Andrej [9]
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Die Sonne brach noch nicht durch das dichte Blätterdach als wir uns auf den Stufen des gewaltigen Baumes, der das Reich der Faekönigin markierte, einfanden. Müde schüttelte ich den leichten Mantel aus, den ich mir über die Schultern geworfen hatte. Ohne die Wärme der Sonnenstrahlen war es kühl im Schatten der Bäume und der Saum meines Mantels war getränkt vom Tau der Nacht.
Es war still, nur ab und zu raschelte es in den Blättern der umliegenden Bäume, das einzige Zeichen auf die geschäftigen Fae, die um uns herum huschten. Es war offensichtlich, dass sie uns mieden, aber ich konnte es ihnen nicht verdenken. Noch wusste niemand genau, wer Yver angriff. Selbst wir konnten uns nicht sicher sein, auch wenn ich in meinen Herrscher vertraute.
„Ihr seid vollständig?"
Ein Fae war aus dem Palast getreten, die Schritte so leise, dass ich ihn nicht hatte kommen hören. Mit schief gelegtem Kopf betrachtete er unsere kleine Gruppe, dann nickte er und fuhr, ohne auf eine Antwort zu warten, fort.
„Dann folgt mir."
Der Mann machte auf dem Absatz kehrt und eilte zurück in den breiten Baumstumpf. Stumm folgten wir, auch wenn es Cara und Yan sichtlich schwerfiel, mit den langen Schritten des Mannes mitzuhalten. Einmal mehr beglückwünschte ich mich zu meiner Größe, auch wenn ich wusste, dass ich, spätestens wenn es an Kriegskleidung ging, ein Problem bekommen würde. Die Fae mochten groß sein und lange Beine haben, aber vor allem waren sie schlank, die Gliedmaßen fein und elegant. Ich hingegen war breit gebaut, so stämmig, dass es mir selbst zu Hause in Ensomniya Probleme bereitete, Kleidung zu finden, die nicht einem Kartoffelsack ähnelte.
Der Fae führte uns, entgegen meiner Erwartungen, nicht wieder die Treppe hinauf. Stattdessen huschte er durch einen Durchgang direkt daneben, der mir zuvor nicht aufgefallen war. Mit mulmigem Gefühl ließ ich die anderen passieren, dann folgte ich durch den schmalen Durchgang. Der Weg dahinter war ausgeleuchtet mit bunten Steinen, die in das Holz, das uns umgab, eingelassen waren.
Gerne hätte ich innegehalten und diese wundersamen Gegenstände näher betrachtet, doch waren die anderen mir bereits ein gutes Stück voraus, also beeilte ich mich, wieder aufzuschließen. Doch das gestaltete sich als schwieriger als gedacht, denn der Gang war so schmal, dass meine Schultern bei jedem Schritt die Wände streiften und das Gefühl, die Wände kämen immer näher, in mir aufstieg.
Ich konnte beim besten Willen nicht schneller gehen, auch wenn ich mich noch so anstrengte. Denn jedes Mal schienen die Wände näher zu kommen und ein oder zweimal musste ich kurz anhalten und tief durchatmen, als mein Kopf die niedrige Decke streifte.
Der einzige Grund dafür, dass ich die anderen nicht verlor, war Drysden, der wie ich ein Stück zurückgefallen war. Ich war mir nicht sicher, ob er ebenfalls Probleme mit dem schmalen Gang hatte oder ob er nur sicherstellen wollte, dass ich den Anschluss nicht verlor, aber was es auch war, ich war froh darum. Denn so konnte ich mich auf die dunklen Haare meines Freundes konzentrieren, statt die Wände zu beäugen.
Der Gang war unerwartet lang und endete nach einer scharfen Kurve abrupt. Das Licht dahinter war strahlend hell und ich musste blinzeln, als ich hinaustrat. Zum ersten Mal in den letzten Minuten konnte ich endlich wieder durchatmen. Es dauerte auch nicht lange, bis ich mich auf der gut ausgeleuchteten Lichtung, auf der wir uns befanden, orientierte und zu den anderen aufschließen konnte.
Sie standen nur wenige Meter entfernt, etwas am Rand des großen Platzes, auf dem reges Treiben herrschte. Fae standen in kleinen Gruppen zusammen, hielten Pfeil und Bogen in der Hand, manche auch schmale Messer, und zielte auf unterschiedlich weit entfernte Objekte. Das hier musste so etwas wie ein Schießplatz sein.
„Wer von euch ist Yan?"
Eine hochaufragende Fae trat auf uns zu, das feuerrote Haar zu einem strengen Zopf zurückgebunden. Sie betrachtete uns aus harten Augen und man konnte ihr ansehen, dass sie gerne überall, nur nicht hier sein wollte.
„Das bin ich."
Der Fürst trat vor, das Kinn hoch erhoben. Für ein paar Sekunden sahen er und die junge Frau, die ihn deutlich überragte, einander abschätzend an, dann nickte sie.
„Komm mit. Es gibt viel zu trainieren und nur wenig Zeit."
Überrascht warf der Fürst einen Blick in die Runde, dann zuckte er mit den Achseln und beeilte sich, mit den langen Schritten der Fae mitzuhalten, die ihn ans andere Ende des Platzes führte.
„Es geht weiter."
Der Fae, der noch immer ein paar Schritte entfernt wartete, nickte in Richtung der schlanken Bäume, die uns umgaben, dann huschte er ein weiteres Mal davon. Genervt davon, ihm ständig hinterher zu rennen, aber froh, an der frischen Luft unterwegs zu sein, folgte ich ihm zwischen die Bäume.
Dieses Mal liefen wir nur wenige Meter, bis wir auf einem weiteren Platz anhielten. Er war sehr viel größer als der letzte und sehr viel belebter. Einzelne Bereiche waren von anderen abgegrenzt, vermutlich, um etwas Privatsphäre zu ermöglichen. In manchen von ihnen umkreisten Fae einander, alle mit elegant geschwungenen Holzimitaten von Waffen ausgestattet. In einem dieser Ringe versuchten zwei Fae mit schlanken, langen Dolchen aufeinander einzustechen, in einem Zweiten schienen sechs Fae gleichzeitig gegeneinander zu kämpfen.
„Na endlich."
Der Fae vom Anfang hatte uns zielsicher zu einem mürrisch dreinblickenden Mann geführt, der uns abschätzend musterte. Seine Haare waren überraschend kurz gehalten für einen Fae, denn sie streiften kaum seine Schultern. Im Allgemeinen wirkte er klein und schmächtig im Vergleich zu den anderen Fae, die aufeinander einhakten. Doch seine Haltung und die Art und Weise, wie der andere Fae sich verbeugte, bevor er davoneilte, sagten mir, dass er mehr war, als er zu sein schien.
Mit abschätzendem Blick musterte er uns, dann nickte er und deutete auf sich.
„Ich heiße Nyan. Idan'shin hat mich beauftragt, eure Fähigkeiten zu beurteilen. Also bitte, wählt eine Übungswaffe und beginnt. Wer gegen wen kämpft, ist mir egal. Aber vielleicht beginnen wir mit den beiden Herren, dann die Damen. Danach sehen wir weiter."
Hinter Nyan, dessen Stimme überraschend tief für einen Fae war, lag eine gewaltige Auslage an Holzwaffen. Neugierig trat ich einen Schritt heran, doch schon nach wenigen Sekunden hatte ich eine Waffe entdeckt, die meinem gewohnten Kurzschwert glich. Gerne hätte ich eine der eleganten Waffen mit den abenteuerlich gebogenen Klingen ausprobiert, doch dafür hatte ich keine Zeit. In nur wenigen Tagen würde ich in einen Kampf ziehen müssen, von dem ich noch vor einem Tag keine Ahnung gehabt hatte.
„Sicher, dass du damit umgehen kannst?"
Neugierig blickte ich von dem Holzschwert in meinen Händen auf und warf einen Blick auf Drysden, der zwei Schwerter in den Händen balancierte. Sie schienen seinen eigenen Waffen zu ähneln, denn die Art und Weise wie er sie hielt wirkte vertraut, die Haltung gelassen. Der Fae jedoch schien das anders zu sehen, denn er deutete ein weiteres Mal auf die große Auswahl an Waffen.
„Ich will keinen Krieger entmutigen, aber vielleicht solltest du dich an etwas vertrautes halten. Wir haben hier einige gute Exemplare, die für Menschenhände ideal sind."
Drysden hielt inne, dann ließ er die beiden Schwerter auf die Auslage sinken. Doch dann, statt nach einer neuen Waffe zu greifen, schob er bloß den Mantel von den Schultern.
„Keine Sorge, ich werde schon klarkommen."
Als mein Freund sich mir zuwandte, hob ich eine Augenbraue. Doch Drysden schenkte mir nur ein kleines Schulterzucken und den Hauch eines Lächelns, dann trat er auf die Fläche, die Nyan uns zugewiesen hatte. Ich warf einen kleinen Blick auf das Schwert in meiner Hand, dann machte auch ich mich daran, den Mantel abzustreifen und zur Seite zu legen.
Dabei spürte ich, wie sich Gänsehaut auf meiner Haut breit machte. Schaudernd ließ ich das Schwert kreisen und trat zu Drysden, dem die Kälte wenig auszumachen schien. Stattdessen ließ er den Kopf kreisen, wippte kurz auf den Zehen und begann dann, mich zu mustern.
Ich tat es ihm gleich und versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, wie er sich normalerweise bewegte. Doch der letzte Übungskampf, bei dem ich ihn gesehen hatte, war über ein Jahr her und bei dem Überfall der Banditen hatte ich besseres zu tun gehabt, als ihn zu beobachten.
Dennoch, die Art und Weise, auf die er die Waffen hielt, wies auf seine Erfahrung hin. Weder umklammerte er die Hefter der Schwerter, noch ließ er sie zu locker. Dazu hielt er sich still, wohl vermutlich, um wenige Hinweise auf sein Vorgehen zu geben, doch gleichzeitig war er entspannt. Entspannter, als man es vermutlich sein sollte.
Mir war bewusst, dass ich mit Drysden einem starken Gegner gegenüberstand. Er war nicht umsonst Captain der königlichen Leibgarde gewesen. Seine Technik war hervorragend und er schreckte nicht davor zurück, hinterhältige Manöver anzuwenden. Meine Vorteile aber lagen eindeutig bei Größe und Stärke, da mussten wir uns nichts vormachen.
In dem Moment, in dem ich meine Schulter lockerte und einen letzten Blick auf Drysden warf, wurde mir bewusst, dass ich noch nie gegen ihn gekämpft hatte. Nicht einmal mehr zu Demonstrationszwecken für Prinzessin Isabel. Ich konnte also nur aus dieser Erfahrung lernen.
„Ihr könnt beginnen, wann immer ihr bereit seid."
Ungeduld konnte man wohl auch auf die Liste der untypischen Eigenschaften eines Fae setzen, die Nyan bewies. Ein interessanter Gedanke, hätte nur Drysden nicht diesen Moment genutzt, um als Erster anzugreifen. Er war wohl nicht der Typ, der lange wartete. Auch gut.
Mit einem großen Schritt wich ich der langen Klinge aus, die auf meinen Kopf zuflog, dann parierte ich den Stich gegen den Bauch, der folgte. Die Holzschwerter knirschten, als sie aufeinandertrafen, dann war ich bereits in Bewegung, um dem nächsten Zug auszuweichen. Drysden bewegte sich schnell, seine Waffen kamen mir immer wieder gefährlich nah. Zuerst ein erster Streich mit der längeren Klinge, dann der Stoß mit der kürzeren.
Ich wich aus und parierte einige Male, bis mir klar wurde, dass Drysden sich zurückhielt. Mit einem so klaren Muster konnte man keinen Kampf gewinnen. Und trotzdem reichte es aus, um mich davon abzuhalten, selbst den ersten Angriff zu starten.
Als unsere Schwerter ein weiteres Mal aufeinandertrafen, nutzte ich meinen eigenen Schwung, um meine Klinge fest gegen seine zu treiben. Es reichte vielleicht nicht, um mir selbst einen Angriff zu erlauben, aber zumindest musste Drysden zwei Schritte zurückweichen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Auch erarbeitete ich mir damit genug Zeit, um mir einen nächsten Schritt zu überlegen.
So schnell meine Füße es mir erlaubten, tat ich zwei Schritte zur Seite, bis ich auf der Seite der kürzeren Waffe stand. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu mitzudrehen und wertvolle Sekunden zu verschwenden oder eine neue Taktik zu verwenden, um nicht ungeschützt dazustehen.
Doch ich ließ ihm keine Zeit, das zu entscheiden, sondern ging direkt zum Angriff über. Mit einem schnellen Stoß, den er geschickt parierte, sorgte ich dafür, dass er die Arme überkreuzen musste, dann war ich an der Reihe, ihn mir schnellen Stößen über den Platz zu jagen. Gerne hätte ich mich triumphierend gefühlt, doch der ruhige Ausdruck und die Tatsache, dass er auch nach einigen Minuten noch nicht ins Schwitzen geriet, sorgten dafür, dass so etwas wie Sorge in mir aufstieg. Oder vielleicht eine Vorahnung.
Kaum war mir der Gedanke gekommen, sah ich aus dem Augenwinkel, wie Drysden die längere Waffe, die er bisher zur Balance genutzt hatte, zurücknahm. In Annahme eines unerwarteten Manövers von der Seite wich ich ein Stück zurück, kaum das ich einen letzten Schlag ausgeführt hatte. Und das keine Sekunde zu früh, denn ich konnte den Luftzug der schweren Klinge dort spüren, wo ich zuvor noch gestanden hatte.
Doch noch während das längere Schwert an mir vorbeizischte, fiel mir mein Fehler auf. Um diesem Angriff zu entgehen, hatte ich das Schwert unerwartet hochheben müssen, damit ich damit Schwung für die Rückwärtsbewegung hatte. Dadurch blieb aber die andere Seite schutzlos.
Noch während mir der Gedanke kam, bewegte Drysden sich schneller, als ich es erwartet hatte, vor. In Erwartung eines Schlags gegen die ungeschützte Seite riss ich das Schwert herum, doch Drysden folgte der Bewegung des alten Schlags und führte eine wirklich beeindruckende Drehung aus.
Einen Sekundenbruchteil zu spät wurde mir klar, dass ich nun die andere Seite in meiner Sorge ungeschützt gelassen hatte. Doch die Einsicht half nichts, denn noch während ich mich bewegte, um den Fehler zu korrigieren, traf meine Waffe auf seine kürzere und das überraschend kühle Material des längeren Holzschwertes auf meinen Hals.
Die Berührung war überraschend leicht, aber es war klar, dass das unter normalen Umständen ein tödlicher Schlag gewesen wäre. Das schien auch Nyan klar zu sein, der, noch während Drysden mich über den Rand seines Schwertes hinweg angrinste, in die Hände klatschte.
„Sehr gut. Nun die Damen, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit."
Mit einer kleinen Grimasse ließ ich den Arm sinken, der das Schwert hielt, dann schüttelte ich den Kopf und stapfte an den Rand der kreisförmigen Ebene. Im Vorbeigehen verpasste Cara mir einen Stoß gegen die Schulter.
„Sah gut aus."
Ich konnte nicht anders, als darüber zu lächeln. Dann ließ ich mich ächzend auf den Boden sinken und warf Drysden ein schiefes Grinsen zu, der neben mir auf den Boden sank.
„Vielleicht solltest du beim nächsten Kampf noch etwas entspannter aussehen. So viel, wie du geschwitzt hast, kann man glatt denken, du hättest dich überanstrengt."
Mit einem kleinen Lächeln senkte Drysden den Blick auf die Schwerter vor sich. Dann zuckte er mit den Achseln.
„Es ist eine Weile her, seit ich die Schwerter im Übungskampf geschwungen habe. Ich wollte erst einmal ausprobieren, was möglich ist und was nicht."
Ich schüttelte den Kopf ein weiteres Mal über Drysden, dann stieß ich meine Schulter gegen seine. Überrascht bemerkte ich, wie er zur Seite wegzuckte. Dann verzog er das Gesicht und warf mir einen entschuldigenden Blick zu.
„Ich bin es wohl nicht mehr gewohnt, solange ein Schwert zu halten."
Ich nickte, denn auch mein Arm schmerzte etwas. Dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass das nicht die ganze Wahrheit war. Aber ich kannte Drysden. Ihn darauf zu drängen, mehr zu sagen, war, als würde man auf einen Felsen einreden. Also ließ ich es bleiben, auch wenn ich mir vornahm, Drysden ein wenig näher zu betrachten.
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Ein rechtzeitiges Kapitel. Juhu. Ich habe Urlaub noch nie so geschätzt.
Over and Out,
DasLebenLesen
03/01/2021
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