Andrej [10]
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„Nyan hat bestimmt wieder den Mund nicht aufbekommen, was?"
Mit einem kleinen Schmunzeln schüttelte ich den Kopf, um Tel'ars Frage zu beantworten. Der Fae war wirklich ganz anders als die, die ich bisher kennen gelernt hatte. Nicht nur war der dichte Mopp an Haaren auf seinem Kopf eine neue Erfahrung, auch die Art und Weise, wie er sprach, hatte einen ganz eigenen Klang. Es erinnerte mich auf tröstliche Art und Weise an mein Zuhause an der Küste.
„War wieder klar. Ich habe schon gehört, dass er euch den ganzen Tag ohne Pause hat kämpfen lassen."
„Leider ja", stimmte ich mit einer Grimasse zu.
Meine Arme und Schultern schmerzten noch immer wegen der Anstrengung. Und meine Beine hatten sich heute Morgen angefühlt, als wären sie aus Blei gemacht. Immerhin hatte das sich in den letzten Stunden gebessert.
„Keine Sorge, wir gehen die Sache etwas gemütlicher an. Unser Lager ist nicht mehr weit von hier."
Der Gedanke an weitere Fae, die ich nicht kannte, bereitete mir Bauchschmerzen. Tel'ar war mir gegenüber gut gestimmt, aber die anderen Mitglieder seines Clans? Er mochte zwar das Oberhaupt sein, aber das hieß nicht, dass jeder seiner Meinung sein musste.
„Keine Sorge, die anderen sind schon ganz gespannt darauf, dich kennenzulernen. Wir sind ein kleiner Haufen, da können wir jede Hilfe gebrauchen."
Wie sich herausstellte, hatte Tel'ar seine Worte nicht nur aus Mitleid geäußert. Denn er behielt recht. Die Lichtung, die wir nach einigen Minuten betraten, war relativ klein, die Baumhäuser drum herum vielleicht zehn an der Zahl, keines davon mit mehr als drei schmalen Stockwerken.
Auf der Lichtung selbst hatte jemand einige Holzstämme zusammengesucht und zu einem behelfsmäßigen Kreis geformt, in dessen Mitte eine Feuerstelle aus rußigen Steinen lag. Kaum hatten wir uns zwischen den Bäumen hervorgeschoben, waren die Türen zu den Baumhäusern aufgegangen und ich hatte die Clan-Mitglieder kennen gelernt. Da war Azog, der so viele Armbändern mit kleinen Anhängern trug, dass sie bei jedem Schritt fröhlich klimperten, und We'ein, seine Frau, die bei jedem zweiten Wort ihres Mannes die Augen verdrehte.
Arem, ihr Sohn, war das jüngste Mitglied des Clans, wie Tel'ar mir erklärte. Der junge Mann hatte die Arme vor der Brust verschränkt, aber das schien mehr ein Teil des Erwachsenwerdens zu sein als ein Zeichen von Abneigung, da er seiner Mutter einen düsteren Blick zuwarf, als sie ein Blatt aus seinen Haaren zog.
Die anderen Mitglieder – Qu'ain, Elire und Sem – hatten sich ebenso als freundlich herausgestellt. Keiner von ihnen schien mir die Schuld an diesem Angriff zu geben, denn sie luden mich ohne zu zögern ein, in ihrem kleinen Baumkreis zu sitzen. Sem – der außergewöhnlich groß und dünn war - hatte mir sogar etwas von seinem Frühstück angeboten.
„Und weder Nyan noch Idan'shin haben euch etwas zu uns erklärt?"
Ein wenig hilflos schüttelte ich bei Qu'ains Frage den Kopf.
„Ich weiß nur, dass ihr eine Königin habt und in Clans lebt. Aber nicht alle, denn es gibt auch Fae, die hier im Schloss leben."
Zustimmend nickte sie.
„Genau, dass sind die Fae, die sich dem Königshaus verschrieben haben. Sie haben meisten geringes magisches Talent, sind deshalb also für die Clans also eher von geringem Interesse, aber dafür sind sie in anderen Dingen sehr gut. Als Köche, beispielsweise."
Das ergab Sinn.
„Aber du weißt, wie es zu unseren Clans kommt?"
Ich war mir sicher, dass es schon einmal jemand versucht hatte, zu erklären – Maila vielleicht? – aber ich musste zugeben, dass ich wenig bis gar nichts von ihrer knappen Ausführung verstanden hatte. Dementsprechend schüttelte ich den Kopf. Elire, die bisher wenig gesagt und sich stattdessen an ihrem Tee festgehalten hatte, schien das als ihren Moment anzusehen. Ihre Stimme war überraschend weich und leise.
„Es ist relativ einfach, Andrej: Wir werden in einen Clan hineingeboren. Dort leben wir, bis wir das erste Mal Magie wirken, was schonmal eine Weile dauern kann. Danach bekommen wir einen Mentor zugewiesen und treten dem Clan bei, der zu unseren Fähigkeiten passt."
Auch das klang ziemlich plausibel.
„Es gibt sieben Clans, alle mit der alten Sprache benannt, da sie die machtvollste ist", fuhr We'ein fort.
„Uns kennst du jetzt, die Metalla. Übersetzt würde man wohl so etwas wie Metallhand sagen, aber das ist nicht wirklich von großer Wichtigkeit. Wir alle haben Fähigkeiten, die mit Metallen zu tun haben."
Zur Demonstration zog sie eines der Armbänder von Azogs Arm, an dem ein kleiner Stern baumelte. Neugierig rutschte ich etwas näher an sie heran, als sie es vorsichtig auf ihre Handfläche legte. Zuerst passierte nichts, dann aber schien sich die Form des Anhängers an den Rändern aufzulösen. Es dauerte einige Sekunden, bis ich verstand, dass das Metall, aus dem er gemacht war, flüssig zu werden schien.
Fasziniert beobachtete ich, wie das nun flüssige Metall in ihrer Hand innehielt, dann bewegte es sich wieder, bis es eine neue Form, ein kleines Buch, erreichte. Mit einem kleinen Lächeln reichte sie es an ihren Mann zurück, der mir ein kleines Zwinkern zuwarf.
„Jetzt weißt du auch, warum ich so viele Armbänder trage."
„Nützlich", kommentierte ich als Antwort, noch immer von der Demonstration begeistert.
Dennoch stieg Sorge in mir auf. Wie sollte ich ihnen helfen können? Ich war kein Schmied, nicht in der Kunst des Schwertmachens bewandert. Würde ich nicht viel eher im Weg stehen?
„Ja, nicht wahr?", fuhr We'ein fort, die meinen inneren Konflikt nicht zu bemerken schien.
„Unsere Fähigkeiten sind äußerst praktisch, wenn sie auch manchmal von den anderen belächelt werden."
Ich zog die Stirn kraus.
„Weshalb denn das? Einer solchen Fähigkeit gelobt Dank, schließlich erleichtert ihr den anderen damit das Leben ungemein."
Elire schüttelte traurig den Kopf.
„Schön wäre es. Den anderen ist unsere Fähigkeit zu mondän. Aber wir können schließlich nicht alle hübsche Pflanzen wachsen lassen."
Mein verwirrter Gesichtsausdruck schien sie etwas aufzumuntern, denn sie schmunzelte. Qu'ain hingegen verdrehte die Augen über sie und wandte sich dann mit einem kleinen Lächeln an mich.
„Hör nicht auf sie. Elire schmollt gerne, weil sie bei den Skuggdykare groß geworden ist. Du kennst Maila, nicht wahr? Sie gehört ihnen an."
Ich nickte, denn mit diesem Wort konnte ich etwas anfangen. Dieser Fae-clan war dazu in der Lage, die Pflanzen um sich herum zu verändern, bis sie sich ihrem Willen beugten. Eine nette Fähigkeit.
„Und die Havssangere kennst du auch schon. Keine Sorge, es sind nicht alle so gemein wie Nieven."
Ich gab mein bestes, so zu wirken, als würde ich ihr glauben, auch wenn ich mir da nicht so sicher war. Unser kurzer Aufenthalt an dem See war nicht gerade erfüllt von Freundlichkeit gewesen.
„Es ist faszinierend, wie sie den Wind kontrollieren, nicht wahr? Ironischerweise leben sie an dem See, aber ihr Name bedeutet übersetzt so etwas wie Meeressänger."
Der Kommentar von Arem entlockte mir ein kleines Schmunzeln, das sich noch verstärkte, als Azog seinem Sohn einen bösen Blick zuwarf.
„So gut sind sie nun auch nicht."
„Du hast nur Angst, dass ich kein Metalla sein werde", antwortete Arem und schüttelte den Kopf.
Azog richtete seinen Blick auf mich.
„Dieses Kind will wirklich nicht verstehen, dass es in seinem Blut liegt, das Metall zu kontrollieren. Noch kein Mitglied meiner Familie war etwas anderes als ein Metalla."
Er klang überzeugt, aber sein Blick verriet die Sorge. Er wollte, dass sein Sohn zuhause blieb, aber er fürchtete, dass es nicht möglich war. Ich kannte diesen Blick, diese vermeintliche Überzeugung, die die eigenen Zweifel überspielte. Meine Mutter hatte mich oft so angesehen.
„Das können wir nicht beeinflussen, Azog", mischte Tel'ar sich ein.
Erleichtert, von meinen wehmütigen Gedanken loszukommen, wandte ich mich an das Clan-Oberhaupt.
„Und welche Clans gibt es noch? We'ein hat von sieben Clans gesprochen, aber ich kenne bisher nur drei."
Tel'ar nickte, den Blick auf seinen Teebecher gerichtet.
„Du hast recht. Deine Freundin Cara wurde den Brandskar zugeteilt. Das heißt übersetzt so etwas wie Feuersucher. Sie können Feuer beschwören und beeinflussen. Außerdem sind sie ein wirklich stolzes Volk."
„Und aufbrausend", warf Sem ein, der eine Grimasse zog.
„Ja, auch aufbrausend. Du solltest dich also besser nicht mit ihnen anlegen, denn sie schlagen immer unverhältnismäßig zurück. Aber ich bin sicher, dass es deiner Begleiterin gut geht", beeilte Tel'ar sich, anzufügen.
„Sie kümmern sich aufopferungsvoll um die ihren. Und auch wenn Odum nicht wirklich erfreut aussah, musst du wissen, dass sie darum gebeten hat, dass man ihnen Cara zuweist. Es fällt ihr nur manchmal schwer, zu zeigen, dass sie auch ein Herz besitzt. Mach dir keine Sorgen."
Ein wenig skeptisch nickte ich.
„Ich verlasse mich auf dein Wort."
„Sehr schön. Sem, hast du etwas zu erzählen?"
Der Fae zog die knochigen Schultern hoch.
„Nicht über die Brandskar. Aber dafür kann ich dir von den Stormmol erzählen."
Bei dem Namen klingelte etwas. Yan war ihnen zugeordnet worden.
„Also, die Stormmol sind wirklich mächtig. Sie können Winde beschwören und das Wetter beeinflussen."
Ich richtete mich etwas auf, denn eine Erinnerung stieg in mir auf.
„Sie können das Wetter beeinflussen? Wie den Sturm um Yver?"
Mit einer kleinen Grimasse nickte der Fae. Ich hatte selten jemanden kennengelernt, der so viel mit seinen Gesichtszügen sprach.
„Genau. Das klingt erstmal übel, aber eigentlich sind sie einer der entspanntesten Clans überhaupt. Liegt vielleicht daran, dass sie dich einfach vollregnen lassen können."
„Dann weiß ich nicht, ob Yan da reinpasst."
Der Kommentar ging mir überraschend beiläufig von der Zunge. Ein wahres Testament an die Fähigkeit dieser kleinen Gruppe, jemandem das Gefühl zu geben, dazu zu gehören.
„Ich bin mir sicher, dass Idan'shin einen guten Grund hatte, um Yan dort zuzuordnen", erwiderte Tel'ar mit einem kleinen Schmunzeln.
„Bestimmt. Weißt du, was Elys, ihr Oberhaupt, einmal gemacht hat, als sie auf Nieven sauer war?", mischte Sem sich da wieder mit leuchtenden Augen ein.
„Sie hat eine kleine Wolke beschworen und immer, wenn Nieven reden wollte, hat es so laut gedonnert, dass man sie nicht verstehen konnte. Dazu hat es zu den unmöglichsten Zeiten auf Nieven herabgeregnet, sodass sie den ganzen Tag mit feuchter Kleidung rumlaufen musste. Ich habe sie noch nie so schnell klein beigeben sehen."
Ich lachte ungläubig auf, dann schüttelte ich den Kopf.
„Und das hat niemand verboten?"
Als Antwort bekam ich nur ein kleines Schulterzucken.
„Idan'shin hat es geschehen lassen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es auch lustig fand."
Ich war nicht ganz überzeugt, aber ich verstand nun doch, warum Yan zu dem Stormmol passen konnte. Er nahm auch immer den Weg, der ihm zwar eine direkte Auseinandersetzung ersparte, das Gegenüber aber ordentlich zermürbte. Sein Sarkasmus und die Ironie, die er so selbstverständlich nutzte wie die Luft zum Atmen, funktionierten ein wenig wie diese Magie.
„Idan'shin fand es nur lustig, weil Elys keine Chance gegen sie hat."
Bei Elires Kommentar wurde ich aufmerksam. Dann, als niemand meine Neugier zu bemerken schien, harkte ich nach.
„Warum das denn?"
Verschwörerisch beugte Elire sich vor und verpasste zeitgleich Sem, der bereits zu einer Antwort ansetzte, einen so festen Stoß, dass er überrascht das Gleichgewicht verlor und von dem schmalen Holzstamm rutschte.
„Idan'shin ist eine Frisomfal. Vogelfrei. Das ist wahrscheinlich die älteste Fähigkeit überhaupt und eine von nur zwei, die auch Auswirkungen auf den Körper hat."
Nun war ich ganz Ohr.
„Sie kann nicht nur andere Gegenstände schweben lassen. Ganz im Gegenteil: Sie kann auch selbst schweben, wie ein Vogel. Ich habe sie schon einmal so weit aufsteigen sehen, dass sie nur noch ein kleiner Fleck am Himmelszelt war."
Idan'shin konnte fliegen? So etwas war möglich?
„Aber sie tut es nicht oft. Es kostet viel Konzentration und Kraft, deswegen gibt es auch nur noch sie. Ihre Schwester konnte auch einst fliegen. Zu der Zeit habe ich Idan'shin auch zuletzt aus reinem Zeitvertreib fliegen sehen. Seit dem Tod ihrer Schwester..."
Elire brach ab und schüttelte den Kopf, während Schweigen über uns hereinbrach. Ich hatte schon gehört, dass die Schwester der Königin ihr Leben im Krieg gelassen hatte, aber nun die betroffenen Gesichter zu sehen, war etwas ganz anderes. Die meisten hier hatten sie gekannt, vielleicht sogar an ihrer Seite gekämpft.
„Wir sollten die Stimmung nicht so verderben, dafür haben wir in ein paar Tagen schon Grund genug. Weißt du, was die andere Fähigkeit ist, die sich auf den menschlichen Körper bezieht?"
Tel'ar klang gezwungen fröhlich und der Themenwechsel fühlte sich alles andere als natürlich an, doch jeder in diesem Kreis schien aufzuatmen. Das Thema musste unglaublich schwer für sie sein.
„Ich weiß es nicht", gab ich schließlich die Antwort, auf die Tel'ar so offensichtlich angespielt hatte.
„Der letzte unserer Clans sind die Helandera. Das sind unsere Heiler. Einen von ihnen kennst du bereits: Baylor."
Beinah hätte ich mich an meinem eigenen Speichel verschluckt. Dieser Griesgram sollte ein Heiler sein? Niemals. Wenn ich an die Ärzte zuhause in Ensomniya dachte, dann kamen sanfte Leute mit ruhigen Händen und beruhigender Wirkung in den Sinn.
„Ich konnte es auch zuerst kaum glauben", erzählte Qu'ain, als sie meinen Blick einfing.
Dann begann sie von ihrem ersten Treffen mit dem Berater zu berichten, bei dem sie partout nicht hatte glauben wollen, dass er heilende Fähigkeiten hatte. Dankbar für die Ablenkung von den letzten Tagen und dem, was noch vor uns lag, ließ ich mich ganz darauf ein und lauschte den Erzählungen der Fae.
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Over and Out,
DasLebenLesen
21/02/2022
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