-~8~- Sicher

Sherlock und John saßen einige Wochen später im Verhandlungsraum des Gerichts.
Der Saal wirkte modern und geräumig. Es gab blaue Stühle für die Zuschauer, die zahlreich gekommen waren und in die Wände und Decke waren runde Leuchten eingelassen worden, die die seltsame Eigenschaft besaßen, die jeweilige Stimmung im Raum zu verstärken.

Die beiden Freunde saßen am Zeugentisch vor dem Zuschauern. Links vor ihnen saß der angeklagte Tadfield. Sein Anwalt hatte sich noch nicht zu ihm begeben, sondern unterhielt sich mit zwei Leuten aus den Zuschauerreihen. Er schien jedoch nicht besorgt, sondern eher entspannt zu sein und hatte ein stetiges Lächeln auf den Lippen.
Rechts von den beiden befand sich der Tisch für den Kläger, aber genau wie der Richter hatte die Staatsanwältin ihren Platz ebenfalls noch nicht besetzt.

Die Auswahl der Geschworenen hatte zermürbend lang gedauert und das bearbeitende Amt hatte erst noch eine vierwöchige Frist einzuhalten gehabt, in der nichts getan werden konnte, außer sich auf den Fall vorzubereiten.

Miller kam herein. Er trug seinen grauen Anzug und schaute sich kurz um, bevor er sich neben John setzte. Er schien schlecht gelaunt zu sein.
,,Das ist Velicaja Baseki, eine bekannte Staatsanwältin aus London. Es wundert mich, dass sie hier her gekommen ist", sagte er nachdenklich und deutete unauffällig in die Richtung einer jungen Frau, die sich gerade mit einem der Security-Leute unterhielt.
,,Ja, ich habe von ihr gehört. Eigentlich nimmt sie nur besonders schwierige Fälle an", erwiderte Sherlock leise, wobei er den letzten Teil eher an John richtete.
Dieser nickte verstehend.
,,Ist sie blind?", fragte er dann erstaunt, als er den weißen Blindenstock in ihren schmalen Händen erblickte.
,,Ist das nicht offensichtlich?" Sherlock rollte mit den Augen, worauf John seine Lippen aufeinander presste.
,,Aber ihr Gegner ist auch nicht schlecht. Matthew Capaldi wird Lenny verteidigen. Ich bin immer noch nicht der Überzeugung, dass er schuldig ist. Brook hat ihn in der Zeitung ziemlich fertig gemacht", sagte Miller.
,,Das werden wir nach der Verhandlung wissen", erwiderte John.

,,Meine Damen und Herren", erhob vorne beim Richterpult der Gerichtsassistent das Wort. ,,Bitte suchen Sie Ihre Plätze auf und erheben Sie sich."
Alle taten wie ihnen geheißen und die Richterin betrat den Verhandlungsraum.

Nach einer kurzen Einleitung verlaß die Staatsanwältin die Anklage.
,,Wie plädieren Sie, Mr. Tadfield?", beendete sie ihren Vortrag.
,,Nicht schuldig", erwiderte er, wobei er das 'nicht' besonders betonte. Aufgeregtes Murmeln ging nun durch die Reihen, denn jetzt ging es nicht mehr um Todschlag, sondern um Mord.
,,Ruhe bitte", wies die Richterin scharf an. ,,Wir fahren mit der Verhandlung fort."
Die Verteidigung trug ihr Anfangsplädoyer vor und es kam schnell zu der Befragung der Zeugen.

,,Mr. Holmes", begann Basdeki. ,,Sie wurden vom Vater des ersten Opfers zu dem Fall hinzugezogen, ist das richtig?"
,,In der Tat", erwiderte Sherlock knapp.
,,Sie haben auf dem Laptop von Mr. Tadfield einige..." Sie tastete auf ihren Notizen. ,,...gewaltverherrlichtende Inhalte gefunden. Beweisen diese in irgendeiner Art und Weise Mr. Tadfields Schuld?"
,,Nun, die Gewalt, die in den Videos gezeigt wird, ist auffallend ähnlich zu der, die bei Mrs. Grayson und Mr. Goldburgh angewandt wurde", erklärte er.
,,Haben Sie noch weitere Hinweise auf Mr. Tadfields Schuld?", fragte die Staatsanwältin.
,,Durchaus. Es wurde bei der Leiche von Mr. Goldburgh ein Zettel mit seiner Telefonnummer gefunden, den er laut eigener Aussage selbst dem Opfer gegeben hatte."
,,Sie erwähnten eine romantische, oder zumindest sexuelle Beziehung zwischen dem ersten und zweiten Opfer und dem Angeklagten. Würden Sie die Fälle als Verbrechen aus Leidenschaft einschätzen?"
,,Das waren sie nicht. Wenn, dann wurde die Beziehung nur als Vorwand genutzt, um in die Wohnungen der Opfer zu gelangen", antwortete Sherlock.
,,Danke, die Staatsanwaltschaft hat keine weiteren Fragen", sagte Basdeki und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. John warf Miller einen nachdenklichen Blick zu.

Jetzt war die Verteidigung an der Reihe, Fragen zu stellen: ,,Ist es korrekt, dass Sie den Laptop von Mr. Tadfield untersucht haben, Mr. Holmes?", fragte der schlanke, hochgewachsene Mann.
,,Das ist richtig", antwortete Sherlock.
,,Meines Wissens nach, sind Sie kein Computerexperte. Können Sie zweifelsfrei und ohne den Verdacht, dass jemand anderes auf Mr. Tadfields Laptop Zugriff hatte, bestätigen, dass er sich diese anstößigen Inhalte angesehen hat?"
Sherlock sah den Anwalt skeptisch an. ,,Mr. Tadfield hat nachweislich mit seinem Konto für die Inhalte gezahlt und normalerweise möchte man etwas für sein Geld haben, oder?"
,,Mr. Holmes, Sarkasmus hat hier im Gericht nichts zu suchen", unterbrach die Richterin die Befragung.
,,Entschuldigung", erwiderte Sherlock.
,,Sie können also nicht hundertprozentig nachweisen, dass er die Seite besucht hat? Danke, Mr. Holmes. Zu meiner nächsten Frage: In den Polizeiakten steht, dass die Spurensicherung aus dem Fall herausgehalten wurde, nachdem Sie hinzugezogen worden sind", fuhr der Verteidiger fort.

John fuhr sich angespannt über das Gesicht. Seine Befragung war wesentlich einfacher gelaufen.

,,Das ist korrekt, denn-"
,,Wer hat stattdessen die Spurensicherung durchgeführt?"
,,Das war ich." Sherlock wusste, in welche Richtung der Anwalt das Gespräch lenken wollte und überlegte krampfhaft, wie er es herumreißen konnte.
,,Was gibt Ihnen die Befugnis einen Tatort zu sichern?"
,,Meine langjährige Erfahrung mit-"
,,Danke, Mr. Holmes", unterbrach ihn Capaldi. ,,Zu der vermeintlichen Beziehung zwischen meinem Mandanten und Mrs. Gray beziehungsweise Mr. Goldburgh: Wenn es keine Verbrechen aus Leidenschaft gewesen sein sollten, welches Motiv hätte mein Mandant dann gehabt?"
,,Bezahlung", erwiderte Sherlock.
,,Mit welchem Geld?", fragte der Verteidiger. ,,Bei der polizeilichen Untersuchung wurde kein Zahlungsmittel gefunden, geschweige denn ein Zahler."

John schloss die Augen. Vor einigen Wochen hatte er sich noch gefragt, was passieren würde, wenn man Sherlock in die Enge treiben würde und jetzt passierte es. Hier, direkt vor ihm, ohne Ausweg.

,,Moriarty", presste Sherlock leise durch seine zusammengebissenen Zähne. Die Wut begann in ihm aufzukochen und er hielt sich an dem Zeugenstand fest, sodass seine Fingerknöchel weiß heraustraten.
,,Wie bitte?", fragte der Verteidiger.
,,James Moriarty", sagte Sherlock nun lauter. ,,Consulting Criminal, Genie - nun, wie genial er ist kann ich momentan noch nicht einschätzen-"
,,Und er ist verstorben meines Wissens nach", unterbrach Capaldi mit hochgezogenen Augenbrauen Sherlocks Vortrag, den er gerade beginnen wollte.
,,Ihr Wissen ist dann wohl überholt", zischte Sherlock.
Die Richterin wollte erneut einschreiten, als der Verteidiger ihr ein Zeichen gab, dass er die Situation unter Kontrolle hatte.

Nun wandte sich der Verteidiger an die Geschworenen und die Richterin: ,,Wie Sie sehen, gibt es keine klaren Beweise für die Schuld meines Mandanten. Eine Privatperson hat die Ermittlungen durchgeführt, deren Kompetenzen aus emotionaler Beeinflussung und Erfahrungen bestehen und damit in Frage gestellt werden kann-"
,,Entschuldigung?!", unterbrach ihn Sherlock aufgebracht, worauf er von der Richterin einen zurechtweisenden Blick bekam.
,,Mein Mandant hatte zur Tatzeit Besuch, wie uns Mrs. Lengston vorhin ausreichend dargelegt hatte."
,,Mrs. Lengston wurde von Tadfield mit einer Uhr bestochen, außerdem ist sie emotional mit dem Angeklagten befangen!", erklärte Sherlock gereizt.
,,Natürlich ist sie das. Sie ist eine gute Freundin von Mr. Tadfield, vielleicht mehr. Und die Uhr war ein Geschenk, kein Bestechungsversuch", erwiderte der Verteidiger. ,,Dazu kommt, dass durch den Medienaufruhr ein verschobenes Bild von meinem Mandanten entstanden ist, das die Öffentlichkeit und damit auch die Geschworenen unüberwindbare Vorurteile über ihn hegen lässt. Deswegen beantrage ich die Freilassung meines Mandanten wegen unzureichender Beweislage und da ein Ausführen einer fairen Gerichtsverhandlung nicht möglich ist."

Es wurde still im Gerichtssaal. Die Richterin dachte nach. Sherlock zitterte vor Anspannung.

,,Stattgegeben", sagte sie dann. Ein breites Grinsen zeichnete sich auf Tadfields Gesicht ab. ,,Die Geschworenen können sich jetzt zurückziehen. Das Gericht empfiehlt jedoch, den Angeklagten als nicht schuldig zu befinden."

______

Die Geschworenen brauchten nicht lange und kamen zurück in den Verhandlungsraum. Sie setzten sich alle wieder auf ihre Plätze.
,,Sind die Geschworenen zu einem Ergebnis gekommen?", fragte nun der Gerichtsassistent.
Die Sprecherin stand auf. ,,Ja", sagte sie. Sherlock und John hielten die Luft an. Jetzt kam es auf die Entscheidung an. Vielleicht gab es noch ein bisschen Hoffnung, dass sie auf Schuldig plädierten.

,,Nicht schuldig", sagte die Sprecherin.

,,Damit ist die Verhandlung abgeschlossen. Bitte räumen Sie den Saal", sagte die Richterin und alle verließen den Raum.

______

Sherlock, John und Miller standen außerhalb des Gerichts. Die Presse interessierte sich extrem für den, als unschuldig erklärten, Tadfield. Überall standen Reporter.

,,Ich habe Ihnen gesagt, dass er nicht schuldig ist", sagte Miller.
,,Ich bin nicht inkompetent in diesem Gebiet und das wissen Sie", erwiderte Sherlock sauer.
,,Vielleicht haben Sie sich auch geirrt? Jeder tut das mal."
,,Ich nicht", zischte der Detektiv.
,,Was werden wir jetzt tun? Er wusste von Anfang an, dass er nichts zu befürchten hatte", sagte John, um die Situation etwas aufzulockern.
,,Oh ich weiß nicht. Vielleicht sollten wir einfach nach Hause fahren, weil ich Schuldige nicht mehr von Unschuldigen unterscheiden kann", erwiderte Sherlock schnippisch.
John machte sich Sorgen, da sein Freund emotional wurde, was nichts gutes bedeutete.
Der Detektiv warf Miller einen Blick zu, dem dieser nicht länger als einige Sekunden standhalten konnte und deshalb stattdessen lieber auf den Boden sah. Er schüttelte den Kopf.

Als er ihn wieder hob sah er, wie Tadfield grinsend auf die drei zukam. ,,Danke für deine Unterstützung, Alec", lächelte er. ,,Nicht schuldig, das war alles, was ich hören wollte."
,,Mr. Tadfield, herzlichen Glückwunsch. Darf ich Sie noch etwas fragen?", hielt Sherlock Miller vom Sprechen ab. Ein freundliches Lächeln lag auf seinen Lippen, doch es erreichte nicht seine Augen. Tadfields schadenfreudiges Lächeln wurde breiter.
,,Natürlich. Ich bin ein freier Mann. Sie können alles fragen, was Sie wollen."
,,Was haben Sie gegessen, in der Nacht? Mit Mrs. Lengston meine ich."
Tadfield sah ihn verwirrt an. ,,Penne all' arrabbiata. Warum? Wollen Sie wissen, ob ich gut kochen kann?", lachte er.
Sherlock setzte ein selbstgefälliges Grinsen auf.

Millers Gesichtszüge schliefen ein. Das war die falsche Antwort gewesen.
,,Naja, wie gesagt, vielen Dank, Alec." Tadfield streckte ihm seine Hand hin.
,,Sicher", antwortete dieser jedoch nur abwesend, betrachtete kurz das Angebot seines Gegenübers und wandte ihm dann seinen Rücken zu, um zu gehen. Die Hand geben wollte er ihm nicht. Nicht unter diesen Umständen. Sherlock und John folgten ihm gewissenhaft und ließen Tadfield somit vor dem Gericht stehen.

______

,,Sie hatten Recht", entschuldigte sich der D.I., als sie hinter dem Gerichtsgebäude auf ihr Taxi warteten. ,,Er ist der Täter." Er senkte den Kopf leicht.
,,Er war Ihr Freund. Wer hätte nicht so reagiert wie Sie?", erwiderte John und legte ihm eine Hand auf seine Schulter.
Er verstand nun, warum Sherlock nichts von seiner Krankheit gesagt hatte. Sein Freund hatte Respekt vor dem Mann, der vor ihnen stand. Ein Mann, der seine Fehler zugab, aber niemals aufhörte zu kämpfen. Einer, der alle Schuld auf sich nahm, wenn es nötig war. Und der sein Leben für seine Karriere riskierte.

,,Naja, Freund. Wir kannten uns nur flüchtig, aber wir haben uns ein paar mal auf ein Bier getroffen und geredet. Er war der einzige von hier, der richtig mit mir geredet hatte, seit der Versetzung. Außerdem bin ich D.I. Ich hätte die Fakten sehen müssen. Er ist frei, wegen mir, und wer weiß, wen er als nächstes umbringt."

,,Mrs. Basdeki, könnten Sie bitte kurz stehenbleiben?", fragte John die ihnen bekannte Brünette im dunklen Blazer und mit Blindenstock, als sie gerade an den dreien vorbeikam und unterbrach damit das Gespräch. Sie drehte sich in ihre Richtung und lächelte schwach.
,,Was kann ich für Sie tun, Mr..."
,,Watson. John Watson", ergänzte eben dieser. ,,Bei mir sind Sherlock Holmes und D.I. Alec Miller."
,,Tut mir leid, dass Sie den Fall verloren haben. Es betrifft mich auch persönlich", sagte der D.I. und versuchte damit alle Förmlichkeiten abzuwickeln.
Basdeki nickte zaghaft.
,,Ich denke, es wäre sinnvoll, wenn Sie unter gegebenen Umständen einen gewissen Schutz bekommen würden. Mr. Tadfield ist ein gefährlicher Mann", erklärte Miller.
,,Ich habe von der Polizei in Northampton gehört. Ich glaube ich bin ohne Begleitschutz sicherer. Und dazu wurde er als unschuldig erklärt. Es wird wohl kaum eine Gefahr von ihm ausgehen", erwiderte sie spitz.
,,Da haben Sie unrecht. Er ist genial, aber nicht unschuldig. Gerade darum. Ihn hat ein schmackhafter Fehler verraten."

,,Zugegebenermaßen ist der Beweis aus ein paar Nudeln etwas schwach. Vielleicht hat er es einfach vergessen", flüsterte John zu Sherlock, sodass es die anderen nicht hören konnten.
,,Nein, wer erinnert sich mehrere Wochen später noch an das Essen von einem bestimmten Tag? Er war zu selbstsicher. Ich denke eher, das seine Nachbarin sich nicht an seine Anweisung gehalten hat und uns das falsche Essen genannt hat. Wenn es kein Essen gab, kann man sich auch nicht daran erinnern. Es ist eine Risikoquelle", erwiderte Sherlock in gleicher Lautstärke.

,,...Deswegen gebe ich Sie auch in die Hände von Mr. Holmes und Mr. Watson. Sie kommen auch aus London und haben mein volles Vertrauen", erklärte Miller, worauf John eine Augenbraue hob und ihn skeptisch musterte.
,,Und auf Ihr Wort kann ich mich verlassen?", fragte die Anwältin ungläubig.
,,Machen Sie sich keine Sorgen, Mrs. Basdeki. Bei uns sind Sie absolut sicher", mischte sich nun auch Sherlock ein. Jetzt galt Johns verwirrter Blick ihm.
Sie seufzte. ,,Na gut, aber Ende der Woche muss ich wieder in London sein. Meine Klienten können nicht ewig warten."
,,Das dürfte kein Problem sein", erwiderte Sherlock, worauf er von den beiden anderen Männern weitere irritierte Blicke erntete. ,,Wenn Sie uns jetzt bitte folgen würden, ich habe bereits ein Taxi gerufen."
John bot ihr einen Arm an und sie ergriff ihn dankend.

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