-~5~- Ich kenne ihn

,,Er hat fast keine Spuren hinterlassen, bis auf die Verletzungen, Alec! Darf ich Sie Alec nennen? Der Fall ist genial! Ich muss einfach seinen Schöpfer kennenlernen!"

Sherlock und John waren gleich am nächsten Morgen in die Polizeistation gekommen und nun lief Ersterer aufgeregt in Millers Büro auf und ab. Er konnte nicht aufhören, über den Fall zu reden und lies sonst niemanden zu Wort kommen, was Miller ziemlich nervte.

,,Nein. Ich hasse meinen Vornamen: Alec." Der D.I. wiederholte ihn ein paar mal abfällig, spuckte ihn nahezu aus und machte dann einen Schritt auf den Detektiv zu, sodass er dem nur wenig kleineren gefährlich nahe war. ,,Ich weiß nicht, was in Ihrem Kopf vor sich geht, aber wir haben es hier mit Mord zutun. Es ist kein Spiel mehr, wie Sie und Ihr Begleiter es wohl ansehen. Eine junge Frau ist gestern Nacht gestorben und ihr Mörder läuft noch frei herum. Ich musste ihre Angehörigen informieren, Sie hätten sie weinen hören sollen. Wie ihr Vater ihren Namen gesagt hat. Immer und immer wieder. Diese Ermittlung läuft unter meiner Leitung und wenn ich das Gefühl habe, dass Sie sie aufhalten, werde ich Sie wegen Behinderung der Justiz festnehmen. Und tun Sie nicht so, als wären wir Freunde, denn das sind wir nicht!"
Der D.I. war zum Ende hin ziemlich laut geworden und man musste es wohl sogar außerhalb seines Büros gehört haben, da die Polizisten aufmerksam von ihren Schreibtischen aufsahen und versuchten, durch das Milchglas etwas zu erkennen. Von innen konnte man die neugierigen Blicke durchaus sehen und war nicht gerade erfreut darüber.

,,Oh doch. Ich sehe ihre Sucht nach dem Adrenalinschub, das Herzrasen, wenn man dem Mörder gefährlich nahe ist, wenn man seinen eigenen Grenzen gefährlich nahe ist", erwiderte Sherlock euphorisch und eindringlich, worauf er von Miller nur einen wütenden Blick bekam.
Er senkte seine Stimme und machte eine drohende Geste mit seinem Zeigefinger. ,,Halten Sie sich aus meinen Angelegenheiten raus. Und nach Herzrasen ist mir ganz und gar nicht." Sherlock sah den D.I. emotionslos an, John dagegen schien beeindruckt. Einige Sekunden vergingen, in denen der Raum wie elektrisch aufgeladen schien, dann
atmete Miller tief durch und nahm seinen Sakko von der Stuhllehne. ,,Diesmal komme ich mit zum Tatort." Er verließ sein Büro, doch bevor Sherlock ihm folgen konnte, hielt John ihn am Arm zurück.

,,Sehen Sie, er kennt Sie nicht mal zwei Tage und hat schon die gleichen Probleme mit Ihnen, wie ich sie habe", merkte er an, konnte dabei aber ein Lächeln nicht unterdrücken.
Sherlock schnaubte abfällig und riss sich von John los, bevor er schnippisch erwiderte: ,,Dann scheint Ihr psychologischer Zustand wohl doch weiter verbreitet zu sein, als ich befürchtet hatte." Danach verließ auch er das Büro.
John konnte nur schmunzelnd den Kopf schütteln. Der D.I. hatte tatsächlich geschafft, nach Sherlock das letzte Wort zu haben und ihn emotional reagieren zu lassen. Er fragte sich, wie sich sein Freund nun verhalten würde.

______

Wenig später waren die drei zurück im Fabrikgebäude.
,,Sie haben recht. Er hat so gut wie keine Spuren hinterlassen, bis auf die offensichtlichen Abdrücke auf dem Boden natürlich, aber die helfen gar nicht", sagte Miller nachdenklich. Sie standen in der Mitte des Raumes, in dem sie Rose gefunden hatten. ,,Ich bin trotzdem der Meinung, dass wir in der zweiten Etage mal nachsehen sollten."
,,Es weißt nichts daraufhin, dass der Mörder oben gewesen sein könnte", erwiderte John. ,,Es gibt nicht mal Fußspuren." Er sah zu Sherlock, doch dieser schwieg nur und schien in seinem Kopf an einem ganz anderen Ort zu sein.
,,Ganz genau", sagte Miller und ging auf die alte Holztreppe zu, die nach oben führte. Sie knarrte verächtlich, als er seinen Fuß auf die erste Stufe stellte. Vorsichtig ging er weiter und als er fast ganz oben war, gab die vorletzte Stufe nach und brach durch. Miller zog erschrocken seinen Fuß zurück, wobei sich einige Holzsplitter durch seine Hose bohrten. Scharf sog er die Luft ein und fluchte leise. Er ließ dann die kaputte Stufe aus, um in die nächste Etage zu kommen.

,,Darf ich mir das mal ansehen?", fragte John vorsichtig und deutete auf das blutgetränkte Hosenbein.
,,Jetzt nicht", wimmelte der D.I. ihn ab.
,,Wenn ich es mir jetzt nicht ansehe, wird es ein anderer Arzt machen und dann können Sie Ihre Karriere an den Nagel hängen", erwiderte John nun sauer.
Der D.I. nickte nun und ließ John sich die Wunde ansehen.

Sherlock suchte währenddessen in den Lagerräume in der oberen Etage nach weiteren Hinweisen. Er fand ein leeres Büro, nur noch mit einem altem Schreibtisch und einem Schrank. Neugierig durchsuchte er die Schubladen des Schreibtisches, doch er fand nur einige unwichtige Lieferbestätigungen und eine Zigarettenschachtel. Die Marke war ihm wohlbekannt und die Verpackung schien nicht älter als ein paar Tage zu sein. Er nahm sie aus der Schublade und öffnete sie. Eine letzte Zigarette lag darin.
Ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Ein kleines Geschenk, dachte er.
Ohne weitere Umschweife steckte er sie in seine Manteltasche und wandte sich dem Schrank neben dem Schreibtisch zu.

Er wollte die Türen öffnen, doch sie waren verschlossen. Mit einem kräftigen Ruck bekam er sie jedoch auf und machte sofort einen Satz zurück, als ihm eine weitere Leiche entgegenfiel.
,,John! Miller!", rief er laut, bevor er sich Handschuhe anzog und den jungen Mann genauer ansah. Die Leiche war ein paar Tage älter als Rose und die Totenstarre war bereits wieder abgeklungen. Am Hals hatte er ähnliche Male wie sie, aber der Täter war noch unsicher gewesen, hatte nicht gleich beim ersten Mal die Luftröhre zugedrückt, sondern mit dem Opfer noch eine Weile gerungen. Der Mann hatte gerade einen neuen Job bei einer Metallverarbeitungsfirma angenommen und war erst vor kurzem in die Stadt gezogen. Er war ein Einzelgänger.

In diesem Moment traten John und Miller in den Raum und als sie Sherlock erblickten, eilten sie sofort zu ihm.
,,Halten Sie die Spurensicherung wieder raus", sagte Sherlock zu Miller und dieser nickte verstehend. ,,Bei dieser Leiche war der Mörder unvorsichtiger", freute sich Sherlock, als er einen kleinen Zettel mit einer Telefonnummer aus der Hosentasche des Opfers zog.
Der D.I. nahm Sherlock den Zettel ab und sah ihn genauer an. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
,,Das ist Lenny Tadfields Nummer", stellte er erschrocken fest, ,,Ich kenne ihn. Er wohnt hier in der Stadt. Merkwürdiger Typ, aber man kann mit ihm reden."
,,Dann würde ich vorschlagen, dass wir ihm einen Besuch abstatten", sagte John und sah die beiden auffordernd an.
Sherlock hatte in der Zwischenzeit das Portemonnaie des Toten gefunden und betrachtete den Ausweis.
,,Das passt auch zu seinem neuen Job", erklärte er, ,,Er arbeitet bei Tadfield Industries. Oder eher hat gearbeitet. Josh Goldburgh heißt er."

______

Die drei riefen sich wieder ein Taxi und diesmal kam es sogar ziemlich schnell. Sie fuhren an den Rand des Stadtviertels und stiegen vor einem älteren, einstöckigen Haus aus. Miller klingelte an der Haustür. Keiner öffnete.
Erst nachdem er ein zweites Mal geklingelt hatte, öffnete ein junger Mann mit kurzen schwarzen Haaren. Tadfields Blick heitere sich auf, als er den D.I. vor der Tür stehen sah.
,,Alec! Lange nicht mehr gesehen. Was verschafft mir die Ehre?", rief er freudig und umarmte ihn, was Miller sich verkrampfen ließ.
,,Hallo Lenny, das sind Sherlock Holmes und John Watson. Können wir dir ein paar Fragen stellen?", erwiderte Miller befangen und schob den jungen Mann ein Stück von sich weg.
,,Sherlock Holmes? Ja, ich habe etwas über Sie im Fernsehen gesehen." Er nickte den beiden zu.
,,Wo warst du gestern, zwischen elf und zwölf?", fragte der D.I.
,,Geht es um die Entführung von Rose Grayson? Habe davon gehört, furchtbare Sache. Gestern Nacht war ich hier, zu Hause", antwortete der Kleinere. Dabei schaute er immer wieder zwischen Miller und Sherlock hin und her.
,,Woher weißt du von der Entführung? Wir haben noch nichts öffentlich gemacht. Kann jemand bezeugen, dass du hier warst?"
,,Ich habe mit Richard gesprochen. Meine Nachbarin war bei mir, sie wird es bestätigen."
,,Okay, danke Mr. Tadfield", beendete Sherlock die Befragung.
,,Auf Wiedersehen", erwiderte Tadfield lächelnd, auch wenn er sichtlich irritiert war. Er nickte den dreien noch kurz zu, dann schloss er wieder die Haustür.

,,Warum beenden Sie meine Befragung? Wir haben ihn noch nicht mal zu Goldburgh befragt", sagte Miller wütend zu Sherlock.
,,Halten Sie jetzt endlich die Klappe und arbeiten Sie richtig mit uns zusammen", erwiderte John, worauf Miller ihn irritiert ansah.
John nickte nun Sherlock wissend zu.
,,Rufen Sie Richard Brook an. Fragen Sie ihn, ob er mit Tadfield gesprochen hat. John und ich gehen zu der Nachbarin", sagte Sherlock und ging zum nächsten Haus. John folgte ihm und sie ließen einen nachdenklichen Miller zurück.

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