//EINE UNERWARTETE WENDUNG//
DA FAHREN SIE nun, Max, Susi, Chnum und über ihnen schwebt Superman. Nur gut, dass ich ein kleines knallrotes Gummiboot im Schlepptau hatte, mit dem wir ihnen unauffällig folgen können. Ich hoffe sehr, dass es euch nicht übel wird, bei dieser rasanten Flussfahrt. Nun ja, ich weiß. Bislang ist nichts passiert, auf diesem doch eher beschaulichen Flüsschen. Nicht einmal eine Ente hat sich gezeigt. Superman hat die Kamera ausgeschaltet, um den Akku zu sparen, für wann auch immer der entscheidende Moment kommen möge, an dem es spannend wird.
Und was macht Max die ganze Zeit? Ach, herrje! Der Arme hat gar nicht mitbekommen, dass der Kryptonier das Filmen beendet hat, und spielt weiterhin seine Rolle. Er blickt fasziniert gen Horizont und kurbelt theatralisch die Kurbel der uralten Kamera.
»Max, ich glaube, du kannst das lassen«, flüstert ihm Susi zu und deutet mit einer Kopfbewegung auf Superman, der nun fast so aussieht, als würde er im Flug schlafen.
»Hey, da oben! Mr Kent! Nicht einschlafen. Sie sind zum Filmen hier, also tun sie das gefälligst auch.« Max sieht richtig wütend aus. Jetzt nuschelt er sich was in den nicht vorhandenen Bart, was ich nicht verstehen kann. Ich hoffe, er nimmt die ganze Sache nicht zu ernst.
Superman hat, folgsam wie er ist seine Kamera eingeschaltet und aus dem eben noch schmollenden Maximilian Winter ist wie auf Knopfdruck wieder ein genial-verrückter Filmemacher geworden. Ich muss sagen, er spielt seine Rolle überzeugend, oder was denkt ihr? Seht nur!
»Schauen Sie sich diese Naturgewalten an!«, beschreibt er die flachen Ufer und den ruhigen Lauf des Eichenstedter Flusses. »Dieser reißende Strom, den wir entdeckt haben, bietet wirklich ein einmaliges Schauspiel. Unglaublich, dass diesen Teil der Erde bislang noch kein Forscher und Filmemacher vor mir entdeckt hat. Was sagt unsere Expertin dazu? Ist dieser Fluss nicht ein wahrer Schatz?«
»Ähm, ja. Nun. In der Tat! Sie haben völlig Recht. Ein neues Weltwunder könnte man sagen.« Susanne versucht, ernsthaft und glaubwürdig zu klingen, während sie antwortet und das, obwohl sie nach wie vor nicht viel von diesem Schauspiel zu halten scheint. »Dieser Verlauf eines so ... ähm, prächtigen Flusses ist wirklich einmalig auf der Erde. Nicht nur allein der Strom selbst bietet einen exquisiten Hingucker auch seine Fauna und Flora ist ähm ... fabelhaft. Sehen Sie nur! Genau vor uns schwimmt ein Paar extrem seltener Stockenten. Es gibt sie weltweit nur noch hier. Sie werden in die Geschichte eingehen, Mr Winter.« Am Ende muss sich Susi dennoch ein Lachen verkneifen.
»Schnitt!« Oh je. Max scheint weniger Sinn für Humor zu haben. Seine Wangen färben sich wieder rot und sein Blick verengt sich. »Wenn du dich nicht anstrengst, wird der Film ein Desaster«, schimpft er divenhaft mit seiner Freundin.
»Glaub mir, Max, das wird er auch so«, antwortet diese kichernd.
»Nimm die Sache bitte ernst, sonst werfe ich dich gleich über Bord!« Jetzt ist er richtig sauer.
»Mach doch! Dann passiert in diesem Film wenigstens mal etwas.«
»Wie du willst. Kamera an! Alle auf ihre Plätze! Und Action!«, ruft Max und geht jetzt auf seine nörgelnde Freundin zu. Ich ahne nichts Gutes.
»Du willst mich doch nicht wirklich ins Wasser schubsen, Max? Wenn du das machst, dann ...«
Max hatte gar nicht die Gelegenheit, seine Drohung in die Tat umzusetzen. Denn wie aus dem Nichts stieß etwas gegen den Boden des Bootes, woraufhin sich Max reflexartig wieder setzte.
»Was war das?«, fragte er erschrocken.
»Das war sicher ein Stein vom Grund des Flusses. Dies ist eben kein Gewässer für Bootsfahrten«, fühlte sich Susi in ihren Zweifeln bestätigt.
Max für seinen Teil hat wieder dieses Funkeln in den Augen. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber das macht mir mehr Sorgen, als seine Wutröte. »Sei ruhig und spiel deine Rolle weiter«, gibt er erneut Befehle und scheint jeden Ärger vergessen zu haben. »Das ist genau die Spannung, die wir brauchen! Ich spüre, dass jetzt gleich etwas Geniales passieren wird.« Der exzentrische Filmemacher ist zurück.
Susanne verdreht kurz die Augen, spielt dann aber übertriebene Ängstlichkeit, während Superman alles mitfilmt.
»Oh, Hilfe! Mr Winter, was sollen wir denn jetzt machen? Das sind bestimmt die äußerst gefährlichen Wiesenstedter Alligatoren, die da unser Boot angreifen. Menschen gehören zu ihren Leibspeisen. Bitte, retten Sie uns!« Kommt schon, sie gibt sich doch wirklich Mühe, oder nicht?
»Was sagen Sie da? Alligatoren? Nur keine Panik, Madame!« Max bäumt sich mutig auf und bring dabei das Boot stark ins Schwanken. »Ein Abenteurer wie ich ist schon mit ganz anderen Geschöpfen fertig geworden. Gleich werden Sie sehen, was ich mit diesem Tierchen mache, wenn es sich noch einmal wagen sollte, an unser Boot zu ...«
Habt ihr das gesehen? Da ist schon wieder etwas gegen das Boot gekracht und hat Max' oscarreife Performance unterbrochen. Wir sollten uns lieber gut festhalten, nicht, dass unser Gummiboot auch noch ins Straucheln gerät.
»Ich weiß nicht. Irgendwie fühlt sich das nicht an, wie ein Stein. Eher wie ein treibender Ast oder so was. Vielleicht sind beim letzten Sturm welche ins Wasser gefallen?«, wundert sich Susi und beäugt interessiert die Wasseroberfläche.
»So ist gut! Warum spielst du nicht immer so überzeugend?«
»Ich spiele nicht. Irgendetwas ist hier nicht in Ordnung. Da ist etwas im Wasser, hoffentlich kein großer Fisch oder eine dicke Ratte«, antwortet Susi nach der dritten Erschütterung.
»Hab ich dich jetzt doch angesteckt mit meinem Forschergeist?« Max grinst triumphierend. »Spiel ruhig weiter. Das ist genau die Stimmung, die ich ... Ooooh!«
Du liebe Zeit! In diesem Augenblick gab es einen so heftigen Stoß, dass es Max über Bord warf. Er hält sich jetzt krampfhaft am Bootsrand fest und sieht gar nicht mehr so begeistert von der Situation aus.
»Hilfe! Sitz da nicht so rum, zieh mich wieder rein!«, schreit er und klingt wie ein kleines Mädchen.
Susanne lacht schadenfroh, als sie ihren eben noch so selbstbewussten Freund so wimmernd und flehend sieht. »Hochmut kommt vor dem Fall, mein werter Herr Naturforscher. Gefahren wie diese müssten Sie doch von ihren früheren Expeditionen her kennen und kompetent meistern.«
»Quatsch nicht! Zieh mich rein! Da ist etwas an meinem Bein! Etwas Großes! Aaaah!«, unterbricht Max schreiend die hämischen Kommentare seiner Freundin.
»Hat dich eine tollwütige Forelle in den Zeh gezwickt?« Susi schmunzelt noch immer und ist sich sicher, dass Max nach diesem Zwischenfall die Lust auf den Film vergangen ist. Zusammen mit Chnum zieht ihren triefend nassen Kumpel zurück ins Boot. Dort erkennt sie, dass er tatsächlich sehr blass aussieht und am ganzen Leib zittert.
»Was war denn los, um Himmelswillen?«, fragt sie aufgeregt und mustert ihn von oben bis unten. »Du bibberst ja wie Espenlaub. Du bist doch nur in den Eichenstedter Fluss gefallen und nicht in den Amazonas. Übertreib es nicht mit diesem doofen Film.«
»Ich, ich hab keine Ahnung«, japst der arme Max völlig atemlos. »Der Fluss ist hier übelst tief. Ich habe keinen Boden gespürt. Ich kenne diese Stelle gar nicht und da, da schwamm etwas an meinem Bein entlang. Ich schwöre!«
»Das war bestimmt nur ein Ast oder so was. Oder ein Goldfisch, den mal jemand hier ausgesetzt hat«, versucht Susi ihn zu beruhigen.
»Nein. Das war kein Ast. Es war etwas Lebendes, allerdings etwas ziemlich Großes. Kein Goldfisch.« Max sieht so authentisch aus. Ich bin mir gerade nicht mehr sicher, ob er weiterhin in seiner Rolle steckt oder ob er wirklich etwas Derartiges erlebt hat. Vielleicht bleiben wir mit unserem roten Gummiboot lieber auf Abstand. »Schau dich doch mal um, Susi. In welchem Teil von Groß Wiesenstedt sind wir hier eigentlich?«
Jetzt wo er es anspricht ... Seht! Der bis vor kurzem noch kleine und seichte Fluss ist zu einem breiten, dunklen und tiefen Strom geworden. Auch die Ufer haben sich verändert. Ich war so sehr auf die Freunde in ihrem Bötchen vor uns konzentriert, dass ich diese Veränderung nicht mitbekommen habe.
Max und Susi schauen sich ebenso verwundert um und können diesen Ort nicht mehr ihrer Heimat zuordnen.
»Wir sind nicht mehr in der Stadt, aber ich hab gar nicht mitbekommen, wann wir sie verlassen haben«, stellt Susi erschrocken fest. »Ich bin hier noch nie gewesen und habe nicht gewusst, dass der Fluss irgendwann so groß wird.«
»Ehrlich gesagt, beunruhigt mich das hier alles ein wenig«, gesteht der einstmals so toughe Max. »Erst das Ruckeln am Boot, dann das tiefe Wasser, jetzt wissen wir nicht einmal mehr, wo genau wir hier sind und zu allem Übel folgt uns die ganze Zeit dieser Schatten unter der Wasseroberfläche«, sagt Max mit zitternder Stimme und zeigt auf etwas Großes und Dunkles, das sich schnurstracks dem Boot der Freunde nähert.
»Ich hab dir ja gesagt, das funktioniert nicht. Wir sollten lieber wieder nach Hause schiffern«, schlägt Susi vor und will Chnum gerade den entsprechenden Befehl zur Umkehr geben.
»Auf keinen Fall! Das hier ist doch genau das, was wir gesucht haben. Abenteuer pur. Filmst du auch schön weiter, Superman?«
Jetzt brat mir doch einer einen Storch! Gerade eben war Max ein bleiches, zitterndes Bündel gewesen und jetzt hat er wieder nichts anderes im Sinn, als seinen Film zu drehen. Was muss denn noch alles passieren, dass er sich etwas anderes für die Hausaufgabe einfallen lässt? Ich für meinen Teil würde auch lieber wieder umkehren. Wie bitte? Ihr findet das genauso spannend wie er und wollt unbedingt wissen, was da im Wasser ist? Auf eure Verantwortung!
»Na klar, Chef!«, gehorcht Superman dem Befehl des großartigen Maximilian und schwebt weiterhin über die Hobby-Abenteurer hinweg. Auch Chnum, der bislang nicht ein einziges Wort geredet hat, scheint keinen Skrupel vor einer Weiterführung der Bootsfahrt zu haben. Bring den Knaben denn niemand zur Vernunft?
»Dir ist wirklich nicht mehr zu helfen. Max.« In Susis Worten ist sowohl Angst als auch Enttäuschung zu hören. »Moment mal. Von welchem Schatten hast du eigentlich gerade gesprochen?«, fragt sie beunruhigt und schaut suchend die Stelle ab, die Max ihr die ganze Zeit zu zeigen versucht.
»Na, der da! Der genau auf uns zu schwimmt. Halt mit der Kamera drauf, Superman!«, antwortet Max ungeduldig und tippt auf die Wasseroberfläche direkt neben dem Boot.
Oh, verdammt!
Ich hab euch ja gewarnt!
Festhalten!
Das glaubt uns doch keiner!
Ein riesiges Krokodil erhebt sich aus dem Wasser und kippte das Boot unserer Freunde mit samt der schockierten Besatzung um. Alle außer Superman treiben im Wasser und das Krokodil schwimmt unaufhaltsam auf sie zu. Was sollen wir denn jetzt machen?
»Superman, schweb da nicht so herum! HILF UNS!«, schreit Susi dem Superhelden mit dem roten Cape entgegen. Dieser will gerade zum Sinkflug ansetzten, als Max ihn aufhält.
»Nein, nicht! Er hat doch die Kamera. Das hier musst du unbedingt filmen! Das wird die Sensation! Film weiter, Superman!«
»Bist du jetzt völlig bekloppt geworden, Maximilian!?« Susis Kreischen hallt durch die Luft und wird nur durch das Rauschen und Platschen des Wassers übertönt. »Da schwimmt ein Monsterkrokodil auf uns zu und du denkst wieder nur an deinen blöden Film!« Recht hat sie. Ich mache mir fast in die Hosen und bin froh, dass das Monster unser Gummiboot noch nicht entdeckt hat und Max ... Ach, ich finde keine Worte dafür.
Das Krokodil hat sehr viel Ähnlichkeit mit einem Deinosuchus, einer riesigen und eigentlich längst ausgestorbenen Krokodilart aus der Kreidezeit. Es schwimmt immer näher auf die drei Abenteurer zu, welche vergebens versuchen, vor ihm davon zu schwimmen.
Ich kann nicht hinsehen. Hätte ich euch doch bloß nie mitgenommen. Es tut mir so leid, dass ihr jetzt mitansehen müsst, wie ... Moment mal? Was ist das da drüben? Ein rot-blauer Punkt kommt zwischen den Bäumen immer näher auf uns zugeschwungen. Könnt ihr erkennen, was das ist?
In letzter Sekunde kommt der unbekannte Retter in der Not vom Ufer angeschwungen, packt die drei Verrückten, zieht sie aus dem Wasser, genau dem Untier vor der Nase weg und setzt sie ans sichere Ufer. Der Deinosuchus schlägt noch einmal beleidigt mit dem Schwanz auf die Wasseroberfläche und taucht ab. Hoffentlich auf nimmer Wiedersehen. Los, lasst uns schnell zum Flussufer paddeln und nachsehen, ob es unseren Freunden gut geht!
Max kommt gerade wieder zu sich und blickt sich verwirrt um. »Was war das denn?«, fragt er kleinlaut und spuckt Wasser aus.
Susi sitzt bereits hellwach neben ihrem Freund und beäugt ihren Lebensretter ungläubig. Könnt ihr ihn jetzt erkennen? In seinem rot-blauen Ganzkörperanzug mit den spinnennetzähnlichen Mustern ist er unverkennbar. Doch nachdem er sich versichert hat, dass es allen Beteiligten gut geht, schwingt er auch schon wieder davon. Gefolgt von der Kameralinse seines entfernten Kollegen Superman.
»Das war Spider-Man«, antwortet Susi auf Max' Frage und blickt dem Superhelden aus New York ungläubig nach. »Wie kam der denn so schnell hier her? Und wo ist er jetzt hin? Spinnilein! Spinni, Spinni, Spinni!«, ruft sie ihm nach, doch er kehrte nicht wieder um.
»Ach, lass! So macht er es doch immer, erst wen retten, dann verschwinden«, winkt Max ab, der es offenbar kein bisschen seltsam findet, dass ausgerechnet Spider-Man aus dem Wald auftaucht, um ihn und seine Freunde zu retten. »Ist wenigstens alles auf Band? Das wird die Hammerszene! Angriff des Monsterkokodils. Und wir haben überlebt! Besser kann es gar nicht laufen!«
Max ist ein weiteres Mal völlig von Sinnen, beim Gedanken an seinen Film. Ich an seiner Stelle würde mich entschuldigen, dass ich meine Freunde in Lebensgefahr gebracht habe und diese Tatsache nicht auch noch feiern. Was? Wie bitte? Wer von euch hat da gerade gerufen, dass er das genauso spannend findet? Ich bin von Wahnsinnigen umgeben!
»Der und sein scheiß Film. Mir reicht's. Ich will weg«, flucht Susi und steht mit wackligen Füßen auf, um flussaufwärts wieder nach Hause zu gehen. Ich würde vorschlagen, wir schließen uns an und ... Nein? Ihr wollt bei Max bleiben? Warum nur habe ich euch mitgenommen? Schön, ganz wie ihr wollt. Aber sagt am Ende nicht, ich hätte euch zu irgendwas überredet!
Max konnte Susi nach einer langen Diskussion ebenfalls davon überzeugen, bei ihm zu bleiben. Auch Superman und Chnum weichen nicht von seiner Seite. Sicher nur deshalb, weil sie den Auftrag haben, auf diesen übergeschnappten Teenager aufzupassen. Ich würde mir dennoch wünschen, dass sie ihn zur ... Ja, ich bin schon ruhig.
Gemeinsam zünden unsere Glücksritter jetzt ein Lagerfeuer an, um ihre nassen Klamotten zu trocknen. Das halte ich ausnahmsweise für eine gute Idee. Lasst uns dort vorn zwischen den Büschen ebenfalls ein Lager aufschlagen und uns von dem Schrecken erholen.
Das nächste Abenteuer wartete bestimmt.
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