KAPITEL 3

2. September 2014

„Victoire Weasley, wie schön, dich allein anzutreffen", höre ich die Stimme meines persönlichen Albtraums. Rosalie Ravens.
Ich habe die Hoffnung gehabt, dass mir eine Begegnung mit Rosalie noch ein wenig erspart bleibt. Wir haben doch erst den 02. September, der erste richtige Schultag des neuen Schuljahres.

Ich bleibe auf dem Weg zum Gryffindor-Gemeinschaftsraum wie erstarrt stehen. Kopfschmerzen plagen mich, weswegen ich grade vom Krankenflügel komme. Anscheinend hat Rosalie eine Freistunde, sonst würde sie sicher im Unterricht sitzen und mir nicht auflauern.

Mein Herz rast wie verrückt und ich traue mich nicht, mich umzudrehen und in ihr Gesicht zu schauen. Und obwohl ich sie eben nicht anschaue, weiß ich, dass ein listiges und gemeines Grinsen ihr Gesicht ziert und die Schadenfreude in ihren schwarzen Augen glitzert.

Mich hingegen überkommt vor Angst eine Gänsehaut und ich würde am liebsten vor ihr wegrennen, aber ich weiß, dass dies kein Sinn hat. Sie würde mich finden. Sie findet mich immer.

Ich sollte wirklich nicht mehr allein durch das Schloss laufen, aber wie soll ich das meinen Freunden erklären? Ich müsste ihnen die Wahrheit erzählen und das will ich auf keinen Fall. Ich kann ihnen nicht von dem Mobbing erzählen.

Alles in mir zieht sich zusammen, weil ich so große Angst vor ihr habe. Meine Augen füllen sich mit Tränen, aber das kann ich ihr nicht zeigen. Sie hält mich eh schon für schwach und klein. Noch viel schlimmer ist, dass ich es deswegen auch tue. Ich kann mich nicht wehren, also bin ich schwach und klein. Ich bin unbedeutend und wertlos.

„Dreh dich ruhig um, kleine Vic", lacht sie hämmisch.
Kleine Vic ist ihr Spitzname für mich. Vic, weil Teddy mich so nennt.

Ich komme ihrer Aufforderung nach, weil ich zu große Angst davor habe, was passiert, wenn ich mich nicht zu ihr umdrehe.

Ihre schwarzen polangen Haare hat sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden. Die schwarzen Haare und die schwarzen Augen bilden einen Kontrast zu ihrer blassen Haut. Sie ist so blass, dass ich schon desöfteren dachte, dass sie ein Vampir ist. Sie trägt ihre Slytherin-Schuluniform mit einem kurzen Rock. Wenn man mich fragt, hat sie ihn eindeutig gekürzt. Die hohen Schuhe machen sie noch größer als sie eh schon ist. Sie klackern als sie mit großen langsamen Schritten näher auf mich zu läuft, sodass uns nur noch wenige Zentimeter trennen.

Mit jedem Schritt, den sie näherkommt, steigt meine Angst ins Unermessliche. Auf einer Angst-Skala von null bis zehn, wenn null gar keine Angst und zehn Todesangst ist, bin ich eindeutig bei elf.

Meine Beine fangen an zu zittern, als sie direkt vor mir steht. Ich müsste eigentlich etwas zu ihr hochschauen, um in ihr Gesicht sehen zu können, aber ich traue mich nicht.

„Hast du etwa Angst vor mir, kleine Vic?", fragt sie lachend. Ihr Lachen ist das Schlimmste Geräusch auf dieser Welt. Noch schlimmer als der Ton meines Weckers. Es ist angsteinflößend und klingt so, als ob sie ganz genau weiß, dass sie die Macht über mich hat. Und damit hat sie recht. Sie hat die Macht über mich.

Ich antworte auf ihre Frage nicht, was wohl Antwort genug ist. Warum ich in Gryffindor, dem Haus der Mutigen bin, weiß ich auch nicht. Normalerweise müsste ich doch mutig genug sein, um mich zu wehren und zu sagen: „Nein, ich habe keine Angst."
Aber so ist es nicht. Ich bin nicht mutig. Ich bin unbedeutend und wertlos.

Sie lacht wieder. „Natürlich hast du Angst vor mir. Wer hat das nicht?"

Wow, wie eingebildet kann man sein, denke ich mir.

Ich schaue ihr immer noch nicht ins Gesicht. Ich starre förmlich auf ihre Schuhe und bin sehr froh, als sich plötzlich der Gemeinschaftsraum öffnet und Sven McCain, ein Mitschüler aus meinem Jahrgang, heraustritt.
Natürlich weicht Rosalie sofort einen Schritt zurück, damit nicht der Eindruck entsteht, dass wir besonders viel miteinander zu tun haben.
Sven schaut etwas irritiert, als er uns beide zusammen sieht, geht aber mit einem „Hallo, Victoire" an uns vorbei.

„Nochmal Glück gehabt", zischt Rosalie und dieses Mal wage ich es, ihr in die Augen zu schauen. Und bereue es sofort wieder. Ihre Augen sind von Hass und Schadenfreude erfüllt, sodass mich direkt wieder die Angst überkommt.

Sie dreht sich geradewegs um und lässt mich allein. Mein Herz pocht immer noch in meiner Brust, sodass ich denke, es springt gleich heraus. Wie erstarrt stehe ich an Ort und Stelle. Ich kann mich nicht bewegen, obwohl sie weg ist. Rosalie Ravens ist wirklich mein schlimmster Albtraum.

Einige Stunden später

„Vic, alles okay bei dir?", fragt Teddy mich, als wir beim Mittagessen gemeinsam am Hufflepuff-Tisch sitzen. Seine Freundin Leya sitzt bei ihren Freundinnen Mina und Melly Fuller, während seine beiden Freunden Matt und Toby nicht weit von uns weg sitzen.

Ich bin in Gedanken immer noch bei Rosalie, aber das kann ich ihm nicht sagen. Also nicke ich und sage: „Ja klar, alles in Ordnung."
Ich lächle ihn gezwungen an. Er schaut leider nicht ganz überzeugt, weswegen ich dieses Mal mein wirkliches Lächeln zeige, auch wenn es nicht große Überwindung kostet. Denn grade ist nichts in Ordnung bei mir.

„Sehr gut", sagt Ted und isst weiter.

„Ted?", höre ich plötzlich hinter mir die Stimme von meinem Cousin James, also Teddys Bruder.

Teddy schluckt seinen Bissen herunter und schaut fragend zu seinem Bruder. Ich drehe mich zu James um und lächle ihn an. Er sieht etwas verwirrt aus und wie immer (wie es auch bei seinem Vater ist) stehen seine Haare in alle Richtungen vom Kopf ab.

„Ja, was ist, Jamie?", fragt Teddy.

„Fred und ich suchen das Klassenzimmer für Zaubertränke."

„Wo ist Fred?", frage ich verwirrt.

„Vor der Großen Halle", antwortet James.

„Wir können euch hinführen, wenn ihr wollt", meint Ted zu James und ich nicke bestätigend.

James strahlt uns an. „Danke."

Wir essen schnell unser Essen auf und dann folgen James und Fred uns in die Kerker zum Klassenzimmer für Zaubertränke.

Auf dem Weg dahin begegnen wir leider Rosalie Ravens. Wer hätte es gedacht. Aber wie immer, wenn ich in Begleitung anderer bin, ignoriert sie mich und tut so, als würde sie mich nicht kennen. Als würde ich nicht existieren. Aber ich bin ehrlich: Ich verhalte mich nicht anders. Ich schaue sie nicht an, nicht mal ein kleines bisschen, ich ignoriere sie und tue so, als ob ihre Nähe keine Auswirkungen auf mich hat. Obwohl sie diese hat. Ich spüre die Angst hochkommen und würde am liebsten vor ihr flüchten, aber das kann ich nicht. Wenn sie nach einigen Schritten an mir vorbeigegangen ist, überkommt mich Erleichterung.

„Wer ist das denn?", fragt James stirnrunzelnd.

„Rosalie Ravens, eine Mitschülerin aus Vics Jahrgang", sagt James.

„Sie ist gruselig", meint James und schüttelt sich einmal.

Ich kann ihm nur zustimmen. Sie ist gruselig. Sie ist gemein, listig und hinterhältig. Und ich bin im Gegensatz zu ihr unbedeutend und wertlos.

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