulegen. Captain Geralt war schon gestern Abend nervös, ich will ihm also keinen Grund geben, sich die Sache noch einmal zu überlegen."

Tatsächlich nahmen wir schon bald an Tempo auf, dennoch dauerte es bald eine Stunde, bis wir das Tor passierten, das die Dörfer vor Räubern schützte. Es war bereits älter, genauso wie der Holzzaun, dennoch aber effektiv genug, dass die Leute sich sicher fühlten. Ohne diesen und den Schutz der Soldaten, die uns kaum einen Blick zuwarfen, während wir an ihnen entlang ritten, wären die meisten der Dörfer sicherlich schon niedergebrannt worden.

Der Gedanke, in meinem eigenen Zuhause nicht sicher zu sein, jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken. Mein Zuhause war ein geheiligter Ort, an dem allein ich entschied, wer ein und aus ging. Überrascht stellte ich fest, dass ich mein Haus in Torn und das Anwesen im Süden vermisste. Die Wärme war zwar manchmal mörderisch, aber man konnte sich auf sie verlassen wie auf einen alten Freund. Hier im Norden war alles so wechselhaft, dass man selbst am Morgen nie wusste, ob ein Sturm bevorstand.

Mit einem Nicken verabschiedete ich mich von Isabel und Drysden, als wir an eine Gabelung des Weges kamen. Die beiden würden ihre Pferde in diesem Dorf zurücklassen, Yan, Andrej und ich in einem anderen.

Beklommen ritt ich neben den beiden her, während die Sonne langsam am Himmel höher stieg. Dennoch lag noch immer Tau auf den überraschend grünen Gräsern der Wiesen. Zuhause in den Weinbergen mussten meine Arbeiter am Abend immer wieder Wasser dazugeben, um so sicherzustellen, dass die Pflanzen gedeihen konnten. Das Wasser selbst wurde über viele Meilen transportiert, damit wir dort unten überhaupt etwas anbauen konnten. Es war umständlich, doch einen besseren Weg gab es nicht.

„Ist es der Hof dort drüben?"

Ich hob den Blick von einem kleinen Kaninchen, dass über eines der Felder flitzte, und nickte dann, als ich sah, welchen Hof er meinte. Schweigend näherten wir uns dem klapprigen Gebäude, doch kurz bevor wir es erreichten, stoppte Andrej. Verwirrt sah ich zu ihm, nur um dann zu beobachten, wie er Yans Hände von dem Sattel löste und ihm einen mahnenden Blick zuwarf. Der Fürst verdrehte bloß die Augen, rieb sich dann aber die aufgescheuerten Gelenke.

Ich verzog das Gesicht, als ich die Male sah, bot ihm aber nichts von der Salbe an, die in einer meiner Satteltaschen lag. Das hatte er sich selbst eingebrockt, also musste er auch damit leben.

Die Besitzer des Hofs grüßten uns, kaum dass wir das Gebäude erreicht hatten. Erleichtert stellte ich fest, dass der erste Eindruck nicht richtig gewesen war, denn trotz des klapprigen Holzes waren die Stallungen gepflegt und die Stallburschen schienen zu wissen, was sie taten.

Dennoch tat es weh, als ich den letzten Gegenstand aus einer der Satteltaschen zog und Avanti hinterher sah, die in eine Box geführt wurde. Seufzend verstaute ich die kleine Box in der Umhängetasche und wartete darauf, dass Andrej die Münzen für die Unterbringung abzählte. Dabei ließ ich Yan nicht aus den Augen, der zwar etwas Abstand hielt, aber ansonsten keine Anstalten machte, zu verschwinden.

„Ich wünsche Euch noch eine schöne Reise."

Mit einem Lächeln bedankte ich mich bei dem Besitzer des Hofes, dann beeilten wir uns, um auf die Straße zurückzukehren. Der Zeitplan war stramm, denn zur Mittagszeit wurden die meisten Schiffe auf dem kleinen Hafen kontrolliert. Um diese Uhrzeit wollten wir bereits auf offener See sein, jetzt wo Yan versucht hatte, Soldaten zu kontaktieren, mehr denn je.

Als wir schließlich auf Issi und Drysden trafen, ächzte ich unter dem Gewicht meiner Tasche. Dennoch entschied ich gegen eine Rast, denn wenn ich die Tasche einmal abzog, war ich nicht sicher, ob ich sie wieder aufziehen konnte. Stattdessen ließ ich mir gerade genug Zeit, um den Mantel abzustreifen und einen Schluck Wasser zu trinken.

Der Fußmarsch dauerte beinah eine halbe Stunde, bis wir durchgeschwitzt die ersten Häuser der kleinen Siedlung passierten. Zu unserem Glück waren nur ein paar Kinder auf der Straße unterwegs, die ihr Ballspiel unterbrachen und uns neugierig hinterher sahen. Vermutlich begegnete man hier draußen nicht so oft Fremden.

Die Straße verlief sehr gerade, direkt auf den Hafen zu. Obwohl, das Wort Hafen war vermutlich eine Übertreibung. Eigentlich handelte es sich um einen langen Holzsteg, dessen Planken bei jedem Schritt ächzten, an dessen Seiten sich zu großen Teilen kleine Schifferboote drängten. Da die meisten bei Nacht ausrückten, sah man nur hier und dort noch jemanden über ein Boot huschen. Nur an einem Schiff herrschte reger Betrieb.

Es war am Ende des Stegs vertäut und mit Abstand das größte, wenn auch nicht das eleganteste. Dunkles Holz, das schon bessere Tage gesehen hatte, von der Sonne gebleichte Segel und eine Figur am Bug, die genauso eine Meerjungfrau wie einen Baum hätte darstellen können. Nur der Name des Schiffes, „Wellenbrecher", war noch erkennbar, die Buchstaben in goldener Schrift.

Mit schnellen Schritten schob ich mich an Drysden vorbei, auch wenn mich für ein paar Sekunden lang die Angst überkam, ins Wasser zu fallen, dann setzte ich mich an die Spitze unserer Gruppe. Männern wie Geralt gegenüber musste man von Anfang an signalisieren, dass man keine Jungfrau in Nöten war. Deshalb war ich erleichtert, als Isabel neben mich trat.

Gemeinsam traten wir näher an das Schiff heran, wo uns schon die massige Gestalt des Captains erwartete. Geralt war ein Berg von einem Mann, ähnlich wie Andrej, mit wettergegerbter Haut, tiefen Falten und einem langen, graublonden Bart. Seine Augen verschwanden beinah unter den buschigen Augenbrauen und die langen, blonden Strähnen waren zu einem überraschend gepflegten Zopf geflochten.

Mit einem Nicken ergriff ich die große Pranke, die er mir hinhielt, und unterdrückte einen schmerzerfüllten Gesichtsausdruck, als er zudrückte. Das hatte er schon am Vortag gemacht, deshalb war ich einigermaßen vorbereitet. Was man von Isabel nicht sagen konnte, die zwar lächelte, ihre Hand dann aber hinter ihrem Rücken ausschüttelte. Ich unterdrückte ein Grinsen, dann wandte ich mich an Geralt.

„Das ist Isabel, sie leitet die Mission. Die Herren im Bunde heißen Andrej, Drysden und Yan."

Mit einem Daumen deutete ich über eine Schulter auf sie und Geralt musterte jeden von ihnen ausgiebig. Dann nickte er.

„Ich weiß nicht was der Blonde schaffen kann, aber die anderen beiden sind mir sehr willkommen."

Dann lud er uns auf das Schiff ein und gab uns eine kleine Tour, während er uns immer wieder einzelne Mitglieder seiner Crew vorstellte, die ihre Arbeit unterbrachen, grinsend salutierten und dann weitermachten, ohne uns noch einen weiteren Blick zu widmen.

Unter Deck gab es insgesamt drei Schlafräume und die provisorische Küche. Isabel und ich bekamen einen der Räume, der kaum hoch genug war, um darin zu stehen, dennoch war dankbar dafür. Andrej, Yan und Drysden bekamen Kojen in dem Schlafraum der Matrosen zugewiesen, die so groß waren, dass sogar Andrej darin platz fand. Der dritte Raum war der des Captains, den er wie einen Augapfel hütete. Vermutlich wollte er nicht, dass irgendjemand sah, dass er ein großer Freund von Duftkerzen war.

Nachdem ich meine Tasche abgestellt und mich mit dem schalen Wasser, das in einem Eimer auf uns wartete, erfrischt hatte, trat ich wieder auf das Deck. Issi hatte es bereits wieder hinaufgezogen, wo sie in ein Gespräch mit dem Captain vertieft war. Als sie mich kommen sah, verabschiedete sie sich und kam auf mich zu geschlendert. Dabei wirkte sie, als hätte sie keine Sorge in der Welt.

„Isabel also?"

Ich zog eine Grimasse und trat dann an die Reling, um den beschäftigten Matrosen aus dem Weg zu gehen.

„Ich dachte es wäre besser, nicht alles preiszugeben."

Mit einem Nicken gesellte sie sich neben mich, dann legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen, während sie den Kopf in den Nacken legte.

„Ich war noch nie auf einem Schiff, weißt du. Eigentlich sollte ich Angst vor der Seekrankheit haben, aber ich freue mich einfach nur. Ich weiß nicht, doch hier draußen wirkt alles so..."

„Frei" ergänzte ich nickend, dann stieß ich sie sanft an.

„Sieh mal."

Ich nickte in Richtung der Matrosen, die nicht länger umherrannten.

„Wir laufen jetzt gleich aus", erklärte sie.

Dann wurden wir still und beobachteten einfach nur die Männer, die ihre Arbeit taten. Und schließlich löste ich den Blick von ihnen, um zu erkennen, dass wir uns bereits ein gutes Stück vom Steg entfernt hatten. Während ich dabei zusah, wie das Ufer sich langsam entfernte, spürte ich es mehr denn je.

Freiheit. 

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Schon das vorletzte Kapitel in diesem Jahr. Verrückt, wie schnell die Zeit bei einer Pandemie vergehen kann. Noch drei Monate, dann fangen meine praktische Abiturprüfungen an und in fünf Monaten bin ich vielleicht schon so gut wie durch mit dem Abschluss. 

Over and Out,
DasLebenLesen

21/12/2020

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