Andrej
╞═════𖠁𐂃𖠁═════╡
„Wie wäre es mit einem Ausritt?"
Die Prinzessin hielt in ihrer unruhigen Wanderung inne und warf mir einen abschätzenden Blick zu. Schon seit einer Weile schein sie vor Tatendrang nur so zu strotzen und selbst ihre Gedichte konnten sie nicht in eine friedlichere Stimmung versetzen. Ein kleiner Ausritt durch die Stadt würde ihr sicherlich gefallen.
„Warum eigentlich nicht?"
Mit einem zufriedenen Nicken stieß sie die Tür zu ihrem Ankleidegemach auf, nur um kurz darauf mit einem dünnen Mantel und ihren Reitstiefeln zurückzukehren. Und schon fünf Minuten später standen wir vor Toni, der zwei seiner Helfer herumkommandierte, um das Pferd der Prinzessin und ihres Begleiters vorzubereiten.
Wie immer folgte mein Blick jeder ihrer Bewegungen, um sicherzustellen, dass sie nicht versuchte, etwas zu sabotieren. Vor ein paar Wochen erst hatte ich einen Gärtner erwischt, der zur frühen Morgenstunde Sonnenrosen, große gelbe Blumen mit orange- und rotfarbenen Tupfen, gepflanzt hatte. Die Prinzessin war allergisch gegen diese, weswegen sie strengstens verboten waren.
„Was ziehst du denn so eine Miene? Verrat mir lieber, was des Rätsels Lösung ist."
Ein Blick in den Wassertrog der Pferde verriet mir, dass ich tatsächlich angestrengt die Stirn gerunzelt hatte.
Deshalb bemühte ich mich um ein Lächeln und antwortete der Prinzessin, wenn auch ohne den Blick von den Pferden zu nehmen: „Ihr müsst es selbst erraten, meine Prinzessin. Eine kleine Denksportaufgabe, wenn Ihr es so wollt."
Sie seufzte und ich erwartete beinah, dass sie weiter nachhaken würde, doch glücklicherweise überreichte Toni ihr in dem Moment die Zügel zu ihrem Pferd, Pilgrim. Der vollblütige Fuchs scharrte bereits unruhig mit den Hufen, bereit, sich endlich wieder zu bewegen. Kasper, mein Brauner, verhielt sich um einiges ruhiger, als Toni ihn mir mit einem Augenzwinkern überreichte.
Ich verdrehte bloß die Augen, denn ich wusste, dass Toni sicherlich an meinem nächsten freien Tag ein Freigetränk von mir erwarten würde, als Gegenleistung für seine Unterstützung. Dann jedoch begrüßte ich Kasper, doch nur kurz, denn Prinzessin Isabel saß bereits auf Pilgrim und grinste auf mich herab. Mit einem kleinen Kopfschütteln, denn ihre Begeisterung schürte ihr Pferd nur an, schwang ich mich ebenfalls auf Kaspers Rücken. Auf den ersten Blick fiel es nicht direkt auf, doch die Schulterhöhe meines Warmblutes überragte die des Vollblutes um eine gute Handbreit, sodass der anfängliche Höhenvorteil der Prinzessin stark sank.
Sobald ich saß, setzten wir uns auch schon in Bewegung. Zu meinem Glück war es bereits so spät, dass weniger Menschen auf den Straßen der Hauptstadt unterwegs sein würden. Es störte Prinzessin Isabel nicht, wenn die Leute sie ansprachen, doch ich wusste, dass es zuweilen ermüdend sein konnte.
Wie ich vorausgesagt hatte, begegneten uns nur wenige Menschen, sobald wir das große Schlosstor passierten. Die meisten von ihnen bereiteten sich bereits auf die Arbeiten des nächsten Tages vor, besonders zu dieser Zeit, wo die große Sommerweihung nur wenige Tage entfernt lag.
Wir bewegten uns nur langsam, denn an jeder Ecke gab es etwas Neues für die Prinzessin zu entdecken. Die großen Blumentroge, die die meisten Gebäudetüren säumten, die bunten Girlanden, die in der Abendbrise über unseren Köpfen wehten oder die fröhlichen Stimmen, die aus so manchem Pub an unsere Ohren drangen.
Gerne hätte ich diese Ruhe so genossen, wie die Prinzessin es offensichtlich tat, doch ich hatte einen Job zu erledigen. Deshalb musterte ich jeden Schatten, den wir passierten und unterzog jeden Fußgänger, die meisten bereits gefährlich schwankend, einer kurzen Prüfung.
„Sieh mal, dort drüben."
Ich wandte den Kopf, um genauer betrachten zu können, worauf sie deutete. Im Halbschatten des Abends dauerte es einige Sekunden, doch dann entdeckte ich es. Der Brunnen in der Mitte des großen Marktplatzes, aufgrund der späten Uhrzeit nur spärlich erleuchtet, war wie alles andere auch dabei, sich für die kommende Festlichkeit zu verwandeln.
Die hüfthohen Steine, die sonst matt glänzten, waren von Blumenbouqetes umgeben, eins schöner als das andere. Die hohen, einfachen Eisenstangen waren von kunstvoll verzierten Stangen ersetzt worden, ein Geschenk der van Stattens an den König.
„Was zeigen sie?"
Ich legte den Kopf schief, dann warf ich einen Blick über den leeren Platz und bedeutete Kasper, ein wenig näher daran heranzutreten. Mit angestrengten Augen beugte ich mich vor, in der Hoffnung, trotz der wachsenden Dunkelheit noch etwas zu erkennen. Zuerst erschienen es nur einfache Ranken zu sein, die sich wie Klettergewächs an das Metall schmiegten, doch schließlich erkannte ich keine Darstellungen zwischen ihnen.
„Wenn mich nicht alles täuscht, dann wird die Geschichte der Bergmönche erzählt."
„Die Bergmönche? Was ist das denn?", wollte Prinzessin Isabel wissen, die Stirn gerunzelt.
Ich richtete mich wieder auf und kehrte an ihre Seite zurück. Mit einem Nicken bedeutete ich ihr, mir weiter durch die Stadt zu folgen. Die Straßen, die wir nun erreichten, waren gespenstisch still, doch besser beleuchtet. Wir bewegten uns durch das Wohnviertel der Kaufmänner und niederen Adeligen. Während wir schweigend ritten, sortierte ich meine Gedanken, dann räusperte ich mich.
„Die Bergmönche oder auch die scharlachroten Krieger, wie man sie eher nennt. Man erzählt sich, dass vor vielen Jahren ein Drache den scharlachroten Berg bewachte und die Länder Ensomniya und Cidus voneinander trennte. Lange Zeit war er damit zufrieden, diejenigen Menschen zu verspeisen, die es wagten, die Reise über den Berg anzutreten. Er bewahrte durch diese Grausamkeit den Frieden der beiden so unterschiedlichen Völker, doch er schürte auch ihren Wissensdurst. Denn was befand sich wohl auf der anderen Seite des großen Gebirges?
Schließlich erkannten die Menschen, dass es noch einen anderen Weg gab und sie erfanden Boote, die den großen Wellen des Meeres entgehen konnten. So entstanden die Schiffe. Und sie begannen, den Berg zu umsegeln und trafen sich. Für viele Jahre wuchsen beide Völker daran und eine vorsichtige Freundschaft formte sich. Doch während die Menschen langsam begannen, den Schreck des Drachen zu vergessen, wuchsen seine Wut und Verzweiflung, denn auch er hatte Hunger.
Und so erhob er sich von seiner Bergspitze und stieß hinab. Zuerst griff er Ensomniya an, dann Cidus. Er wütete in Dörfer und Städten gleichermaßen, holte sich Arm und Reich, Alt und Jung, Stark und Schwach. Dann wandte er sich Cidus zu und holte sich auch dort neue Opfer. Beide Reiche erzitterten ein weiteres Mal unter der Angst und ihre Beziehung zerbrach. Denn nun gaben sie einander die Schuld an den Massakern, warfen sich vor, die Schiffe erfunden und so den Drachen erzürnt zu haben.
Der junge Krieger Isaak, nach dem man Euren Bruder benannt hat, war Nachkomme eines der Seemänner, die der Drache sich als erstes geholt hatte. Er ersann einen tollkühnen Plan, den Drachen zu schlagen. Mit einer Armee, nicht größer als 50 Mann, zog er los. Sie alle näherten sich dem gesättigten, ermüdeten Drachen, aus allen Himmelsrichtungen.
Und schließlich erreichten sie die Bergspitze, wo der Drache sie bereits erwartete. Denn er hatte sie gerochen und es nicht gewagt, in den Tiefschlaf zu fallen, der ihn zu überkommen drohte. Ein wochenlanger Kampf entbrannte, der viele Männer das Leben kostete. Doch Isaak konnte am fünfzigsten Tage schließlich die Abwehr des trägen Drachens durchbrechen und er durchbohrte sein Auge mit seinem Schwert. Man sagt, dass das Brüllen des Biestes noch heute in den Tälern des Berges nachhallt.
Es dauerte lange, doch schließlich starb der Drache an der Verletzung und der Erschöpfung des Kampfes. Währenddessen verließ Isaak seine Seite für keine Sekunde. Seine übrigen Männer zogen sich zurück, denn das Gebirge war unfreundlich und sie hatten Hunger und Durst. Nach einer Woche schließlich kehrte Isaak zu ihnen zurück, das Haar fettig und das Schwert noch immer mit dem schwarzen But des Biestes verschmutzt.
Und der Krieger, der zurückkehrte, war ein anderer. Denn in den Tagen mit dem Drachen hatte er gelernt und war zu einem Teil des Berges geworden, so wie der Drache zuvor. Doch er ignorierte den Ruf des Berges und machte sich daran, in sein Land zurückzukehren. Dort fand er jedoch kein friedliches Volk, sondern einen blutigen Kampf zwischen den beiden ehemaligen Freunden.
Ihn überkamen Hass und Verzweiflung, denn er hatte den Drachen erlegt, um den Frieden zu sichern, nicht um den Landweg für einen Krieg zu öffnen. Und so nahm er sich seine übrigen Männer und sie kehrten, trotz der Stürme und brütend warmen Sonne, auf die Bergspitze zurück, wo der Körper des Drachen noch immer lag, seine Schuppen schimmernd, beinah, als schliefe er bloß.
Isaak lehrte seine Männer die Weisheiten des Berges und auch sie veränderten sich. Und eines Abends versammelten sie sich im Kreis um den Körper des Drachens und sie schworen ihre Treue dem scharlachroten Berg. Und der Berg schenkte ihnen die Kraft, Frieden zu wahren und zu schützen.
So kehrten sie in den Krieg zurück und wandten sich gegen jeden, der es wagte, den Berg zu überqueren. So zogen sich beide Seiten schließlich zurück und der König Ensomniyas konnte, dank der neuen Kriegsschiffe, die manche noch immer den Fae zuschreiben, das Königreich Cidus besiegen.
Man sagt, dass die Bergmönche noch heute von der Spitze des Berges, mit Sinnen so scharf wie die des Drachens und Körpern so kräftig wie der des Biests, auf beide Königreiche hinabblicken und die Menschen davon abhalten, den scharlachroten Berg zu überqueren."
Ich beendete die Geschichte, dann hielt ich inmitten eines kleinen Parks an. Die Prinzessin tat es mir gleich und gemeinsam besahen wir die große Statue in der Mitte der großen Rasenfläche, die vor uns in den Himmel aufragte, beleuchtet durch ein Dutzend Fackeln. Das Abbild eines Drachen aus Stein, der sich aufrichtete, und vor ihm ein Mann, noch größer als ich auf Kaspers Rücken.
„Warum kenne ich die Geschichte nicht?"
Prinzessin Isabels Stimme war leise und sie klang beinah andächtig.
„Die Mönche des scharlachroten Berges sind weder gut noch böse, weder Krieger Ensomniyas noch Beschützer Cidus'. Sie gehören keiner Seite an und so verlieren sie ihren Wert für die Geschichte und sind reduziert auf Märchen. Hier in Torn kennt kaum jemand die Bedeutung dieser Statue, doch im Norden, trotz der Entfernung zum Berg, hört man die Geschichte, wo auch immer man sich hinwendet. Wir sind, so denke ich, eher bereit, an die Märchen und Wunder alter Zeiten zu glauben."
„Du kommst doch mit auf die Suche nach den Fae, nicht wahr? Ich habe nie gefragt."
Ich schüttelte bei dem beinah kleinlauten Ton der Prinzessin den Kopf.
„Natürlich begleite ich Euch. Ich werde mir sicherlich nicht die Chance entgehen lassen, Yver zu betreten und den Hof der Kriegerkönigin zu besuchen."
„Gut", murmelte sie und zog dann ihren Mantel ein Stück enger, denn die Brise war zu einem Wind geworden, der die Mähne meines Pferdes in mein Gesicht wehte.
„Wir sollten umkehren."
Gemeinsam ritten wir zurück, nun durch Straßen, die nur noch von dem schwachen Mondlicht beleuchtet waren. Am Schloss angekommen dauerte es nicht lange, bis ich die Prinzessin an ihren Gemächern verabschiedete und ihre Sicherheit der Nachtwache übergab, um in mein eigenes Quartier zurückzukehren. An einem anderen Tag wäre ich in die Stadt und in mein kleines Haus, eingeengt zwischen einem Schmied und einem Schuster, gegangen, doch es war spät und ich musste früh raus. Das Zimmer, das man für mich sauber hielt, schien geradezu verführerisch in diesem Augenblick.
Dort angekommen zog ich mir nur die Stiefel von den Füßen und ließ mich dann schwer auf mein Bett fallen, gerade groß genug für mich. Schwer wälzte ich mich auf den Rücken und sah hinauf an die dunkle Decke.
Die Bergmönche. Schon seit ich klein war, hatte ich den Gipfel des Berges angestarrt, wenn der Himmel wolkenfrei war, und mir ausgemalt, wie die Mönche dort oben lebten oder mich ebenso beobachteten und warteten, dass ich zu ihnen kam.
Doch diese kleine Fantasie hatte ich mir schnell abgewöhnt und ich hatte früh begonnen, zu trainieren, um meinem Land zu dienen. Ich hatte geschworen, Ensomniya zu beschützen und die Aufgabe der Mönche schien das Gegenteil zu verkörpern. Und doch, mein Herz füllte sich mit Wehmut. Denn ich war außerdem an meine eigene Kindheit erinnert.
Der Traum, zu den scharlachroten Mönchen zu gehören, war nicht nur der Wunsch eines kleinen Jungen gewesen, sondern auch seine Flucht aus der Realität. Es geschah selten, dass ich an diesen Jungen erinnert wurde. Und es erschien mir seltsam, mal eben dieser Junge gewesen zu sein, der um alles hatte kämpfen müssen, verurteilt durch die strengen Ansichten einer Gemeinde voller Heuchler, Lügner und Betrüger.
Seufzend drehte ich mich ein weiteres Mal, bis ich auf der Seite lag, und betrachtete für ein paar Minuten die Kerze, die ich mitgenommen hatte, um nicht gegen etwas in dem schmalen Flur zu stoßen. Es war mein abendliches Ritual, den verzweifelten Überlebenskampf der Flamme zu betrachten, bevor ich sie schließlich auspustete und einschlief.
╞═════𖠁𐂃𖠁═════╡
Ich bin ganz ehrlich mit euch: Das hier ist bisher mein Lieblingskapitel. Zu Beginn hatte ich mit dem Verlauf zu kämpfen, doch die Sage um die scharlachroten Krieger ist mir geradezu aus den Fingern geflossen. Allein schon deswegen liebe ich es. Außerdem ist Andrej ein für mich etwas ungewohnter Charakter, was die ganze Sache noch besser macht.
Over and Out,
DasLebenLesen
03/08/2020
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top